Henning Tillmann
Henning Tillmann (* 19. Januar 1985 in Unna) ist ein deutscher Softwareentwickler, Internetaktivist und Politiker (SPD).
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Henning Tillmann wuchs im westfälischen Kamen auf und wurde im Jahr 2005 Mitglied der SPD. Er studierte an der Technischen Universität Dortmund und an der Humboldt-Universität zu Berlin, an der er 2013 sein Studium als Diplom-Informatiker abschloss. Von Oktober 2008 bis Oktober 2009 arbeitete er beim SPD-Parteivorstand und war zuständig für die Terminvorbereitung und Terminbegleitung des damaligen SPD-Parteivorsitzenden Franz Müntefering. Während seiner Studienzeit in Berlin arbeitete er im Bundestagsbüro des Abgeordneten Oliver Kaczmarek, der wie Tillmann aus Kamen stammt. Seit dem Abschluss seines Studiums 2009 ist Tillmann selbständiger Softwareentwickler, der auf Web-Anwendungen und Websites, Apps und Client/Server-Kommunikation sowie auf Mediengestaltung spezialisiert ist und lebt in Berlin.[1] Gemeinsam mit Lena M. Stork betreibt er den Podcast „Tech & Tonic“, bei dem die beiden mit Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft wie zum Beispiel Constanze Kurz, Brigitte Zypries oder Nico Lumma über digitale Themen sprechen.[2]
Unternehmensgründung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Henning Tillmann gründete im Jahr 2021 gemeinsam mit Katja Waldor die Snaque GmbH mit Sitz in Berlin.[3] Das Kernprodukt des Unternehmens ist eine Paywall-Extension für Publisher, mit der Leser von Online-Medien die Möglichkeit haben, Premium-Content auch ohne Abo zu lesen. Verlage können das Tool einbauen und Nutzende dann Paid Artikel freischalten, indem sie mit Werbung interagieren, die im Tinder-Stil ausgespielt wird.[4] Erster Kunde war die Sächsische Zeitung.[5][6] Von den Lesern, die auf mit Snaque einen Artikel freigeschaltet haben, wurden später bis zu siebenmal so viele zu Abonnenten wie von denen, die nur die normale Paywall sahen.[7]
Browser Fingerprinting
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Diplom-Abschlussarbeit von Tillmann beschäftigte sich mit der Wiederkennung von Webseitenbesuchern durch Browser Fingerprinting. Dabei sammelte er Ende 2012 Charakteristika der von Webseitenbesuchern verwendeten Browser und Betriebssysteme, u. a. die Liste der installierten Schriftarten und Browserversionen.[8] In einer Feldstudie mit über 23.700 Datensätzen konnte er nachweisen, dass knapp 93 % der erhobenen Fingerprints einzigartig waren. Wurden lediglich die drei aussagekräftigsten Merkmale betrachtet, blieb die Quote der einzigartigen Fingerprints mit fast 87 % vergleichsweise hoch.[9] In der Feldstudie, die über einen Zeitraum von 30 Tagen angesetzt war, konnte Tillmann ferner nachweisen, dass bei 60 % der Teilnehmer keine Veränderung, bei knapp 90 % nur maximal drei Änderungen der Merkmale feststellbar waren.[10] Selbst durch triviale Algorithmen sei eine Wiederkennung von Besuchern ohne den Einsatz klassischer Trackingverfahren, die Daten auf den Computern der Nutzer speichern, möglich. Die Studie und alle gesammelten Daten können unter Creative Commons Lizenz heruntergeladen werden.[11]
Weitere Forschung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Henning Tillmann war Mitglied der Forschungsgruppe The Business Web der Berliner Denkfabrik Stiftung Neue Verantwortung.[12] Die Arbeitsgruppe forschte zu den ökonomischen Einflüssen von digitalen Ökosystemen auf das Internet. Es wurde u. a. ein Policy Brief[13] veröffentlicht.
Politische Aktivitäten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Henning Tillmann war von 2010[14] bis zu dessen Auflösung 2013 Mitglied des Gesprächskreises Netzpolitik beim SPD-Parteivorstand. Seitdem ist er Mitglied der Medien- und Netzpolitischen Kommission beim SPD-Parteivorstand. Er ist Co-Vorsitzender des netzpolitischen Vereins D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt.
