Dorothy Jewson

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Dorothy Jewson, 1920er Jahre

Dorothea (Dorothy) Jewson (* 17. August 1884 in Norwich, Norfolk; † 29. Februar 1964 ebenda) war eine englisch-britische Lehrerin, Gewerkschafterin, Feministin, Politikerin und eine der ersten weiblichen Parlamentsabgeordneten der Labour Party.[1]

Während ihres Studiums am Girton College in Cambridge trat sie sozialistischen Organisationen bei, darunter der Independent Labour Party, und setzte sich in Norwich für das Frauenwahlrecht ein. Sie wurde „Cheforganisatorin“ der Frauensektion der National Union of General Workers, bevor sie als Hausmädchen in einem Londoner Hotel arbeitete und die Arbeitsbedingungen dort untersuchte. 1923 wurde sie als eine der ersten Labour-Frauen für einen der beiden Sitze in Norwich zum Parlamentsmitglied gewählt. Nachdem sie zunächst eine Kontroverse ausgelöst hatte, weil sie im Parlament keinen Hut trug, hielt sie ihre erste Rede, in der sie sich für die Herabsetzung des Wahlalters für Frauen von 30 auf 21 Jahre, das der Männer, einsetzte. Sie war auch Mitglied von Ausschüssen, die sich mit Rechtshilfe und Adoption befassten. Bei den Parlamentswahlen von 1924 verlor sie ihren Sitz. Danach wurde sie Präsidentin der Women's Birth Control Group und anschließend Ratsmitglied im Stadtrat von Norwich, wo sie für den Bau vieler Parks in Norwich sorgte.

Dorothea Jewson wurde als eines von zwei Kindern des Alderman George Jewson und seine Frau Mary Jane Jewson geboren. Die Familie von George Jewson hatte ein Unternehmen mit mehreren Sägemühlen. Jewson & Son, das später zu einer bekannten Baumarktkette wurde. Jewson besuchte die Norwich High School for Girls, bevor sie auf das Cheltenham Ladies' College ging und schließlich 1907 den klassischen Tripos am Girton College in Cambridge abschloss. Während ihres Studiums trat sie der Fabian Society und der Independent Labour Party, zwei sozialistischen Organisationen, bei.[1]

Nach Abschluss ihres Studiums erwarb Jewson 1908 eine Lehrbefähigung am Cambridge Training College for Women und kehrte dann nach Norwich zurück, um zu unterrichten. Zusammen mit ihrem Bruder führte sie eine groß angelegte Untersuchung über die Armut in der Stadt durch. Sie wurde unter dem Titel The Destitute of Norwich and how they Live: a Report into the Administration of out Relief 1912 veröffentlicht. 1914 leistete sie für die Suffragette und Brandstifterin Miriam Pratt mit 200 Pfund Kaution, bevor diese im nachfolgenden Prozess zu 18 Monaten Haft verurteilt wurde.[2]

Während des Ersten Weltkriegs leitete Jewson ein Zentrum für die Ausbildung arbeitsloser Mädchen bis zum Alter von 17 Jahren, und 1916 trat sie der National Federation of Women Workers als Organisatorin bei.[1] 1919 wurde sie Sekretärin dieser Organisation und versuchte in dieser Funktion, als Anwältin vor Gericht aufzutreten, was der Richter jedoch nicht erlaubte, da sie nicht akkreditiert war (King's Counsel).[3]

1922 hatte sich Jewson zu einer lautstarken Rednerin für die Rechte berufstätiger Frauen entwickelt und war „Cheforganisatorin“ der Frauensektion der National Union of General Workers.[4] Im Laufe des nächsten Jahres verließ sie ihre Funktion in der Gewerkschaft und arbeitete eine Zeit lang als Hausmädchen in einem gehobenen Londoner Hotel, um die dortigen Arbeitsbedingungen kennenzulernen. Sie erklärte danach, dass das Hotel für die Gäste „[…] Telefone in jedem Zimmer, Florteppiche und Marmorsäulen überall [hätte], aber die Zimmer der Bediensteten schmutzig, elend und widerlich [wären]“.[5] Sie teilte sich ein von Mäusen verseuchtes Zimmer im zehnten Stock mit vier anderen Zimmermädchen und aß im fensterlosen Keller kalte, abgestandene Essensreste der Gäste. Die Arbeitszeiten lagen zwischen sechs Uhr morgens und neun Uhr abends, mit einer Pause von fünf bis sieben Uhr abends, und der Lohn betrug 15 Schilling pro Woche.[6]

