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Juden

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Porträts namhafter Juden: Judas Makkabäus, Flavius Josephus, Rabbi Akiva, Moses Maimonides, Baruch de Spinoza, Sigmund Freud, Scholem Alejchem, Albert Einstein, Emmy Noether, David Ben Gurion, Marc Chagall, Natalie Portman

Als Juden (hebräisch יְהוּדִים jehudim, weiblich יהודיות jehudot; weiblich: Jüdinnen) bezeichnet man eine ethnisch-religiöse Gruppe oder Einzelpersonen, die sowohl Teil des Judentums als auch Angehörige der jüdischen Religion sein können. Je nach historischem Kontext konnten verschiedene Gruppen und religiöse Minderheiten als Juden bezeichnet werden. Eine im Judentum selbst seit etwa 200 v. Chr. anerkannte Definition der Halacha lautet: Jude ist ein von einer jüdischen Mutter geborenes Kind oder ein zum Judentum übergetretener Erwachsener.

Bezeichnungen

Yehudi

Das deutsche Wort „Juden“ stammt vom hebräischen Wort yehudi, das seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. im Perserreich die andersgläubige Minderheit der Israeliten und ihre exilierten Nachfahren bezeichnete. Yehudi wurde im Hellenismus zu Ioudaios gräzisiert, im Römerreich zu Judaeus, Plural Judaeos, latinisiert und durch das Christentum in Europa verbreitet.

Anfangs bezog sich das Wort auf die Angehörigen des Stammes Juda, des größten der Zwölf Stämme Israels, und auf deren Wohngebiet. Unter König David (ungefähr 1000 v. Chr.) wurde dieses Gebiet zum Königreich Juda (2 Sam 5,3 EU). Unter König Rehabeam wurde es geteilt in das Nordreich Israel und das Südreich Juda. Als „Judäer“ bezeichnet die Hebräische Bibel (Tanach) daher sowohl die Stammesangehörigen als auch sonstige Bewohner dieses Gebiets, zudem Angehörige des Stammes Benjamin (1 Kön 12,16–21 EU). Nach dem Untergang des Nordreichs Israel (722 v. Chr.) wurde yehudi unterschiedslos für alle übrigen Mitglieder und Nachfahren jener Stämme gebraucht und umfasste auch religiöse und kultische Merkmale dieser Ethnie (mityahadim, Est 8,17 EU).[1]

Ioudaios

Ein sorgfältiger Blick auf das Vorkommen von Ioudaios in griechischen und lateinischen jüdischen Inschriften deutet darauf hin, dass der Begriff nicht nur eine einheitliche Übersetzung zulässt, sondern eine Reihe von Konnotationen haben kann.[2] Die Wahl der Übersetzung Ioudaios ist aufgrund ihrer zentralen Bedeutung für Passagen in der Bibel (sowohl in der Septuaginta als auch im Neuen Testament) sowie in Werken anderer Autoren wie Flavius Josephus und Philon von Alexandria Gegenstand häufiger Debatten. Die Übersetzung mit Jude impliziert dahingehend eine Konnotation in Bezug auf religiöse Überzeugungen, während die Übersetzung Judäer die Identität auf die geopolitischen Grenzen Judäas beschränkt.[3][2][4] Eine damit zusammenhängende Übersetzungsdebatte bezieht sich auf das Verb ἰουδαΐζειν, wörtlich übersetzt als „jüdisch leben“, „sich auf die Seite der (Judäer) stellen oder sie nachahmen“.[5]

Im ersten Jahrhundert n. Chr. bezeichneten sich in der Region Palästina ansässige Juden meist kollektiv als am yisrael („Volk Israel“), wohl um ihre ethnisch-nationale Identität durch Erinnerung ihrer Frühgeschichte zu stabilisieren.[6] Ioudaios war die griechische Fremdbezeichnung dieses Volkes in den Schriften des Urchristentums, dem späteren Neuen Testament (NT).

Wer gilt als Jude?

Orthodoxer Jude beim Gebet an der Klagemauer in Jerusalem (2012)

Halachische Definition

Nach der Halacha, dem gesammelten jüdischen Recht, gilt als Jude, wer Kind einer jüdischen Mutter ist[7] oder regelgerecht zum Judentum konvertiert ist (Gijur).

