Ethnische Konflikte in Manipur seit 2023

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Gewalt in Manipur 2023
Datum ab 3. Mai 2023
Ort Manipur, Indien 24° 36′ 0″ N, 93° 48′ 0″ OKoordinaten: 24° 36′ 0″ N, 93° 48′ 0″ O
Ursache Ethnische Spannungen zwischen Meitei

und Kuki-Völkern in Manipur

Methoden Brandstiftung, Aufruhr, Mord, Sexuelle Gewalt
Konfliktparteien

Meitei sprechende Bevölkerung

Kuki
Zo-Volk

Indische Armee
Assam Rifles

Die Kuki (auch Chin) sind eine Minderheit, welche in Indien, Bangladesch und Myanmar beheimatet ist. Aufgrund der Kolonialgeschichte erstreckt sich ihr Gebiet auf drei Länder. In Myanmar führen sie einen bewaffneten Aufstand gegen die Militärregierung, siehe Chin National Army und Bürgerkrieg in Myanmar seit 2021.
Das Lai Haraoba ist ein Festival in Manipur, welches von der hinduistischen Meitei sprechenden Bevölkerung gefeiert wird.
Karte aus dem 19. Jahrhundert. Die Gebiete der Chin sind als Independent Tribes beschriftet (hellgrün).

Unter Ethnische Konflikte in Manipur versteht man ethnische bewaffnete Konflikte im Indischen Bundesstaat Manipur. Die Auseinandersetzungen begannen im Mai 2023 und hielten 2024 noch an. Die Auseinandersetzungen müssen im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg im benachbarten Myanmar gesehen werden, wo die ethnische Minderheit der Chin für einen eigenen Staat kämpft.

Am 3. Mai 2023 kam es im nordöstlichen indischen Bundesstaat Manipur zu Ausschreitungen und gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Meitei sprechenden Bevölkerung, einer mehrheitlich hinduistischen Bevölkerungsgruppe, die in den Tälern von Manipur lebt, und den überwiegend christlichen Stämmen der umliegenden Berge, darunter die Kuki und Zo. Die Auseinandersetzungen zwischen den Bevölkerungsgruppen hielten im Jahr 2024 trotz Einschreiten der Zentralregierung an. Stand 3. Mai 2024 wurden 331 Personen bei den Kämpfen getötet und 60.000 Menschen in die Flucht gezwungen.[1][2] Auch die Agenzia Fides meldete am 20. Mai 2024, dass die Unruhen weiterhin anhielten.[3] Auch sollen über 400 Kirchen bei den Unruhen zerstört worden sein. Die Ausschreitungen müssen auch im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Myanmar gesehen werden. Viele Chin aus dem Nachbarland flüchteten vor den Kämpfen nach Manipur.[4][5]

Der Bundesstaat Manipur liegt im Nordosten Indiens ab der Grenze zu Myanmar. Im Zentrum des Bundesstaats liegt das Imphal-Tal, das etwa 10 Prozent der Gesamtfläche von Manipur ausmacht und in dem sich die Hauptstadt Imphal befindet. Das Tal ist von bewaldeten Hügeln umgeben.[6] Im Imphal-Tal leben vorwiegend Angehörige der mehrheitlich hinduistischen Meitei. Die Meitei sprechende Gemeinschaft macht mehr als 50 Prozent der 3,5 Millionen Einwohner Manipurs aus. Die dagegen mehrheitlich christlichen Stämme der Naga und Kuki machen zusammen etwa 40 Prozent der Bevölkerung aus und leben vorwiegend in den Hügeln und Wäldern um das Imphal-Tal. Sie sind im Gegensatz zu den Meitei „anerkannte Stämme“ (englisch Scheduled Tribes), die besondere Landbesitzrechte haben.[7] So dürfen Meitei sprechende Bewohner nicht ohne weiteres in den dünner besiedelten Hügellandschaften rund um die Hauptstadt Imphal siedeln, während sich die Bergbewohner in den Tälern ohne Probleme niederlassen können. Für die Meitei Sprecher sind dementsprechend große Teile des Gebietes des Staates tabu, da es sich um Reservationsgebiete der „anerkannten Stämme“ handelte. Deswegen forderte die Meitei sprechende Bevölkerung ebenfalls den Status eines „anerkannten Stammes“ zu bekommen. Die Einstufung als Stamm geht auf einen Erlass der britischen Kolonialregierung aus dem Jahr 1896 zurück, welcher den Kuki, Chin eine weitreichende Autonomie zugestand.[8] Diese Sonderrechte wurden von der indischen Regierung nach der Unabhängigkeit des Landes und der Teilung der britischen Kolonien in Indien, Pakistan und Myanmar übernommen.

