Betonsprache

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Betonsprache [beˈtõˌʃpʀaːxə, beˈtɔŋˌʃpʀaːxə], auch Hölzerne Sprache oder Holzsprache[1] (englisch Wooden language, französisch Langue de bois), und totalitäre Sprache sowie auch Xyloglossie[2] oder Xylolalie[3] (altgriechisch ξύλον xylon, deutsch ‚Holz‘ und γλῶσσα glóssa, deutsch ‚Sprache‘ bzw. λαλιά lalia, deutsch ‚das Reden‘) genannt, ist eine rhetorische Figur, die ausschließlich propagandistischen Zwecken und der ideologischen Manipulation der Öffentlichkeit dient.[4]

Begriffsherkunft

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Der Begriff hölzerne Sprache tauchte zu Beginn der 1970er Jahre auf und etablierte sich besonders in den 1980er Jahren. Es handelt sich dabei um ein durch das Polnische vermitteltes Lehnwort aus dem Russischen: Als дубовый язык ‚Sprache aus Eichenholz‘ wurde sowohl die Ausdrucksweise des massiven Verwaltungsapparats des untergehenden Zarenreichs als auch die der UdSSR bezeichnet. Im Zuge der polnischen Solidarność-Bewegung, die die russische Sprache generell als unterdrückend empfand, wurde dieser Begriff genutzt und auch von der englisch- und französischsprachigen Presse aufgegriffen.

Im Deutschen hat sich hingegen der Begriff „Betonsprache“ für die Sprache im Realsozialismus der DDR oder der UdSSR etabliert.[5]

Bei Xyloglossie bzw. Xylolalie handelt es sich um zusammengesetzte Begriffe (Komposita), die selbst Betonsprache sind, was ihre Nutzung zur Beschreibung der Betonsprache ironisch werden lässt.[2][3]

Diese Art der Kommunikation wird dazu genutzt, Unwissenheit zu verstecken oder Auseinandersetzungen über Sachthemen zu umgehen, indem mithilfe von abstrakten und pompösen Ausdrücken Banalitäten verkündet werden. Es handelt sich dabei weniger um den Versuch, die Zuhörenden mit der eigenen Redegewandtheit zu beeindrucken, sondern um eine Strategie, die es ermöglicht, Themen oder Fragen auszuweichen, indem man inhaltlich schweigt, aber trotzdem spricht.[6] Dies führt Gérard Lenclud darauf zurück, dass Politiker sich darüber freuen, gehört worden zu sein, sich aber nicht damit brüsten, verstanden worden zu sein.[7]

Politikern wird oft vorgeworfen, dass sie sich der Betonsprache bedienen, um in einer Diskussion nicht klar Stellung beziehen zu müssen. Generell dient die Betonsprache in der Politik als ein Mittel der Diplomatie, indem sich die Worte ihre eigene Bedeutung neutralisieren bzw. abschwächen, sodass sich keiner der Verhandlungspartner angegriffen fühlen kann.

Betonsprache findet sich auch in Slogans oder Losungen, die leicht zu merken sind und jede weitere Diskussion ausklammern.

Beispiele:

«Deus, Pátria, Família»

„Gott, Vaterland, Familie“

António de Oliveira Salazar: Der ehemalige Diktator Portugals zur Zeit des Estado Novo fasste mit dieser Losung die Werte, denen er sich verpflichtet fühlte, abstrakt zusammen.[8]

«Tudo pela Nação, nada contra a Nação»

„Alles für die Nation, nichts gegen die Nation.“

António de Oliveira Salazar[8]

«Vós pensais nos vossos filhos, eu penso nos filhos de todos vós»

„Ihr denkt an eure eigenen Kinder, wohingegen ich an euer aller Kinder denke.“

António de Oliveira Salazar[8]

Betroffene sprachliche Strukturen

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Der Einfluss von Betonsprache ist auf die verschiedenen Bereiche der Sprache unterschiedlich stark. Während die Auswirkungen in Bereichen wie dem Lexikon oder der Pragmatik, die als wandelbarer angesehen werden, früher und stärker sichtbar werden, sind Veränderungen auf phonetischer Ebene oder sogar in der Grammatik weniger zahlreich und stellen sich erst nach längerer Zeit ein.

Die jahrzehntelange Wiederholung von Wendungen aus der Betonsprache zementiert zum einen die extreme Ungleichheit zwischen Kommunikationspartnern und führt zum anderen zu einem Sprachwandel, der Elemente der Betonsprache auch über das Ende der Beeinflussungsphase hinaus konservieren kann.[4][9] Die folgenden Beispiele stammen aus der Volksrepublik Rumänien.

Eindeutige Begriffe werden je nach Ideologie des Nutzers der hölzernen Sprache durch andere Wörter ersetzt, sodass die ursprüngliche Bedeutung und einhergehende Assoziationen verschleiert werden und in der Folge verschwinden. So wurden in der kommunistischen Diktatur religiöse Begriffe wie biserică (rumänisch ‚Kirche‘) oder mănăstire ‚Kloster‘ durch den neutralen Ausdruck monument ‚Denkmal‘ ersetzt. Auch physische und psychische Folter von politischen Gefangenen wurden nicht als solche bezeichnet, sondern a demasca ‚demaskieren‘ oder a reeduca ‚umerziehen‘ genannt.[9]