Bei den Parlamentswahlen im Dezember 1923 wurde sie als eine der beiden Abgeordneten für Norwich gewählt. Damit war sie neben Margaret Bondfield und Susan Lawrence eine der ersten drei Frauen, die als Labour-Abgeordnete gewählt wurden. Als das Parlament am 6. Januar 1924 wieder eröffnet wurde, kam Jewson früh, um sich einen Sitz zu sichern, aber sie und Bondfield lösten eine Kontroverse aus, weil sie keinen Hut trugen.[7] Einige Tage später gab Christine Murrell ein Abendessen für die Damen, die als Abgeordnete gewählt worden waren, und die Diskussion drehte sich um die Hüte. Während Nancy Astor das Thema nicht wichtig nahm, stellte Jewson klar, dass Frauen „nicht im Parlament waren, um über Kleidung oder Hutmacherei zu diskutieren, sondern um etwas zu tun“.[8] Sie nahm in der Folge weiterhin ohne Hut an den Sitzungen teil.[9]

Ende Januar 1924, während eines Bahnstreiks, weigerte sich Jewson, streikbrechende Züge zu benutzen, um in ihren Wahlkreis in Norwich zurückzufahren. In der Presse war zu lesen, dass sie die 115 Meilen „zu Fuß“ zurücklegen würde.[10][11] In Wirklichkeit fuhren sie und ein anderer Gewerkschaftsfunktionär per Anhalter auf Ziegelsteinkarren, einem Brauerei-LKW und einem Möbelwagen und nach Beendigung des Streiks benutzten sie auch Busse und Züge.[12][13] Im Februar 1924 wurden Jewson und Mabel Philipson die ersten Frauen, die im Parliamentary Kitchen Committee (zu Fragen der Verpflegung der Parlamentarier) saßen.[14]

Am 29. Februar schloss sich Jewson William Adamson an und brachte einen Antrag ein, das Wahlalter für Frauen von 30 auf das Alter für Männer, 21 Jahre, herabzusetzen.[15] Nach damaligen Schätzungen hätte dieser Vorschlag dazu geführt, dass eine halbe Million mehr Frauen als Männer in das Wählerverzeichnis aufgenommen worden wären, und dass 70 % der Lohnempfängerinnen zu dieser Zeit noch nicht wählen konnten.[16] Jewsons Rede zu diesem Thema war ihre erste im Parlament,[17] und sie fungierte anschließend neben Katharine Stewart-Murray als Wahlhelferin, was zum ersten Mal Frauen taten. Die Abstimmung fiel mit 288 zu 72 Stimmen aus und ebnete den Weg für den Representation of the People (Equal Franchise) Act 1928.[18]

Jewson wurde in einen Ausschuss berufen, der sich mit den Problemen bei der Adoption von Kindern befassen sollte,[19] und in einen weiteren, der dafür sorgen sollte, dass Mittellose Zugang zu Rechtsberatung erhielten.[20] Sie hielt auch Vorträge im Radio, zum Beispiel einen zum Thema Psychology and Domestic Service.[21]

Ihre Wiederwahl-Kampagne im Sommer 1924 stand unter dem Motto „Glaube, Hoffnung und Dorothy“;[22] Labor verlor jedoch beide Sitze in Norwich.[23] Sie kehrte nicht mehr ins Parlament zurück, obwohl sie 1929 (für Labour) und 1931 (für die Independent Labour Party) erneut kandidierte.[1]

Da sie als Abgeordnete nicht wiedergewählt wurde, konzentrierte sich Jewson auf andere Aufgaben: Zwischen 1924 und 1928 wurde sie Präsidentin der Worker's Birth Control Group, obwohl sie alleinstehend war.[24] Dort setzte sie sich dafür ein, dass armen Frauen Informationen über Geburtenkontrolle zur Verfügung gestellt wurden.[25] Ihre Präsidentschaft und ihre unverblümten feministischen Ansichten wurden als mögliche Gründe für ihre ausbleibenden Wahlerfolge genannt.[26] Jewson wurde jedoch auf lokaler Ebene gewählt und war zwischen 1929 und 1936 Stadträtin in Norwich.[27] Dort setzte sie sich für den Bau von mehr Parks und Straßen in der Umgebung von Norwich ein, um die Beschäftigung zu steigern,[28] und sie gilt als eine der treibenden Kräfte bei der Schaffung vieler der heutigen Parks.[29]

