Ethnische Säuberung

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Ethnische Säuberung oder religiös motivierte bzw. religiöse Säuberung (englisch ethnic cleansing oder religious cleansing) bezeichnet das Entfernen einer ethnischen oder religiösen Gruppe aus einem bestimmten Territorium. Dies erfolgt zumeist durch gewaltsame Vertreibung, Umsiedlung, Deportation oder Mord. Der Begriff wurde seit 1992 häufiger verwendet, um Vorgänge während der Jugoslawienkriege zu beschreiben, und wurde in der Folge für ähnliche Geschehnisse weltweit benutzt.[1]

Eine ethnische Entmischung (Segregation) kann auch durch einen geplanten und organisierten Bevölkerungsaustausch stattfinden. Der Vertrag von Konstantinopel (geschlossen 1913 zwischen Bulgarien und dem Osmanischen Reich, nach dem Zweiten Balkankrieg) gilt als der erste Friedensvertrag der Geschichte, der einen Bevölkerungsaustausch zwischen den Vertragspartnern mit dem Ziel einer ethnischen Entmischung vorsah. Beide Balkankriege (1912/1913) waren geprägt von einem hohen Maß an ethnisch motivierter Gewalt: alle Seiten vertrieben oder ermordeten zahlreiche Zivilisten der jeweils anderen Völker.

Der Begriff wurde und wird teils als wertfreier Begriff rezipiert und teils als Euphemismus für Völkermord. Die Gesellschaft für Deutsche Sprache kürte ihn 1992 zum deutschen Unwort des Jahres. Der amerikanische Politikwissenschaftler Norman M. Naimark bezeichnete den Begriff „ethnische Säuberung“ als „nützlichen und vertretbaren Begriff“. Im Unterschied zum Völkermord hat eine ethnische Säuberung in der Regel nicht primär die Vernichtung, sondern die Entfernung einer Gruppe zum Ziel; sie kann, wenn dabei Methoden wie Massenmord angewendet werden, die Dimension eines Völkermords annehmen.[1]

Auch bei den Vereinten Nationen ist der Begriff verwendet worden.[2]

Herkunft und Verwendung

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Der serbokroatische Begriff etničko čišćenje wurde im Jugoslawien der 1980er Jahre ursprünglich von Serben als Ausdruck für den angeblichen Umgang der albanischsprachigen mit der serbischen Bevölkerung des Kosovo verwendet. Zu Beginn des Bosnienkrieges gelangte der Begriff als ethnische Säuberung in den deutschen Sprachraum und in weiteren Übersetzungen in die restliche Welt und bezeichnete dort die serbischen Angriffe auf bosnische Muslime.[1]

Ethnische Säuberungen gab es zu allen Zeiten (die Türkenkriege, die Vertreibung der Tscherkessen aus dem Kaukasus, die Mehrzahl der Konflikte auf dem Balkan, die Kolonisierung von Nord- und Südamerika). Im 20. Jahrhundert gab es einige ethnische Säuberungen. Die Vertreibung von schwarzafrikanischen Stämmen ab 2003 während des Darfur-Konflikts im Westen des Sudan wurde als größte ethnische Säuberung bezeichnet.

Ethnische Säuberungen haben zum Ziel, ethnisch homogene geografische Gebiete zu schaffen. Als Zwangsmigrationen liegt ihnen ein fundamental asymmetrisches Machtverhältnis zwischen Tätern und Opfern zugrunde.[3]

Abgrenzung zum Völkermord

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Ethnische Säuberungen teilen mit Völkermord das Ziel, Reinheit zu erreichen. Ethnische Säuberungen sind Teil eines Gewaltkontinuums, dessen extremste Form der Völkermord ist, bei dem das Ziel des Täters die Vernichtung der Zielgruppe ist. Ethnische Säuberung zielt auf die erzwungene Entfernung einer oder mehrerer unerwünschter Gruppen ab, wobei Völkermord die Zerstörung der Gruppe verfolgt. Ethnische Säuberungen sind ähnlich wie erzwungene Deportation oder Bevölkerungstransfer, während Völkermord der Versuch ist, einen Teil oder die Gesamtheit einer bestimmten ethnischen, rassischen, religiösen oder nationalen Gruppe zu vernichten. Wenn eine hohe Sterblichkeit durch Abschiebung oder Vertreibung vorhersehbar, beabsichtigt und zu erwarten ist, ist es sinnvoll, eher auf Völkermord als auf ethnische Säuberung oder sowohl auf ethnische Säuberung als auch auf Völkermord zu verweisen.[4][5]

