Stéphane Hessel

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Stéphane Hessel (2012)

Stéphane Frédéric Hessel (* 20. Oktober 1917 als Stefan Friedrich Kaspar Hessel[1] in Berlin; † 27. Februar 2013[2] in Paris) war ein französischer Diplomat, Lyriker, Essayist und politischer Aktivist. Er kämpfte für die Résistance und überlebte das KZ Buchenwald.[3]

Nach seiner KZ-Haft trat Hessel 1945 in den diplomatischen Dienst des französischen Außenministeriums ein. Seine diplomatische Laufbahn begann als Büroleiter des UN-Vize-Generalsekretärs Henri Laugier, der zu jener Zeit mit dem Entwurf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN befasst war. Es folgten bis 1982 weitere Stationen bei den Vereinten Nationen, aber auch auf anderen Posten und teilweise im Ausland. Danach wurde er in die Haute Autorité de la communication audiovisuelle (Regulierungsbehörde für Funk und Fernsehen) und danach in eine Arbeitsgruppe zur Ausländerintegration berufen. Im Ruhestand setzte er sich weiterhin für Frieden und Menschenrechte ein.

Große Aufmerksamkeit erregte im Jahr 2010 Hessels Essay Empört Euch!, in dem er scharfe Kritik an aktuellen politischen Entwicklungen übt und zum Widerstand aufruft. Bis Ende 2011 wurden davon in Frankreich über zwei Millionen Exemplare verkauft und in mehr als 40 Sprachen übersetzt.[4] Die Protestbewegung in Spanien gegen die Folgen der Finanzkrise, die entsprechenden griechischen, französischen und portugiesischen sozialen Protestbewegungen sowie die Occupy-Bewegung[5] beriefen sich teilweise auf ihn.[6]

Stéphane Hessel wurde 1917 als Stefan Friedrich Kaspar Hessel in Berlin geboren.[7] Seine Eltern waren der deutsche Schriftsteller Franz Hessel, der aus einer assimilierten jüdischen Bankiersfamilie stammte, und die aus einer deutschen protestantischen Familie stammende Journalistin Helen Grund. Sein Bruder Ulrich wurde 1914 geboren. 1924 zog die Familie nach Paris, 1937[8][9] wurde Stéphane Hessel französischer Staatsbürger.

Er absolviert die Elitehochschule École normale supérieure in Paris. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs geriet Hessel als Offizier der französischen Armee in deutsche Kriegsgefangenschaft, konnte aber über Südfrankreich, Marokko und Portugal nach London fliehen.[10] Dort schloss er sich im Mai 1941 der französischen Résistance an und wurde mit einem Lastensegler in Frankreich abgesetzt. Im Juli 1944 wurde er von der Gestapo in Paris verhaftet, gefoltert und in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Der als Spion zum Tode verurteilte Hessel überlebte nur, weil der Kapo Arthur Dietzsch ihm die Identität eines kurz zuvor verstorbenen Gefangenen verschaffte. Unter dessen Namen wurde Hessel in das Außenlager Rottleberode und später nach Mittelbau-Dora überstellt, wo u. a. die von Wernher von Braun entwickelten V2-Raketen produziert wurden.[11][12] In Buchenwald lernte er den Schriftsteller Eugen Kogon[13] kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Beim Bahntransport in das KZ Bergen-Belsen konnte Hessel am 6. April 1945 flüchten.[11][8]

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Hessel 1946 in New York Büroleiter des UN-Vize-Generalsekretärs Henri Laugier. In Sitzungen der neu geschaffenen Menschenrechtskommission und auch bei den UNO-Generalversammlungen war er präsent, entgegen anderslautenden Presseberichten aber weder Mitglied der Kommission noch an der Erklärung der Menschenrechte beteiligt.[14][15][16] Anschließend trieb er im Auftrag der UNO und des französischen Außenministeriums die Entkolonialisierung voran und vermittelte in Konflikten.

Entwicklungshilfe, Demokratie und Menschenrechte gehören zu den Themen, die Hessel besonders am Herzen lagen und für die er bis zuletzt kämpfte. 1962 gründete er in Frankreich die Vereinigung für die Ausbildung von afrikanischen und madagassischen Arbeitnehmern (Association de formation des travailleurs africains et malgaches, AFTAM), die sich für die Rechte von Afrikanern einsetzt, außerdem war er Mitglied der französischen Sektion der UN-Menschenrechtskommission. Vom französischen Staat erhielt er den Titel „Ambassadeur de France“.

Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 erregte Hessel Aufsehen, als er das „Collegium international“ zur Verhinderung eines Kriegs zwischen den Zivilisationen mitbegründete. Dabei forderte er auch die Regierung Israels zu einer anderen Politik auf („Dass Juden ihrerseits Kriegsverbrechen begehen können, ist unerträglich.“) und schloss sich der Forderung nach einem Boykott israelischer Produkte an.[10]

Grab von Stéphane Hessel auf dem Pariser Friedhof Montparnasse

Anlässlich der im März 2009 kurz bevorstehenden Durban-Review-Konferenz sprach er von Fortschritten bei der Verwirklichung der universellen Menschenrechtsdeklaration, da Kolonialismus, Totalitarismus oder Militärregime in mehreren Ländern ihr Ende nähmen. Zugleich warnte er vor Einschränkungen der Rede- und Meinungsfreiheit durch die Gefahr von Medienmonopolen, Übermacht von Konzernen und insbesondere das Bestreben größerer Religionen, die Kritik an der Religion zu unterbinden. Er sprach sich somit gegen ein Verbot der religiösen Diffamierung aus. Die Probleme seien durch Dialog zwischen den größeren Kulturen und Zivilisationen zu lösen.[17]

In seinem Buch Empört Euch! aus dem Jahr 2010, das bis zum Januar 2011 bereits mehr als 900.000 Mal gedruckt worden war,[18] spricht er sich für die Wiederbelebung der Werte der Résistance aus.[19] Er kritisiert im Buch außerdem den Finanzkapitalismus, die Behandlung von Minderheiten wie den Roma oder sogenannten illegalen Einwanderern, plädiert für Gewaltlosigkeit und sieht eine Lösung des Konflikts im Nahen Osten als für die Befriedung weiterer Konflikte elementar an.[10] 2011 wurde er mit dem Prix de l’Académie de Berlin ausgezeichnet.[20]

Stéphane Hessel lebte mit seiner zweiten Frau Christiane Hessel-Chabry in Paris.[8] Er liegt auf dem Cimetière Montparnasse begraben. Nachdem der Weimarer Stadtrat Stéphane Hessel zu seinem 95. Geburtstag die Ehrenbürgerschaft wegen „mangelndem Bezug zu Weimar“ abgelehnt hatte, hat die Stadt Weimar nunmehr am 9. August 2019 den Platz vor dem neuen Bauhaus-Museum als Stéphane-Hessel-Platz der Öffentlichkeit übergeben.[21][22]

Position zum israelisch-palästinensischen Konflikt

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Hessel trat oft als Kritiker der Politik des Staates Israel, besonders der militärischen Besatzung und des Siedlungsbaus in den palästinensischen Gebieten hervor. Am 20. Januar 2011 äußerte er sich in der FAZ zum israelisch-palästinensischen Konflikt, indem er ihn am Ende eines längeren Essays zur inneren Verfassung der Konzentrationslager mit der deutschen Besetzung Frankreichs verglich:

„Die durchlässige deutsche Besatzungspolitik gestattete noch am Ende des Krieges eine offene Kulturpolitik. Man durfte in Paris Stücke von Jean-Paul Sartre aufführen oder Juliette Gréco hören. Wenn ich einen kühnen Vergleich als Betroffener wagen darf, so behaupte ich: Die deutsche Besatzung war, wenn man sie zum Beispiel mit der heutigen Besetzung von Palästina durch die Israelis vergleicht, eine relativ harmlose, von Ausnahmen wie den Verhaftungen, Internierungen und Erschießungen, auch vom Raub der Kunstschätze abgesehen. Das war alles schrecklich. Aber es handelte sich um eine Besatzungspolitik, die positiv wirken wollte und deshalb uns Widerstandskämpfern die Arbeit so schwermachte.“[23]

