Ein Fichtenbaum steht einsam

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Das Gedicht Ein Fichtenbaum steht einsam erschien 1827 in Heinrich Heines erstem Gedichtband Buch der Lieder innerhalb des Zyklus Lyrisches Intermezzo. Erstmals wurde es 1823 im Band Tragödien, nebst einem lyrischen Intermezzo in Berlin veröffentlicht. Seine Entstehung wird auf das Frühjahr 1822 datiert. In märchenhaftem Ton wird die Unerreichbarkeit zweier Pflanzen geschildert, die symbolisch für den Norden (Fichte) bzw. für den Orient (Palme) stehen. Das Lied wurde als Liebes-, Natur- oder Gedankenlyrik interpretiert.

Ein Fichtenbaum steht einsam

Ein Fichtenbaum steht einsam
Im Norden auf kahler Höh’.
Ihn schläfert; mit weißer Decke
Umhüllen ihn Eis und Schnee.

Er träumt von einer Palme,
Die, fern im Morgenland,
Einsam und schweigend trauert
Auf brennender Felsenwand.

Laut Sonja Gesse-Harm wurde Heine vom Operntext Aucassin und Nicolette oder: Die Liebe aus der guten alten Zeit nach der Sage eines provencalischen Troubadours des Schriftstellers und Arztes David Ferdinand Koreff inspiriert.[1] Darin soll eine Palme sich nach ihrem Geliebten sehnen.[2]

Das Gedicht besteht aus zwei Strophen mit je vier Versen. Ein halber Kreuzreim liegt vor.

Die Schilderung der zwei Bäume in ihrer typischen Umgebung gestatten eine Rezeption als Naturgedicht. Im bis ins 20. Jahrhundert mehrmals aufgelegten Gartenführer Wredow's Gartenfreund meinte Heinrich Gaerdt, Leiter der Borsigschen Gärten in Berlin-Moabit, dass Heine in der ersten Strophe die „subarctische Zone die Zone der Kiefern und Weiden [...] über die Faröer, Island, Norwegen, den übrigen Theil von Schweden, Finnland und Nordrußland“[3] besungen habe. Hermann Jäger sah den Harz als Vorbild, da die Fichte der charakteristische Baum dieser Gegend sei.[4] Das Aufeinandertreffen von Realität und Vorstellung lassen es auch als Traumgedicht[5] gelten.

Am 9. Oktober 1844 sendete Heine seiner Nichte Anna Embden in einem Brief das Gedicht zu.

Möglicherweise wurde Joseph von Eichendorff durch das Gedicht zu seinem 1839 entstandenen Poem Winternacht angeregt.[6]

Das Gedicht erfuhr eine breite Rezeption. „Vor zwei Jahrtausenden wanderte die Palme nach dem rauhen Germanien, dann wuchs sie empor in der ganzen phantastischen Ueppigkeit des heimischen Bodens, und dann sang es in ihren Zweigen in echtem und gutem, verständlichem Deutsch“, meinte der Journalist Moritz Szeps und verwies auf Heines problematische Identität. Der Historiker Heinrich von Treitschke lobte das Werk in seiner sonst wenig schmeichelhaften Beurteilung des Dichters: „Deutsches Gemüt sprach aus der kleinen Zahl seiner wirklich erlebten Liebesgedichte, aus seinen Frühlingsliedern, auch aus dem Liede vom Fichtenbaum und der Palme, das für die Wandersehnsucht der Germanen sinnige Worte fand“.[7] Die verdeckte Botschaft erkannte er nicht. Karl Kraus sah das Gedicht in der Nähe des Kunstgewerbes: „Wer je eine so kunstvolle Attrappe im Schaufenster eines Konditors oder eines Feuilletonisten gesehen hat, mag in Stimmung geraten, wenn er selbst ein Künstler ist. Aber ist ihr Erzeuger darum einer?“[8] Dagegen stellt Kathrin Wittler in ihrer Interpretation klar, dass Heines Gebrauch von Chiffren die moderne Dichtung antizipiere.[9]

