Fulbert (Kanoniker)

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Fulbert (* um 1060; † 23. Dezember 1142) war Subdiakon an der Kathedrale Notre-Dame von Paris von 1104 bis nach 1124. Bekannter als durch dieses Amt wurde Fulbert als Onkel und Vormund Heloisas und als der Mann, der deren Geliebten, den Philosophen und Theologen Peter Abaelard, entmannen ließ und damit zum Subjekt unzähliger Veröffentlichungen späterer Zeit wurde.

Um 1060 in der Loire-Region, aus einer Adelsfamilie des Anjou geboren, ist Fulbert wahrscheinlich ein Halbbruder der Hersendis von Champagne, der ersten Priorin von Fontevraud.[1] Er verbringt seine Jugend in kirchlichem Umfeld und verdient sich erste Meriten, vermutlich als Puer oder Jungkanoniker am Dom von Orléans.[2]

Dadurch, aber auch durch seine spätere Beziehung zu Abt Odo von Marmoutiers und die relative Spezifität seines Namens,[3] ist jedenfalls Fulberts frühe Anwesenheit in einem geographischen Dreieck, das man in etwa zwischen den Städten Vendôme, Angers und Orléans ziehen kann, ausreichend belegt.

Noch vor 1075 bekommt der junge Fulbert von einem Kaplan aus der Kapelle König Heinrichs I. namens Guescelin eine wertvolle Reliquie geschenkt, die dieser aus der Königskapelle von Orléans vor 1060 entwendet hat, nämlich einen Knochen des Heiligen Ebrulf. Sehr wahrscheinlich findet diese Übergabe in Orléans, nicht in Paris statt.[4]

Fulberts Aufnahme ins Domkapitel von Paris erfolgt deutlich später, aber noch vor 1102, unter der Protektion Bischof Wilhelms von Montfort. Wilhelm ist der Bruder der Königin Bertrada von Montfort, zu der Fulberts Familie Verbindungen hat.[5]

Paris, Plan de Bâle, 1552, Saint-Christophe und Fulberts Haus sind rot markiert, rechts daneben das Armenhospital

Seine Bestallung als Subdiakon von Notre-Dame erfolgt an der Hospitalkirche Saint-Christophe, die im Eigenbesitz Wilhelms von Montfort ist, und über 2 der insgesamt 11 Subdiakonate des Doms verfügt.[6] Die Priester von Saint-Christophe sind für die geistliche Betreuung der Insassen des Hospitale pauperum von Paris zuständig. Beide Institutionen liegen in der belebten Cité, im Westen des Doms. Fulberts Haus steht unmittelbar daneben, dicht bei Saint-Christophe, etwa zwischen dem Dom und dem Petit Pont gelegen.[7] Abaelard bestätigt in seiner Historia Calamitatum genau diese Lage.

Die sich an den frühen Tod Wilhelms von Montfort anschließenden Querelen um die Besetzung des Bischofsstuhls von Paris übersteht Fulbert schadlos. Er schafft den Wechsel von der Königsfraktion hin zur kirchlichen Reformbewegung; nach 1107 ist er in den Akten des Doms als Subdiakon mehrfach erwähnt, ein weiterer Karrieresprung findet in den Folgejahren aber nicht mehr statt.

Fulbert ertappt Heloisa und Abaelard, Ölgemälde von Jean Vignaud, 1819

Um 1117 nimmt Fulbert Peter Abaelard, der inzwischen den unmittelbar benachbarten Dialektik-Lehrstuhl Wilhelms von Champeaux innehält, als Hauslehrer für seine Nichte und sein Mündel Heloisa in sein Haus auf. Heloisa ist bis dahin im Nonnenkloster Argenteuil aufgezogen worden, nun aber, da sie erwachsen ist, in das Haus ihres Onkels gewechselt. Als das Liebesverhältnis der beiden publik wird, trennt Fulbert das Paar und übt wenig später grausame Rache an Abaelard: Er lässt ihn entmannen. Ein bischöfliches Untersuchungsgericht geht wohl von einer Schuld Fulberts aus und entzieht ihm auf Zeit einen Teil seiner Pfründe[8], enthebt ihn aber nicht des Amtes als Subdiakon.[9]

Von Fulko von Deuil erfährt man, dass Fulbert dem Adel entstammt, Abaelard schildert sein Wesen: Fulbert ist ehrgeizig und geschäftstüchtig, geizig und habgierig, jähzornig und rachsüchtig, legt bei Bedarf auch kriminelle Energie an den Tag.[10]

