Diskussion:Pression (Lachenmann)
Die Angabe, die Partitur sei in 'space notation' notiert, ist nicht korrekt. In der Partitur gibt es zwar keine durchgezogenen Taktstriche (entsprechend auch kein Metrum), aber immerhin kurze Striche über der Partitur, die regelmässige Viertelschläge markieren. Ausserdem ist rhythmisch alles konventionell, d.h. präzis ausnotiert. Unkonventionell ist hier eigentlich nur die Schlüsselung: Lachenmann verwendet fast durchgehend einen 'Cello-Schlüssel' (Instrumentenschlüssel). An diesem kann abgelesen werden, wo auf dem Instrument eine Spiel-Aktion ausgeführt werden soll.
Zur Liste mit Aufnahmen des Werks: Es gibt auch eine 'neuere' Aufnahme mit Dirk Wietheger von 2015 (Label Musikfabrik)
- Weite Teile der Partitur sind aber wirklich in space notation geschrieben. Zwar gibt es die "kurzen Striche", aber z.B. die Richtungsänderungen des Glissandos am Anfang sind nur räumlich definiert, nicht genau rhythmisch. Das gleiche betrifft auch die Tonhöhen - nicht nur, aber auch am Anfang. Den Titel des Abschnittes mit Aufnahmen sollten wir vielleicht in "Aufnahmen (Auswahl)" ändern, es gibt sicherlich noch deutlich mehr. --Matthias Lorenz (Diskussion) 16:35, 7. Jul. 2022 (CEST)
- Dass die Glissandi rhythmisch nicht genau bestimmt sind, ist nicht korrekt, im Gegenteil, sie sind rhythmisch eindeutig festgelegt - und das ist das einzige Unterscheidungs-Kriterium zwischen klassischer Notation und Space Notation. (Dass 'Tönhöhen' nicht genau notiert sind liegt einfach daran, dass in dieser Musik das Klangmaterial gar nicht aus Tonhöhen besteht, sondern aus instrumentalen Geräuschen - einzige Ausnahme ist die des-Stelle im zweiten Teil). Ein Beispiel für echte Space Notation wäre z.B. Zyklus von Stockhausen. Dort geben die Abstände auf dem Papier gewissermassen die Einsatzabstände der einzelnen Klangereignisse wieder. Space Notation bedeutet: Abstand auf dem Papier = Zeitintervall. Das ist hier bei Lachenmann aber nicht der Fall. In Pression handelt es sich um eine traditionelle Dauern-Notation, die Abstände auf dem Papier spielen keine Rolle. Space Notation bezieht sich ausschliesslich auf die zeitliche Artikulation der Musik, alle anderen Parameter wie Tonraum, Tonhöhe, etc. sind davon gar nicht betroffen. Wenn also z.B. Tonhöhen nicht genau notiert sind, ist das deswegen noch keine Space Notation. Sobald Musik rhythmisch mit den althergebrachten arithmetischen Dauernwerten notiert ist, kann von Space-Notation nicht die Rede sein. --85.4.10.160 13:33, 4. Aug. 2022 (CEST)
- Liebe IP, leider ist in Deinen Ausführungen einiges falsch. Fangen wir im Allgemeinen an. Du schreibst, dass sich Space-Notation ausschließlich auf Dauern/Zeit beziehe. Ich kenne (und finde) keine Definition davon, die das sagt (von allgemein anerkannter Definition mal ganz zu schweigen). Woher nimmst Du Deine Sicherheit in dieser Frage (vielleicht liege ja auch ich falsch)?
- Was die rhythmische Bestimmung des Glissandos angeht: Sicher ist der Anfang als Triole "normal" bezeichnet. Aber wann genau ist der erste Wechsel wieder Richtung Steg? In der alten Fassung kurz vorm drittnächsten "Schlag", in der neuen Fassung irgendwo zwischen dem nächsten und übernächsten "Schlag". Aber die Abweichung mal außen vor gelassen, es ist eben nicht angegeben, wo genau. Das gleiche gilt für die Tonhöhen. In der neuen Fassung steht ja explizit, dass man leicht vor dem Steg streichen soll und dann kann man eben Tonhören hören, die aber nicht genau angegeben sind. Auch durch unterschiedliche Geschwindigkeiten der Finger auf den Saiten (ohne alles Streichen) entstehen übrigens Tonhöhen, die durch die Steilheit/Flachheit der Linien definiert sind. Aber sie sind weder rhythmisch noch vom Ort auf der Saite her genau definiert, sondern eben in Space-Notation. Das ließe sich durchs ganze Stück so fortsetzen.
- Sicher könnte man das noch anders formulieren, da Du ja recht hast, dass er immer wenn es ihm wichtig war auf herkömmliche Zeichen zur Präzisierung zurückgegriffen hat. Aber beide Begriffe, "(Aktionszeichnungen" oder vielleicht besser "Aktionsschrift" und "space notation") sollten jedenfalls dabeibleiben.
