Friedrich Lienhard
Friedrich Lienhard (* 4. Oktober 1865 in Rothbach, Elsass, Frankreich; † 30. April 1929 in Eisenach) war ein deutscher Schriftsteller und Protagonist der völkischen Heimatkunstbewegung.
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Lienhard wurde als ältester Sohn des Dorfschullehrers Friedrich Lienhard im Elsass geboren. Seine Mutter Elisabeth geb. Gutbub starb bereits 1877. Neben seinem ein Jahr jüngeren Bruder Albert, der später Pfarrer wurde, hatte Lienhard noch fünf Halbgeschwister aus der zweiten Ehe des Vaters. Von 1874 bis 1886 besuchte er die Gymnasien in Bouxwiller und Schillersdorf. Ab 1884 studierte er evangelische Theologie in Straßburg. Dieses Studium brach er nach vier Semestern ab, um in Berlin Literatur und Geschichte zu studieren. Lienhard trat 1885 der Wingolfsverbindung Argentina zu Straßburg und 1887 dem Berliner Wingolf bei. Nach drei Semestern brach er auch das zweite Studium ab.
Er wandte sich nun der Schriftstellerei zu. Als freier Schriftsteller zunächst erfolglos, verdiente er sich den Lebensunterhalt als Hauslehrer in Lichterfelde bei Berlin. Von April 1893 bis Oktober 1894 war er Chefredakteur der antisemitischen Monatsschrift Das zwanzigste Jahrhundert. Blätter für deutsche Art und Wohlfahrt.
1900 wurde er gemeinsam mit Adolf Bartels für einige Monate Herausgeber der Zeitschrift Deutsche Heimat, eines Mediums für „Literatur und Volkstum“.[1] Es war ideologische Plattform für die Protagonisten der völkisch-nationalistischen Heimatkunstbewegung. Bartels und Lienhard bildeten das Zentrum dieser Bewegung, ihre gemeinsamen ideologischen Referenzen waren die Schriften von Paul de Lagarde und August Julius Langbehn.[2] Lienhard verwarf die gängigen biologistischen und ethnischen Rassekategorien und entwickelte eine eigene Rassentheorie. Er erhoffte sich eine „Reichsbeseelung“ durch eine enge Verbindung von Christentum und Deutschtum. Die auch ihm dringlich erscheinende „Lösung der Judenfrage“ und Verhinderung „linker Pöbelherrschaft“ erblickte er in der Übernahme der „Führung“ durch eine „Edelrasse großer Seelen“ mit den „Eigenschaften der Güte, Wärme, Liebe“.[3] Das schloss Antisemitismus keineswegs aus. Dafür steht z. B. das völkisch orientierte „Weihespiel“ Ahasver am Rhein. Trauerspiel aus der Gegenwart (1914).[4] Als Elsässer gehörte er zu jenen deutschsprachigen Autoren, „die sich besonders darin hervortaten, die jeweilige Gegend in ihren Werken als ‚deutsch‘ zu reklamieren“[5] (Kay Dohnke). Im Ergebnis kommt der Literaturwissenschaftler Andreas Schumann zu der Feststellung, die historischen Wertbezüge bei Lienhard vereinigten „Germanisches, Antikes und Christliches zu einem deutschnationalen Modell“, das „rassistisch aufgeladen“ gewesen sei und in Europa eine „deutsche Kulturhegemonie“ beansprucht habe. Lienhards Germanistik sei der „Kriegsgermanistik“ zuzuordnen.[6] Unmittelbar kriegspropagandistisch betätigte Lienhard sich durch verschiedene Publikationen, so durch
- die Herausgabe der Schrift Schicksale einer Verschleppten in Frankreich. Von ihr selbst erzählt und vor dem Kaiserl. Regierungskommissar in Elsaß-Lothringen eidlich erhärtet (1915) gemeinsam mit dem frankophoben Straßburger Gymnasiallehrer Paul Kannengießer, Autor einer Schrift Leidensfahrten verschleppter Elsaß-Lothringer (1916)[7]
- oder durch die Massenbroschüre Weltkrieg und Elsaß-Lothringen (1916: 111. bis 125. Tausend), herausgegeben in der Reihe Schützengraben-Bücher für das deutsche Volk.