In dieser Zeit gibt Fulbert, um Vorwürfen wegen Reliquienhehlerei zu entgehen, die oben genannte Ebrulf-Reliquie zurück an das Kloster Saint-Evroult in der Normandie.[11]

Diese Affären beeinträchtigten Fulberts Kirchenkarriere nicht wesentlich. Bis 1124 zeichnet er nachweislich als einer von 11 Subdiakonen am Dom von Paris Urkunden und führt auch gegen Ende seiner Laufbahn noch wichtige Verhandlungen (z. B. mit Abt Odo von Marmoutiers).

Einige Indizien sprechen dafür, dass Fulbert sehr alt wird und gegen Ende seines Lebens in das Regularkanonikerstift von Saint-Victor eintritt.[12]

Fulbert verstirbt wohl zur selben Zeit wie Abaelard, um 1142, auf jeden Fall an einem 23. Dezember.[13]

Heloisa scheint sich in ihrem späteren Leben nicht ganz von Fulbert abgewandt zu haben. Sie kommemoriert seinen Tod im Totenbuch des Paraklet und sucht seinen letzten Aufenthaltsort Saint-Victor auf, um dabei auch Gedenktermine für den verstorbenen Abaelard und die Toten des Paraklet auszuhandeln.[14]

„Maison de Fulbert“, Quai aux fleurs, Paris
La Crypte archéologique du Parvis Notre-Dame

Das Haus am Quai aux Fleurs in Paris, das den Touristen als Maison de Fulbert präsentiert wird, hat mit der Lebensgeschichte Heloisas und Fulberts nichts zu tun, sondern ist das Produkt einer romantischen Legende. Dagegen kommt man Fulbert und Heloisa archäologisch nahe, wenn man das heutige Stadtmuseum La Crypte Archéologique du Parvis Notre-Dame aufsucht. In dessen Nordostecke findet man die mittelalterlichen Kellerstockwerke von Häusern, unter denen dasjenige von Fulbert gewesen sein könnte.

