Hélder Câmara

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Hélder Câmara (1974)

Hélder Pessoa Câmara (* 7. Februar 1909 in Fortaleza, Ceará, in Nordost-Brasilien; † 27. August 1999 in Recife) war ein brasilianischer Erzbischof von Olinda und Recife. Câmara gründete die ersten kirchlichen Basisgemeinden in Brasilien und gehörte zu den profiliertesten Vertretern der Befreiungstheologie. Er galt als einer der bedeutendsten Kämpfer für die Menschenrechte in Brasilien, der in aller Welt die Folterer und Mörder während der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 anprangerte.

Herkunft, Studien und frühe Jahre

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Dom Hélder Câmara (vollständig Hélder Pessoa Câmara) stammte aus Fortaleza, der Hauptstadt des Bundesstaates Ceará im unterentwickelten Nordosten Brasiliens, in dem bis weit in das 20. Jahrhundert hinein vor allem Rinderbarone und Plantagenbesitzer Politik, Wirtschaft und Gesellschaft dominierten. Er war der elfte von 13 Söhnen eines Buchhalters. Seine Mutter war Volksschullehrerin und fromme Katholikin. Fünf seiner Geschwister starben im Kindesalter während einer Grippe-Epidemie. In jungen Jahren erkrankte er an Tuberkulose, von der er sich nie ganz erholte. Bereits als Kind wollte Câmara Priester werden; 1923 trat er ins Priesterseminar ein, im Alter von 22 Jahren empfing er am 15. August 1931 die Priesterweihe.

Nach seiner Priesterweihe war Câmara fünf Jahre in Fortaleza tätig. Bestrebt, die Kirche stärker im Volk zu verankern, baute er die katholische Laienbewegung Katholische Aktion (Ação Católica Brasileira) auf. 1931 gründete er die Arbeitslegion von Ceará, 1933 schuf er die Katholische Arbeiterinnen-Gewerkschaft. Wie ein Großteil der nicht mit der alten Oligarchie verbundenen Intelligentia stand auch Câmara Mitte der 1930er Jahre eine Zeit lang den faschistischen „Grünhemden“ (Ação Integralista Brasileira) nahe, von denen er sich aber bald distanzierte.

Innerhalb der katholischen Kirche machte Câmara rasch Karriere; Papst Pius XII. ernannte ihn zum Geheimkämmerer. 1934 leitete Câmara als Staatssekretär das Erziehungswesen im Staate Ceará, 1936 wurde er in die damalige Hauptstadt Rio de Janeiro versetzt, wo er einen wichtigen Posten im Erziehungsministerium übernahm. In Rio lernte er die miserablen Lebensbedingungen der Bevölkerung in den Elendsvierteln kennen, was zum Wendepunkt seines Lebens wurde. 1947 wurde er zum Nationalpräses der Ação Católica Brasileira ernannt.[1]

Leben und Wirken als Bischof

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Am 3. März 1952 ernannte Papst Pius XII. Câmara zum Weihbischof in Rio de Janeiro und zum Titularbischof von Saldae. Die Bischofsweihe spendete ihm der Erzbischof von Rio de Janeiro, Jaime Kardinal de Barros Câmara, am 20. April desselben Jahres. Mitkonsekratoren waren die Weihbischöfe in Rio de Janeiro, Erzbischof Rosalvo Costa Rêgo und Jorge Marcos de Oliveira. Am 2. April 1955 wurde er zum Koadjutor des Erzbischofs von Rio de Janeiro und zum Titularerzbischof pro hac vice von Saldae ernannt.

In enger Absprache mit Pro-Staatssekretär Giovanni Montini, dem späteren Papst Paul VI., bereitete er maßgeblich die Gründung der Brasilianischen Bischofskonferenz (CNBB) vor (Gründung am 14. Oktober 1952),[2] deren Generalsekretär er bis 1964 wurde. Während dieser Zeit entwickelte sich dieses Gremium zu einer der einflussreichsten Institutionen der Theologie der Befreiung. 1955 war er Generalsekretär des Eucharistischen Weltkongresses; im selben Jahr ging aus seiner Initiative die Lateinamerikanische Bischofskonferenz CELAM hervor.

