Hamid Tafazoli

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Hamid Tafazoli (2010)

Hamid Tafazoli (* 1968 in Isfahan, Iran) ist Literaturwissenschaftler. In Forschung und Lehre konzentriert er sich auf literatur- und medienwissenschaftliche Fragestellungen im Kontext der Kulturtheorien in der Germanistik. Seit 2017 ist er Privatdozent an der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld im Fach Neuere deutsche Literaturwissenschaft.

Hamid Tafazoli studierte deutsche Philologie, allgemeine Sprachwissenschaft und indogermanische Sprachwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und beendete sein Studium mit dem Magister Artium (2000). Er erhielt 2003 eine Qualifikation des Goethe-Instituts und der Universität Kassel im Fach Deutsch als Fremdsprache in Theorie und Praxis und lehrte von 2000 bis 2008 Deutsch als Fremdsprache an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Im Jahre 2006 wurde Tafazoli in den Fächern Deutsche Philologie, Allgemeine Sprachwissenschaft und Indogermanische Sprachwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster promoviert, wo er von 2006 bis 2008 auch lehrte. Tafazolis Dissertation zum Thema Der deutsche Persien-Diskurs erhielt den Sybille-Hahne-Preis der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 2006 für die Geisteswissenschaft.[1]

Ab 2009 war er Feodor Lynen Fellow der Alexander-von-Humboldt-Stiftung am Department of Germanics der University of Washington in Seattle und kam 2011 an die Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld, an der er sich 2017 habilitierte.[2] Von 2013 bis 2015 war Tafazoli Senior Researcher am Institut für deutsche Sprache, Literatur und für Interkulturalität der Universität Luxemburg. Sein Forschungsprojekt Gestern Migranten – Heute Bürger. Kritische Reflexionen über den Stellenwert einer Migrationsliteratur aus interkultureller Perspektive[3] wurde durch den Fonds National de la Recherche Luxembourg gefördert[4] und gewann einen Marie Curie Fellowship Award der Europäischen Kommission.[5]

Hamid Tafazoli betreibt neben seiner akademischen Tätigkeit das Beratungsunternehmen Profesolutions. Institut für Sprache, Kommunikation, Rhetorik und Ästhetik.[6]

Forschung und Lehre

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In Forschung und Lehre hat sich Tafazoli auf die deutschsprachige Literatur von der frühen Neuzeit bis zur Romantik, des Deutschen Realismus und der Moderne spezialisiert. Im Zentrum stehen die Fragen nach den kulturellen Repräsentationen in den ästhetischen Formen am Beispiel der deutsch-, französisch- und persischsprachigen Literatur. Auf der theoretischen Grundlage arbeitet Tafazoli mit den Erzähl- und Medientheorien und auf der methodologischen mit den kultursemiotischen Theorien. In der germanistischen Interkulturalitätsforschung befasst sich Tafazoli mit den deutsch-, italienisch- und französischsprachigen Persien-Diskursen und legte mit der Monographie Der deutsche Persien-Diskurs (2007) erstmals eine umfassende Studie über die Formen kultureller Repräsentationen in der Literatur vor.[7] Der Themenbereich wurde mit dem Sammelband Persien im Spiegel Deutschlands (2018) vertieft und erweitert.

Über die literaturwissenschaftlichen und literaturtheoretischen Fragestellungen hinaus interessiert sich Tafazoli für die literarische Ausarbeitung identitätsstiftender Narrative wie etwa Heimat, Sprache und Europa in seiner Habilitationsschrift Narrative kultureller Transformationen. Zu interkulturellen Schreibweisen in der deutschsprachigen Literatur der Gegenwart (2019). In Interviews sucht Tafazoli auch den öffentlichen Diskurs über aktuelle Themen wie Nation und Heimat. Gegenwärtig arbeitet er an literarischen Konstruktionen der Nation und der nationalen Identifizierung im interkulturellen Diskurs der Literatur.

Es besteht weiterhin akademisches Interesse an den Kulturverhältnissen zwischen dem sogenannten Orient und Okzident und an der Aufarbeitung dieses Themenkomplexes in den intellektuellen Diskursen und in den ästhetischen Produktionen Europas.[8] Die theoretischen Voraussetzungen und die Methodologien haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte allerdings geändert. Während Edward Saids zentrale These in Orientalism[9] besagte, dass die Kulturen Europas den Orient als Teil eines starren, hierarchischen Dualismus von Selbst und Anderem aufgefasst und dargestellt hätten,[10] widmen sich gegenwärtige Diskurse und Texte den Begegnungsräumen zwischen Ost und West im Sinne von Konstruktionen mit ambivalenten und daher vielsagenden Bedeutungen. Die Arbeiten von Hamid Tafazoli leisten erhebliche Beiträge zu diesen Entwicklungen.[11] Sie sprechen nicht nur von unversöhnbaren kulturellen Differenzen, sondern auch von Prozessen der kulturellen Überlappung, Hybridisierung, vom bilateralen Kulturaustausch und der Konstruktion kultureller Ähnlichkeiten.[12]