  • Robert-Henri Bautier: Paris au temps d’Abélard. In: Jean Jolivet (Hrsg.): Abélard en son temps. Actes du Colloque, Paris 1981. Éditions Belles Lettres, Paris 1981, ISBN 2-251-34302-4.
  • Werner Robl: Hersindis Mater. Neues zur Familiengeschichte Heloisas mit Ausblicken auf die Familiengeschichte Peters Abaelard. In: Ursula Niggli: Abaelard. Werk, Leben, Wirkung. Herder, Freiburg/B. 2003, S. 25 und 90, ISBN 3-451-28172-4 (Forschungen zur europäischen Geistesgeschichte; 4).
  • Werner Robl: Heloisas Herkunft. Hersindis Mater. Olzog Verlag, München 2001, ISBN 3-7892-8070-4.
  • Werner Robl: Peter Abaelard in Paris. Untersuchungen zur Topographie von Paris und zur Alltagsgeschichte des Frühscholastikers zwischen 1100 und 1140. (Memento vom 3. September 2007 im Internet Archive)
  • Peter Abaelard: Historia Calamitatum. In: Eric Hicks (Hrsg.): La vie et les epistres Pierres Abaelart et Heloys sa femme, traduction du XIIIe siècle avec une nouvelle édition des textes latins d’après le ms. Troyes Bibl. mun. 802. Champion, Paris 1991, ISBN 2-05-101173-7.
  • Ordericus Vitalis: Historia ecclesiae II, Buch VI. In: Jacques Paul Migne: Patrologia Latina. Bd. 188, Brepols, Turnhout 2000, Sp. 496 (Nachdr. d. Ausg. Paris 1897).
  • Benjamin Guérard: Cartulaire de l’église Notre Dame de Paris (= Collection de documents inédits sur l’histoire de France, Bd. 1). Crapelet, Paris 1850.
Commons: Fulbert – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  1. Vgl. W. Robl: Heloisas Herkunft, S. 187ff.; W. Robl: Familiengeschichte, S. 60.
  2. Wohl unter Protektion des Bischofs; zwischen 1033 und 1067 hatten Mitglieder des Hauses Champagne das Episkopat inne, jeweils simonistisch erworben. Vgl. GC VII, Ecclesia Aurelianensis, Sp. 1434ff. Genauere Aussagen über diese Zeit können wegen der Befundarmut allerdings getroffen werden.
  3. Der Name Fulbert ist nach dem Tod des verehrten Bischofs Fulbert von Chartres († 1029) vor allem im Vendômois, welches dieser in Lehensbesitz hatte, sehr in Mode gekommen, dagegen in Paris eine Rarität geblieben. Vgl. W. Robl: Heloisas Herkunft, S. 57f.
  4. Vgl. O. Vitalis: Hist. eccl. II, l. VI, in: PL 188, Sp. 496. Die Reliquie wurde wahrscheinlich bei ihrem Wechsel von der Kirche Saint-Maimbode in Angers nach Orléans entwendet, d. h. zu einem Zeitpunkt, als sie nicht in einem Reliquienschrein geborgen war. C. Mews' Argument, es könnte sich bei dem besagten Kaplan um Stephan von Garlande, den späteren Abaelard-Unterstützer, gehandelt haben, ist insofern zweifelhaft, als 1. Stephan den Kaplans-Titel nur als Ehrenamt (unter zahlreichen anderen) verliehen hatte und ein aktiver Altardienst unwahrscheinlich ist, 2. zu seiner Zeit der Reliquienschatz wohl nicht geöffnet worden ist, 3. auch nicht sehr wahrscheinlich ist, dass eine hochgestellte Persönlichkeit wie er sich aktiv als Dieb betätigt hätte. Außerdem sagt die besagte Textstelle bei O. Vitalis, dass 1. die Transaktion „olim“, d. h. „vor langer Zeit“, stattgefunden habe, 2. der Diebstahl aus der Kapelle Heinrichs I. stattgefunden habe. Es gab in Orléans nur eine einzige Königskapelle und die Erwähnung des Könignamens hätte zu Stephans Zeit keinen rechten Sinn mehr ergeben.
  5. Fulberts Installation erfolgt zunächst als einfacher Kanoniker, nach 2 Urkunden von 1099 und 1102, die Fulbert erwähnen. Vgl. W. Robl: Familiengeschichte, S. 62.
  6. Das Subdiakonat war ein Altardienst, welcher i. d. Regel paarweise versehen wurde. 9 der 11 Subdiakonate von Notre-Dame waren deshalb auf zum Dom gehörige, externe Titularkirchen verlagert. Vgl. W. Robl: Peter Abaelard in Paris, S. 45.
  7. Den 52 Pfründnern des Doms standen damals nur 37 Kanonikeranwesen innerhalb des Cloître, d. h. des Domherrenhofs nördlich des Doms, zur Verfügung, 15 von ihnen residierten deshalb „extra muros“, d. h. in einer Freizone vor den Toren des Doms, darunter auch Fulbert. Vgl. B. Guérard: Cartulaire Notre-Dame, Préface CIX.
  8. Dazu gehörten u. a. auch einträgliche Weinberge bei Ivry an der Seine
  9. Als Kapitelmitglied unterlag Fulbert einer sehr weit gehenden Immunität. Abaelard hätte nach seiner Verstümmelung entsprechend den Regelungen des kanonischen Rechts nicht weniger als 7 Tatzeugen für die Verurteilung Fulberts beibringen müssen, faktisch eine Unmöglichkeit. Vgl. W. Robl: Abaelard in Paris, S. 63f.
  10. Vgl. Fulko von Deuil: Trostbrief an Abaelard, und Peter Abaelard: Historia calamitatum.
  11. Vgl. O. Vitalis: Hist. eccl. II, l. VI, in: PL 188, Sp. 496.
  12. Das neu gegründete Stift Saint-Victor fungierte in dieser Zeit als Altersversorgungsanstalt für reiche Domkanoniker. Vgl. W. Robl: Familiengeschichte, S. 49f.; W. Robl: Heloisas Herkunft, S. 223ff.
  13. Vgl. Obituaire Latin du Paraclet, ed. Boutillier du Retail et Piétresson de Saint-Aubin, in: Recueil des Historiens de la France, Obituaires de la province de Sens, 4, Diocèse de Meaux et de Troyes, 1923, S. 429; Obituaire de la cathédrale Notre-Dame de Paris, in: Obituaires de la Province de Sens, ed. A. Molinier, 1, Diocèses de Sens et de Paris, Paris 1902, S. 210.
  14. Vgl. W. Robl: Heloisas Herkunft, S. 228f.