Lienhard unternahm ausgedehnte Reisen durch Europa, unter anderem in die Schweiz, nach Italien, Spanien, Schottland und Skandinavien.
1908 zog er sich in den Thüringer Wald zurück. Mit 50 heiratete er in Straßburg seine Jugendfreundin, die ehemalige Diakonisse Marie Elisabeth Zentz. Um seine Theorien besser verbreiten zu können, zog er 1916 nach Weimar, dem Sitz der Goethe-Gesellschaft. Dort wurde er bald in den Vorstand berufen, konnte aber seinen Plan, die Gesellschaft in eine Akademie umzuwandeln, nicht verwirklichen. 1918 wurde er in die „Akademie Gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt“ aufgenommen. Von 1920 bis 1928 war er Herausgeber der vormals protestantisch-konservativen, inzwischen völkischen[8] Kulturzeitschrift Der Türmer. Lienhard starb 1929 63-jährig in Eisenach.[9] und wurde auf dem dortigen Neuen Friedhof/Hauptfriedhof in einem Ehrengrab der Stadt beigesetzt.[10] Zu diesem Zeitpunkt war er nahezu vergessen. Angesichts seiner Affinität zum Nationalsozialismus kam er jedoch „wie viele Konservative … nach 1933 erneut zu Ehren.“[11]
Resonanz im Nationalsozialismus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Lienhard gehört in das Vorfeld des Nationalsozialismus, da er völkisch-nationalistische Auffassungen vertrat, jedoch mit eigener Prägung. Er wollte u. a. das Christentum mit dem Deutschtum verbinden. Da er 1929 verstarb, war er folglich kein Nationalsozialist im Sinne des Dritten Reichs. Der „Führer“ war noch nicht erschienen, der Sieg dieser Bewegung, später „Machtübernahme“ genannt, war noch nicht errungen. Wenn er 1933 in Lübeck anlässlich des 450. Geburtstags von Martin Luther mit einem Stück seiner Wartburg-Trilogie ins öffentliche Bewusstsein gerückt wurde, dann weil es ihm gelungen war, einen herausragenden Deutschen einfühlsam zu ehren. Das Theater führte am 1. November 1933 den dritten Teil Luther auf der Wartburg (1906) auf. Man nannte diese Veranstaltung ein „Festspiel“. Der Festansprachen-Redner war der Hauptpastor am Dom, Vertreter der Deutschen Christen, Dr. Helmuth Johnsen (1891–1947), der am 1. Mai 1934 bereits zum Landesbischof von Braunschweig ernannt wurde. Entgegen den Erwartungen erweist sich dieses Stück jedoch eher als religiöses Kammerspiel, denn es zeigt den in (tatsächlicher) Schutzhaft isolierten und ringenden Bibelübersetzer Luther, der versuchen muss, dafür Sorge zu tragen, dass ihm die – für ihn fernen – Ereignisse in Wittenberg nicht entgleiten (Bilderstürmer, Schwärmer). Große Aktionen konnte es in dieser Situation für ihn nicht geben. Dementsprechend war die Lübecker Berichterstattung bemüht, dieses Werk umzudeuten: Man sprach von deutschen Revolutionen und dem Lebenswillen großer Persönlichkeiten – ein gutes Beispiel, wie sich die Nationalsozialisten Personen, Werke, Gedanken anderer zunutze machten, aus ihren Zusammenhängen rissen und für eine bestimmte Situation zurechtbogen.[12]
Heutige Rezeption
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Eine Rezeption der Werke Lienhards ist heute kaum mehr feststellbar. Eine Ausnahme bilden seine Aufnahme durch den partikularistischen elsässischen „Heimatbund“ („mìr [dian] àlli Àktiona vun in dia Rìchtung vum elsassischa Partikularismus gehn, unterstetza“),[13] dem der „Neues Elsaß-Lothringen-Verlag“ nahesteht.[14]
Ernennungen und Auszeichnungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Dr. phil. h. c. (Straßburg 1915)
- Dr. theol. h. c. (Münster)
- Professur (durch Thüringer Landesregierung)
- Ehrenbürger von Weimar (1925)
- Ehrenbürger der Universität Jena (1925)
- Ehrensenator des Deutschen Schriftstellerverbandes
- Ehrenmitglied der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft
Quelle:[15]
Schriften (Auswahl)
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Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Ernst Barthel: Friedrich Lienhard. Die Künstlerseele aus dem deutschen Elsaß. Alsatia, Kolmar 1941
- Paul Bülow: Das Kunstwerk Richard Wagners in der Auffassung Friedrich Lienhards. Greiner und Pfeiffer, Stuttgart 1920
- Hildegard Chatellier: Friedrich Lienhard. In: Uwe Puschner / Walter Schmitz / Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918. München u. a. 1996, S. 114–131.
