Hans Henning Atrott

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Hans Henning Atrott, 2011

Hans Henning Atrott (* 12. Januar 1944 in Memel; † 2018[1]) war Gründer, Bundesgeschäftsführer und erster Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) sowie Geschäftsführer der „World Federation of Right-to-die-Societies“. Bekannt wurde er durch eine von ihm angefachte Diskussion über Tötung auf Verlangen und Beihilfe zur Selbsttötung sowie durch Vermittlungen und Verkäufe von Zyankali an Sterbewillige, die zu seiner Verurteilung führten.

Hans Henning Atrott war der Sohn von Wilhelm Atrott, dem evangelischen Pfarrer der Jakobusgemeinde zu Memel in Ostpreußen, und dessen Ehefrau, der Juristin Edith Atrott.[2][3] Seine Eltern starben in seinem ersten Lebensjahr. Er wuchs in der DDR auf und übersiedelte 1956 in die Bundesrepublik Deutschland. Dort legte er 1969 ein Begabten-Abitur ab. Ein Studium der Philosophie, Politologie und Soziologie (mit Schwerpunkt Medizinsoziologie) an der Universität München und Hochschule für Politik München[3] schloss er mit dem akademischen Grad Dipl. sc. pol. ab.

Atrott lebte in Augsburg, war seit 1978 verheiratet mit Anita Atrott, geb. Zwiefler, und ist Vater eines Sohnes.[3]

Sterbehilfe und Suizidassistenz

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von 1979 bis 1981 fungierte Atrott als Landesvorsitzender des Bundes für Geistesfreiheit Bayern. Im Jahre 1980 wurde er Gründer und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben und arbeitete von 1982 bis 1984 als Geschäftsführer der World Federation of Right-to-die-Societies. Im Jahr 1983 wurde Atrott Bundesgeschäftsführer der DGHS. 1985, als die DGHS bereits etwa 12.000 Mitglieder hatte,[3] nahm Atrott an einer Anhörung zum Thema Sterbehilfe im Deutschen Bundestag teil.[4]

Im November 1986 tötete eine Mutter ihr krebskrankes Kind aus Verzweiflung mit Zyankali. Nach ihrer Darstellung des Sachverhaltes hatte sie das Gift von Atrott bekommen. Atrott konnte allerdings nicht nachgewiesen werden, dass er das Zyankali tatsächlich besorgt hatte.[5]

Im Juli 1987 erklärte ein Beschluss des OLG München[6] die „Sterbehilfe“ mittels Zyankali im Fall Hermy Eckert als gesetzeskonform. Atrott hatte hierfür das Gift geliefert.[7] Im Mai 1992 wurde Atrott vorübergehend festgenommen und nach einem Tag gegen eine Kaution von 200.000 DM wieder entlassen. Atrott setzte sich, so die Darstellung der DGHS, daraufhin in die Schweiz ab.[8] Atrott soll im Jahr 1992 eine (ehemalige) Mitarbeiterin telefonisch bedroht und beleidigt haben.[9]

Am 23. Januar 1993 wurde Atrott in Hamburg beim Verkauf von Zyankali erneut festgenommen[10] und verblieb knapp ein Jahr in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Augsburg erhob gegen ihn Anklage wegen Steuerhinterziehung und Verstoß gegen die Gefahrstoffverordnung. In dieser Sache verurteilte ihn das Landgericht Augsburg im März 1994 nach einem Geständnis zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe und zur Zahlung einer Geldbuße.[11][12]

Ausscheiden aus der DGHS

Durch die Erklärung der zwischenzeitlich eingesetzten DGHS-Führung, dass der in U-Haft befindliche Atrott kein Interesse mehr an der Fortführung seines Amtes als DGHS-Präsident hätte, wurde Atrott als gesetzlicher Vertreter aus dem Register gelöscht. Atrott bestritt dieses Einverständnis. Nach gegenseitigen Ausschlüssen und Entlassungen beendete 1997 ein schiedsrichterlicher Vergleich die Querelen: gegen eine Abfindung verzichtete Atrott auf Ämter und Mitgliedschaft in der DGHS.

Antichristliche Agitation

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Atrotts frühe Beschäftigung mit der Bibel und dem Neuen Testament festigten seine Abneigung gegen die christlichen Kirchen, die er als Betrüger ansieht. Ab 1998 hatte Atrott seine Arbeiten über das Christentum wieder aufgenommen, insbesondere über Jesus Christus. Dabei entwickelte Atrott unter anderem die Thesen, dass die Geschichten, die sich um Jesu Geburt ranken, größtenteils aus dem Mithraskult übernommen worden seien, dass Jesus die Menschheit in Wirklichkeit hätte zerstören wollen und dafür eine Sekte, die Christen, gegründet hätte, sowie dass am Kreuz Judas Ischariot als Doppelgänger Jesus’ gestorben wäre, so wie auch Paulus in Wirklichkeit Jesus gewesen und für den Brand von Rom 64 n. Chr. verantwortlich sei. Atrott veröffentlichte seine Theorien zunächst im Internet, später im Selbstverlag.[13]

Publikationen (Auswahl)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Sterbehilfe. Mitleid oder Mord? coprint, Wiesbaden 1984, ISBN 978-3-922819-18-9
  • Der Mensch wird vergessen. In: Stephan Wehowsky (Hrsg.): Sterben wie ein Mensch. 1985.

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Humanes Leben - Humanes Sterben, Nr. 4/2020, Seite 5
  2. Memelner Dampfboot, Ausgabe Nr. 16 20. August 1954 (Memento vom 3. Dezember 2013 im Internet Archive) (PDF; 4,7 MB) In: Memeler Dampfboot, Nr. 16, 20. August 1954, S. 2, linke Spalte. „Hans-Henning Atrott aus Memel, Kirchenstraße 3, ist der Sohn des Pfarrers der Jakobusgemeinde, der noch immer vermißt ist, während seine Frau Edith verstorben ist. Der Junge befindet sich gegenwärtig in Mecklenburg bei seinen Großeltern mütterlicherseits.“
  3. a b c d Atrott, Hans Henning. In: Walter Habel (Hrsg.): Wer ist wer? Das deutsche Who’s Who. XXIV. Ausgabe von Degeners „Wer ist’s“? Schmidt-Römhild, Lübeck 1985, S. 30.
  4. Ludger Fittkau, Peter Gehring: Zur Geschichte der Sterbehilfe. (Memento vom 20. September 2008 im Internet Archive) In: Das Parlament, 4/2008, Beilage.
  5. Ich will so nicht mehr leben. In: Der Spiegel. Nr. 12, 1994 (online).
  6. Aktenzeichen 1 Ws 23/87 OLG München. In: NJW 1987, S. 2940–2946
  7. Hackethal und die Folgen. In: Die Zeit, Nr. 3/86; Interview mit Atrott
  8. Stellungnahme der DGHS zu den Vorgängen um ihren damaligen Präsidenten (PDF)
  9. Schweinologie, jeijeijei. In: Der Spiegel. Nr. 8, 1993 (online).
  10. Höllische Schmerzen. In: Der Spiegel. Nr. 5, 1993 (online).
  11. 3000 Mark für eine Kapsel Zyankali. In: Berliner Zeitung, 15. März 1994
  12. 120 Zyankali-Kapseln. In: Der Spiegel. Nr. 12, 1994 (online).
  13. Jesus’ Bluff – The universal Scandal of the World (M. Magnes). PublishAmerica, Baltimore 2009, ISBN 978-1-61582-816-6.