Seine Besuche als Bischof in den Elendsvierteln von Rio, seine Bemühungen, annehmbare Wohnbedingungen für die Armen zu schaffen, und seine Fernsehpredigten machten ihn in der Zeit äußerst populär. 1956 initiierte er die Kampagne Sankt Sebastian in Rio de Janeiro, bestimmt für die Lösung der Probleme der Elendsviertelbewohner. 1959 gründete er in Rio de Janeiro die Vorsorgebank (Banco da Providência)[3], die sich speziell mit der Elendsfrage beschäftigt.

Erzbischof Câmara (Bildmitte) 1970 in Bonn beim Deutschen Forum für Entwicklungshilfe; ganz links: Günter Grass

Auf dem Zweiten Vatikanum (1962–1965) war Câmara einer der profiliertesten Sprecher der Kirche der Dritten Welt. Am Vorabend der zweiten Sitzungsperiode des Konzils im Jahre 1963 richtete er einen offenen Brief an seine Mitbischöfe, in dem er sie beschwor, den äußeren Reichtum abzulegen, um die Distanz zwischen ihnen und den arbeitenden Menschen zu verringern. Am 16. November 1965 mündete dies in den Katakombenpakt, den 40 Bischöfe der ganzen Welt in den Domitilla-Katakomben eingingen. Der Pakt griff das Leitwort Johannes XXIII. von einer „Kirche der Armen“ auf.[4]

Am 1. April 1964 wurden die Reformbemühungen der brasilianischen Präsidenten Jânio Quadros und João Goulart durch einen Militärputsch beendet. Kurz zuvor, am 12. März 1964, wurde Câmara durch Papst Paul VI. zum Erzbischof von Olinda e Recife ernannt.

Unter der Militärdiktatur blieb Câmara zunächst in der Amtszeit des Präsidenten Castelo Branco noch weitgehend unbehelligt. Câmara setzte sich weiterhin national wie international für gewaltlose Sozial- und Landreformen zugunsten der ausgebeuteten Kleinbauern in Brasilien und der übrigen Dritten Welt ein. Er rief ein Erziehungsprogramm, ein Selbsthilfeprogramm für Bauern und die „Aktion Friede und Gerechtigkeit“ ins Leben, die von rechtskonservativen Kreisen als „soziales Agitationsforum“ angegriffen wurde. Nachdem Artur da Costa e Silva 1968 Präsident geworden war, denunzierte man ihn zunehmend als „roten Bischof“.[5] Mehrere Attentate wurden auf ihn verübt; sein geistlicher Sekretär, Pater Antonio Peirera Neto, wurde erschossen. In einer international vielbeachteten Rede prangerte er am 26. Mai 1970 im Palais des Sports in Paris vor 10.000 Zuschauern das Foltern von politischen Gegnern in seiner Heimat an. Nach seiner Rückkehr nach Brasilien sorgte die Militärregierung dafür, dass er von nun an bis zum Ende der Militärdiktatur (1983) von der einheimischen Presse geächtet wurde.

Währenddessen stieg Câmaras Popularität im Ausland. Zahlreiche Vortragsreisen führten ihn in die USA, nach Kanada, Japan und Europa. Es wurden ihm internationale Friedenspreise und 18 Ehrendoktorate von ausländischen Universitäten verliehen. Viermal wurde er für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.[6] Dagegen entfachten die Militärs Anfang der 1970er Jahre eine verdeckte Kampagne – und zwar mit Erfolg. So wurde ihm stattdessen 1974 ein „Alternativer Friedenspreis“ verliehen.

Am 2. April 1985 trat Câmara aus Altersgründen von seinem Amt des Erzbischofs zurück. Als sein Nachfolger wurde Dom José Cardoso Sobrinho ernannt, ein Mann der Konservativen, der zuvor zwanzig Jahre lang Professor für Kirchenrecht in Rom gewesen war. Câmara musste erleben, dass sein Nachfolger beauftragt war, seine Pastoral zu „korrigieren“. Sobrinho beendete die sozialen Projekte und bekämpfte den Einfluss der Befreiungstheologie in Brasilien.