- Gruß, --Matthias Lorenz (Diskussion) 23:04, 10. Aug. 2022 (CEST)
- lieber matthias, zum problem der 'space notation': eine musikwissenschaftliche definition des begriffs müsste ich jetzt suchen, aber man kann sich ja zunächst einmal auf partituren beziehen. und da zeigt sich eben, dass space notation ein von der klassischen dauernnotation verschiedenes konzept der darstellung der musikalischen zeit ist (beispiele gibts unzählige, besonders bei cage, stockhausen, oder allgemeiner in der musik der 1960er jahre, etc). wenn andere parameter der musik 'ungenau' notiert sind, dann kann man das zb 'grafische notation' nennen o.ä. aber ich plädiere dafür, den begriff der 'space notation' nicht einfach auf alles, was in einer partitur (im klassischen sinne) nicht genau notiert ist, auszuweiten. das was die entwicklung der space notation angetrieben hat, war das bedürfnis nach einer von der arithmetischen rhythmik verschiedenen zeitgestaltung. in lachenmanns partitur gibt es einzelne stellen, die im sinne der 'space notation' notiert sind (besonders die glissandi der linken hand, zb zu beginn). aber bei glissandi ist das wiederum auch nicht so ungewöhnlich. aber deswegen von der ganzen partitur zu sagen, sie sei in space notation notiert, finde ich sehr übertrieben. das allermeiste, was die rhythmik der musik hier ausmacht, ist arithmetisch und genau notiert. was ich sagen will: der aspekt der space notation spielt in diesem werk eher eine untergeordnete rolle und dort, wo sie eingesetzt wird, gibt es praktische gründe dafür (zb umbrüche bei glissando-bewegungen; es macht wenig sinn, etwas genau zu notieren, was gar nicht so genau umsetzbar ist, etc...). aber dieses werk ist (sozusagen im ideologischen sinne) kein space-notation-stück (da gäbe es weitaus prominentere beispiele...). soweit ich das übersehen kann, setzt lachenmann die space notation in seinen werken nur dort ein, wo sie sinn mach bzw. wo sie klangresultate fixiert, die nicht genau notierbar sind. aber insgesamt ist seine musik keine space notation-musik. im gegenteil, lachenmann notiert mehrheitlich arithmetisch genau und komplex.
- und zum problem der 'tonhöhen': dass bei den verschiedenen strich- und wischbewegungen auf den saiten des cellos auch schattenartig tonhöhen durchscheinen, geschenkt. aber der grund, weshalb lachenmann diese nicht genau angibt, liegt nicht darin, dass er es nicht will, sondern dass er es nicht kann! diese klangeffekte sind nicht kontrollierbar oder vorhersehbar, also grösstenteils zufällig und deswegen macht es auch keinen sinn, sowas genau notieren zu wollen. ich sehe aber nicht ein, wieso man das dann gleich 'space notation' nennen soll. lachenmanns art der notation ist eine 'aktionsnotation' (und eben keine 'klangnotation'; steht so ja auch im vorwort zur partitur: "Die Notation dieses Stücks zeigt - mit Ausnahme der Stellen, wo die übliche Tonhöhen-Notation angedeutet ist - nicht an, was klingen soll, sondern, was der Spieler tun soll; [...]"). eine aktionsnotation ist aber nicht automatisch auch eine space notation. dass der ort, an dem zb ein finger der linken hand auf dem griffbrett irgendetwas tut, nicht 100% genau angegeben wird, liegt in der natur des 'cello-schlüssels', den lachenmann für seine aktionsnotation erfindet. natürlich könnte man diese spielorte auf dem griffbrett mit der klassischen tonhöhen-notation genauestens angeben, aber da tonhöhenbezogene genauigkeit hier keine (so grosse) rolle spielt, verzichtet lachenmann intelligenterweise darauf. aber nochmal: das würde ich nicht space notation nennen. der aspekt des 'space' ist hier eine folge von ganz anderen voraussetzungen als bei der space notation von cage oder stockhausen (zb in zyklus). der spielort auf dem instrumentenkörper wird durch den cello-schlüssel halt nicht auf den millimeter genau angegeben, aber das hat meiner einschätzung nach nichts mit space notation zu tun. nochmal: wenn wir alles, was in einer partitur irgendwie grafisch und scheinbar ungenau oder nur annäherungsweise angegeben wird space notation nennen, dann verwässert dieser begriff. deswegen beharre ich so darauf, ihn historisch auf den aspekt der zeit-notation in der musik zu beschränken.
- liebe grüsse,
- wanja aloe --85.3.66.2 11:50, 27. Aug. 2022 (CEST)
- Liebe Wanja, da es hier gerade nicht um persönliche Überzeugungen geht sondern um belegbares Wissen, führt das - so spannend ich Deine Argumentation finde - für den Artikel nicht weiter. Zumal man natürlich auch Gegenbeispiele findet, nimm Cages "Variations II" wo alle Parameter über Entfernungen definiert sind (das aber natürlich mit Space Notation trotzdem nichts zu tun hat). Zeit als räumlich definiert steht da gar nicht im Vordergrund. Ich denke auch, dass Lachenmann das Nötige genau definiert hat und gezielt andere Dinge offener. Wenn Du hingegen schreibst "zb umbrüche bei glissando-bewegungen; es macht wenig sinn, etwas genau zu notieren, was gar nicht so genau umsetzbar ist" unterschätzt Du uns Cellisten.
