Diskussion:Optische Poesie
Der Begriff "Optische Poesie" ist nicht von Nicolas Nowack gepraegt worden, sondern er hat wohl lediglich diesen Begriff fuer seine Arbeiten neu definiert.
Der Begriff OPTISCHE POESIE ist ein Hilfsbegriff. Seine Bedeutung leitet sich aus griech. οπτικη her. Es ist eine Poesie, die etwas sichtbar macht im doppelten Sinne: eine Poesie, die nicht nur zu lesen, sondern auch zu sehen ist, zugleich aber auch eine Poesie, die etwas sichtbar, einsichtig, auf etwas aufmerksam macht. Der Begriff, nicht ganz in dieser Funktion und eher im Sinne von Sehtext oder Textbild ist wohl zuerst von Ulrich Ernst gebraucht worden (Die Entwicklung der optischen Poesie in Antike, Mittelalter und Neuzeit. Ein literarhistorisches Forschungsdesiderat, in: Germanisch-Romanische Monatsschrift 26 (1976), S. 379 ff.; erw. u. überarb. in: Literatur und bildende Kunst. Ein Handbuch zu Theorie und Praxis eines komparatistischen Grenzgebietes, hg. von Ulrich Weisstein, Berlin 1992, S. 138 ff. und: Ulrich Ernst, Optische Dichtung aus der Sicht der Gattungs- und Medientheorie. In: Architectura Poetica. Festschrift für Johannes Rathofer. Köln 1990, S. 401ff.; vgl. auch Manfred Beetz, In der Rolle des Betrachters. In: Jb. D. dt. Schillerges. XXIV/ Stuttgart 1980, S. 419ff., der von Optischen Bildertexten spricht), obwohl es den Begriff in verschiedenen Kontexten längst gab, so z. B. im Zusammenhang mit dem Medium Film in einer Rezension zu Renoirs Frühstück im Grünen (Der Spiegel 11/1961) oder weit früher bei Oskar Fischinger um 1920 (Optische Poesie. Oskar Fischinger. Leben und Werk. Kinematograph Nr. 9, Berlin 1993, S. 9; Dencker 2011, S. 63), der den Begriff OPTICAL POETRY für seine Malerei (z. B. als Titel für eine Gouache auf Karton von 1936 u. ein Ölgmälde auf Papier von 1941) und als Titel für seinen sechsminütigen Film von 1937 benutzte . OPTIK, bzw. die Bezeichnung OPTISCH in Verbindung mit Formen jedweder künstlerischer Produktion ist spätestens seit dem Aufkommen der technischen Bildmedien Fotographie und Film und programmatisch seit dem Futurismus und Dadaismus nachzuweisen, ex-plizit z. B. bei El Lissitzky 1923, als er eine neue Optik des Buchraumes und für die Texte forderte: Ökonomie des Ausdrucks – Optik statt Phonetik (in: Merz 4, Juli 1923, S. 47) oder bei Bert Brecht, der im Berliner Börsen-Courier 1925 von einer Umgruppierung nach dem optischen Gesichtspunkt im Hinblick auf eine neue Optik in der Literatur berichtete (Brecht, Gesammelte Werke Bd. 18, S. 24; Dencker 2011, S. 108). Programmatisch noch eindeutiger äußerte sich Karel Teige, der zur Definition seines Poetismus davon spricht, mit optischen Formen zu dichten. Mit an der Fahnensprache gebildeten optischen Worten (in: Poetismus, Mai 1924 zuerst in: Host 3, Heft 9-10, Juli 1924, S. 197 ff., dt.: Karel Teige, Liquidierung der >Kunst<. Analysen, Manifeste. Frankfurt 1968, S. 48 f.) und später im Juni 1928: Wir haben die allmähliche Loslösung der Poesie von der Literatur verfolgt, und gleichzeitig damit eine größere Optisierung der Poesie bis zur Fusion mit der Malerei in ein Bildgedicht (in: Manifesty poetismu, zuerst als Sondernummer von: ReD 1, H. 9, Juni 1928, dt. in: Liquidierung der Kunst, aaO, S. 102; Karel Srp, Optische Worte. Poetismus und Bildgedichte. In: Vladimír Bìrgus, Tschechische Avantgarde-Fotografie 1918–1948. Stuttgart 1999, S. 56ff.). Im Rückblick stellte Hausmann fest: Es wurde bereits damals (1919) erkannt, dass das gesteigerte Bedürfnis der Zeit nach dem Bild, also der Verdoppelung eines Textes durch die optische Illustration, nicht durch einfaches Nebeneinander, sondern nur durch eine auf sprach-gedankliche Grundlage zurückgreifende optische Konstruktion zu lösen war (Typografie (1932). In: Hausmann, Retrospektive. Hannover 1981, S. 58f.). Gelegentlich gibt es dann später bei den Autoren der Konkreten und Visuellen Poesie eine begriffliche Nähe, wenn z. B. Carlfriedrich Claus notiert, dass seine Blätter: sowohl als optische systeme wahrgenommen, vom blick erfasst, wie jedoch auch in der zeit entfaltet, als sprachliche information gelesen werden. durch die versuchende auflösung der beiden dialektisch verknüpften infor-mationsebenen des blattes, der sprachlichen und der optischen, durch vergleiche und neuzusammenfügung, kann im betrachter / leser eine spezifische spannung entstehen. er nimmt vernetzungen, widersprüche, spannungen, kämpfe zwischen beiden ebenen wahr, bezieht stellung, führt sie weiter, schaltet sich in den diskurs, in dem sich das blatt befindet, aktiv ein (Claus, Erwachen am Augenblick, a.a.O., S. 128). Der Begriff OPTISCHE POESIE umfasst nun alle Bereiche, in denen es sich um visuali-sierte poetische Produktionen handelt. Zu ihnen gehören neben den grafischen Notationen der AKUSTISCHEN POESIE und den figurativen Treatments des modernen [→Hörspiels], den poetischen Notationen der MUSIKALISCHEN GRAFIK, den grafischen Vorlagen der KINETISCHEN POESIE und schließlich der VISUELLE POESIE auch in Teilbereichen die KONKRETE POESIE, poetische Formen der SKRIPTURALEN MALEREI ebenso wie die historischen Formen der Figuren-, Gitter- und Labyrinthgedichte oder Formen des Rebus, der Ars Combinatoria, Enigmatik, Allegorik, Hieroglyphik, Emblematik und die diversen Formen von Bildgeschichten (vom Spruchband bis zur Sprechblase), Bild-Texten (z. B. Figurae) und Text-Bildern (z. B. Graffiti). Diesen Produktionen im Printbereich schließen sich die im technischen und elektronischen Medienbereich an (z. B. Text-Foto-Collagen, Film-, TV- und Video-Poetry, Copy-Art, BTX-Art, Holopoetry), die Mail-Art, Correspon-dence-Art (z. B. Telegrafie-, Telefax-, E-Mail-Art) sowie die Formen der Poesie im Rahmen von [→Kunst im öffentlichen Raum] des 20. und 21. Jahrhunderts.
Ausführlicher in: Klaus Peter Dencker, Optische Poesie. Von den praehistorischen Schriftzeichen bis zu den digitalen Experimenten der Gegenwart. DeGruyter/Berlin 2011.
Klaus Peter Dencker, am 20. Januar 2011 (ergänzt am 26. Mai 2011) (nicht signierter Beitrag von 84.166.243.210 (Diskussion) 13:12, 20. Jan. 2011 (CET))