In Personalausweisen ist von le’om die Rede, was unter anderem mit „Nationalität“ wiedergegeben werden kann. 1958 spitzte sich eine Kontroverse im israelischen Kabinett unter Premierminister David Ben-Gurion zu, wie dieser Terminus zu handhaben sei: im Sinne einer Identifikation mit dem Staat Israel oder im Sinne des halachischen Rechts. Ben-Gurion ließ Gutachten von jüdischen Gelehrten einholen, deren Mehrheit sich dafür aussprach, der halachischen Definition zu folgen.[8] Der oberste Gerichtshof Israels schlug 1968 anlässlich einer Klage von Benjamin Shalit, Chefpsychologe der israelischen Armee, der Staatsregierung vor, das betreffende Gesetz zu ändern. Nachdem die Regierung dem nicht gefolgt war, entschied das Gericht am 23. Januar 1970 mit fünf von neun Stimmen, dass in den Pass aufzunehmen sei, was glaubwürdig vom Antragsteller angegeben werde. Einige der Richter notierten, dass le’om nicht-religiös definierbar sei. Dieses Urteil hätte darüber hinaus keine weiteren Konsequenzen gehabt, zum Beispiel für Eheschließungen vor rabbinischen Gerichten. Nach massiven Protesten wurde das Gesetz allerdings wieder im Sinne der halachischen Definition verändert; es wurden aber auch Konversionen vor nichtorthodoxen Rabbinern zugelassen.[9]

Ein Jude nach der vorerwähnten halachischen Definition könnte auch einer anderen Religion folgen. Derartige Fälle wurden allerdings über Jahrhunderte hinweg kontrovers debattiert, auch im Zusammenhang mit „Apostaten“.[10][11]

Ein weiterer Problemfall ist die Konversion aus nicht-altruistischen Beweggründen, etwa zum Zwecke einer gültigen Eheschließung. Nach halachischem Recht sollte diese ungültig sein. Es wurde aber auch vorgeschlagen, Konversionen gelten zu lassen, bei welchen nur kein Wissen von den jüdischen Vorschriften bestand, diese aber nicht explizit abgelehnt wurden.[12]

Statistiken

In den Statistiken werden in der Regel diejenigen als Juden gezählt, die sich selbst als solche bezeichnen. Norman Solomon definiert als Juden „alle Mitglieder jener heutigen Gruppe, die sich positiv auf die von den Rabbinen des Talmuds definierten Traditionen beziehen“.[13] Im orthodoxen und konservativen oder liberalen Judentum gilt als Jude, wer jüdische Eltern hat oder zum Judentum konvertiert ist. Ist nur ein Elternteil jüdisch, so richtet sich gemäß jüdischem, auf Mischna und Talmud basierendem Gesetz (Halachah) die Zugehörigkeit nach der Mutter; Kinder jüdischer Väter, die keine jüdische Mutter haben, müssen zum Judentum konvertieren, um als Juden zu gelten.[14] Im amerikanischen Reformjudentum, seit Ende des 20. Jahrhunderts die größte jüdische Denomination in den USA, gilt dagegen jedes Kind als Jude, das einen jüdischen Elternteil hat, sofern es jüdisch erzogen wird.[15]

Biblische und rabbinische Überlieferung

In den Erzählungen der Tora, den fünf Büchern Mose, beginnt die Geschichte des Volkes Israel mit dem Bund, den Gott mit Abraham schließt (1. Mose 12 LUT).

Diesen Bund setzt Gott mit Abrahams Sohn Isaak und dessen Sohn Jakob fort, der seit dem Ringkampf am östlichen Ufer des Flusses Jabbok (Gen 32 LUT) Jisrael („Israel“) genannt wurde.

Jakob hatte zwölf Söhne, die als Stammväter der Zwölf Stämme Israels (Israeliten) gelten. Diese ziehen von Kanaan, dem heutigen Palästina bzw. Israel nach Ägypten, wo ihre Nachfahren vom Pharao versklavt werden. Aus dieser Sklaverei werden die von Mosche (Moses) angeführten Hebräer durch Gott befreit, der ihnen am Berg Sinai die schriftliche und mündliche Tora offenbart. Obwohl das Volk an dieser Aufgabe häufig scheitert, was die späteren Propheten immer wieder beklagen, bleibt der Bund mit Gott ungebrochen.

Die jüdische Tradition sieht Abraham als den Begründer des Monotheismus, des Glaubens an den einzigen Gott. Frühe Textbelege, anknüpfend u. a. an biblische Überlieferungen von Götterpolemik, finden sich im Buch der Jubiläen und in Verbindung mit einer Abraham zugeschriebenen astronomischen Expertise in Texten des hellenistischen Judentums (orphische Fragmente, Pseudo-Eupolemos, Philo von Alexandrien, Josephus) und vermittels mündlicher Überlieferung in späteren Midraschim, insbesondere Genesis Rabbah.[16] Daran knüpft die jüdische Philosophie und Theologie (z. B. Maimonides) an.

