Faccini Dori/Recreb Srl-Entscheidung
In der Paola Faccini Dori/Recreb Srl-Entscheidung von 1994 befasste sich der EuGH mit dem Konflikt zwischen einer nationalen Rechtsordnung und dem Recht der Europäischen Union sowie der horizontalen unmittelbaren Wirkung von Richtlinien.
Sachverhalt und Streitgegenstand
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zwischen dem privaten Bildungsinstitut Interdiffusion Srl und der Privatperson Paola Faccini Dori wurde am Mailänder Hauptbahnhof ein Vertrag über einen englischsprachigen Fernlehrgang geschlossen. Frau Faccini Dori stornierte ihre Bestellung per Einschreiben, wurde jedoch daraufhin informiert, dass Interdiffusion eine Forderung gegen sie an Recreb Srl abgetreten hatte. Frau Faccini Dori erklärte, dass sie nach der Richtlinie 85/577/EWG über Fernabsatzverträge für Verbraucher innerhalb von 7 Tagen ein Widerrufsrecht hätte. Das italienische Parlament hatte jedoch noch keine Maßnahmen zur Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht ergriffen.
In Konsequenz ordnete der italienische Gerichtshof Giudice Conciliatore di Firenze die Zahlung des Sprachkursbeitrags inklusive Zinsen und entstandenen Kosten an. Paola Faccini Dori erhob dagegen Einspruch und das italienische Gericht leitete den Fall an den EuGH weiter.
Die Entscheidung des EuGH
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass Frau Faccini Dori nach der Richtlinie, deren Bestimmungen bedingungslos und hinreichend präzise waren, ein Rücktrittsrecht hatte, aber in Abwesenheit eines nationalen Umsetzungsgesetzes sie sich nicht auf die EU-Richtlinie selbst in einer Klage gegen eine andere private Partei berufen konnte. Dies folgte aus Artikel 189 des EG-Vertrags (jetzt Artikel 288 AEUV): „Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel.“[1]
Das nationale Gericht wäre jedoch verpflichtet, das nationale Recht so weit wie möglich im Einklang mit dem Zweck der EU-Richtlinie auszulegen. Darüber hinaus müsste der Staat den Schaden, der durch die Nichtumsetzung des Gesetzes entstanden ist kompensieren. Damit stellte sich der EuGH gegen die vorhergehende Einschätzung des Generalanwalts Lenz, der sich für eine horizontale Wirkung von Richtlinien ausgesprochen hatte, also der Möglichkeit, sich bei Klagen unter Privatpersonen direkt auf den Text der Richtlinie zu beziehen.
25 Folglich kann der Verbraucher, wenn die Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie nicht innerhalb der vorgesehenen Frist erlassen worden sind, ein Widerrufsrecht gegenüber dem Gewerbetreibenden, mit dem er einen Vertrag geschlossen hat, nicht auf die Richtlinie selbst stützen und vor einem nationalen Gericht geltend machen.
[…]
27 Für den Fall, daß das von der Richtlinie vorgeschriebene Ziel nicht im Wege der Auslegung erreicht werden kann, ist außerdem darauf hinzuweisen, daß das Gemeinschaftsrecht gemäß dem Urteil vom 19. November 1991 in den verbundenen Rechtssachen C-6/90 und C-9/90 (Francovich u. a., Slg. 1991, I-5357, Randnr. 39) die Mitgliedstaaten zum Ersatz der den Bürgern durch die Nichtumsetzung einer Richtlinie verursachten Schäden verpflichtet, sofern drei Voraussetzungen vorliegen. Zunächst muß Ziel der Richtlinie die Verleihung von Rechten an Bürger sein. Sodann muß der Inhalt dieser Rechte auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden können. Schließlich muß ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat auferlegte Verpflichtung und dem entstandenen Schaden bestehen.
28 Die Richtlinie über die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträge hat unbestreitbar die Verleihung von Rechten an Bürger zum Ziel, und ebenso sicher steht fest, daß der Mindestinhalt dieser Rechte allein auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden kann (siehe Randnr. 17 dieses Urteils).
29 Läge also ein Schaden vor und wäre dieser Schaden durch den Verstoß gegen die dem Mitgliedstaat auferlegte Verpflichtung verursacht worden, so hätte das vorliegende Gericht den Anspruch der geschädigten Verbraucher auf Schadenersatz im Rahmen des nationalen Haftungsrechts sicherzustellen.[2]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Gráinne de Búrca: Giving Effect to European Community Directives. In: The Modern Law Review. Band 55, Nr. 2, März 1992, ISSN 0026-7961, S. 215–240, JSTOR:1096506.
- Philip Mead: The Obligation to Apply European law: Is Duke Dead? In: European Law Review. 1991, S. 490–501.
- Christopher Greenwood: Effect of EC Directives in National Law. In: The Cambridge Law Journal. Band 51, Nr. 1, März 1992, ISSN 0008-1973, S. 3–6, JSTOR:4507619.
- Paul Craig: Directives: Direct Effect, Indirect Effect and the Construction of National Legislation. In: European Law Review. Band 22, Nr. 6, Dezember 1997, ISSN 0307-5400, S. 519–538, hier S. 530–533.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ dejure.org: Art. 288 (ex-Artikel 249 EGV). In: dejure.org. Abgerufen am 1. Juli 2019.
- ↑ Matthias Pechstein: Der Fall Faccini Dori. (PDF) 2007, abgerufen am 2. Juli 2019.