Tillmann war Mitglied der SPD-Verhandlungsgruppe zu digitalen Themen bei den Koalitionsverhandlung im Winter 2018 zur Bildung einer neuen großen Koalition auf Bundesebene.[15]
Im November 2022 wurde Henning Tillmann vom Bundesminister für Digitales und Verkehr in den Beirat „Digitalstrategie Deutschland“ berufen[16], u. a. um einen Monitoring-Prozess für die Transformationsziele der Bundesregierung zu erarbeiten und diese digitalpolitisch zu beraten.[17][18]
Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags 2010
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Tillmann engagierte sich gegen die Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags 2010.[19] Der Entwurf sah unter anderem vor, dass Webseitenbetreiber ihre Inhalte mit Alterskennzeichnungen versehen müssen. Tillmann warnte seine Partei vor einem Verlust der netzpolitischen Glaubwürdigkeit, sollte sie das Vorhaben nicht stoppen.[20] Er verfasste mit dem Internetaktivisten Alvar Freude und dem Medienpädagogen Jürgen Ertelt einen offenen Brief an die nordrhein-westfälische Landtagsfraktion der SPD. Dieser Brief wurde vom damaligen Bundesvorsitzenden der Jusos, Sascha Vogt, dem Journalisten Mario Sixtus, dem Rechtsanwalt Udo Vetter und 50 weiteren Personen unterzeichnet.[21]
Alle Fraktionen des nordrhein-westfälischen Landtags, somit auch die Fraktion der SPD, stimmten gegen die Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags, obwohl die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zuvor angaben, diesen unterstützen zu wollen. Die Novellierung scheiterte damit.[22]
Vorratsdatenspeicherung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nach dem Bekanntwerden der Pläne der Bundesregierung im März 2015, die Vorratsdatenspeicherung wiedereinzuführen,[23] schrieb Tillmann einen Musterantrag für alle SPD-Gliederungen, der über den netzpolitischen Verein D64 verbreitet wurde.[24] Dieser Musterantrag[25] sollte eine Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung auf dem Parteikonvent am 20. Juni 2015 bewirken.[26] Der Antrag wurde bis zum Antragsschluss von 99 SPD-Ortsvereinen, -Kreisverbänden bzw. -Landesverbänden übernommen und fristgerecht zum Parteikonvent gestellt.[27] Tillmann organisierte den parteiinternen Widerstand innerhalb der SPD.[28] Erst wenige Wochen vor dem Parteikonvent wurde das Thema schließlich auf die Tagesordnung gesetzt.[29] Nach über dreistündiger Diskussion votierten die Delegierten des Parteikonvents mit 124 Stimmen für und 88 Stimme gegen das Vorhaben der Parteispitze.[30]
SPD Plus Plus
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Jahr 2017 war Henning Tillmann Mitinitiator von SPD Plus Plus (Eigenschreibweise: SPD++).[31] Unter dem Leitmotiv „Wir wollen die SPD neu denken“ hat die Initiative das Ziel, die SPD jünger, offener vielfältiger zu machen, u. a. durch eine Kultur der Gleichberechtigung, Ideenmanagement-Tools sowie eine Quote für unter 35-Jährige in Führungsgremien.[32] Durch online-basierte Themenforen sollen sich Mitglieder zu unterschiedlichen Themen stärker überregional vernetzen und dann auch Delegierte zum Bundesparteitag schicken dürfen.[33] Zu den Erstunterstützern gehören die Autorin Juli Zeh, der Chef der Berliner Senatskanzlei Björn Böhning, Musikmanager und Kultur-Staatssekretär a. D. Tim Renner sowie die Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe.[34] Viele der Forderungen, wie die Einführung von online-basierten Themenforen, wurden vom SPD-Bundesparteitag im Dezember 2017 beschlossen und sollen bis 2019 umgesetzt werden.[35] Henning Tillmann ist Mitglied der Organisationspolitischen Kommission der SPD, die entsprechend dem Parteitagsbeschluss bestehende Strukturen überprüfen, modernisieren oder möglicherweise abschaffen soll. Dort wurde auch auf Initiative von Tillmann im September 2019 beschlossen, die von SPD Plus Plus vorgeschlagenen online-basierten Themenforen umzusetzen, den Parteikonvent durch ein Debattencamp zu ergänzen und einen Mitgliederbeirat einzusetzen.[36]
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Henning Tillmann | Softwareentwicklung und Mediengestaltung, Blog von Henning Tillmann
- Snaque GmbH, Website des von Henning Tillmann gegründeten Unternehmens
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Eigene Angaben lt. persönlicher Website, abgerufen am 25. Juni 2015
- ↑ Tech & Tonic – Der Podcast rund um digitale Themen. In: techundtonic.de. Abgerufen am 24. Oktober 2019 (deutsch).
- ↑ deutschlandfunk.de: „Snaque“: Start Up bietet neue Werbeeinnahmen für Lokalmedien. Abgerufen am 15. Juli 2023.
- ↑ Maybrit Martschin: Ihr Tool kann Paywalls bei Artikeln durchbrechen – und Zeitungen verdienen trotzdem Geld. In: omr.com. 25. Oktober 2022, abgerufen am 15. Juli 2023 (deutsch).
- ↑ Wie Snaque mit einem Werbeprodukt Paywalls wieder durchlässiger machen will. Abgerufen am 15. Juli 2023.