„Jüdisches Volk“

Unter dem „jüdischen Volk“ werden sowohl das historische Volk der Israeliten als auch, dem jüdischen Selbstverständnis gemäß, alle Juden verstanden, die nach der Tora von den Erzvätern Abraham, Isaak und Jakob abstammen. Deren Verheißungsgeschichte hat nach dem ersten Buch Mose[17] einen alle Völker segnenden, sie einbeziehenden Charakter: Wer von einer jüdischen Mutter geboren ist, gilt im Talmud daher ebenso als Jude wie jemand, der zu diesem Glauben übergetreten ist, unabhängig von seiner Herkunft.[18] Der Begriff des jüdischen Volkes im zweiten Sinne bezeichnet nicht ein ethnisch einheitliches Nationalvolk mit geschlossenem Siedlungsraum, einer gemeinsamen Geschichte, Sprache und Kultur, sondern eines, das zur jüdischen Diaspora zerfiel. Der Begriff „Volk“ wäre nach der zweiten Definition in seiner alten Bedeutung zu verstehen, nämlich im Sinne von „Leuten“ (vgl. das englische Wort people ohne Artikel), die durch das Attribut „jüdisch“ im religiösen Sinne hinreichend bestimmt sind.

Der Bezug auf die gemeinsame Herkunft verbindet religiöse und säkulare Juden: „Von Zugehörigkeit zum Volk Israel […] kann man jedoch auch sprechen, wenn ein Individuum kulturell oder religiös von der religiös-kulturellen Wirklichkeit der Geschichte Israels in wesentlichen Bereichen seiner Persönlichkeit als geschichtliches Wesen faktisch geprägt ist und das positiv akzeptiert.“[19]

Das deutsche Wort „Jude“ kommt vom hebräischen יְהוּדִי jehudi, was so viel wie „Bewohner des Landes Jehuda“ bedeutet. Das Wort kam trotz der vorherigen Existenz des israelitischen Südreiches Juda erst in persischer Zeit in Gebrauch – zur Bezeichnung der Bewohner der damaligen persischen Provinz Jehuda.

Entstehung des Judentums

Als Erzväter der Juden gelten Abraham, Isaak und Jakob, die westsemitische Nomadenstämme anführten, die an unbekanntem Ort zwischen dem Mittelmeer und Mesopotamien lebten. Historische Belege für ihre Existenz gibt es nicht. Sie lebten wahrscheinlich während der Zeit der Sesshaftwerdung der Nomaden zu Beginn der Bronzezeit, also zwischen 1900 und 1500 v. Chr.

Als Stifter der jüdischen Religion gilt Mose. „Mosaische Religion“ ist ein heute kaum mehr verwendetes Synonym für die jüdische Religion. Mose ist im Judentum der höchste Prophet aller Zeiten, der Gott so nah kam wie sonst kein Mensch vorher oder seitdem. Historische Belege für die Existenz Mose fehlen jedoch. In der Bibel führt Mose den Auszug des hebräischen Volkes aus Ägypten an. Wann und ob dieser historisch stattgefunden hat, ist jedoch ebenfalls unklar. Traditionell gilt Mose zudem als Verfasser der Tora (in christlicher deutscher Übersetzung „Fünf Bücher Mose“ genannt), die die Basis des jüdischen Glaubens bilden. Diese Auffassung wird heute jedoch außerhalb des orthodoxen Judentums (sofern dort überhaupt mit der Historizität des Mose gerechnet wird) kaum mehr vertreten.

Als eigentlicher Begründer des heutigen Judentums gilt Esra (um 440 v. Chr.). Esra war nach der Zeit des babylonischen Exils im Perserreich Hohepriester und durfte mit seinem verschleppten israelischen Volk, das aus vermutlich etwa 20.000 Menschen bestand, auf Erlass des Perserkönigs Artaxerxes I. zurück nach Jerusalem. Dort ordnete er Tempeldienst und Priestertum neu und ließ Ehen von Juden mit heidnischen Frauen scheiden. Die religiöse Identität ist seitdem für das Judentum von ähnlicher Bedeutung wie die der Herkunft.