Naga und Kuki kritisieren, dass der Großteil der Haushalts- und Entwicklungsausgaben Manipurs sich auf das von Meitei dominierte Imphal-Tal konzentriere.[9]

Größere, gewalttätige ethnische Konflikte gab es in Manipur zuletzt 1993 zwischen den hinduistischen Meitei und den muslimischen, Meitei sprechenden Pangal. 2019 kam es zudem zu Konflikten zwischen den Naga und Kuki, bei denen schließlich am 17. Oktober über 100 Angehörige der Kuki getötet wurden.[9][10]

Am 27. März 2023 erließ der Oberste Gerichtshof von Manipur ein Urteil, in dem die Landesregierung angewiesen wurde, „die Aufnahme der Meitei-Gemeinschaft in die Liste der Scheduled Tribes innerhalb von vier Wochen zu prüfen und der Regierung eine Empfehlung zur Prüfung vorzulegen.“,[6] was am 19. April bekannt wurde. Von den Stämmen der Naga, Kuki und Zo wurde dies als Versuch der Meitei gesehen, in den Hügelgebieten Land zu erwerben, was diesen ohne die Einstufung nicht möglich wäre.[11]

In der Folge kam es zu einer gewalttätigen Eskalation des ethnischen Konflikts im von den Kuki dominierten Bezirk Distrikt Churachandpur.[7] Bei den Auseinandersetzungen während des „Tribal Solidarity March“ im Distrikt wurden über 70 Todesopfer und Hunderte von Verletzten verzeichnet.[12] Die All Tribal Student Union Manipur (ATSUM) hatte zu diesem Marsch aufgerufen, um gegen die Reservierungen für die Meitei-Mehrheitsgemeinschaft zu protestieren.[13]

Um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen, wurden fast 10.000 Soldaten und paramilitärische Kräfte von der indischen Armee eingesetzt.[14] Währenddessen wurden die Internetdienste in der Region für fünf Tage unterbrochen, und der Abschnitt 144 des indischen Strafgesetzbuchs wurde angewandt.[15] Den indischen Truppen wurde der Befehl erteilt, in „extremen Fällen“ eine Ausgangssperre durchzusetzen und gegebenenfalls mit Schusswaffen zu reagieren ("shoot on sight").[16]

Am 17. Mai 2024 kam es erstmals zu Gesprächen zwischen den verfeindeten Volksgruppen im neutralen Assam. Im Februar 2024 hatte der Oberste Gerichtshof des Staates die Entscheidung die Mehrheitsbevölkerung als "Stamm" anzuerkennen wieder rückgängig gemacht.[17]