- ↑ kress.de: Eine Paywall-Variante für Abomuffel. Abgerufen am 15. Juli 2023.
- ↑ Stefan Niggemeier: Schlupflöcher durch die Bezahlmauern. In: Übermedien. 20. Oktober 2022, abgerufen am 15. Juli 2023 (deutsch).
- ↑ Patrick Beuth: Der verräterische Fingerabdruck des Browsers zeit.de, 28. November 2012
- ↑ Jens Ihlenfeld: Tracking geht auch ohne Cookies, www.golem.de, 21. Oktober 2013
- ↑ Ralf Pauli: Studie zum Digitalen Fingerabdruck – Bitte zurückverfolgen! taz.de, 20. Mai 2013
- ↑ Henning Tillmann: Projektseite zum Browser Fingerprinting, 20. Oktober 2013
- ↑ Stiftung Neue Verantwortung: The Business Web
- ↑ Fabian Bahr, Thomas F. Dapp et al.: Schönes neues Internet? Chancen und Risiken für Innovation in digitalen Ökosystemen (PDF), Stiftung Neue Verantwortung, 14. September 2012
- ↑ Karsten Wenzlaff: Gesprächskreis Netzpolitik – Auswertung der Stimmen ( vom 28. Februar 2010 im Internet Archive), 25. Februar 2010
- ↑ Sascha Klettke: Digitalpolitik: Eigene Arbeitsgruppe in den Koalitionsverhandlungen UdL Digital, 8. Mai 2018
- ↑ Ina Bierfreund: BMDV stellt Beirat für die Digitalstrategie vor. Tagesspiegel, abgerufen am 15. Juli 2023.
- ↑ BMDV – Einfach. Gemeinsam. Digital. – Status-Update April 2023. Abgerufen am 15. Juli 2023.
- ↑ Beirat | Digitalstrategie Deutschland. Abgerufen am 15. Juli 2023.
- ↑ Jürgen Ertelt, Bernd Fachinger, Manuela Schauerhammer et al.: Ein Ungetüm stolpert über die Internet-Evolution. In: merz - Zeitschrift für Medienpädagogik. Nr. 1, 2011
- ↑ Peter Mühlbaur: Abmahnwelle von ganz erheblichem Umfang heise.de, 25. November 2010
- ↑ Alvar Freude, Henning Tillmann, Jürgen Ertelt: Offener Brief an SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen ak-zensur.de, 18. November 2010
- ↑ Holger Bleich: Jugendmedienschutz-Novellierung endgültig gescheitert heise.de, 16. Dezember 2010
- ↑ Sigmar Gabriel im Interview mit Falk Steiner: „Wir brauchen die Vorratsdatenspeicherung“ deutschlandfunk.de, 15. März 2015
- ↑ Tagesschau: Widerstand gegen Gesetzespläne: SPD-Basis kritisiert Vorratsdatenspeicherung tagesschau.de, 28. Mai 2015
- ↑ Keine Vorratsdatenspeicherung in Deutschland und Europa. D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt e. V. 15. Juni 2016.
- ↑ Frank Capellan: Wofür Sigmar Gabriel beim SPD-Konvent kämpft deutschlandfunk.de, 19. Juni 2015
- ↑ Hans Monath: Widerstand der SPD-Basis gegen Vorratsdatenspeicherung wächst tagesspiegel.de, 28. Mai 2015
- ↑ Kai Rüsberg: Vorratsdatenspeicherung: Journalisten in Gefahr? deutschlandfunk.de, 13. Juni 2015
- ↑ Holger Hansen: SPD-Parteikonvent stimmt über Vorratsdatenspeicherung ab ( vom 26. Juni 2015 im Internet Archive) de.reuters.com, 1. Juni 2015
- ↑ Umstrittenes Gesetz: SPD-Parteikonvent winkt Vorratsdatenspeicherung durch spiegel.de, 20. Juni 2015
- ↑ Jule Zentek: SPD++ will die Partei modernisieren zdf.de, 11. Oktober 2017
- ↑ Steffen Lüdke: Diese Frau will die SPD revolutionieren bento.de, 2. Oktober 2017
- ↑ Christoph Hickmann: Eine junge SPD-Initiative plant die Revolution von unten sueddeutsche.de, 29. September 2017
- ↑ Junge Initiative will SPD durchlässiger machen rbb24.de, 29. September 2017
- ↑ Die #SPDerneuern: Unser Weg nach vorn (PDF), spd.de, 9. Dezember 2017
- ↑ Mehr Beteiligung, mehr Räume für Ideen, mehr Digitalisierung: Die SPD vor großem Struktur-Update. spdplusplus.de, abgerufen am 10. Oktober 2019.
Personendaten | |
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NAME | Tillmann, Henning |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Politiker (SPD) |
GEBURTSDATUM | 19. Januar 1985 |
GEBURTSORT | Unna |