Gilles Perrault

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Gilles Perrault (2015)

Gilles Perrault (eigentlich Jacques Peyroles; * 9. März 1931 in Paris; † 3. August 2023 in Sainte-Marie-du-Mont)[1] war ein französischer Journalist, Romancier und Drehbuchautor.

Gilles Perrault besuchte das Institut d’études politiques de Paris. Er wurde Rechtsanwalt und übte diesen Beruf zunächst fünf Jahre aus.

Nach dem Erfolg seines Essays Les Parachutistes („Die Fallschirmjäger“), der von seinem Militärdienst in Algerien inspiriert war, wandte er sich dem Journalismus zu. Er schrieb Reportagen über das Indien Nehrus, die Olympischen Spiele in Tokio und das Problem der Schwarzen in den USA.

Danach untersuchte er unbekannte Aspekte des Zweiten Weltkriegs. Le Secret du Jour J (1964) wurde ein internationaler Bestseller. Daraufhin verfasste er nach drei Jahren intensiver Recherche[2] mit L'Orchestre rouge „die erste authentische Veröffentlichung“[3] über die „Rote Kapelle“.

1969 veröffentlichte Perrault den Roman Le Dossier 51. Ein weiteres Werk ist seine Darstellung des Folterregimes von Hassan II., des damaligen Königs von Marokko, über den wegen seiner engen Beziehungen zum Westen vorher nur in schmeichelhafter Weise berichtet worden war. Das Buch Le garçon aux yeux gris diente als Vorlage für André Téchinés Film Les Égarés. Perrault trat seit den frühen 1970er Jahren auch als Drehbuchautor für das Fernsehen und vor allem Film in Erscheinung.

Gilles Perrault war zusammen mit dem Sänger Renaud eines der Gründungsmitglieder der Gruppe ça suffat comme ci, die sich für einen Schuldenerlass für die Länder der Dritten Welt einsetzte und 1989 den Aufruf Bastille verfasste. Er war Mitglied des Komitees Coordination française pour la Décennie zur Förderung der Gewaltfreiheit und der Friedenskultur. Er hatte gleichermaßen Anteil an der Gründung von Ras l’front, einem linken Bündnis zum Kampf gegen den rechtsextremen Front National.[4]

Gilles Perrault starb am 3. August 2023 im Alter von 92 Jahren.

L’Orchestre rouge (1967) erzielte noch größeren Erfolg als Le Secret du Jour J: Es wurde in 20 Sprachen übersetzt,[5] bildete die Grundlage für eine 1968 im Spiegel veröffentlichte Artikelserie[6][7] und war eines der Fundamente von Stefan Roloffs Dokumentarfilm Die Rote Kapelle (2003).[8] Später wurde Perraults historische Rekonstruktion durch jüngere Forschung in mehreren Punkten revidiert. Insbesondere hatte er die Rote Kapelle als einen von der Sowjetunion koordinierten Agentenring dargestellt, wofür er sich bei seinen Recherchen auf Gestapo-[9] und französische Polizeidokumente[10] sowie die Zeitzeugenberichte mehrerer Nationalsozialisten[11] und nach eigener Auskunft auch auf das Zeugnis des Widerstandskämpfers Leopold Trepper[10][12] stützte. Nach Öffnung der Moskauer Archive jedoch zeigte sich, dass es sich bei der vermeintlichen Agentengruppe vielmehr um eine lose Verbindung unabhängiger Widerstandsgruppen gehandelt hatte, die nicht zentral von der Sowjetunion gesteuert worden waren.[13] Die erweiterte[10] Neuauflage von 1989 (deutsch: 1990) beurteilt zum Beispiel Klaus Bittermann wieder als „selten[en ...] Glückstreffer“ und als „großartiges Buch über Romantiker und Kosmopoliten, denen kein Dank des Vaterlandes zuteil wurde“.[14]