Geschichte der Juden

Die Geschichte der Juden verlief unterschiedlich, je nach Land und Epoche. Sie ist sowohl von Unterdrückung, Verfolgung und Vertreibung als auch von Toleranz, friedlichem Miteinander und Gleichberechtigung geprägt. Sie beinhaltet die Geschichte der Juden in der Diaspora und die Gründung des Staates Israel. Als Ursache für die Entstehung der Diaspora werden politische, religiöse oder wirtschaftliche Aspekte angeführt. Die Diaspora entwickelte sich in bedeutenden Zentren jüdischer Gemeinden in Ägypten, in Kyrenaika, Nordafrika, Zypern, Syrien, Kleinasien und schließlich in Griechenland und Rom, bis die Vertreibung beziehungsweise Auswanderung sich weltweit ausbreitete. Weltweit leben etwa 7,909 Millionen Juden in der Diaspora.

Begriff in der jüdischen Tradition

Laut Halacha, den jüdischen Religionsvorschriften, gilt eine Person als jüdisch, wenn sie eine jüdische Mutter hat, unabhängig davon, ob oder wie sehr sie die jüdischen Glaubensvorschriften befolgt oder nicht. Dabei ist Bedingung, dass die Mutter bei der Empfängnis Jüdin nach der Halacha war. Außerdem gilt als Jude, wer formell die Konversion zum Judentum (gijur) vollzogen hat.

Das Prinzip der Halacha wird im Talmud auf die Tora zurückgeführt. Dadurch entwickelte sich eine Kultur, die über lange Zeit stabil blieb und den Juden eine eigene Identität bewahrte, obwohl sie über fast zwei Jahrtausende hinweg keinen eigenen Staat, vor allem kein eigenes Staatsgebiet hatten. Ihre Heimat war und ist der ewige Bund Gottes mit Abraham und das an Mose und die anderen Propheten verkündete ewige Gesetz Gottes. Die jüdische Diaspora begann bereits in der babylonischen Verbannung. Heimgekehrt nach Jerusalem, begrenzten die Kinder Israels ihr Volk erneut auf die leiblichen Nachfahren Abrahams, Isaaks und Jakobs (Israels). Damals erreichte der Prophet Esra, dass Juden, die sich mit nichtjüdischen Frauen verbunden hatten, diese und die mit ihnen gezeugten Kinder verstoßen mussten.

Neubewertungen innerhalb des Judentums

Im Zeitalter der Aufklärung kam es innerhalb des Judentums zur Diskussion über den Sinn mancher Gesetze der Tora. Das Reformjudentum postulierte seit dem 19. Jahrhundert eine Unterscheidung zwischen universalen religiösen Werten und historisch bedingten religiösen Ritualgesetzen, deren Anpassung an die Gegenwart gefordert wurde. In West- und Mitteleuropa waren die Assimilations­bestrebungen weitaus stärker als in Osteuropa. Der deutschlandweite Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens wurde am 10. November 1938 von den NS-Behörden verboten. In der Sowjetunion und den meisten ihrer Nachfolgestaaten gelten die Juden bis heute als Nationalität. Liberale Gemeinden vertreten heute eine weniger strenge Fassung des Begriffs „Jude“.

Orthodoxes und konservatives Judentum

Der orthodoxen Interpretation der Halacha entsprechend ist nur das leibliche Kind einer jüdischen Mutter als jüdisch zu bestimmen. Ein Kind mit einem jüdischen Vater und einer nichtjüdischen Mutter wird als nichtjüdisch betrachtet. Obwohl die Konversion eines Säuglings unter bestimmten Umständen wie etwa bei Adoptivkindern oder bei Kindern konvertierender Eltern in Betracht gezogen werden kann, werden konvertierte Kinder beim Eintritt in den religiösen Erwachsenenstatus, der bei Mädchen im Alter von 12 Jahren, bei Jungen im Alter von 13 Jahren erreicht wird, typischerweise befragt, ob sie jüdisch bleiben wollen. Dieser Standard gilt im konservativen und im orthodoxen Judentum.

Liberales und Reformjudentum

Jüdische Glaubensgemeinschaften, die die orthodoxen Auslegungen des jüdischen Gesetzes nicht als bindend anerkennen, haben andere Standards. Das amerikanische Reformjudentum und das Liberale Judentum in Großbritannien erkennen ein Kind mit nur einem jüdischen Elternteil – Mutter oder Vater – als jüdisch an, wenn dieses Kind den Standards dieser Gemeinschaft entsprechend als Jude aufgezogen wird. Für ernsthaft gemeinte Konversion sind alle heute weitverbreiteten Formen des Judentums offen. Obwohl es um die Konversion zum Judentum eine Kontroverse gibt, akzeptieren alle religiösen Bewegungen ohne Einschränkung Konvertiten, die sie selbst aufgenommen haben.