Die erste Vertonung stammt von Carl Loewe. Franz Liszt vertonte das Gedicht um 1848. Es wurde 1860 veröffentlicht. Weitere romantische Vertonungen stammen von Nikolai Andrejewitsch Rimski-Korsakow (op. 3 Nr. 1) und Edvard Grieg. Insgesamt sollen 146 Vertonungen vorliegen.[10]

  • Johann Jokl: Von der Unmöglichkeit romantischer Liebe. Heinrich Heines Buch der Lieder. Springer, Wiesbaden 1991, ISBN 978-3-663-01686-1, S. 147–149.
  • Hans-Jürgen Schrader: Fichtenbaums Palmentraum. Ein Heine-Gedicht als Chiffre deutsch-jüdischer Identitätssuche. In: The Jewish Self-Portrait in European and American Literature, hrsg. von Hans-Jürgen Schrader, Elliot M. Simon, Charlotte Wardi. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1996 (Conditio Judaica, Bd. 15), S. 5–44.
  • Kathrin Wittler: Morgenländischer Glanz. Eine deutsche jüdische Literaturgeschichte (1750-1850) (= Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo-Baeck-Instituts, Bd. 79), hrsg. von Leo Baeck Institut London, Mohr Siebeck, Tübingen 2019, S. 457–500.
  • Wolf Wondratschek: Was träumt die Palme. In: Frankfurter Anthologie. Gedichte und Interpretationen, Bd. 8, hrsg. von Marcel Reich-Ranicki. Frankfurt am Main 1984, S. 91–94.
Wikisource: Ein Fichtenbaum steht einsam – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

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  1. Sonja Gesse-Harm: Zwischen Ironie und Sentiment. Heinrich Heine im Kunstlied des 19. Jahrhunderts. Metzler, Stuttgart 2006, S. 451.
  2. Sonja Gesse-Harm: Zwischen Ironie und Sentiment. Heinrich Heine im Kunstlied des 19. Jahrhunderts. Metzler, Stuttgart 2006, S. 451–452.
  3. Johann Christian Ludwig Wredow: Eine Anleitung zur Erziehung und Behandlung der Gewächse im Blumen-, Gemüse- und Obstgarten, in Wohnzimmern, Gewächshäusern und Mistbeeten, sowie der Bäume und Ziersträucher im freien Lande, 15. Aufl. Rudolph Gaertner Verlag, Berlin 1878, S. 46
  4. Hermann Jäger: Deutsche Bäume und Wälder. Populär-ästhetische Darstellungen aus der Natur und Naturgeschichte und Geographie der Baumwelt. Karl Scholtze, Leipzig 1877, S. 60.
  5. Monica Tempian: Ein Traum, gar seltsam schauerlich...Romantikererbschaft und Experimentalpsychologie in der Traumdichtung Heinrich Heines. Wallstein, Göttingen 2005, S. 11.
  6. Joseph von Eichendorff: Gedichte (= Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe), hrsg. von Harry Fröhlich u. a., Kohlhammer 1994, S. 576.
  7. Heinrich von Treitschke: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bis zur Juli-Revolution. F.W. Hendel Verlag, Leipzig 1927, S. 695.
  8. Karl Kraus: Heine und die Folgen. Schriften zur Literatur (= Bibliothek Janowitz, Bd. 21), hrsg. von Christian Wagenknecht und Eva Willms. Wallstein, Göttingen 2014, ISBN 978-3-8353-1423-8, S. 90.
  9. Kathrin Wittler: Morgenländischer Glanz. Eine deutsche jüdische Literaturgeschichte (1750-1850) (= Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo-Baeck-Instituts, Bd. 79), hrsg. von Leo Baeck Institut London, Mohr Siebeck, Tübingen 2019, S. 500.
  10. Sonja Gesse-Harm: Zwischen Ironie und Sentiment. Heinrich Heine im Kunstlied des 19. Jahrhunderts. Metzler, Stuttgart 2006, S. 452.