Im August 1978 veröffentlichte Perrault das Buch Le Pull-over rouge (Der rote Pullover). Es war ein langer Essay in zum Teil romanhafter Darstellung, in dem er den Fall des zwei Jahre zuvor hingerichteten Christian Ranucci aufgriff. Ranucci war die Ermordung eines 8-jährigen Mädchens vorgeworfen worden und war die drittletzte Person in Frankreich, die durch ein gerichtliches und vom Staatspräsidenten bestätigtes Todesurteil ums Leben kam. Die von Perrault angezweifelte Korrektheit des Urteils führte in späteren Jahren zu heftigen Kontroversen über seine Darstellung des Falles[15][16] und zu zwei Verurteilungen wegen Diffamierung der Polizei.[17] Kommerziell wurde Le Pull-over rouge mit einer Gesamtauflage von über einer Million verkaufter Exemplare der Original- und der verschiedenen Neuausgaben[17] erneut ein großer Erfolg. In den ersten Nachrufen nach Perraults Tod im August 2023 wurde Le Pull-over rouge meist im Zusammenhang mit seinem Eintreten gegen die Todesstrafe genannt, die in Frankreich erst 1981, drei Jahre nach Erscheinen des Buches, abgeschafft wurde.[17][18][19] Die Präsidentin der Assemblée nationale, Yaël Braun-Pivet, fand für das Buch auf X diese Worte: „Wenn ich den Beruf der Anwältin gewählt habe, dann zum Teil dank des Pull-over rouge von Gilles Perrault.“[20]

Zwei Monate nach Perraults Tod widmete die Französische Liga für Menschenrechte ihm eine Hommage-Veranstaltung im Rathaus des 14. Arrondissements von Paris, an der u. a. Henri Leclerc, Régis Debray und Bachir Ben Barka (Sohn des 1965 in Frankreich ermordeten Mehdi Ben Barka) teilnahmen.[21]

Mehrere Werke Perraults wurden auch ins Deutsche übersetzt; noch weitere Bücher dienten ebenfalls als Vorlagen für Verfilmungen.

  • Le Dossier 51, 1969.
    • deutsch: „Dossier 51“. Verlag Gerhard Stalling, Oldenburg 1970.
    • deutsch: Geheimakte 51. Aus dem Französischen von Hannes W. A. Schoeller, bearbeitet von Gerhard Leo. Edition q, Berlin 1994. ISBN 978-3-86124-197-3.
  • Auf den Spuren der Roten Kapelle. Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg 1968 (französisch: L’orchestre rouge.).
  • Le Pull-over rouge, 1978.
  • Notre ami le roi, 1991.
    • deutsch: Unser Freund der König von Marokko – Abgründe einer modernen Despotie. Aus dem Französischen von Kristina Hering. Kiepenheuer, Leipzig/Weimar 1992. ISBN 3-378-00506-8.
  • Le dérapage, 1987.
    • deutsch: Doppelmord in der Avenue Victor Hugo. Aus dem Französischen von Gerhard Leo. Edition q, Berlin 1993. ISBN 978-3-86124-234-5.
  • Les jardins de l’observatoire. 1995.
    • deutsch: Die Gärten des Observatoriums – Meine Erinnerungen an die Zeit der Résistance. Aus dem Französischen und mit Nachwort von Gerhard Leo. Edition q, Berlin 1996. ISBN 978-3-86124-310-6.
  • Checkpoint Charlie. Fayard, Paris 2008.