Diese Abweichung von der traditionellen Sichtweise hat zu starken Spannungen mit traditionellen konservativen und orthodoxen Juden geführt.

Einige orthodoxe Autoritäten erklären eine jüdische Ehe nur als gültig, wenn sie zwischen zwei Juden geschlossen wird. Ein öffentlicher Gemeindegottesdienst kann nur abgehalten werden, wenn mindestens zehn jüdische Beter (Minjan) teilnehmen.

Jüdischer Säkularismus

Die meisten Anhänger des jüdischen Säkularismus akzeptieren jeden Menschen als Juden, der sich als solcher erklärt, es sei denn, es gibt Grund zur Annahme, dass diese Person damit eine Täuschung begeht. Manche Mitglieder des Reformjudentums teilen diesen Standpunkt.

Judenfeindliche Definitionen

Die Antwort auf die Frage, ob jemand als Jude erachtet wird, konnte je nach Gesellschaft darüber entscheiden, ob diese Person einen bestimmten Beruf ausüben, eine Ausbildung erhalten, an einem bestimmten Ort leben, in Haft gehalten, verbannt oder mit behördlicher Billigung ermordet werden konnte. Die Einordnung als Jude folgt dabei keineswegs immer einer scharfen Begrifflichkeit, sondern konnte an diffuse Annahmen oder Vorurteile anknüpfen.

Eine Konsequenz der mittelalterlichen Berufsverbote für Juden und der Verdrängung in das Zinsgeschäft war, dass „Jude“ noch in der 4. Auflage des Concise Oxford Dictionary von 1950 in seiner übertragenen Bedeutung als „maßloser Wucherer“ definiert wurde.

Antisemitische Positionen in der deutschen Politik definierten bereits im 19. Jahrhundert, spätestens jedoch ab 1933, die Zugehörigkeit zum Judentum ethnisch und rassistisch, um auch konvertierte Juden weiterhin als Juden mit angeblich unveränderlichen, ererbten negativen Charaktereigenschaften ausgrenzen und verfolgen zu können. Sie konnten im Deutschen Kaiserreich trotz rechtlicher Gleichstellung weder durch Verzicht auf ihre Religionsausübung noch durch Heirat mit Andersgläubigen oder Konversion zum Christentum volle gesellschaftliche Anerkennung, Bildungs- und Aufstiegschancen erreichen. In der völkischen Bewegung wurde diese Ablehnung verschärft und die Vertreibung oder Ausweisung aller von Juden abstammenden Personen gefordert.

Während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgte der NS-Staat die Bevölkerungsminderheit mit rassistischer Zielsetzung und führte ab 1933 eine fortlaufend verschärfte Gesetzgebung ein: die Nürnberger Gesetze und ähnliche Bestimmungen. Diese wurden ungeachtet des Glaubensbekenntnisses auf alle Personen angewandt, die mindestens einen nach der nationalsozialistischen Definition „jüdischen“ Großelternteil (männlich oder weiblich) hatten. Den betroffenen Menschen wurden damit ihre deutsche Nationalität und die Bürgerrechte aberkannt (→ Reichsbürgergesetz – Erste Verordnung vom 14. November 1935).

Das NS-Regime benutzte seine nichtjüdische, rassistische Definition, wer als Jude gilt, seit Beginn des Zweiten Weltkriegs auch über die Grenzen hinaus in den von Deutschland besetzten oder beherrschten Gebieten Europas zur legalisierten Verfolgung und Beraubung – zum Teil mittels Arisierung, Ghettoisierung und Inhaftierungen, Deportation – und als Grundlage für die systematischen und über Jahre fortgeführten Massenmorde während der Schoah / des Holocausts. Die Nationalsozialisten bezeichneten diese eliminatorischen Verfolgungsmaßnahmen zynisch und verschleiernd als Endlösung der Judenfrage.

