Hängemodell
Hängemodelle sind an Schnüren oder Ketten kopfüber aufgehängte (überwiegend) architektonische Modelle. Mit ihnen können die Tragwerke von Gebäuden geplant werden. Bis zur Einführung von Computermodellen war dies eine verbreitete Methode, um z. B. Membrantragwerke zu modellieren.
Prinzip
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bei der Konstruktion von großen Bauwerken ist es wichtig, dass das Tragwerk nur auf Druck belastet wird. Biegemomente sind zu vermeiden, da Bauwerke aus Stein diese nicht aufnehmen können. Ziel von entsprechenden statischen Planungen ist es somit, ein Modell zu konstruieren, das diesen Anforderungen entspricht.
Das Hängemodell beruht auf dem Prinzip der Umkehrung der Kettenlinie (auch Katenoide genannt). Eine Kettenlinie nimmt eine stabile Form an, wenn nur Zugkräfte wirken, da eine Kette bzw. eine Schnur nicht biegestabil ist. Für ein Hängemodell wird das Tragwerk eines Modells aus Schnüren oder Ketten aufgebaut und kopfüber aufgehängt. Weil die Schnüre biegeschlaff sind, kann in ihnen kein Biegemoment wirken. Die einzigen bei dem kopfüber hängenden Modell wirkenden Kräfte sind Zugkräfte. Das Modell unterscheidet sich vom späteren Bauwerk nur durch den Richtungssinn der Belastung. Die Zugbelastungen werden hier zu Druckbelastungen, aber das Tragwerk des Bauwerkes wird nicht auf Biegung beansprucht. Bei der Umkehrung des Modells werden die zugbeanspruchten Kettenlinien zu druckbeanspruchten Stützlinien.[1][2][3]
Vom statischen Gesichtspunkt ist ein Bogen aus gleich breiten Steinen optimal geformt, wenn er eine Kettenlinie bildet. Entsprechend auf den Kopf gestellte Modelle ergeben eine Kettenlinie, die dann als Entwurf für einen rein druckbeanspruchten Bogen dienen können. Durch das Prinzip des Hängemodells können komplizierte Formen ohne aufwendige Berechnungen mit einem minimalen Materialeinsatz realisiert werden.
Gewölbe, die nach dem Prinzip einer auf den Kopf gestellten Kettenlinie ausgeführt sind, werden auch als katalanisches Gewölbe bezeichnet. Mathematisch können sie durch ein hyperbolisches Paraboloid beschrieben werden (siehe auch Hyperbolische Paraboloidschale).
Geschichtliche Entwicklung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Prinzip ist seit etwa 1700 durch Zeichnungen belegt, geriet aber wieder in Vergessenheit. Erst durch den katalanischen Architekten Antoni Gaudí wurde das Prinzip wiederentdeckt. Unklar ist, ob das Verfahren des Hängemodells zur Planung von gotischen Kathedralen im Mittelalter zum Einsatz kam.
Schriftlich belegt ist, dass der italienische Mathematiker und Ingenieur Giovanni Poleni (1683–1761) Hängemodelle verwendete. Polini wurde 1743 von Papst Benedikt XIV. beauftragt, Schäden an der Kuppel des Petersdomes zu untersuchen. Hierzu baute er einfache Hängemodelle, die aus mit Gewichten belasteten Ketten bestanden. Auch der badische Baumeister Heinrich Hübsch (1795–1863) verwendete Hängemodelle, um die Gewölbe seiner Bauwerke zu planen. Er befestigte Schnüre an auf dem Kopf stehenden Schnittzeichnungen, um diese zu optimieren. Basierend auf diesem Prinzip baute er die Kirche St. Cyriakus in Bulach bei Karlsruhe (1834–1837).
Folgende Baumeister und Architekten wendeten das Prinzip der Hängemodelle an:
- Giovanni Poleni (1683–1761)
- Carl Anton Henschel (1780–1861)
- Heinrich Hübsch (1795–1863)
- Antoni Gaudí (1852–1926)
- Karl Mohrmann (1857–1927)
- Frei Otto (1925–2015) z. B. für die Multihalle Mannheim
Anwendungen durch Antoni Gaudí
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Technik der Hängemodelle ist untrennbar mit dem katalanischen Architekten Antoni Gaudí verbunden. Er belebte diese alte Technik wieder, verfeinerte sie und setzte sie bei der Planung von vielen seiner Bauwerke ein.
Die intensive und wegbereitende Beschäftigung Gaudís mit Problemen der statischen Optimierung führte zur Anwendung eines Hängemodells beim Entwurf für die Kirche der Colonia Güell.[4] Gaudi begann mit seinen Entwürfen für die Kirche der Colònia Güell ab 1898. Erst 1908 entstand ein Hängemodell in Maßstab 1:10 und im Gewichtsmaßtab 1:10.000. Das Hängemodell bestand aus Fäden, die mit schrotgefüllten Säcken in eine stabile Netzkonfiguration gezogen wurde. Die Wände bzw. die Kuppeln wurden in dem Modell durch parallele bzw. radiale Fäden dargestellt.
Die grundlegenden Techniken, die Gaudí dabei entwickelte, dienten ihm dazu diese beim Entwurf der Sagrada Família einzusetzen. Allerdings wich er dann später überwiegend auf grafische Methoden aus.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- R. Graefe, J. Tomlow, A. Walz: Ein verschollenes Modell und seine Rekonstruktion. In: Bauwelt 15/1983, S. 568–573.
- J. Tomlow: Das Modell – Antoni Gaudís Hängemodell und seine Rekonstruktion – Neue Erkenntnisse zum Entwurf für die Kirche der Colonia Güell. (Dissertation), Mitteilungen des Instituts für leichte Flächentragwerke (IL), Bd. 34, Stuttgart 1989.
- J. Tomlow: The spirit of calculation in the architectural work of Antoni Gaudí. In: Gaudí 2002 Miscellany. Edición conmemorativo del Año Internacional Gaudí. Instituto de Cultura de Barcelona. Barcelona 2002, S. 176–199.
- J. Tomlow: La evolución de la innovación estructural de Gaudí – Los proyectos de la sede de la Misión Franciscana, la iglesia de la Colonia Güell y el templo de la Sagrada Familia. In: OP Ingeniería y Territorio, N° 59, tercer época 2002, S. 48–57.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Alexander Frederic Walser: Formfindung von Schalen mit numerischen Hängemodellen. Diplomarbeit Universität Stuttgart; (2011) Formfindung von Schalen mit numerischen Hängemodellen ( vom 7. April 2014 im Internet Archive).
- ↑ Wolfram Jäger, Tammam Bakeer, Alexander Peinelt: Hängemodelle – Formfindung für Bauwerke auf Basis von physikalischen und digitalen Modellen; Technische Universität Dresden; Archivlink ( vom 7. April 2014 im Internet Archive)
- ↑ Johanna Stiegler: Kettenlinien anhand der Colonia Güell Kirche von Antoni Gaudi. Jahresarbeit Freiherr-vom-Stein-Schule Hessisch Lichtenau, 2012; [1]
- ↑ R. Graefe: Zur Formgebung von Bögen und Gewölben. Zeitschrift für Geschichte der Baukunst 1986, S. 50–67