Drehbuch

Literarische Vorlage

  • 1960: Die Sahara brennt (La Sahara brûle)
  • 1966: Die Haut des Anderen (Avec la peau des autres)
  • 1979: Der rote Pullover (Le pull-over rouge)
  • 1993: Der Anwalt (Un crime) – nach dem Roman Le Derapage
  • 2003: Die Flüchtigen (Les Égarés) – nach dem Roman Le garçon aux yeux gris

Einzelnachweise

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  1. Le Figaro avec AFP: Gilles Perrault, auteur du Pull-over rouge, est mort à l’âge de 92 ans. In: lefigaro.fr. 3. August 2023, abgerufen am 16. März 2024 (französisch).
  2. Klaus Bittermann: Die unverwendbaren Verräter. In: taz. 12. Januar 1991, abgerufen am 7. Dezember 2024.
  3. Datum: 20. Mai 1968 Rote Kapelle. In: Der Spiegel. 19. Mai 1968, abgerufen am 7. Dezember 2024.
  4. Mort de l’écrivain Gilles Perrault, auteur du « Pull-over rouge ». In: leparisien.fr. Le Parisien, 3. August 2023, abgerufen am 4. August 2023 (französisch).
  5. Hans Coppi: Der Umgang mit Ilse Stöbe in Ost und West. In: Ders. / Sabine Kebir (Hrsg.): Ilse Stöbe: Wieder im Amt. Eine Widerstandskämpferin in der Wilhelmstraße. Mit einem Vorwort von Johanna Bussemer und Wolfgang Gehrcke. VSA: Verlag Hamburg, Hamburg 2013, ISBN 978-3-89965-569-8, S. 113 (rosalux.de [PDF]).
  6. Serialisiert in Nr. 21–30, 21. Mai bis 22. Juli 1968:
    Kennwort: Direktor. In: Der Spiegel. Nr. 21, 1968 (online – Begleitartikel zur Serie).
    I. Gilles Perrault: ptx ruft moskau – Die Geschichte des sowjetischen Spionageringes „Rote Kapelle“. In: Der Spiegel. Nr. 21, 1968 (online).
    II. Gilles Perrault: Das Agenten-Netz in Belgien. In: Der Spiegel. Nr. 22, 1968 (online).
    III. Gilles Perrault: Das Agenten-Netz in Frankreich. In: Der Spiegel. Nr. 23, 1968 (online).
    IV. Heinz Höhne: Gegenschlag der deutschen Abwehr. In: Der Spiegel. Nr. 24, 1968 (online).
    V. Heinz Höhne: Die Gruppe Schulze-Boysen/Harnack. In: Der Spiegel. Nr. 25, 1968 (online).
    VI. Heinz Höhne: Zwischen Widerstand und Landesverrat. In: Der Spiegel. Nr. 26, 1968 (online).
    VII. Heinz Höhne: Die Verhaftungsaktion der Gestapo. In: Der Spiegel. Nr. 27, 1968 (online).
    VIII. Heinz Höhne: Das Ende der Gruppe Schulze-Boysen/Harnack. In: Der Spiegel. Nr. 28, 1968 (online).
    IX. Gilles Perrault: Die Jagd auf den Grand Chef. In: Der Spiegel. Nr. 29, 1968 (online).
    X. Gilles Perrault: Das deutsche Funkspiel mit Moskau. In: Der Spiegel. Nr. 30, 1968 (online).
  7. Zur Serie vergleiche Sabine Kebir: Verwischte Spuren der Widerstandskämpferin Ilse Stöbe. In: Dies. / Hans Coppi (Hrsg.): Ilse Stöbe: Wieder im Amt. Eine Widerstandskämpferin in der Wilhelmstraße. Mit einem Vorwort von Johanna Bussemer und Wolfgang Gehrcke. VSA: Verlag Hamburg, Hamburg 2013, ISBN 978-3-89965-569-8, S. 173–175 (rosalux.de [PDF]).
  8. Sebastian Heiduschke: DEFA's Antifascist Myth Revisited. KLK an PTX -- Die Rote Kapelle [KLK calling PTX -- The Red Orchestra, 1971]. In: Ders. / Seán Allan (Hrsg.): Re-Imagining DEFA. East German Cinema and Its National and Transnational Contexts. Berghahn, New York / Oxford 2016, ISBN 978-1-78533-107-7, S. 303.