Anfang 2022 versah der Duden den Eintrag zum Wort „Jude“ mit dem Hinweis, die Bezeichnung Jude bzw. Jüdin würde gelegentlich „wegen der Erinnerung an den nationalsozialistischen Sprachgebrauch als diskriminierend empfunden“ und empfahl stattdessen die Verwendung von Formulierungen wie „jüdische Menschen, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger oder Menschen jüdischen Glaubens“. Dies rief heftige Kritik von verschiedenen Seiten hervor, unter anderem vom Zentralrat der Juden in Deutschland. „Jude“ sei „weder ein Schimpfwort noch diskriminierend“.[20] Daraufhin änderte der Duden den entsprechenden Hinweis.[21]

Gesetze und Diskussionen im Staat Israel

Das Parlament des Staates Israel, die Knesset, hat in einer ersten Fassung des Rückkehrgesetzes (engl. law of return) 1950 zwar bestimmt: „Jeder Jude ist berechtigt, in das Land einzuwandern.“ Damit war aber die Frage Wer ist Jude? nicht geregelt. Behördliche und gerichtliche Auseinandersetzungen zwangen die Knesset daher im Jahre 1970 dazu, das Rückkehrgesetz neu zu formulieren. Als Jude gilt seither in Israel derjenige, dessen Mutter oder Großmutter, Urgroßmutter oder Ururgroßmutter, jeweils mütterlicherseits, Jüdinnen waren, oder der, der nach den orthodoxen religiösen Regeln zum Judentum konvertiert ist. Diese Definition folgt derjenigen des Talmud, fügt aber das Ausschlussmerkmal „nicht einer anderen Religion angehörend“ hinzu. Jude ist nach offiziellem israelischen Verständnis eine Bezeichnung einer Nationalität, weil alle Juden der Welt unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft zum jüdischen Volk gehörten. Israel ist nach zionistischem Verständnis der „Staat des jüdischen Volkes“.

Demografie

Stand 2018 leben weltweit etwa 14,6 Millionen Juden, was rund 0,19 % der Weltbevölkerung entspricht, die meisten in Israel und in den Vereinigten Staaten. Andere Schätzungen sprechen von etwa 15 Millionen Menschen weltweit. In der Diaspora stellen Juden in den USA mit 1,8 % den größten Bevölkerungsanteil, gefolgt von Kanada mit 1,1 % und Frankreich mit 0,7 %. In Deutschland beträgt der jüdische Bevölkerungsanteil 0,14 %.

Gesamtzahl

Nach Angaben des israelischen Zentralbüro für Statistik gab es weltweit folgende Anzahl an Juden:

Jahr 1925 1939 1948 2019
Anzahl in Millionen 14,8 16,6 11,5 14,8

Quelle: 1925–2019[22]

Verteilung nach Staaten

Durch verschiedene Emigrations- und Immigrationswellen hat sich die Verteilung der Juden in der Welt seit dem Ausgang des 20. Jahrhunderts verändert. Anfang der 1990er Jahre lebte noch ein Großteil der Juden in der Sowjetunion. Nach ihrer Auflösung wanderten viele Menschen nach Israel, in die Vereinigten Staaten und nach Deutschland aus (siehe auch: Alija)

Folgende Tabelle der Verteilung nach Staaten bezieht sich auf den Stand 2018.[23]

Land Juden Prozent
aller Juden
Prozent
der Bevölkerung
Anmerkungen
Vereinigte Staaten Vereinigte Staaten 6.925.475 47,7 1,8
Israel Israel 6.697.000 46,2 74,8 einschließlich Ostjerusalem, Westjordanland und Golanhöhen
Frankreich Frankreich 453.000 3,1 0,7
Kanada Kanada 390.500 2,7 1,1
Vereinigtes Konigreich Vereinigtes Königreich 290.000 2,0 0,4
Argentinien Argentinien 180.300 1,2 0,4
Russland Russland 172.000 1,2 0,1
Deutschland Deutschland 116.000 0,8 0,1 Schätzungen: 150.000[24]
Australien Australien 113.400 0,8 0,5
Brasilien Brasilien 93.200 0,6 0,0
Sudafrika Südafrika 69.000 0,5 0,1
Ukraine Ukraine 50.000 0,3 0,2
Ungarn Ungarn 47.400 0,3 0,5
Mexiko Mexiko 40.000 0,3 0,0
Niederlande Niederlande 29.900 0,2 0,2
Belgien Belgien 29.500 0,2 0,3
Italien Italien 29.800 0,2 0,0
Turkei Türkei 21.000[25] 0,1 0,0
Schweiz Schweiz 18.800 0,1 0,2 offiziell: 16.500[26]
Uruguay Uruguay 17.000 0,1 0,5
Chile Chile 18.300 0,1 0,1
Schweden Schweden 15.000 0,1 0,2
Belarus Belarus 10.400 0,1 0,1
Rumänien Rumänien 9.300 0,1 0,0
Osterreich Österreich 9.000 0,1 0,1 Schätzungen bis 15.000[27]
Iran Iran 9.000 0,1 0,0
China Volksrepublik Volksrepublik China 2.600 0,0 0,0 einschließlich Hongkong und Macau
Marokko Marokko 2.300 0,0 0,0
Bulgarien Bulgarien 2.000 0,0 0,0
Japan Japan 1.000 0,0 0,0
Singapur Singapur 900 0,0 0,0
Athiopien Äthiopien 100 0,0 0,0
Welt 14.606.000 100,00 0,19

