Helmut Seethaler

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Helmut Seethaler, Wien 2010.

Helmut Leopold Seethaler (* 13. März 1953 in Wien)[1] ist ein österreichischer Schriftsteller, der sich als Zettelpoet sieht.

Nach dem Abbruch eines Philosophiestudiums betätigte sich Seethaler ab 1973 als „Zettelpoet“. Gemäß der Idee, Kunst habe im öffentlichen Raum präsent zu sein, klebte er seine Gedichte in Form von Zettelchen als von ihm so genannte „Pflückgedichte“ an Laternenmasten, Parkbäume und Bauzäune, aber auch an Wände und Säulen von U-Bahn-Stationen. Dafür umwickelte er beispielsweise Bäume mit einseitigem Klebeband, mit Klebeseite nach außen, um daran seine Gedicht-Zettel anzuheften. Diese „Pflückgedichte“ stehen inhaltlich und formal zwischen Gedankenlyrik und Aphorismus. Helmut Seethaler lebt und arbeitet in Wien. Er ist verheiratet und hat drei Töchter.

Rund 3300[2] Klagen und Gerichtsverhandlungen, die Seethalers Schaffen (trotz leichter Entfernbarkeit der Zettelchen) als Sachbeschädigung werteten, waren die Folge. Ein Urteil des Obersten Gerichtshofes aus dem Jahr 1998 wertet seine Zettel hingegen als Kunst, demgemäß schutzwürdig.[3]

Seethalers Aktionen ab etwa 2009, nämlich die unwillkommene Beschriftung von Gehsteigen, Säulen und Bauzäunen, erfüllen hingegen den Tatbestand der schweren Sachbeschädigung. Gegen ein Urteil vom 18. Februar 2010, zwei Monate bedingt wegen (abwaschbarer und von ihm selbst entfernter) Beschriftung von 13 Gehsteigplatten des Wiener MQ, wofür ein Sachschaden von € 3.900,- mit entsprechend hohen Gerichtskosten geltend gemacht wurde, legte er Berufung ein und provozierte unmittelbar danach, von anwesenden Polizisten unbehelligt, durch eine Gehsteigbeschriftung vor dem Gerichtsgebäude.[4] Mit Urteil vom 16. März 2010 wurde diese Berufung abgewiesen, und er wurde wegen zweier weiterer ähnlicher Aktionen am selben Tag rechtskräftig zu einer zusätzlichen Geldstrafe von € 180,– (90 Tagessätze à € 2,-, oder bei Uneinbringlichkeit 45 Tage Ersatzhaftstrafe) verurteilt. Der Kurier schrieb dazu in der Ausgabe des 17. März: „[…] Er sei „Dichter, kein Täter“. Vergeblich: „Der Tatbestand wurde erfüllt“, hieß es“.[5]

Gemäß der Gratis-Tageszeitung Heute[6] stehen inzwischen Literaten wie Elfriede Jelinek, Peter Turrini, Robert Menasse und andere dafür ein, Seethaler einen Literaturpreis zukommen zu lassen. 2017 wurde Seethaler mit dem Preis der Freien Szene Wiens ausgezeichnet.[7]

„Mein Verleger sprach lange über die Möglichkeiten (s)eines Verlages und meines persönlichen Buchs. ‚Ich brauch das nicht, ich bin nicht auf den Buchmarkt angewiesen.‘ Ich war bockig wie ein kleines Kind, das sein Spielzeug in Gefahr sieht. Aber ich darf mein Spielzeug ja behalten, darf weiter die Welt bekleben. Auch die Zettel, die im Buch sind, bleiben als Zettel lebendig. Sie werden nur tiefgekühlt, durch das Lesen und Herausnehmen wieder aufgetaut. Das Buch ist nach dem Lesen entfernbar. Es ist nur Packung.“

Helmut Seethaler: Das Pflückbuch[9]

„[…] Er habe „eine Baustellenabschrankung mittels Filzstift beschrieben“, steht auf der Ladung – Seethalers handschriftlicher Vermerk dazu: „Ja eh.“ Er habe den Boden beim Zugang des CAT-Terminals „beschmiert“ – Seethaler: „Ja eh.“ Auch habe er „Reklametafeln und eine Blechkiste beschmiert“. Doch da vermerkt Seethaler: „War i net.“
Der Boden beim CAT-Terminal „war desolat“, betont der Dichter. „Meine Worte bewirken keine Sturzgefahr. Dass einige geistig ausrutschten gehört dazu.“ […]“

Roman David-Freihsl: Der „Ver-Formungs-Verweigerer“, in Der Standard.[10]
  • 2017: Preis der Freien Szene Wiens
Über Seethaler
  • Pick Wien an (Trailer zu einer Film-Doku von David Paede und Barbara Sas; Sound: Sigi Maron; 2009, gesendet auf OKTO)
  • Seethaler : Zetteldichter, A 2012, 62‘, Dokumentarfilm von Andrea Figl; Informationen: http://www.zetteldichter.at/ (zuletzt aufgerufen am 10. September 2013).

Literatur, Audio

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  • Herbert Justnik, Stephanie Stübler: Helmut Seethaler – die Aneignung des öffentlichen Raumes. Der „rebellische“ Zettelpoet von Wien. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, Band LXII/111, Wien 2008, ZDB-ID 2777287-1, S. 277–282. – Online (PDF; 7,4 MB).
  • Peter Zimmermann, —: Zettelpickerblues. Ein Sittenbild aus der literarischen Unterliga. Radiosendung, 1997/04/20. Serientitel: Tonspuren – Hörbilder zur Literatur. (Tonträger). 1 DAT-Kassette, 45 min, sp, mono. ORF Ö1, s. l. 1997, OBV.
Commons: Helmut Seethaler – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

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  1. Laut polizeilichem Vernehmungsprotokoll vom 23. November 2009.
  2. Angabe Seethalers, 2010. Die „Wiener Zeitung“ nennt im Jahr 2010: 1109 Anzeigen und 19 Verwaltungsstrafen.
  3. Alexander Glück: Ein Poet an der Wäscheleine. Helmut Seethaler und die Literaturform des Zettelgedichtes. In: Wiener Zeitung. 21. August 1998, abgerufen am 19. November 2013.
  4. Der Poet und die Richterin (derStandard.at, 19. Februar 2010)
  5. Kurier vom 17. März 2010, S. 20.
  6. Kostenlose Tageszeitung WienHeute, Kurznotiz vom 23. März 2010, S. 12.
  7. STANDARD Verlagsgesellschaft m.b.H.: Preis der freien Szene Wiens 2017 an Zetteldichter Helmut Seethaler. In: derStandard.at. (derstandard.at [abgerufen am 2. Oktober 2017]).
  8. Handschriftlicher Vermerk auf einem von Seethaler verteilten Faksimile: Der Standard, 31. Januar 2009
  9. Das Pflückbuch auf der Website von Helmut Seethaler
  10. Handschriftlicher Vermerk auf einem von Seethaler verteilten Faksimile: Der Standard, 31. Januar 2009