Dieser Aussage widersprach Jonathan Hayoun, Präsident der Vereinigung jüdischer Studenten in Frankreich, am 11. Juli 2012 im Nouvel Observateur unter der Überschrift Hessel und die „harmlose“ deutsche Besetzung. Er kritisierte, dass Hessel von einer „Geschmeidigkeit“ der Okkupation sprach,[24] die „positiv wirken wollte“[25] und „ziemlich harmlos“[26] gewesen sei. Hessel stelle beide Verwaltungen auf eine Stufe; die Deportationen von Juden und Résistants blende er aus. Der jüdische Staat sei für Hessel der Feind. Die Gesamtheit aller Zionisten sei schuld an allen Übeln; der Nazismus sei nicht so schlimm, wenn es Theater gab.[27] Hessel antwortete in derselben Ausgabe unter dem Titel: Die „harmlose“ Nazi-Besetzung: Israel kritisieren, ist das Antisemitismus?[28] Er stand im Kern zu seinen Aussagen und warf Hayoun vor, ihn missverstanden zu haben: Er habe nur die Besatzung Frankreichs mit der israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete verglichen, dies sei nicht mit den Verbrechen des Nationalsozialismus als Ganzes oder mit einer Verharmlosung des Holocaust zu verwechseln. Er fand außerdem im Abstand seine Wortwahl zu aufgeregt: „Meine Ausdrücke waren vielleicht vorschnell, fix hingeschrieben, zu blitzartig.“[28]

Schriften (Auswahl)

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  • deutsch: Ô ma mémoire. Gedichte, die mir unentbehrlich sind. Übersetzt von Michael Kogon. Grupello, Düsseldorf 2010, ISBN 978-3-89978-124-3.

Preise (Auswahl)

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Interviews

  • Der Diplomat – Stéphane Hessel, Dokumentarfilm über Hessel, Deutschland 1995, Starost Film Verleih & Vertrieb, 80 min.[35]
  • Film Besprechung Der Diplomat (englisch): Variety 1995
  • Empört Euch! Engagiert Euch! Stéphane Hessel, Fernsehfilm, Deutschland 2017, Hommage zum 100. Geburtstag, Regie: Antje Starost und Hans Helmut Grotjahn, 52 min. Online bis zum 4. Juni 2021 auf Arte
Commons: Stéphane Hessel – Sammlung von Bildern