Durch die ständige Wiederholung immer gleicher Losungen verschleißt die Aussprache der einzelnen Wörter im selben Maße, wie sich ihre Bedeutung verliert. So kommt es selbst bei gehobenen Anlässen oder Reden zu umgangssprachlicher Aussprache: indicații ‚die Anleitungen‘ wurde von Funktionären oft als [indikətsiʲ] und nicht [indikatsiʲ] gesprochen. Wenn sich Wortbetonungen im Zuge der häufigen und stets expressiven Verwendung verschieben, kann die Verbindung zum Ursprungswort verloren gehen: die betonte Silbe in dem Wort prevederi ‚Verfügungen‘ verschob sich von [preveˈderʲ] zu [preˈvederʲ], sodass die Verbindung zu dem Verb a vedea ‚sehen‘ verloren ging.[9]

Auch die Verwendung von Verben kann sich durch ihren Gebrauch im Rahmen der Betonsprache wandeln: das intransitive Verb a gândi ‚denken‘ wurde häufig transitiv verwendet, wie in dem bis heute erhalten gebliebenen Ausdruck a gândi o măsură ‚eine Maßnahme erdenken‘ oder durch die sperrige Verbalphrase a face o gândire ‚einen Akt des Denkens vollführen‘ ersetzt.[9]

Portal: Linguistik – Politik

Einzelnachweise

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  1. Norbert Franz: Das Erbe der DDR in einer gesamtdeutschen Slavistik. In: Peter Kosta, Holger Kuße, Christian Prunitsch, Ludger Udolph (Hrsg.): Zeitschrift für Slawistik. Band 38, Nr. 1. Walter de Gruyter, März 1993, ISSN 0044-3506, S. 130–135, doi:10.1524/slaw.1993.38.1.130.
    Rixta Wundrak: Die chinesische Community in Bukarest: eine rekonstruktive, diskursanalytische Fallstudie über Immigration und Transnationalismus. 1. Auflage. Verl. für Sozialwiss. (VS), Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-531-17247-7 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
    Manuel Ghilarducci: Gert Neumanns Etablierung eines „sprachlichen Widerstandes“ in der DDR. In: Westfälische Wilhelms-Universität Münster (Hrsg.): Revista de Filología Alemana. Volume 22. Universidad Complutense de Madrid, 2014, ISSN 1133-0406, S. 107–126, doi:10.5209/rev_RFAL.2014.v22.45312.
    Walburga Hülk: Bewegung als Mythologie der Moderne: Vier Studien zu Baudelaire, Flaubert, Taine, Valéry. 1. Auflage. Transcript Verlag, Bielefeld 2012, ISBN 978-3-8376-2008-5 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  2. a b Laetitia Pille, Pierre-Yves Raccah: Aristote pratiquait-il la xyloglossie ? (PDF) 14. Weltkongress der französischen Linguistik. In: hal.archives-ouvertes.fr. 2013, abgerufen am 30. Juni 2015 (französisch, deutsch Hat Aristoteles Xyloglossie angewendet?).
    Thomas Boutonnet: La LRO: xyloglossie dans la Chine post-maoïste. In: Dominique Wolton (Hrsg.): Hèrmes. Les langues de bois. Band 58, Nr. 3, 2010, ISSN 0767-9513, doi:10.4267/2042/38684 (deutsch Glasnost und Perestroika: Xyloglossie im post-maoistischen China).
  3. a b Fréderic Mathieu: Jamais sans ma Novlangue! Le Décodeur de Poche. (PDF) In: surinite0.magix.net. MAGIX Online Services, April 2015, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 9. Mai 2015; abgerufen am 30. Juni 2015 (französisch, deutsch Nie ohne mein Neusprech. Der Taschen-Decoder).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/surinite0.magix.net
    Pierre Cordier: Le Chimigramme. Racine Lannoo, Brüssel 2007, ISBN 2-87386-494-X (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche – (französisch) deutsch Das Chemigramm).
  4. a b Stefana-Oana Ciortea-Neamtiu: Hölzerne Sprache. In: eeo.uni-klu.ac.at. Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 4. März 2016; abgerufen am 30. Juni 2015.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/eeo.uni-klu.ac.at
  5. Gilles Guilleron: Langue de bois. Éditions First, Paris 2010, ISBN 978-2-7540-1604-9, La langue des bois, c’est grave docteur? (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 29. Juni 2015] (französisch) deutsch Holzsprache).
  6. Andrei Pleșu: Deutsche, bekennt Euch zu Eurer Sprache! Warum totalitäre Systeme der Sprache schaden. In: Welt Online. 14. Juni 2007, abgerufen am 30. Juni 2015. „Für jemand, der wie ich aus dem europäischen Osten kommt, heißt all dies ‚hölzerne Sprache‘. … Die hölzerne Sprache ist ein Gemisch aus Armut und Redseligkeit.“
  7. Gérard Lenclud: Parler bois: A propos d’un ouvrage de Françoise Thom. In: Études rurales. Nr. 107-108, S. 257–268 (französisch, deutsch Holz reden: Bezüglich einer Arbeit von Francoise Thom).
  8. a b c Pensamentos e frases emblemáticas. In: oliveirasalazar.org. Abgerufen am 29. Juni 2015 (portugiesisch, deutsch Gedanken und emblematische Sätze). «Deus, Pátria, Família / Tudo pela Nação, nada contra a Nação / Vós pensais nos vossos filhos, eu penso nos filhos de todos vós»
  9. a b c d Iona Vintilă-Rădulescu: Die Sprache der Diktatur und der Post-Diktatur in Rumänien. In: Klaus Steinke (Hrsg.): Die Sprache der Diktaturen und Diktatoren. Beiträge zum Internationalen Symposion an der Universität Erlangen vom 19. bis 22. Juli 1993. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 1995, ISBN 3-8253-0330-6, S. 314–316.