Grazer Marienleben

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Das Grazer Marienleben (auch Seckauer Marienleben) entstand zwischen 1280 und Anfang des 14. Jahrhunderts im damaligen Augustiner-Chorherrenstift Seckau. Der Autor ist unbekannt. Das Grazer Marienleben ist unikal als Fragment in der Handschrift 781 überliefert. Die Handschrift befindet sich heute in der Universität Graz. Erzählt wird darin von Marias Eltern, der wundersamen Empfängnis Mariä, ihrer Kindheit, der Empfängnis Jesu, Jesu Geburt und ein Gespräch mit theologischer Thematik zwischen Jesus und Maria in Form eines Soliloquiums. Das mittelhochdeutsche Grazer Marienleben wurde im bairischen Dialekt verfasst. Wahrscheinlich diente der Text der erbaulichen Unterweisung der Seckauer Chorfrauen.[1]

Faksimile des Grazer Marienlebens aus der Handschrift 781. Eintragung des mittelhochdeutschen Textes am oberen Blattrand.

Es beginnt mit der Erzählung von Marias Eltern Joachim und Anna, Marias wundersamen Empfängnis, ihrer Geburt und ihrer Kindheit. Ihr vorbildhaftes Leben zuhause und unter den Tempeljungfrauen wird dargestellt. Maria wird als Wunderkind mit besonderen Fähigkeiten und mit besonderer Frömmigkeit und Tugendhaftigkeit gezeichnet. Sie gilt als Vorbild für alle Frauen. Mit dreizehn Jahren verkündete ihr ein Engel, dass sie den Erlöser gebären werde. Daraufhin folgen die sehr verkürzte Weihnachtsgeschichte und wiederum ein Appell an alle Frauen, Maria als Vorbild zu nehmen. Danach kommt der erste Teil des Soliloquiums: Jesus belehrt Maria über seine Gottessohnschaft und Menschwerdung und kündigt ihr das Kommende an: Kreuztod, Descensus, Auferstehung, Himmelfahrt, ihre Assumptio.[2] Im Anschluss wird die Tugend und Frömmigkeit Marias aufs Neue gelobt, und eine neue Annen-Geschichte wird erzählt. Anna hat hier zwei Töchter, eine die Mutter Christi, eine die Mutter von Johannes und Jakob. Danach folgt die Fortsetzung des belehrenden Soliloquiums das plötzlich abbricht.

Vers 916–958 aus der Edition Schönbachs mit Übersetzung

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di süeze sprach ‚daz wort hât mir
mîn herze her wider brâht ein teil,
daz het gewunnen jâmers teil.
o sun, daz wort hât mînen geist
gevreut, getrœstet aller meist,
daz dû solt von dem tôde erstân,
dâ von ich trôst und vreude hân.‘

‚ich wirde verrâten und verkouft,
gehalssleget, bespît, gerouft,
geslagen mit geiseln langen
und an das kriuze erhangen.
von bœsen Juden daz geschiht.
an dem krize man mich sterben siht
und erstên an dem dritten tage,
als geschriben hât der wîssage,‘

‚ich het des lebens mîn verzaget
und hietest dû mir nicht gesaget
von dîner urstende,
ez wære gewesen mîn ende.
doch durch die grôzen marter dîn
sô muoz mîn herze lîden pîn
(der man dir swinde hât gedâcht):
diu hât mich gar von vreuden brâht.‘

‚diu marter mîn, vrouwe guot,
sô sêre niht betüeben tuot,
als dich vreut, süezez muoterlîn,
diu lobelîche urstende mîn.
ich stirbe hie an der menscheit
und erstên in lobelîcher heit,
got und mensche untœtlich gar
und mit mir manc lobîchiu schar.‘

‚sol aber ich, süezer sun mîn,
dich nâch der bittern mater dîn
gesehen und sol, lieber sun, mir
dehein trôst geschehen von dir?‘
‚so mîn urstende geschiht,
sô erschîne ich dir, des lâze ich niht,
und vertilge dîn trûren sô,
daz dû wirst mit samt mir vrô.‘

‚wa belîbst dû, süezer sun mîn,
nâch der urstende dîn?
und waz wirst dû tuont dar nâch?‘
gar süezeclîche er zuo ir sprach….

Die Liebe sprach „Das Wort hat mir
einen Teil meines Herzens wiedergebracht,
der von Trauer erfüllt war.
Oh Sohn, das Wort hat meinen Geist
erfreut, vor allem getröstet,
dass du von dem Tode auferstehen sollst,
davon habe ich Trost und Freude.“

„Ich werde verraten und verkauft,
geschlagen, angespien, angeschrien,
geschlagen mit langen Geißeln
und an das Kreuz gehangen.
Das geschieht von bösen Juden.
An dem Kreuz sieht man mich sterben
und auferstehen an dem dritten Tage
wie die Prophezeiung geschrieben hat.“

„Ich wäre an meinem Leben verzagt
hättest du mir nicht von
deiner Auferstehung erzählt,
es wäre mein Ende gewesen.
Doch durch dein großes Martyrium
muss mein Herz Leid ertragen
(dass man dir Gewalt antut)
das hat mich ganz um meine Freude gebracht.“