Grab von Erzbischof Câmara im Mausoleum der Bischöfe im Dom von Olinda

Dom Hélder Câmara starb am 27. August 1999 in Recife. Sein Grab befindet sich im „Mausoleum der Bischöfe“ im Dom von Olinda. Der zuletzt schleppende Seligsprechungsprozess wird von Papst Franziskus gefördert (Stand: April 2015).[7]

In Vorschlägen zu Sozialgesetzen, der Erziehung der Analphabeten, in Stellungnahmen zu Menschenrechten, zur Agrarreform und in direktem Dialog mit Politikern versuchte Câmara in die politische, soziale und wirtschaftliche Sphäre des öffentlichen Lebens hineinzuwirken, Missstände anzuklagen und deren Überwindung herbeizuführen. So setzte er sich entschieden für die Erwachsenenbildung ein, indem er Basisgruppen gründete und Radioschulen schuf.

Câmaras Einfluss beschränkte sich nicht nur auf den brasilianischen und den lateinamerikanischen Klerus, sondern war auch noch bis in das Zweite Vatikanum (1962–1965) spürbar – besonders an den Stellen der Pastoralkonstitution Über die Kirche in der Welt von heute, das die Hinwendung der Kirche zu den Armen und Unterdrückten bekräftigte.

  • Angesichts des Elends in seiner armen Kirchenprovinz, in der Tausende von Kindern jährlich verhungern, sagte er: „Quando dou comida aos pobres chamam-me de santo. Quando pergunto por que eles são pobres chamam-me de comunista.“„Wenn ich den Armen Essen gebe, nennen sie mich einen Heiligen. Wenn ich frage, warum sie arm sind, nennen sie mich einen Kommunisten.“[8]
  • „Wenn einer allein träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, ist das der Anfang einer neuen Wirklichkeit.“[9]

An die Persönlichkeit und an das Lebenswerk von Dom Hélder erinnert unter anderem das Instituto Dom Helder Camara (IDHeC) neben der Igreja das Fronteiras im Stadtteil Boa Vista von Recife. Zu diesem Dokumentations- und Forschungszentrum gehört auch ein Museum.

1974 realisierten die Schweizer Walter Marti und Reni Mertens den Film Gebet für die Linke mit Hélder Câmara.

Ausgewählte Werke in deutscher Übersetzung

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  • Revolution für den Frieden. Übersetzt aus dem Portugiesischen von Franz-Wilhelm Heimer. Herder, Freiburg im Breisgau u. a. 1969.
  • Es ist Zeit. Übersetzt aus dem Französischen von Marianne Weiss und Ellie Petertil. Styria, Graz u. a. 1970.
  • Die Spirale der Gewalt. Aus dem Französischen übersetzt von Marianne Weiss. Styria, Graz u. a. 1970.
  • Mach aus mir einen Regenbogen. Aus dem Französischen übersetzt von Alfred Kuoni. Pendo, Zürich 1981, ISBN 3-85842-386-6.
  • Selig, die träumen. 5-Minuten Radiopredigten. Übersetzt aus dem Portugiesischen von Horst Goldstein. Pendo, Zürich 1982.
  • Hoffen wider alle Hoffnung. Übersetzt aus dem Französischen von Alfred Kuoni. Pendo, Zürich 1981.
  • Gott lebt in den Armen. Aus dem Französischen übertragen von Franz Mayer. Walter, Freiburg im Breisgau/Olten 1986.
  • Maria, eine Mutter auf meinem Weg. Betrachtungen und Gebete. Übersetzt von Josef Schwind. Verlag Neue Stadt, München u. a 1985.
  • In deine Hände, Herr. Gedanken und Gebete. Übertragen ins Deutsche von Karl Kraut. 3. Auflage. Verlag Neue Stadt, München u. a. 1991.
  • Haben, ohne festzuhalten. Texte für eine bessere Welt. Pendo, Zürich 2009, ISBN 978-3-86612-209-3.
  • Briefe aus dem Konzil. Nachtwachen im Kampf um das Zweite Vatikanum. Übersetzt aus dem Portugiesischen von Conrad Berning und Luis Bedin Fontana. Edition Exodus, Luzern 2016, ISBN 3-905577-93-3.