- Marc Chaudeur: Redecouvrir Friedrich Lienhard (1865–1929). In: Land un Sprooch. Les Cahiers du bilinguisme. Nr. 194 (Juni 2015), S. 22
- Jürgen Dettmann: Friedrich Lienhard (1865–1929). Ein elsässischer Dichter und das geistige Deutschland. „Der Westen“, Gesellschaft der Freunde und Förderer der Erwin von Steinbach-Stiftung, Beiheft 16. Stuttgart 2008. ISSN 0179-6119
- Michael Ertz: Friedrich Lienhard und René Schickele. Elsässische Literaten zwischen Deutschland und Frankreich. Olms, Hildesheim 1990. (= Auslandsdeutsche Literatur der Gegenwart, 23) ISBN 3-487-08319-1
- Paul Gaude: Das Odysseusthema in der neueren deutschen Literatur, besonders bei Hauptmann und Lienhard. Diss. Univ. Greifswald 1916
- Wilhelm Edward Gierke (Hrsg.): Friedrich Lienhard und wir. Dem deutschen Dichter Friedrich Lienhard zum 50. Geburtstage. Greiner und Pfeiffer, Stuttgart 1915
- Elke Kimmel: Lienhard, Friedrich. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 2/2: Personen L–Z. De Gruyter Saur, Berlin 2009, ISBN 978-3-598-24072-0, S. 483
- Karl König: Friedrich Lienhards Weg vom Grenzland zum Hochland. Beyer, Langensalza 1929. (= Friedrich Manns pädagogisches Magazin, 1259)
- Helmut Langenbucher: Friedrich Lienhard und sein Anteil am Kampf um die deutsche Erneuerung. Rauhes Haus, Hamburg 1935
- Thomas Neumann: „… der die idealen Triebe Ihrer Vorschläge vollauf zu würdigen weiß.“ Friedrich Lienhard und die Goethe-Gesellschaft. In: Jürgen John: Weimar 1930. Politik und Kultur im Vorfeld der NS-Diktatur. 1998, S. 185–210.
- Thomas Neumann: Lienhard, Friedrich. In: Christoph König (Hrsg.) unter Mitarbeit von Birgit Wägenbaur u. a.: Internationales Germanistenlexikon 1800–1950. Band 2: H–Q. De Gruyter, Berlin/New York 2003, ISBN 3-11-015485-4, S. 1091–1092 (neueste Bio-Bibliographische Information zu FL).
- Uwe Puschner, Antisemitism and German Voelkish Ideology, in: Hubert Cancik / Uwe Puschner: Antisemitismus, Paganismus, Völkische Religion, München 2004, S. 55–64
- Justus Strackwitz: Friedrich Lienhard (1865–1929): „Oberlin“, Buchbesprechung, in: Die Rundschau. Zeitschrift für Freunde der Kultur und Geschichte (Erfurt) 34 (4/2009), S. 20–23, 25
- Justus Strackwitz: Friedrich Lienhard (1865–1929): „Westmark“, Buchbesprechung, in: Die Rundschau. Zeitschrift für Freunde der Kultur und Geschichte (Erfurt) 38 (4/2010), S. 20–22
- Adalbert Wichert: Lienhard, Friedrich. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 14, Duncker & Humblot, Berlin 1985, ISBN 3-428-00195-8, S. 530–532 (Digitalisat).