Verteilung nach Kontinenten

Die jüdische Bevölkerung verteilt sich wie folgt auf die Kontinente (Stand 2018):[23]

Kontinent Juden (Schätzung) Bevölkerungs­anteil in Prozent
Amerika 6.469.800 0,64
Asien[Anm. 1] 6.593.000 0,15
Europa[Anm. 1] 1.359.100 0,17
Ozeanien[Anm. 2] 121.000 0,3
Afrika 73.600 0,006
Welt 14.606.700 0,19
  1. a b Einwohner von Regionen Russlands und der Türkei, die in Asien liegen, wurden zu Europa hinzugezählt.
  2. Einschließlich Australien und Neuseeland.

Je nach Zählart ergeben sich geringfügige Abweichungen im Vergleich zur oberen Tabelle.

Siehe auch

Literatur

  • Heinrich Graetz: Geschichte der Juden, von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Directmedia Publishing, Berlin 2004 (= Digitale Bibliothek, Band 44).
  • Leonard H. Ehrlich: Fraglichkeit der jüdischen Existenz. Philosophische Untersuchungen zum modernen Schicksal der Juden. Reihe: Fermenta philosophica. Verlag Karl Alber, Freiburg/München 1993. ISBN 3-495-47750-0.
  • Salcia Landmann: Wer sind die Juden? Geschichte und Anthropologie eines Volkes. dtv, München 1982, ISBN 3-423-00913-6.
  • Martin Gilbert: Endlösung. Die Vertreibung und Vernichtung der Juden: Ein Atlas. Rowohlt (= rororo. Band 5031).
  • Eisak Schlomer, Peter Guttkuhn: Liebes, altes, jüd’sches Moisling. 3. Aufl. Selbstverlag, Lübeck 1988 <Repr. d. Ausg. Lübeck 1909>.
  • Nachum T. Gidal: Die Juden in Deutschland von der Römerzeit bis zur Weimarer Republik. Bertelsmann, Gütersloh 1988, ISBN 3-89508-540-5.
  • Haim Hillel Ben-Sasson (Hrsg.): Geschichte des jüdischen Volkes. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. (Mit einem Nachwort von Michael Brenner, autorisierte Übersetzung von Siegfried Schmitz). 3 Bde. 1. Auflage abgeschlossen 1980; 5. Auflage, C. H. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-55918-1 (Dünndruck-Sonderausgabe der drei Bänder vom 1978–1980 in einem Band – ohne Abbildungen – mit 28 Karten im Text).
  • Matthias Kuntze: Günther Stein. die Lebensgeschichte eines deutschen Juden. 2015.[28][29][30][31]
  • Dietmar Pertsch: Jüdische Lebenswelten in Spielfilmen und Fernsehspielen. Filme zur Geschichte der Juden von ihren Anfängen bis zur Emanzipation 1871. Niemeyer, Tübingen 1992, ISBN 3-484-34035-5 (= Medien in Forschung und Unterricht. Band 35).
  • Cecil Roth: The Jews in the Renaissance. Philadelphia 1959.
  • Stefan Vennmann, Frank Lattrich: Jude. In: Bente Gießelmann, Robin Heun, Benjamin Kerst, Lenard Suermann, Fabian Virchow (Hrsg.): Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe. Wochenschau Verlag, Schwalbach 2015, ISBN 978-3-7344-0155-8, S. 162–175.
Commons: Juden – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Jude – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikiquote: Jude – Zitate