Formen der Gewalt

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Um eine Bevölkerungsgruppe zur Umsiedlung zu zwingen, werden von der Täterseite meist Gewalttaten ausgeübt. Praktiken zur Abschiebung der Zivilbevölkerung können umfassen: Mord, Morddrohungen, Folter, willkürliche Festnahme und Inhaftierung, außergerichtliche Hinrichtungen, Vergewaltigung und sexuelle Übergriffe, schwere Körperverletzungen von Zivilisten, Einsperrung der Zivilbevölkerung in Ghettogebiete, gewaltsame Abschiebung, Vertreibung und Abschiebung von Zivilbevölkerung, vorsätzliche militärische Angriffe oder Androhung von Angriffen auf Zivilisten und zivile Gebiete, Einsatz von Zivilisten als menschliche Schutzschilde, Zerstörung von Eigentum, Raub von persönlichem Eigentum, Angriffe auf Krankenhäuser, medizinisches Personal und Orte mit dem Emblem des Roten Kreuzes/Roten Halbmonds, u. a.[1]

Michael Mann argumentiert, dass mörderische ethnische Säuberungen auf den Aufstieg des Nationalismus zurückzuführen sind, der die Staatsbürgerschaft mit einer bestimmten ethnischen Gruppe in einem Nationalstaat in Verbindung bringt. In diesem modernisierenden und demokratisierenden Kontext treiben mächtige soziale Bewegungen innerhalb bestimmter ethnischer Gemeinschaften rivalisierende staatliche Projekte auf demselben Territorium voran. Demokratie ist daher an ethnische und nationale Formen der Ausgrenzung gebunden. Dennoch sind es nicht demokratische Staaten, die anfälliger für ethnische Säuberungen sind, da Minderheiten in der Regel verfassungsrechtliche Garantien haben. Ebenso wenig sind stabile autoritäre Regime (mit Ausnahme der Nazi- und kommunistischen Regime), die wahrscheinlich Täter mörderischer ethnischer Säuberungen sind, sondern solche Regime, die sich im Prozess der Demokratisierung befinden.[6]

Bestrafung ethnischer Säuberungen

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Es gibt keine genaue juristische Definition dieses Begriffs, da er nicht als eigenständiges Verbrechen nach internationalem Recht anerkannt ist.[7] Ethnische Säuberungen erfüllen einige der bei den Nürnberger Prozessen festgelegten Kriterien von Verbrechen gegen die Menschheit. Da es sich bei „ethnischer Säuberung“ jedoch nicht um einen eindeutigen juristischen, sondern um einen vorwiegend politischen Begriff handelt, erfolgten die Anklagen und Verurteilungen am Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien wegen anders bezeichneter Tatbestände, wie u. a. Verbrechen gegen die Menschheit bei der Vertreibung von über 170.000 Kroaten aus Teilen Kroatiens während des Kroatien-Krieges, der später folgenden Vertreibung von 150.000 bis 200.000 Serben während der Militäroperation Oluja in Kroatien im August 1995 oder im Falle des Verantwortlichen für die Massenerschießungen von Bosniaken in der UN-Schutzzone Srebrenica wegen Völkermord.

Nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 Völkerstrafgesetzbuch sind ethnische Säuberungen in Deutschland strafbar.

Einige Beobachter sehen die Siedlungspolitik Israels, etwa in Ostjerusalem, als Sonderfall. Israel verdränge dort in einigen Stadtteilen Angehörige der eingesessenen arabisch-palästinensischen Bevölkerung zugunsten des Zuzugs jüdisch-israelischer Menschen. Allerdings wird dabei nicht primär mit körperlicher Gewalt vorgegangen. Eingesessenen arabischen Palästinensern werde in der Regel zunächst auf juristischem Weg, insbesondere bei ungeklärten Grundeigentumsverhältnissen, das Bau- und Wohnrecht streitig gemacht. Die Umsetzung der juristischen Beschlüsse erfolge häufig dadurch, dass vorhandene Bauten auf den betreffenden Grundstücken abgerissen und durch neue, zumeist höherwertig ausgestattete Gebäude ersetzt würden.[8][9]

