Graphitmoderierter Kernreaktor
Ein graphitmoderierter Kernreaktor ist ein Kernreaktor, bei dem Graphit als Moderator eingesetzt wird. Die Wärmeabfuhr kann entweder durch Gas oder durch Wasser erfolgen. Nullleistungsreaktoren mit Graphitmoderation kommen ohne Kühlung aus bzw. werden lediglich durch die Umgebungsluft gekühlt.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der erste graphitmoderierte Reaktor Chicago Pile 1 wurde von Enrico Fermi erbaut. Beim deutschen Atomwaffenprojekt während des Zweiten Weltkriegs wurde aufgrund der Kontamination des erhältlichen Graphits mit geringen Mengen an Bor und Cadmium (welche beide starke Neutronengifte sind) die Eignung von Graphit als Moderator nicht erkannt, weswegen auf die schwierigere Route eines Schwerwasserreaktors gesetzt wurde, was – unter anderem aufgrund nicht ausreichend verfügbarem schweren Wasser – bis zum Ende des Krieges verhinderte, dass die Nationalsozialisten einen Reaktor bauen konnten, der Kritikalität erreichen konnte. Sind weder schweres Wasser noch angereichertes Uran verfügbar, ist nur unter Verwendung von Graphit als Moderator der Betrieb eines Kernreaktors möglich. Der sowjetische RBMK wurde als – vermeintlich – schnell zu bauender und billig zu betreibender Reaktor darauf ausgelegt, ohne schweres Wasser oder Urananreicherung betreibbar zu sein und dabei waffenfähiges Plutonium (für das sowjetische Atombombenprogramm) und große Mengen elektrischer Energie zu produzieren. Dabei wurden auf Kosten der Sicherheit Kompromisse eingegangen, welche weiter unten angerissen werden.
Da die neutronenphysikalischen Eigenschaften verschiedener Modifikationen des Kohlenstoffs sehr ähnlich zueinander sind, wäre es prinzipiell auch möglich, einen Kernreaktor mit Graphen, Kohlenstoffnanoröhren, Diamant o. ä. zu moderieren. Aufgrund der hohen Kosten dieser Materialien, sind derartige Reaktoren jedoch nie konstruiert worden. Die hohe Wärmeleitfähigkeit von Diamant macht diese Option aber theoretisch für einige Anwendungen interessant, sobald Labordiamanten hinreichend billig hergestellt werden können.
Vor- und Nachteile
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Graphitmoderierte Reaktoren können so gebaut werden, dass ein Betrieb mit Natururan möglich ist. Ein Nachteil eines graphitmoderierten Reaktors ist, dass Graphit brennbar ist. Die Brennbarkeit des Moderators Graphit hatte auch Auswirkungen bei der Katastrophe von Tschernobyl. Graphitmoderierte Reaktoren mit Wasserkühlung wie der RBMK besitzen einen positiven Dampfblasenkoeffizienten. Das bedeutet, dass bei Entstehung von Dampfblasen im Kühlwasser die Leistung ansteigt. Aus diesem Grund kann sich ein Leistungsanstieg selbst verstärken (positive Rückkopplung), was im Störfall zur Katastrophe führen kann. Heliumgekühlte graphitmoderierte Kernreaktoren, wie der Hochtemperaturreaktor, sind wegen des gasförmigen Kühlmittels von diesem Risiko nicht betroffen. Die Verwendung des chemisch inerten Kühlmittels Helium hat weiterhin den Vorteil, dass die Reaktion von Graphit mit Wasser oder Luftsauerstoff unwahrscheinlicher gemacht wird. Da Graphit brennbar ist und – unter anderem durch Neutronenbeschuss – im Betrieb erheblich erhitzt wird, muss Sorge getragen werden, dass das Graphit nicht in Kontakt mit Sauerstoff oder Wasser gerät (heißer Kohlenstoff und Wasser wurden im 19. und frühen 20. Jahrhundert zur Produktion so genannten Wassergases genutzt und erzeugten eine giftige und explosive Mischung aus Wasserstoffgas und Kohlenstoffmonoxid), da es sonst zu einem Graphitbrand kommen kann, welcher Radionuklide mit den Rauchgasen weit verteilen kann. Sowohl beim Windscale-Brand als auch beim Reaktorunglück von Tschernobyl kam es zu Graphitbränden. Allerdings besteht bei Vorhandensein von Wasser (unabhängig ob „normales“ leichtes oder schweres Wasser) die Möglichkeit einer Reaktion vom Schema Metall + Wasser → Metallhydrid + Sauerstoff bzw. Metall + Wasser → Metalloxid + Wasserstoff und einer dadurch entstehenden Knallgasreaktion. Auch kann bei ausreichend hohen Temperaturen, bzw. bei Einwirkung entsprechender ionisierender Strahlung (Radiolyse) Wasser dissoziieren und ebenfalls zündfähiges Knallgas bilden. Sowohl beim Unfall von Fukushima als auch beim Unfall von Tschernobyl kam es zu Knallgasexplosionen.
Beispiele
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Obwohl auch die Kühlung mittels Flüssigmetall (NaK, Blei-Bismut oder gar Quecksilber) verschiedentlich vorgeschlagen wird, wurde bei tatsächlich umgesetzten Projekten im Wesentlichen auf Wasser- oder Gaskühlung gesetzt. Zum Beispiel gibt bzw. gab es folgende Typen:
Wassergekühlt
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Gasgekühlt
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Advanced Gas-cooled Reactor (AGR) (CO2-gekühlt)
- Hochtemperaturreaktor (Heliumgekühlt)
- Magnox-Reaktor (CO2-gekühlt)
- UNGG-Reaktor (CO2-gekühlt)
Eigenschaften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Graphitmoderierte Reaktoren sind typischerweise größer als Leichtwasserreaktoren, da die moderierende Eigenschaft von Graphit weniger ausgeprägt ist als die des Wasserstoffs.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- SCK•CEN: Determination of basic static reactor parameters in the graphite pile venus facility ( vom 24. März 2005 im Internet Archive) (englisch; PDF-Datei; 278 kB)