Als sich die Labour Party spaltete, schloss sie sich der Independent Labour Party an, und auf dem Parteitag 1929 brachte sie eine Resolution ein, die eine höhere Besteuerung der Reichen forderte,[30] um ein Kindergeld zu finanzieren, und auf dem Parteitag 1930 plädierte sie dafür, die Erbschaftssteuer zur „Abschaffung des vererbten Reichtums“ zu instrumentalisieren.[31]

Während ihrer gesamten Laufbahn galt Jewson als überzeugte Feministin, während sie im Parlament keine Sonderbehandlung für weibliche Abgeordnete akzeptierte.[32] Sie war bereit, sich an der Basis zu engagieren, was sie bei den Menschen beliebt machte; einmal erklärte sie, dass ihr wegen ihres Einsatz für das Wahlrecht „fast die Kleider vom Leib gerissen wurden“.[33][34]

Jewsons politische Karriere wurde nach 1936 unterbrochen, als sie Richard Tanner-Smith heiratete, einen Teehändler, der 1939 starb. Im Jahr 1945 heiratete sie Campbell Stephen, Parlamentsabgeordneter für Glasgow Camlachie, der nur zwei Jahre später ebenfalls starb. Jewson zog nach Orpington, kehrte aber 1963 nach Norwich zurück, um in einem Cottage auf dem Gelände des Hauses ihres Bruders zu leben. Dort starb sie 1964.[1]

2018 führte die Theatergruppe The Common Lot aus Norfolk das Stück All Mouth, No Trousers über „rebellische Frauen“ auf, in dem Jewson eine Rolle spielte.[35] 2019, als festgestellt wurde, dass nur 25 der 300 Blue Plaques in Norwich Frauen benannten, schuf dieselbe Gruppe acht inoffizielle „blaue Plaketten“ mit Jewson.[36] Sie wurde auch in ein Projekt aufgenommen, das an die Pionierinnen des Wahlrechts im ganzen Land erinnert.[37]

