Elisabeth Hecker
Elisabeth Hecker (* 25. Dezember 1895 in Bad Oeynhausen; † 11. Januar 1986 in Marktoberdorf) war eine deutsche Kinderärztin sowie Kinder- und Jugendpsychiaterin, die im Rahmen der Kinder-Euthanasie an NS-Verbrechen beteiligt war.
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Hecker beendete 1915 ihre Schullaufbahn in Duisburg mit der Ablegung des Abiturs. Anschließend begann sie ein Philosophiestudium, wechselte aber zum Fach Medizin. Nachdem sie das Medizinstudium an den Universitäten Marburg, Würzburg, Tübingen und Jena absolviert hatte, legte sie in Jena 1920 das erste Staatsexamen ab und promovierte dort 1921 zum Dr. med. Ihre Assistenzarztzeit verbrachte sie in Danzig und Rostock. Anschließend erhielt sie am Berliner Kinderkrankenhaus eine pädiatrische Facharztausbildung. Von 1923 bis 1925 war sie als Oberärztin an der städtischen Kinderklinik in Dortmund beschäftigt und führte danach eine Kinderarztpraxis in Castrop-Rauxel.
Im März 1929 trat sie in den niederschlesischen Provinzialdienst ein und war zunächst als Abteilungsärztin an der Provinzialheil- u. Pflegeanstalt Freiburg beschäftigt, wo sie eine psychiatrische und neurologische Facharztausbildung erhielt. Weitere Stationen waren das Gesundheitsdezernat des Provinzialverwaltungsdienstes und die Leitung des Kindergenesungswerkes Jannowitz. Hecker befürwortete nach der „Machtergreifung“ das durch die Nationalsozialisten zu Anfang Januar 1934 in Kraft getretene Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses.
„Wenn auch heute die Gedankengänge der Rassenpflege verbreiteter sind, so bleibt sicher noch viel zu tun, um den Einzelnen, den eine Befragung betrifft, davon zu überzeugen, dass das Vorkommen von geistigen und körperlichen Minderwertigkeiten keine Schande ist, die man vertuscht, sondern ein Unglück, das man bekämpft. Die letzte Zeit hat rasche Fortschritte auf dem Gebiet der Vorbeugungsmaßnahmen zur Rassenpflege gebracht. Als 1929 das Material zu dieser Arbeit gesammelt wurde, da bedeutete es eine Utopie, an die Durchführung eines Sterilisierungsgesetzes in naher Zeit zu glauben.“
Hecker baute 1941 die jugendpsychiatrische Landesklinik Heil- und Pflegeanstalt Loben im heutigen Lubliniec auf und leitete dort die Aufnahmestation. Dort selektierte sie die Kinder nach „sozialer Brauchbarkeit“: Entweder wurden die Kinder in Besserungsanstalten verlegt oder wenn der Befund auf „Schwachsinn“ oder Epilepsie lautete, auf der von Anstaltsdirektor Ernst Buchalik geleiteten Station mittels tödlich wirkender Luminalgaben ermordet. Hecker setzte die Tötungsgenehmigung auch dann durch, wenn die Eltern auf die Entlassung ihres Kindes aus der Klinik bestanden.[2] Mindestens 221 Kinder starben in der Einrichtung auf diese Weise.
In der Endphase des Zweiten Weltkrieges setzte sie sich vor dem Einmarsch der Roten Armee Mitte Januar 1945 in Richtung Westen ab. Sie praktizierte in Bayern als Landärztin und ließ sich 1947 in Siegen als Nervenärztin nieder. Im November 1951 trat sie in den Dienst des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe ein und baute am St.-Johannes-Stift in Niedermarsberg eine neue Station auf. Ab 1951 war sie als leitende Ärztin der Psychiatrie in Gütersloh tätig. Ab April 1952 etablierte die Obermedizinalrätin auf Wunsch des zuvor an der Anstalt Berlin-Wittenau tätig gewesenen Psychiaters und Medizinaldezernenten Wilhelm Schneider[3] an der Heil- und Krankenanstalt Gütersloh eine kinder- und jugendpsychiatrische Abteilung, die ab März 1953 als eigenständige Einrichtung fungierte und 1965 nach Hamm verlegt wurde (LWL-Universitätsklinik Hamm). Am 9. Dezember 1960 trat Hecker als Landesmedizinalrätin in den Ruhestand.
