Erbtochter
Erbtochter bezeichnet die Tochter einer verstorbenen Person (genannt „Erblasser/Erblasserin“), die im Unterschied zu ihren Geschwistern – oder wenn sie das einzige (verbliebene) Kind der Person ist – alleinig das Erbe antreten kann oder soll; früher konnten das auch andere nahe weibliche Verwandte der verstorbenen Person sein. Im deutschen Erbrecht hat der Begriff „Erbtochter“ keine Bedeutung.
Feudalwesen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im mittelalterlichen Feudalwesen war Erbtochter ein bekannter Begriff und kam zum Tragen, wenn männliche Erben fehlten. Im Unterschied zur üblichen Erbfolge vom Vater an Söhne (patrilinear) gab es für den Fall einer einzig verbleibenden Nachkommin besondere Regelungen zum genauen Ablauf. Beispielsweise konnten Lehnschaften nur an Frauen vererbt werden, wenn der Grundbesitzer (Lehnsherr) und der Erblasser (Lehnsmann) eine Vereinbarung trafen, dafür war der Grundherr an der Wahl des Ehemannes der Erbtochter beteiligt; hieraus entstanden sogenannte „Weiberlehen“ (siehe Kunkellehen).
Europäischer Adel
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im europäischen Kulturraum wurden Frauen in Adelshäusern als Haupterbin nur bedacht, wenn das männliche Geschlecht ausgestorben war; dies wurde (und wird) in Adelsfamilien mit so genannten Hausordnungen geregelt. Bei regierenden Fürstenfamilien und anderem Hochadel kam noch die Schwierigkeit der Bestimmung der oft gesetzlich geregelten Thronfolge hinzu. Eine weltweit bekannte Erbprinzessin war bis 2014 Caroline von Monaco als vorgesehene Nachfolgerin der Grimaldis im Fürstentum Monaco.
Ethnien und indigene Völker
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bei den weltweit über 150 ethnischen Gruppen und indigenen Völkern,[1] die ihre Abstammung und Erbfolge über die Linie ihrer Mütter regeln (matrilinear), ist die Erbtochter meist die jüngste Tochter einer Frau, vor allem wenn die Erblasserin eine eigene Großfamilie leitete. Diese Form der Erbfolge wird bezeichnet als Ultimogenitur „Letztgeborenenrecht“ (im Unterschied zur Primogenitur: „Erbrecht des Erstgeborenen“), im Falle von Frauen als Ultimagenitur („Letztgeborene“). Ein Beispiel für diese Regelung von Besitzverhältnissen findet sich bei den Khasi im Nordosten von Indien im kleinen Bundesstaat Meghalaya, wo dieses Volk mit rund 1,5 Millionen Angehörigen etwa die Hälfte der Gesamtbevölkerung stellt und die matrilineare Erbfolge in der staatlichen Verfassung verankert ist.[2]
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Erbjungfernrecht (Erbtochterrecht im Mecklenburgischen)
- Epikleros (Erbtochter im altgriechischen Recht: Erbe geht an ihren Ehegatten)
- Minorat (Jüngsten-Erbfolge: der Jüngste, oder wenn ohne männliche Erben: die Jüngste)
- Anerbenrecht (strategische Vererbung an nur einen Erben)
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑
J. Patrick Gray: Ethnographic Atlas Codebook. In: World Cultures. Band 10, Nr. 1, 1998, S. 86–136, hier S. 104: Tabelle 43 Descent: Major Type (englisch; PDF: 2,4 MB, 52 Seiten ohne Seitenzahlen; eine der wenigen Auswertungen aller damals 1267 erfassten Ethnien);
Zitat: „584 Patrilineal […] 160 Matrilineal […] 52 Duolateral […] 49 Ambilineal […] 11 Quasi-lineages […] 349 bilateral […] 45 Mixed […] 17 Missing data“.
Prozente der 1267 Ethnien (1998): 46,1 % patrilinear (vom Vater) – 12,6 % matrilinear (von der Mutter) – 4,1 % duolateral (bilinear: unterschiedlich von Vater und Mutter) – 3,9 % ambilinear (wahlweise) – 0,9 % parallel (Quasi-Linien) – 27,6 % bilateral, kognatisch (westliches Modell: Herkunft von beiden Elternteilen) – 3,6 % gemischt – 1,6 % fehlende Daten.
Ende 2012 waren im Ethnographic Atlas weltweit genau 1300 Ethnien erfasst, von denen oft nur Stichproben ausgewertet wurden, beispielsweise im internationalen HRAF-Projekt. Begründet wurde der Ethnographic Atlas Anfang der 1950er vom US-amerikanischen Anthropologen George P. Murdock (1897–1985) zur standardisierten Daten-Erfassung sämtlicher Ethnien weltweit. - ↑ Chie Nakanee: Garo and Khasi – A Comparative Study in Matrilineal Systems. Gruyter, Paris/The Hague 1967, ISBN 978-3-11-196796-7 (englisch; kritische Besprechung).