in der Reihenfolge des Erscheinens

  • José González: Dom Helder Camara. Bischof und Revolutionär. Lahn-Verlag, Limburg 1971.
  • Ulrich Stockmann (Hg.): Umsturz durch die Gewaltlosen. Helder Camara antwortet Ulrich Stockmann. Patmos-Verlag, Düsseldorf 1971.
  • Urs Eigenmann: Politische Praxis des Glaubens. Dom Hélder Câmaras Weg zum Anwalt der Armen und seine Reden an die Reichen. Edition Exodus, Freiburg im Üechtland 1984, ISBN 3-905575-10-8.
  • Thomas Seiterich: Camara Pessoa, Helder. In: Edmund Jacoby (Hg.): Lexikon linker Leitfiguren. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-7632-3028-9.
  • Harrison Oliveira: Dom Helder. O prisioneiro do Vaticano I. Editora Universitária da UFPE, Recife 1999.
  • Horst Goldstein: „Der Masse helfen, Volk zu werden“ – Hélder Câmara Pessoa. In: Johannes Meier (Hg.): Die Armen zuerst. 12 Lebensbilder lateinamerikanischer Bischöfe. Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1999, S. 45–65.
  • Marcos de Castro: Dom Hélder. Misticismo e santidade. Editora Civilizaçâo Brasileira, Rio de Janeiro 2002.
  • Fernando Bastos de Avila: Dom Hélder Câmara. In: Maria Clara Lucchetti Bingemer, Eliana Yunes (Hg.): Profetas e profecias. Numa visão interdisciplinar e contemporânea. Edições Loyola, São Paulo 2002, ISBN 85-15-02601-5, S. 51–66.
  • Stefan Silber: „Wir verzichten für immer auf Reichtum.“ Dom Helder Camara und der Katakombenpakt. In: Georg Steins, Thomas Nauerth (Hg.): Gesichter des Konzils. Eine Ringvorlesung zum Vaticanum II (1962–1965), Osnabrück 2014, S. 139–160 (pdf).
Commons: Hélder Câmara – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Jose Ivo Follmann: Igreja, Ideologia e classes sociais. Editora Vozes, Petrópolis 1985, S. 73.
  2. Johannes Meier: Pablo VI y América Latina, Populorum Progressio y la Opción por los pobres. In: Margit Eckholt, Vicente Durán Casas (Hrsg.): Religión como fuente para un desarrollo liberador. 50 años de la Conferencia del Episcopado Latinoamericano en Medellín. Continuidades y rupturas. Editorial Pontificia Universidad Javeriana, Bogotá 2020, ISBN 978-958-781-533-7, S. 79–85, hier S. 80.
  3. Banco da Providência.
  4. Fachstelle Medien und Kommunikation: Fünfzig Jahre Konzil. (PDF; 142 k) Erzbistum München und Freising, archiviert vom Original am 28. Juli 2013;.
  5. Ana Cristina Suzina: In de bres voor democratie. Dom Hélder Câmara en de dictatuur in Brazilië. In: Koorts, Jg. 2 (2021), S. 20–25, hier S. 24 (niederländisch).
  6. Eugênio Mattos Viola: Brasil – O deserto fértil de Dom Helder. Agência de Informação Frei Tito para a América Latina (Adital), 13. Januar 2009, abgerufen am 18. August 2021.
  7. Rom ebnet Weg für «roten Bischof». In: Neue Zürcher Zeitung, 2. April 2015.
  8. Zitiert nach: Zildo Rocha (Hrsg.): Helder, o dom: uma vida que marcou os rumos da Igreja no Brasil, Editora Vozes 2000, ISBN 85-326-2213-5, S. 53.
  9. Hans-Albrecht Pflästerer: Träume Spiritualität. EKD, archiviert vom Original; abgerufen am 12. September 2022.
  10. Dom Helder Camara lauréat d’un prix bouddhiste la la paix. In: L’Actualité religieuse dans le monde, Jg. 1983, Heft 1, S. 10–11.