Einzelnachweise

  1. Y. M. Grintz: Artikel Jew, Semantics. In: Encyclopaedia Judaica, 2. Auflage, Band 11, S. 253f.
  2. a b Margaret H. Williams: The Meaning and Function of Ioudaios in Graeco-Roman Inscriptions. In: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik. Band 116, 1997, ISSN 0084-5388, S. 249–262, JSTOR:20189983.
  3. James D. G. Dunn: Jesus, Paul, and the Gospels. Wm. B. Eerdmans Publishing, 2011, ISBN 978-0-8028-6645-5, S. 124 (google.de [abgerufen am 24. Juli 2023]).
  4. John M. G. Barclay: Ἰουδαῖος: Ethnicity and Translation. In: Katherine M. Hockey, David G. Horrell (Hrsg.): Ethnicity, Race, Religion: Identities and Ideologies in Early Jewish and Christian Texts, and in Modern Biblical Interpretation. Bloomsbury Publishing, 2018, ISBN 978-0-567-67731-0, S. 46–58 (google.de [abgerufen am 24. Juli 2023]).
  5. Galater 2,14 | Lutherbibel 2017 :: ERF Bibleserver. Abgerufen am 24. Juli 2023.
  6. Grintz, S. 253
  7. Mishnah Kiddushin 3,12, 68b; Yadayim, Issurei Biah 15,3–4. Maimonides: Mishneh Torah, Kedushah, Issurei Biah 12–15, bes. 12,7; 15,3–6. Schulchan Aruch, Eben Ha-Eser 4,5; 19.
  8. Vgl. die Dokumentation in Sidney B. Hoenig, Baruch Litvin (Hrsg.): Jewish Identity: Modern Responsa and Opinions on The Registration of Children of Mixed Marriages – David Ben-Gurion’s Query to Leaders of World Jewry. Philip Feldheim, New York 1965.
  9. Vorstehender Absatz nach Posner, 254.
  10. Vgl. Posner, 254 f.
  11. Vgl. etwa J. Blidstein: Who Is Not A Jew? The Medieval Discussion. In: Israel Law Review 11/3 (1976), 369–390; Edward Fram: Perception and Reception of Repentant Apostates in Medieval Ashkenaz and Premodern Poland. In: AJS Review 21/2 (1996), S. 299–339.
  12. Vgl. Posner, 255 mit Verweis auf Moshe Feinstein.
  13. Norman Solomon: Das Judentum. Eine kleine Einführung (= Reclams Universal-Bibliothek. Nr. 18653). 5. Auflage. Stuttgart 2009, ISBN 978-3-15-018653-4, S. 12 f. (Übersetzung aus dem Englischen. Originaltitel: Judaism).
  14. Yehoshua M. Grintz, Raphael Posner: Jew. In: Michael Berenbaum, Fred Skolnik (Hrsg.): Encyclopaedia Judaica. 2. Auflage. Band 11. Macmillan Reference USA, Detroit 2007, S. 253–255 (englisch, online: Gale Virtual Reference Library).
  15. Dana Evan Kaplan: Reform Judaism. In: Michael Berenbaum, Fred Skolnik (Hrsg.): Encyclopaedia Judaica. 2. Auflage. Band 17. Macmillan Reference USA, Detroit 2007, S. 172 f. (englisch, online: Gale Virtual Reference Library).
  16. Paul Mandel, The Call of Abraham: A Midrash Revisited, in: Prooftexts 14/3 (1994), 267–284.
  17. Gen 12,3 EU
  18. Johann Maier: Art. Jude, Judentum. In: ders.: Judentum von A bis Z. Glauben, Geschichte, Kultur. Herder, Freiburg im Breisgau 2001, ISBN 3-451-05169-9, S. 235–236, hier S. 235.
  19. Ferdinand Dexinger: Judentum. In: Theologische Realenzyklopädie. 4. Auflage. S. 332.
  20. »Das Wort ›Jude‹ ist für mich weder ein Schimpfwort noch diskriminierend«. Auf www.spiegel.de, 7. Februar 2022.
  21. Duden ändert nach Kritik Hinweis zum Wort »Jude«. Auf www.juedische-allgemeine.de, 16. Februar 2022.
  22. Holocaust-Gedenken: So viele Juden auf der Welt wie einst 1925. In: Israelnetz. 7. April 2021, abgerufen am 27. Mai 2021.
  23. a b Vital Statistics: Jewish Population of the World. Abgerufen am 25. September 2019.
  24. jewish databank, 1.1.2018. S. 52.
  25. Arnold Dashefsky, Sergio Della Pergola, Ira Sheskin (Hrsg.): World Jewish Population. 2018 (PDF; 2,1 MB) (Report). Berman Jewish DataBank. Abgerufen am 22. Juni 2019.
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