  • Stephen Bela Vardy, T. Hunt Tooley (Hrsg.): Ethnic Cleansing in Twentieth Century Europe. Vorwort Otto von Habsburg. Columbia University Press, Boulder (CO) 2003, ISBN 0-88033-995-0, (Papers. Held as the 34th annual Duquesne University history forum).[10]
  • Detlef Brandes, Holm Sundhaussen, Stefan Troebst (Hrsg.): Lexikon der Vertreibungen. Deportation, Zwangsaussiedlung und ethnische Säuberung im Europa des 20. Jahrhunderts. Böhlau, Wien / Köln / Weimar 2010, ISBN 978-3-205-78407-4.[11]
  • Ray M. Douglas: Orderly and Humane. The Expulsion of the Germans after the Second World War. Yale University Press, New Haven (CT) 2012, ISBN 978-0-300-16660-6.
    Deutsch: Ordnungsgemäße Überführung. Die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Übersetzt von Martin Richter. C.H. Beck, München 2012, ISBN 978-3-406-62294-6.
  • Stephan Maninger: Ethnische Konflikte entlang der Entwicklungsperipherie. Institut für Internationale Politik und Völkerrecht, München. In: Ordo inter nationes. 6, Juni 1998, ISSN 1433-3953.
  • Michael Mann: Die dunkle Seite der Demokratie. Eine Theorie der ethnischen Säuberung. Hamburger Edition, Hamburg 2007, ISBN 978-3-936096-75-0.
  • Norman M. Naimark: Flammender Hass. Ethnische Säuberung im 20. Jahrhundert. Beck, München 2004, ISBN 3-406-51757-9.
  • Ilan Pappe: Die ethnische Säuberung Palästinas. 3. Auflage. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-86150-791-8.
  • Michael Schwartz: Ethnische „Säuberungen“ in der Moderne. Globale Wechselwirkungen nationalistischer und rassistischer Gewaltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert. Oldenbourg, München 2013, ISBN 978-3-486-70425-9 (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Band 95).
  • Philipp Ther: Die dunkle Seite der Nationalstaaten. „Ethnische Säuberungen“ im modernen Europa. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, ISBN 978-3-525-36806-0 (= Synthesen, Band 5).
Wiktionary: ethnische Säuberung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. a b c d Norman M. Naimark: Flammender Hass. Ethnische Säuberungen im 20. Jahrhundert. C.H. Beck, München 2004, ISBN 3-406-51757-9, S. 10 ff.
  2. Dagmar P. Stroh: Die nationale Zusammenarbeit mit den Internationalen Straftribunalen für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda. Springer, 2002, ISBN 3-540-43049-0, S. 10.
  3. Michael Schwartz: Ethnische „Säuberungen“ in der Moderne. Globale Wechselwirkungen nationalistischer und rassistischer Gewaltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert. Oldenbourg, München 2013, ISBN 978-3-486-72142-3, S. 1.
  4. Benjamin Liebermann: The Oxford Handbook of Genocide Studies by Donald Bloxham, A. Dirk Moses. (google.de): „Die Erklärung des Zusammenhangs zwischen ethnischer Säuberung und Völkermord hat zu Kontroversen geführt. Ethnische Säuberungen teilen mit Völkermord das Ziel, Reinheit zu erreichen, aber die beiden können sich in ihren Endzielen unterscheiden: Ethnische Säuberungen suchen die erzwungene Entfernung einer oder mehrerer unerwünschter Gruppen, wobei der Völkermord die „Zerstörung“ der Gruppe verfolgt. Ethnische Säuberungen und Völkermord fallen daher in ein Spektrum von Gewalt gegen Gruppen, wobei Völkermord am anderen Ende des Spektrums liegt.“
  5. Norman M. Naimar: Fires of Hatred. Hrsg.: Harvard University Press. 2002, ISBN 978-0-674-00994-3, S. 2–5 (hoover.org): „Ein neuer Begriff war erforderlich, weil ethnische Säuberung und Völkermord zwei verschiedene Aktivitäten sind und die Unterschiede zwischen ihnen wichtig sind. Wie bei der Feststellung eines Mordes ersten Grades ist die Vorsätzlichkeit eine entscheidende Unterscheidung. Völkermord ist die absichtliche Tötung eines Teils oder der Gesamtheit einer ethnischen, religiösen oder nationalen Gruppe; die Ermordung eines Volkes oder Völker (auf Deutsch, Völkermord) ist das Ziel. Die Absicht der ethnischen Säuberung besteht darin, ein Volk und oft alle Spuren von einem konkreten Territorium zu entfernen. Mit anderen Worten, das Ziel ist es, die "fremde" Nationalität, ethnische oder religiöse Gruppe loszuwerden und die Kontrolle über das Territorium zu übernehmen, das sie früher bewohnt hatte. An einem Extrem ihres Spektrums ist die ethnische Säuberung näher an einer erzwungenen Abschiebung oder dem sogenannten „Bevölkerungstransfer“; die Idee ist, die Leute zum Umzug zu bewegen, und die Mittel sollen legal und halblegal sein. Im anderen Extrem sind ethnische Säuberungen und Völkermord jedoch nur durch die letztendliche Absicht zu unterscheiden. Hier mündet die ethnische Säuberung im wörtlichen wie im übertragenen Sinne in einen Völkermord, da Massenmord begangen wird, um das Land von einem Volk zu befreien.“
  6. Michael Mann: Die dunkle Seite der Demokratie. 2017, S. 1–30 (google.de).
  7. United Nations: Ethnic Cleansing. Abgerufen am 20. August 2021 (englisch).
  8. Masterplan gegen Palästina: Ostjerusalem soll immer jüdischer werden. tagesanzeiger.ch, 21. August 2010.
  9. Die demografische Bereinigung Jerusalems. (Memento vom 26. Februar 2015 im Internet Archive) In: Le Monde diplomatique, 9. Februar 2007
  10. Review (PDF; 151 kB) bei h-net.org
  11. Andreas Kossert: Vertreibung: Freske des Albtraums. In: Die Zeit, Nr. 26/2010; Besprechung.