„Meine Marter soll dich, gute Frau,
nicht so sehr betrüben,
wie dich, liebes Mütterlein,
meine ruhmreiche Auferstehung freut.
Ich sterbe hier für die Menschheit
und werde ruhmreich auferstehen,
Gott und Mensch gar unsterblich
und mit mir manch löbliche Schar.“

„Soll aber ich, mein süßer Sohn,
dich nach deiner bitteren Marter
sehen und soll, lieber Sohn mir
ein Trost geschehen von dir?“
„Wenn meine Auferstehung geschehen ist,
so erscheine ich dir, das unterlasse ich nicht,
und vertilge so deine Trauer,
dass du mit mir froh wirst.“

„Was willst du, mein lieber Sohn,
nach der Auferstehung tun?
Und was willst du nachher tun?“
Gar lieblich sprach er zu ihr….[3]

Quellen und Einflüsse

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Im 13. Jahrhundert erstarkte die Marienverehrung neu. Dies spiegelt sich auch in der Literatur wider. z. B. in den Marienlegenden und in den Darstellungen des Marienlebens in der bildenden Kunst. Diese gehen zumeist auf die gleiche lateinische Vorlage zurück, die um 1200 verfasste Vita beate Marie virginis et Salvatoris metrica. Das Grazer Marienleben bildet dabei eine der frühesten deutschen Gestaltungen.[4] Auch dem Marienleben des Philipp von Seitz liegt der Vita metrica zu Grunde. Doch das Grazer Marienleben folgt der Quelle genauer. Dies belegt die Selbstständigkeit des Grazer Marienlebens gegenüber jenem des Bruders Phillip. Im Grazer Marienleben ist auch ein späthöfischer Einfluss erkennbar. Die Personen wirken „höfisiert“. Maria wird bei Tätigkeiten beschrieben, die dem höfischen Kontext zuzuordnen sind (z. B. Sticken, Weben) und hat Bedienstete. Auch die Beschreibung ihres Aussehens entspricht dem höfischen Schönheitsideal. Außerdem liegen dem Text apokryphe Quellen zugrunde.[5]

Das Grazer Marienleben ist als Fragment in 958 Versen in der Handschrift 781 auf den oberen Rändern der Blätter 110 v bis 172 v überliefert. Die Handschrift enthält ein in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts geschriebenes lateinisches Psalterium. Sie ist im damaligen Augustiner Chorherrenstift Seckau entstanden und wird heute in der Sondersammlung der Grazer Universitätsbibliothek aufbewahrt. Die oberen Ränder der Handschrift sind größtenteils beschrieben. Neben dem Grazer Marienleben wurden auf den Blättern 1 r bis 70 v Unser vrouven hinvart (Die Himmelfahrt Mariä) des Konrad von Heimesfurt und auf den Blättern 71 v bis 110 r die Prosalegende Margareta von Antiochien eines ebenfalls unbekannten Autors eingetragen. Die deutschen Einträge in der Handschrift sind dem bairischen Dialekt zuzuordnen.

Edition/Primärtext

  • Anton Schönbach: Grazer Marienleben. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur. 17. 1874. S. 519–560.

Sekundärliteratur

  • Werner Fechter: Grazer Marienleben. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 2., völlig neu bearb. Auflag. Hrsg. von Kurt Ruh [u. a.] Bd. 3. Berlin, New York: de Gruyter 1981, Sp. 229f.
  • Alfred Kracher: Mittelalterliche Literatur und Dichtung in der Steiermark. Landesausstellung 1976. Graz 1976. (Arbeiten aus der Steiermärkischen Landesbibliothek. 15.) S. 9–42.
  • Otto Janda: Abriß der steirischen Dichtung des Mittelalters. In. Arbeiten aus der Steiermärkischen Landesbibliothek am Joanneum Graz. Heft 6. Graz 1943.
  • Alfred Ebenbauer [u. a.]: Die mittelalterliche Literatur in der Steiermark. Akten des Internationalen Symposions Schloß Seggauberg bei Leibnitz 1984. Bern u. a.:1988. (Jahrbuch für Internationale Germanistik. Reihe A. Kongreßberichte. 23.)

Einzelnachweise

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  1. Alfred Kracher: Mittelalterliche Literatur und Dichtung in der Steiermark. Landesausstellung 1976. (Arbeiten aus der Steiermärkischen Landesbibliothek. 15.) S. 17.
  2. Werner Fechter: Grazer Marienleben. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 2., völlig neu bearb. Auflage. Hrsg. von Kurt Ruh [u. a.] Bd. 3. Berlin, New York: de Gruyter 1981, Sp. 229f.
  3. Anton Schönbach: Grazer Marienleben. In: ZfdA 17 (1874), S. 559 f.
  4. Ernst Hellgardt: Seckauer Handschriften als Träger frühmittelhochdeutscher Texte. In: Die mittelalterliche Literatur in der Steiermark. Hrsg. von Alfred Ebenbauer [u.a]. Bern: Lang 1988, S. 104.
  5. Wernfried Hofmeister: Steirische Literatur des Mittelalters. Archiviert vom Original am 29. November 2014; abgerufen am 8. Dezember 2014.