  9. Sebastian Heiduschke: DEFA's Antifascist Myth Revisited. KLK an PTX -- Die Rote Kapelle [KLK calling PTX -- The Red Orchestra, 1971]. In: Ders. / Seán Allan (Hrsg.): Re-Imagining DEFA. East German Cinema and Its National and Transnational Contexts. Berghahn, New York / Oxford 2016, ISBN 978-1-78533-107-7, S. 298 f.
  10. a b c Gilles Perrault: L'Orchestre rouge. Nouvelle édition revue et augmentée. Fayard, Paris 1989, S. 537 (archive.org).
  11. Gerhard Sälter: Phantome des Kalten Krieges. Die Organisation Gehlen und die Wiederbelebung des Gestapo-Feindbildes „Rote Kapelle“. Ch. Links Verlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-86153-921-6, S. 35.
  12. Zu Treppers Selbstdarstellung siehe Leopold Trepper: The Great Game. The Story of the Red Orchestra. Michael Joseph, London 1977, ISBN 978-0-7181-1533-3, S. 83 f. (archive.org).
  13. Gerhard Sälter: Phantome des Kalten Krieges. Die Organisation Gehlen und die Wiederbelebung des Gestapo-Feindbildes „Rote Kapelle“. Ch. Links Verlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-86153-921-6, S. 106–121.
  14. Klaus Bittermann: Die Unverwendbaren Verräter. Gilles Perraults Spionagestudie über die „Rote Kapelle“. In: taz. 12. Januar 1991, abgerufen am 9. Dezember 2024.
  15. Z. B. in dem Buch Autopsie d'une imposture: L'affaire Ranucci – Toute la vérité sur le pull-over rouge (Éditions Pascal Petiot, 2006) von Gérard Bouladou.
  16. Z.B. von dem ehemaligen Kommissar Jean-Louis Vincent; siehe: Pierrick Baudais: Affaire du pull-over rouge : « Je suis convaincu que Ranucci était coupable ». In: ouest-france.fr. 18. April 2018, abgerufen am 15. Dezember 2024 (französisch).
  17. a b c French novelist Gilles Perrault, author of "Le Pull-Over Rouge", dies at 92. In: france24.com. 4. August 2023, abgerufen am 15. Dezember 2024 (englisch).
  18. L’auteur du "Pull-over rouge" Gilles Perrault est mort à 92 ans. In: radiofrance.fr. 4. August 2023, abgerufen am 15. Dezember 2024 (französisch): „Gilles Perrault avait contribué avec son enquête sur l’affaire Ranucci à relancer en 1978 le débat sur la peine de mort. (Gilles Perrault trug mit seiner Untersuchung der Ranucci-Affäre dazu bei, die Debatte über die Todesstrafe im Jahr 1978 neu zu entfachen.)“
  19. Mort de Gilles Perrault: du combat contre la peine de mort à l’engagement contre le FN, «un raconteur engagé». In: liberation.fr. 4. August 2023, abgerufen am 15. Dezember 2024 (französisch): „Avocat devenu journaliste puis écrivain, il avait publié un livre-enquête sur Christian Ranucci, guillotiné en 1976 pour le meurtre d’une petite fille. (Erst Anwalt, dann Journalist, schließlich Schriftsteller, veröffentlichte er ein Ermittlungsbuch über Christian Ranucci, der 1976 wegen Mordes an einem kleinen Mädchen guillotiniert wurde.)“
  20. Hier zitiert nach: L'écrivain Gilles Perrault, auteur du "Pull-over rouge", est mort à l'âge de 92 ans. In: bfmtv.com. 4. August 2023, abgerufen am 15. Dezember 2024 (französisch): „Si je devins avocate, c'est en partie grâce au 'Pull-over rouge'“
  21. Ligue des droits de l’Homme: Hommage à Gilles Perrault (1931-2023) am 24. Oktober 2023 in der Mairie des 14. Arrondissements, abgerufen am 15. Dezember 2024 (französisch).
  22. Gilles Perrault bei academie-cinema.org (abgerufen am 10. Dezember 2024; französisch).