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. NZZ: Sexuelle Gewalt in Manipur erschüttert Indien, selbst Modi muss sein Schweigen brechen Im Nordosten des Landes schwelt seit Monaten ein ethnischer Konflikt. Nun hat ein schockierendes Video die Gewalt zurück auf die Titelseiten gebracht. Auch Premierminister Modi war gezwungen, sich zu dem Vorfall zu äussern.
  2. Frankfurter Allgemeine: VERGEWALTIGUNG IN INDIEN: „Ich habe sie angefleht, uns in Ruhe zu lassen“ Die Frauen sollen der Minderheit der Kuki angehören, die Männer der Bevölkerungsgruppe der Meitei. Etwas mehr als die Hälfte der Einwohner Manipurs gehört zu den Meitei, die mehrheitlich Anhänger des Hinduismus sind. Die Kuki sind mehrheitlich christlichen Glaubens. Anfang Mai schlugen die Spannungen zwischen den Gruppen in Gewalt um. Sie entzündete sich an einer Forderung der Meitei, die offiziell als ethnische Gruppe anerkannt werden wollen. Mitglieder solcher Gruppen erhalten besondere staatliche Unterstützung. Seit Anfang Mai kommt es immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen, 160 Menschen wurden getötet, rund 60.000 vertrieben.
  3. Agenzia Fides: ASIEN/INDIEN - Ein Jahr nach Ausbruch der Gewalt: Ethnische Spaltung in Manipur Für die tiefe ethnische Kluft im indischen Bundesstaat Manipur im Nordosten Indiens, die durch die im Mai 2023 ausgebrochene interethnische Gewalt verwüstet wurde, zeichnet sich keine Lösung ab.
  4. opendoors: Attackiert wurden gezielt Christen, zuerst die der Kuki, sodann die der Meitei, Hmar und Mizo sowie christliche Chin-Flüchtlinge aus Myanmar.
  5. csi-schweiz: Weiterhin Unruhen in Manipur – christliche Minderheit in Not
  6. a b Jaideep Saikia: Manipur violence: How Christianisation widened socio-cultural gap between Meiteis of Valley and Hill tribes. 15. Mai 2023, abgerufen am 9. Juni 2024 (englisch).
  7. a b Ethnischer Konflikt. Gewaltausbruch in Indien. sz.de, 9. Mai 2023, abgerufen am 9. Juni 2024.
  8. The Chin Hills Regulation vom 13. August 1896
  9. a b Esha Roy: Manipur’s ethnic faultlines: Kuki-Meitei divide & recent unrest. The Indian Express, 7. Mai 2023, abgerufen am 9. Juni 2024 (englisch).
  10. Mehr Gill: Explained: What’s the cause of rising tensions between Nagas and Kukis? The Indian Express, 18. Oktober 2019, abgerufen am 9. Juni 2024 (englisch).
  11. Report of the fact-finding mission on media's reportage of the ethnic violence in Manipur. (PDF; 1,03 MB) Editors Guild of India, 2. September 2023, archiviert vom Original am 5. September 2023; abgerufen am 9. Juni 2024 (englisch).
  12. Manipur Govt puts toll at 60, Supreme Court says concerned over lives lost. In: The Indian Express. 9. Mai 2023, abgerufen am 28. Mai 2023 (englisch).
  13. Manipur: Curfew in Indian state after protests turn violent. In: BBC News. 4. Mai 2023 (bbc.com [abgerufen am 28. Mai 2023]).
  14. Alex Travelli, Suhasini Raj: Dozens Killed in Ethnic Clashes in India’s Manipur State. In: The New York Times. 6. Mai 2023, ISSN 0362-4331 (nytimes.com [abgerufen am 28. Mai 2023]).
  15. In violence-hit Manipur, Army rescues 9,000 people; Amit Shah dials CM Biren Singh. India Today, abgerufen am 28. Mai 2023 (englisch).
  16. Amrit Dhillon: Indian troops ordered to ‘shoot on sight’ amid violence in Manipur. In: The Guardian. 5. Mai 2023, ISSN 0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 28. Mai 2023]).
  17. Weltkirche Hindus und Christen in Indien beginnen Dialog NEU DELHI ‐ Vor einem Jahr begann die Gewalt zwischen Hindus und Christen im indischen Bundesstaat Manipur. Mehr als 200 Menschen starben. Nun setzen sich die Konfliktparteien an einen Tisch. ... Im Februar hob das Oberste Gericht von Manipur den Status „gelisteter Stamm“ für die Meitei wieder auf.