- Egal, um das ganze auf Artikelarbeit zurück zu bringen. Was würdest Du davon halten, die Klammer von "Aktionszeichnungen in space notation" zu ändern in: "Aktionsnotation, teilweise in space notation"? Gruß, --Matthias Lorenz (Diskussion) 18:49, 27. Aug. 2022 (CEST)
- lieber matthias,
- den änderungsvorschlag finde ich sehr gut. die neue formulierung kommt (meiner meinung nach ;) der notations-ästhetik lachenmanns viel näher. ich unterrichte das werk seit gut 15 jahren in verschiedenen analyse-kursen an der berner musikhochschule. gleichzeitig bin ich komponist und stehe selber oft vor dem problem einer adequaten notationsweise. der aspekt der aktionsnotation scheint mir hier einfach der wesentlichere zu sein, weil lachenmann diese notationsform sozusagen aus einer inneren notwendigkeit heraus erfindet, um seine instrumentalen geräusche in einer adequaten form überhaupt notieren zu können und es gleichzeitig im rahmen der abendländischen notationspraxis ein paradigmenwechsel darstellt. deswegen bin ich so pingelig :)
- mir ist durchaus bewusst, dass es hier nicht um 'persönliche überzeugungen' geht, ich denke aber, dass mein verständnis von space notation durchaus belegbar ist (ganz abgesehen davon, das ich das so in meinem studium gelernt habe). aber wie gesagt, die quellen dazu müsste ich jetzt zusammen suchen, habe aber keine zeit dafür. ich habe nur kurz in verschiedenen lexikas zur neueren musikgeschichte nachgeschaut, und nicht viel handfestes gefunden. vielleicht ist der begriff musikwissenschaftlich noch gar nicht eindeutig fixiert. das 'lexikon neue musik' von hiekel/utz zb. bespricht die space notation unter dem allgemeineren begriff 'graphische notation - musikalische graphik' (S. 475) und zitiert dort u.a. cage und seinen begriff der 'time-space notation': "John Cage begann ab 1951 sukzessive mit der Reduktion von Spielvorgaben und Notationssymbolen. Seine 'time-space notation' bezog horizontale Abstände in einer Partitur auf gemessene Dauern von Minuten oder Sekunden, erstmals realisiert in der Music of Changes für Klavier (1951) [...]". das wichtige beispiel von stockhausen habe ich in früheren kommentaren beireits zitiert (zyklus für einen schlagzeuger, 1959). dort ist es tatsächlich so, dass stockhausen sich von der arithmetischen dauernnotation verabschiedet und über berechenbare distanzen auf dem papier auch logaritmische (bedeutet: chromatische) dauernproportionen notieren kann. das resultat ist wortwörtlich eine space notation, in der abstände auf dem papier einsatzabstände in der zeit darstellen (siehe dazu stockhausens eigene analyse des werks in den gesammelten schriften bei DuMont, bd. 2, S. 73ff). das wären zumindest einmal zwei beispiele, die 'meine' definition des begriffs belegen könnten.
- gruss --85.3.66.2 10:31, 28. Aug. 2022 (CEST)
"Spieltechniken"
[Quelltext bearbeiten]Lieber Wanja, auch wennn die Änderungen jetzt minimal waren - ich liebe es ja, wenn man darüber diskutiert, viel mehr Wissen auffährt als dazu "nötig" und am Ende zu einer gemeinsamen Lösung findet. Das Problem der Definition von Space Notation werden wir hier nicht gelost bekommen, vielleicht gibt es auch wirklich (noch) keine allgemeingültige Position dazu.
Wieso ich einen neuen Abschnitt begonnen habe: Was mich "schon immer" in der Einleitung mehr stört ist die Formulierung "enthält eine Fülle neuer Spieltechniken". Spieltechnik - würde ich sagen - beinhaltet ja Übertragbarkeit. Also col legno battuto ist eine Spieltechnik. Und man kann sich entscheiden, eine bestimmte Technik zu nutzen oder eben nicht. Das sehe ich bei Pression ganz anders. Es ist ja alles so sehr aus einem anderen Umgang mit dem Instrument (und dem Spieler) geboren, dass es nicht übertragbar ist. Natürlich könnte das Stück ganz anders sein, als es ist. Aber eben nicht indem man eine Spieltechnik durch eine andere ersetzt, also etwa ordinario statt col legno battuto. Möglicherweise etabliert sich davon dann etwas als Spieltechnik - aber eigentlich nicht im Kontext von Pression.
Da wir mit dem anderen Satz so schön vorangekommen sind. Und da Dir wie mir das Stück ja irgendwie nahe ist: Hast Du Zeit und Lust, auch dafür noch etwas Anderes zu finden (oder es begründet so stehen zu lassen)? Gruß, --Matthias Lorenz (Diskussion) 11:18, 28. Aug. 2022 (CEST)