Tafazolis Studien konzentrieren sich über die Persienbilder in der deutschen Literatur hinaus auch auf die problematische Kategorie der Migrationsliteratur sowie auf Fragen der kulturellen Identität im Kontext der Gedächtnisbildung. Tafazoli untersucht in den interkulturellen Schreibweisen die Motive, die in der kulturellen Begegnung Differenzen und Ähnlichkeiten in eine Beziehung zueinander setzen und diese literarisch gestalten. Von dieser Gestaltung ausgehend beschreibt er Strategien der Homogenisierung und der Reduktion auf der Rezeptionsseite und sieht diese im Begriff der Migrationsliteratur realisiert.[13] Die kritische Auseinandersetzung mit Konzepten wie Nation oder Heimat vor diesem Hintergrund verleiht Tafazolis Arbeiten einen hohen Aktualitätsgrad; von besonderem theoretischen Interesse ist sein Vorschlag, nicht nur Identitätskonzepte des kulturellen Gedächtnisses zu differenzieren, sondern auch die Semantik des Nationalen mit Blick auf plurilinguale und plurikulturelle Herkunftsgeschichten zu pluralisieren.

Monographien und Sammelbände

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  • Hamid Tafazoli: Der deutsche Persien-Diskurs. Zur Verwissenschaftlichung und Literarisierung des Persien-Bildes im deutschen Schrifttum von der frühen Neuzeit bis in das neunzehnte Jahrhundert, Aisthesis, Bielefeld 2007, ISBN 978-3-89528-600-1 (Dissertation, Universität Münster, Germanistisches Institut, 2006, 612 Seiten).
  • Hamid Tafazoli, Richard T. Gray: Außenraum-Mitraum-Innenraum. Heterotopien in Kultur und Gesellschaft, Aisthesis, Bielefeld 2012, ISBN 978-3-89528-891-3 (194 Seiten).
  • Hamid Tafazoli, Christine Maillard: Persien im Spiegel Deutschlands. Konstruktionsvarianten der Persienbilder in der deutschsprachigen Literatur vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Presses universitaires de Strasbourg, Strasbourg 2018, ISBN 978-2-86820-956-6 (347 S.).
  • Hamid Tafazoli: Narrative kultureller Transformationen. Zu interkulturellen Schreibweisen in der deutschsprachigen Literatur der Gegenwart, transcript, Bielefeld 2019, ISBN 978-3-8376-4346-6 (Habilitationsschrift, Universität Bielefeld, Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, 2017, 532 Seiten).
  • Hamid Tafazoli, Rolf Stolz: Sprachland Liebesland. SAID: Leben und Werk im Gespräch, Tübingen: Konkursbuch Verlag 2023, ISBN 978-3-88769-104-2. (160 S.)

Ehrungen und Auszeichnungen

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  • 2006 Sybille-Hahne-Preis der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.[14]
  • 2009–2011 Feodor-Lynen Fellow der Alexander von Humboldt Stiftung.[15]
  • 2015 Marie Curie Fellowship Award der Europäischen Kommission.[16]

Einzelnachweise

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  1. Zellbiologie und Persien-Bild
  2. Herr PD Dr. Hamid Tafazoli. Universität Bielefeld;
  3. Gestern Migranten – Heute Bürger. Kritische Reflexionen über den Stellenwert einer Migrationsliteratur aus interkultureller Perspektive
  4. Universität Luxembourg, German Studies, Forschung
  5. Personalnachrichten aus der Universität Bielefeld
  6. Profesolution. Abgerufen am 24. Februar 2023
  7. Siehe hierzu die Rezension von Rudi Matthee in: Iranian Studies, volume 43, number 4, September 2010, S. 551–554
  8. Nevfel Cumart, Ulrich Waas: Orient und Okzident – die andere Geschichte. Das Fremde als kulturelle Bereicherung. Herder, Freiburg/Basel/Wien 2017, ISBN 978-3-451-37884-3.
  9. Edward Said: Orientalism. Vintage Books, New York 1979, ISBN 0-394-74067-X (englisch).
  10. Esther Ecke: Edward Said und der Orientalismus. Welche Rolle spielt die Literatur in Bezug auf die Herausbildung des Orientalismus und seiner Bedeutung heute? GRIN Verlag, München 2013, ISBN 978-3-656-37231-8.
  11. Siehe zur Diskussion Behrang Samsami: Zum besseren Verständnis des West-östlichen Divans. Hamid Tafazoli und der deutsche Persien-Diskurs, in: Literaturkritik.de, 28. Mai 2008.
    Shafiq Shamel: Hamid Tafazoli: Der deutsche Persien-Diskurs, in: German Quarterly, Spring 2009, S. 260–261.
    Kamakshi P. Murti: Der deutsche Persien-Diskurs, in: Monatshefte, Volume 101, No. 4, 2009, S. 571–573.
  12. Hamid Tafazoli: Der deutsche Persien-Diskurs, 2007, S. 249–539.
  13. Hamid Tafazoli: Narrative kultureller Transformationen, 2017, S. 29–72.
  14. https://www.innovations-report.de/html/berichte/foerderungen-preise/bericht-78228.html
  15. https://www.humboldt-foundation.de/en/connect/explore-the-humboldt-network/singleview?tx_rsmavhsolr_solrviewhumboldtians%5BpPersonId%5D=1132091&cHash=9b55e9777ac474520e7b8ff1ff967a29
  16. https://blogs.uni-bielefeld.de/blog/uniaktuell/entry/personalnachrichten_aus_der_universit%c3%a4t_bielefeld1