Interviews

Fernsehsendungen

Einzelnachweise und Anmerkungen

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  1. Zum Tod von Stéphane Hessel - Glück im Widerstand Der Tagesspiegel, 27. Februar 2013, abgerufen am 21. September 2018.
  2. Stéphane Hessel im Alter von 95 Jahren gestorben. (Memento vom 9. Juli 2013 auf WebCite) Zeit Online, 27. Februar 2013.
  3. Stefan Simons: Zum Tode Stéphane Hessels: Ein Leben lang links. Spiegel Online, 27. Februar 2013
  4. Manfred Flügge: Stéphane Hessel, ein glücklicher Rebell, Aufbau Verlag, Berlin, 2012, ISBN 978-3-351-02744-5. Siehe dort Vorwort: Später Stern
  5. „That is why I am so happy about what happens these days in Wall Street, because they’re indeed very peaceful. They are not throwing any bombs or any stones, but they’re there determined to see that their values are to be respected.“ Democracy Now! am 10. Oktober 2011: Stéphane Hessel on Occupy Wall Street: Find the Time for Outrage When Your Values Are Not Respected. Abgerufen am 23. Oktober 2011 (englisch).
  6. Indignados en la calle. In: El Pais, 17. Mai 2011 (spanisch). Abgerufen am 21. Mai 2011: „El pasado domingo, las principales ciudades españolas fueron escenario de manifestaciones convocadas en la estela del panfleto publicado por el francés Stéphane Hessel, ¡Indignaos!“ (auf Deutsch: „Am vergangenen Sonntag waren die wichtigsten spanischen Städte Schauplatz von Demonstrationen, die sich auf das Pamphlet des Franzosen Stéphane Hessel ‚Empört Euch!‘ beriefen.“)
  7. Moritz Reininghaus: Diplomat des Lebens und der Poesie. (Memento vom 12. Mai 2013 im Internet Archive) In: Jüdische Zeitung (Berlin) auf j-zeit.de, Januar 2011; Porträt
  8. a b c Julia Jüttner: Der glückliche Lebenskünstler. Spiegel Online, 7. Mai 2009.
  9. a b Robert Bosch Stiftung: Pressemitteilung vom 5. Oktober 2011. Abgerufen am 10. Juni 2012.
  10. a b c Jürg Altwegg: Bestseller Empörung. In: FAZ, 6. Januar 2011, abgerufen am 7. Oktober 2012.
  11. a b Stéphane Hessel: Wie ich Buchenwald und andere Lager überlebte. In: FAZ, 21. Januar 2011, S. 35.
  12. „Drei Offiziere kamen mit dem Leben davon“. In: Die Zeit, 1/1960.
  13. Eugen Kogon beschreibt das Schicksal Hessels in Buchenwald ausführlich im Kapitel „Exekution alliierter Fallschirmspringer und Geheimagenten.“ seines Buches Der SS-Staat (Taschenbuchausgabe, Heyne-Sachbuch, ISBN 3-453-00671-2, S. 266–274).
  14. Manfred Flügge: Stéphane Hessel, ein glücklicher Rebell, Aufbau Verlag, Berlin, 2012, ISBN 978-3-351-02744-5. S. 107.
  15. « J’assistais aux séances et j’écoutais ce qu’on disait mais je n’ai pas rédigé la Déclaration. J’ai été témoin de cette période exceptionnelle, ajoute-t-il. » (deutsch: „Ich habe Sitzungen beigewohnt und den Gesprächen zugehört, aber ich habe an der Deklaration [der Menschenrechte der UN] nicht redaktionell mitgearbeitet. Ich war Zeuge dieser außergewöhnlichen Zeit, fügt er hinzu.“) Hessel: La Déclaration des droits de l’homme, témoin de l’audace de l’époque. Centre d’Actualités de l’ONU, 10 décembre 2008 un.org.
  16. lemonde.fr.
  17. Simon Bradley: Menschenrechtsanwalt Stéphane Hessel sieht Redefreiheit in Gefahr. In Swissinfo, 11. März 2009 (Interview).
  18. Jakob Augstein: Sarrazin-Debatte: Im Land der Niedertracht. Spiegel Online, 13. Januar 2011.
  19. Political essay by 93-year-old tops Christmas bestseller list in France. In: The Guardian, 26. Dezember 2010
  20. Stéphane Hessel erhält den „Prix de l’Academie“. (Memento vom 18. Mai 2013 im Internet Archive) In: Zürcher Unterländer, Schweizerische Depeschenagentur am 29. November 2011
  21. https://www.thueringen24.de/weimar/article212132407/Nach-diesen-Personen-werden-die-Strassen-um-das-neue-Bauhausmuseum-benannt.html
  22. https://www.bauhaus100.de/programm/veranstaltungsdetails/1541/
  23. Der letzte Satz ist, wie sich aus dem Kontext ergibt, so gemeint: Durch die von ihm behauptete Art „weicher Besetzung“ gab es für Franzosen weniger Motivation zum offenen oder gar bewaffneten Widerstand gegen die Deutschen. Wie ich Buchenwald und andere Lager überlebte. In: faz.net, 20. Januar 2011; abgerufen am 7. Oktober 2012.
  24. Hayoun wörtlich: suplesse; Hessel dagegen, der perfekt Deutsch spricht, verwendete das Wort „durchlässig“, siehe Zitat oben
  25. Hayoun: voulait agir positivement
  26. Hayoun: relativement inoffensive
  27. Jonathan Hayoun: Stéphane Hessel et l’occupation nazie «inoffensive»: quel indigné est-il vraiment? In: Le Nouvel Observateur, 11. Juli 2012 (französisch).
  28. a b Stéphane Hessel: Occupation nazie «inoffensive»: critiquer Israël, est-ce de l’antisémitisme? In: Le Nouvel Observateur, 11. Juli 2012 (französisch).
  29. Stefan Simons: Genug empört, jetzt wird gehandelt! Spiegel Online, 9. März 2011, abgerufen am 9. März 2011.
  30. UNESCO/Bilbao Prize - Laureates
  31. Pressemitteilung Weimarer Dreieck (PDF)
  32. Bestseller-Autor Hessel erhält Kulturpreis. In: Saarbrücker Zeitung, 25. Januar 2012, Kultur, S. B4
  33. Seid umschlungen, Phagozyten. In Paris wird Stéphane Hessel mit dem „Prix Mychkine“ geehrt. In: Die Welt, 1. Februar 2012
  34. thueringen.de
  35. Der Diplomat bei Starost Film, von Antje Starost, Hans Helmut Grotjahn, Manfred Flügge Deutschland 1995, 80 Min