- Sascha Grosser (Hrsg.): Klassiker neu aufgelegt: Friedrich Lienhard – Der Dorfschmied, Lyrikmanufaktur, Olfen 2019, ISBN 978-3-7485-1805-1
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Friedrich Lienhard im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Friedrich Lienhard in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Werke von Friedrich Lienhard im Projekt Gutenberg-DE
- Sekundärliteratur zu Friedrich Lienhard ( vom 6. März 2016 im Internet Archive)
- Bild von Lienhard
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Hildegard Chatellier: Friedrich Lienhard, in: Uwe Puschner / Walter Schmitz / Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918, München u. a. 1996, S. 114–131, hier S. 121.
- ↑ Margot Goeller: Hüter der Kultur. Bildungsbürgerlichkeit in den Kulturzeitschriften „Deutsche Rundschau“ und „Neue Rundschau“ (1890–1914), Frankfurt am Main u. a. 2011, S. 118.
- ↑ Hildegard Chatellier: Friedrich Lienhard, in: Uwe Puschner / Walter Schmitz / Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918, München u. a. 1996, S. 114–131, hier S. 127f.
- ↑ Kay Dohnke: Völkische Literatur und Heimatliteratur, in: Uwe Puschner / Walter Schmitz / Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918, München u. a. 1996, S. 651–684, hier S. 667; Werner Bergmann: Völkischer Antisemitismus, ebd. S. 449–463, hier S. 456.
- ↑ Kay Dohnke: Völkische Literatur und Heimatliteratur, in: Uwe Puschner / Walter Schmitz / Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918, München u. a. 1996, S. 651–684, hier S. 664.
- ↑ Andreas Schumann: Völkische Tendenzen in Germanistik und Philologie, in: Uwe Puschner / Walter Schmitz / Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918, München u. a. 1996, S. 859–873, hier S. 864.
- ↑ Otto Neuendorff (Hrsg.), Anne-Katrin Ziesak (Bearb.): Repertorium der Briefe aus dem Archiv Walter de Gruyter, Berlin/New York 1999, S. 146; zu Kannengießer vgl. auch: Paul Kannengießer, Aus dem Elsaß, in: Die Grenzboten, 59 (1900), Erstes Vierteljahr, S. 591–600, siehe: [1].
- ↑ Christiane Reuter-Boysen: Karl May, in: Uwe Puschner / Walter Schmitz / Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918, München u. a. 1996, S. 699–709, hier S. 704.
- ↑ Gitta Günther: Ehrenbürger der Stadt Weimar, Weimar 2011, S. 134.
- ↑ Jürgen Dettmann: Friedrich Lienhard (1865–1929), Stuttgart 2008, S. 25, 32–34.
- ↑ Hildegard Chatellier: Friedrich Lienhard, in: Uwe Puschner / Walter Schmitz / Justus H. Ulbricht (Hrsg.), Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918, München u. a. 1996, S. 114–131, hier S. 128f.
- ↑ Jörg Fligge: „Schöne Lübecker Theaterwelt“. Das Stadttheater in den Jahren der NS-Diktatur. Schmidt-Römhild, Lübeck 2018, ISBN 978-3-7950-5244-7, S. 258–262, 570. – Teil 1 der Wartburg-Trilogie: Heinrich von Ofterdingen. Dramatische Dichtung in fünf Aufzügen (1903), Teil 2: Die heilige Elisabeth. Trauerspiel in fünf Aufzügen(1904).
- ↑ [2].
- ↑ Siehe Friedrich Lienhard, Westmark. Roman aus dem Elsaß, Nachdruck 2001.
- ↑ Gitta Günther: Ehrenbürger der Stadt Weimar. Weimarer Verlagsgesellschaft, Weimar 2011, S. 133.
- ↑ Einige Auflagen tragen den Druckvermerk: „Dieses Werk wurde im Herbst 1916, nach einem Aufenthalt im oberen Elsaß, zunächst als dramatische Skizze entworfen; dann in Romanform umgewandelt und um Weihnachten 1918 vollendet“
Personendaten | |
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NAME | Lienhard, Friedrich |
KURZBESCHREIBUNG | Schriftsteller |
GEBURTSDATUM | 4. Oktober 1865 |
GEBURTSORT | Rothbach |
STERBEDATUM | 30. April 1929 |
STERBEORT | Eisenach |
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