  • Meeres, Frank. Dorothy Jewson. Suffragette and Socialist (Poppyland Publishing, 2014)
Commons: Dorothy Jewson – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b c d e June Hannam: Jewson, Dorothea [Dorothy] (1884–1964). In: Henry Colin Gray Matthew, Brian Harrison (Hrsg.): Oxford Dictionary of National Biography, from the earliest times to the year 2000 (ODNB). Oxford University Press, Oxford 2004, ISBN 0-19-861411-X; doi:10.1093/ref:odnb/50050 (Lizenz erforderlich), Stand: 23. September 2004.
  2. John Simkin: Miriam Pratt. In: Women's Suffrage. Spartacus Educational, Mai 2022, abgerufen am 24. Dezember 2024 (englisch).
  3. First Lady Advocate. In: The Bath Chronicle. Nr. 8240. Bath 24. Mai 1919, S. 21.
  4. Dorothy Jewson: Our Workless Women. In: Daily Hull. Nr. 11436. Hull 26. Mai 1922, S. 6.
  5. A Girton Girl. In: The Western Daily Press. Nr. 20425. Yeovil 1. Dezember 1923, S. 9.
  6. Woman Candidate's Life As Servant. In: The Nottingham Evening Post. Nr. 14179. Nottingham 30. November 1923, S. 3.
  7. Lady Labour Members without hats. In: The Courier and Argus. Nr. 22030. Dundee 9. Januar 1924, S. 5.
  8. The Hat Question. In: The Western Daily Press. Nr. 20458. Yeovil 11. Januar 1924, S. 8.
  9. Hats off, Ladies. In: The Courier and Argus. Nr. 22030. Dundee 12. Januar 1924, S. 8.
  10. Miss Dorothy Jewson. In: The Nottingham Evening Post. Nr. 14228. Nottingham 28. Januar 1924, S. 1.
  11. Woman M.P.'s 115 Miles Tramp. In: The Courier and Argus. Nr. 22047. Dundee 29. Januar 1924, S. 9.
  12. Woman M.P.'s journey by cart and van. In: The Courier and Argus. Nr. 22049. Dundee 31. Januar 1924, S. 5.
  13. Miss Jewson's Walk. In: Essex Chronicle. Nr. 8316. Chelmsford 1. Februar 1924, S. 4.
  14. A Parliamentary Innovation. In: The Western Daily Press. Nr. 22494. Yeovil, England 1. Februar 1924, S. 4.
  15. Woman to Woman. In: The Western Daily Press. Nr. 22501. Yeovil 1. März 1924, S. 4.
  16. M.P.'s leap year proposal to give women of 21 the vote. In: The Courier and Argus. Nr. 22075. Dundee 1. März 1924, S. 5.
  17. Women M.P.'s speeches compared. In: Aberdeen Press and Journal. Nr. 390. Aberdeen 1. März 1924, S. 6.
  18. Votes for more women. In: The Western Daily Press. Nr. 22501. Yeovil 1. März 1924, S. 7.
  19. Duchess of Atholl's appointment. In: The Courier and Argus. Nr. 22105. Dundee 5. April 1924, S. 4.
  20. Legal advice for poor. In: Aberdeen Press and Journal. Nr. 734. Aberdeen 8. April 1925, S. 7.
  21. Broadcasting. In: The Nottingham Evening Post. Nr. 14442. Nottingham 4. Oktober 1924, S. 6.
  22. Faith, Hope and Dorothy. In: Daily Mail. Nr. 12100. Hull 15. Juli 1924, S. 1.
  23. Unionist Majority of 206. In: The Courier and Argus. Nr. 22284. Dundee 31. Oktober 1924, S. 5.
  24. Stephen Brooke: Sexual politics: sexuality, family planning, and the British left from the 1880s to the present day. Oxford University Press, Oxford 2011, ISBN 978-0-19-956254-1, Backstreets and Utopias Between the Wars, S. 52 (google.de).
  25. Birth Control. In: The Western Daily Press. Nr. 23312. Yeovil 13. Oktober 1926, S. 12.
  26. Martin Pugh: Women and Women's Movement in Britain, 1914–1959. Macmillan International Higher Education, London 1992, ISBN 1-349-21850-2, S. 189.
  27. Annabelle Dickson: Labour on a mission to get women involved in politics – and Norfolk is the first stop. In: Eastern Daily Press. 22. Januar 2015, S. 34 (archive.org).
  28. Annabelle Dickson: Dorothy Jewson. In: Iain Dale und Jacqui Smith (Hrsg.): The Honourable Ladies: Profiles of Women MPs 1918–1996. Biteback Publishing, Hull 2018, ISBN 978-1-78590-449-3 (google.de).
  29. Sabrina Johnson: Exhibition celebrating the lives of Dorothy Jewson and Lady Eve Balfour to come to Norwich. Norwich Evening News, 27. August 2018, abgerufen am 3. Januar 2025.
  30. Children's Allowance. In: Citizen. Nr. 131. Gloucester 30. September 1929, S. 12.
  31. Abolishing Inherited Wealth. In: The Western Daily Press. Nr. 24164. Yeovil 23. April 1930, S. 5.
  32. The Great Contrast. In: The Western Daily Press. Nr. 21488. Yeovil, England 15. Februar 1924, S. 5 (englisch).
  33. Socialism with the gilt on. In: Daily Mail. Nr. 12641. Hull 12. April 1926, S. 4.
  34. Women & Socialism. In: Daily Mail. Nr. 12641. Hull 12. April 1926, S. 9.
  35. Stacia Briggs: Celebrate the rebel women of Norfolk in a new, free-to-watch theatre show in Norwich. Eastern Daily Press, 12. Oktober 2018, abgerufen am 3. Januar 2025.
  36. Isobel Rix: The stories behind the unofficial blue plaques appearing around Norwich. Norwich Evening News, 22. Mai 2019, abgerufen am 3. Januar 2025.
  37. Courtney Pochin: Norfolk women given national recognition for work with suffragette movement. Norwich Evening News, 8. März 2018, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 24. Juli 2019; abgerufen am 3. Januar 2025.