Die Staatsanwaltschaft Dortmund ermittelte in den Jahren von 1965 bis 1974 gegen ehemalige Ärzte und Pfleger der Heil- u. Pflegeanstalt Lublinitz. Die Ermittlungen gegen Hecker wurden 1974 eingestellt.
Ehrungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Bundesverdienstkreuz I. Klasse[4] (1979)
- Ehrenmitgliedschaft der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (1979 – 2013 aberkannt)[4] Die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft wurde aufgrund Heckers Beteiligung an der NS-Euthanasie ab 2002 „Gegenstand kritischer Auseinandersetzung“ bei der DGKJP[5][6] und 2003 durch den Vorstand dieser Vereinigung auf einer Mitgliederversammlung als Fehlentscheidung bewertet. Im Zuge dieser Aufarbeitung wurde daher die Ehrenmitgliedschaft 2013 aberkannt und alle Hinweise auf Heckers Ehrenmitgliedschaft durch die DGKJP auf deren Homepage und aus Dokumenten entfernt.[7]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- R. Castell, J. Nedoschill, M. Rupps, D. Bussiek: Geschichte der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Deutschland in den Jahren 1937 bis 1961. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, ISBN 3-525-46174-7, S. 515f.
- Wilfried Huck: Ausstellung über das NS-Verbrechen Kindereuthanasie “Wunden der Erinnerung”. Eine künstlerische Annäherung an das Phänomen “Kindereuthanasie” am Beispiel von Elisabeth Hecker, Erste Direktorin der Westf. Klinik für Jugendpsychiatrie, Gütersloh, ab 1965 Hamm. (PDF; 356 kB). In: Landesjugendamt, Mitteilungen. Ausgabe 146, Münster, im März 2001 ISSN 0937-7123, S. 67–77.
- Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. 2. Auflage. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-596-16048-8.
- Matthias Dahl: „Dr. Elisabeth Hecker (1895-1986): Verdienste als Kinder- und Jugendpsychiaterin einerseits – Beteiligung an der Ausmerzung Behinderter andererseits“ In: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 52 (2003) 2, S. 98–108.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Elisabeth Hecker im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Freie Universität Berlin: Dokumentation Ärztinnen im Kaiserreich - Hecker, Elisabeth
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Zitiert bei: Wilfried Huck: Ausstellung über das NS-Verbrechen Kindereuthanasie “Wunden der Erinnerung”. Eine künstlerische Annäherung an das Phänomen “Kindereuthanasie” am Beispiel von Elisabeth Hecker, Erste Direktorin der Westf. Klinik für Jugendpsychiatrie, Gütersloh, ab 1965 Hamm. In: Landesjugendamt, Mitteilungen. Ausgabe 146, Münster, im März 2001 ISSN 0937-7123, S. 67–77.
- ↑ Vgl. The Lancet Commission on medicine, Nazism, and the Holocaust (Herwig Czech/Sabine Hildebrandt/Shmuel P. Reis/Tessa Chelouche/Matthew Fox/Esteban González-López): historical evidence, implications for today, teaching for tomorrow, Open Access 8. November 2023, aufgerufen am 27. November 2023, 17:58 Uhr
- ↑ Ernst Klee: Deutsche Medizin im Dritten Reich. Karrieren vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-10-039310-4, S. 111.
- ↑ a b Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Frankfurt am Main 2007, S. 235.
- ↑ Dr. Elisabeth Hecker (1895–1986): Verdienste als Kinder- und Jugendpsychiaterin einerseits – Beteiligung an der Ausmerzung Behinderter andererseits. In: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie. Band 52, Nr. 2, 2003, S. 98–108. (psydok.sulb.uni-saarland.de ( vom 23. Oktober 2013 im Internet Archive))
- ↑ Mitteilungen ( vom 26. Juni 2013 im Webarchiv archive.today) In: Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. Vol. 30, Nr. 4, 2002, S. 305–309.
- ↑ Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kinder - und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie zur Aberkennung der Ehrenmitgliedschaft an Frau Elisabeth Hecker (PDF; 180 kB) auf www.dgkjp.de
Personendaten | |
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NAME | Hecker, Elisabeth |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Ärztin und Euthanasietäterin |
GEBURTSDATUM | 25. Dezember 1895 |
GEBURTSORT | Bad Oeynhausen |
STERBEDATUM | 11. Januar 1986 |
STERBEORT | Marktoberdorf |