Hermann Jacobs (Ökonom)
Hermann Jacobs (* 9. August 1929 in Berlin; † 1. August 2024 in Berlin) war ein deutscher Diplomökonom, Journalist und wissenschaftlicher Publizist. Durch seine praktischen Erfahrungen in volkseigenen Betrieben der DDR und seine wissenschaftlichen theoretischen Arbeiten trug er wesentlich zur Diskussion über ökonomische und gesellschaftspolitische Fragen im Sozialismus und Kapitalismus bei.[1][2]
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ab 1946 begann Hermann Jacobs seinen beruflichen Werdegang als Volontär bei der Tageszeitung „Neues Deutschland“, dem Zentralorgan des Zentralkomitees (ZK) der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Er gehörte zu den Absolventen des ersten Journalistenlehrgangs an der Parteihochschule „Karl Marx“. Von 1947 bis 1955 war er Redakteur beim Neuen Deutschland und arbeitete in verschiedenen Ressorts, darunter Nachrichten, Wirtschaft, Innenpolitik, Lokalberichterstattung Berlin und dem Ressort gesamtdeutsche Fragen. Im Jahr 1952 wurde er Leiter der Bezirksredaktion Mark Brandenburg, bevor er in einer LPG (landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft) tätig war und später als Redakteur bei der Maschinen-Traktoren-Station (MTS) Radensleben arbeitete.
Im Jahr 1957 wechselte Hermann Jacobs auf eigenen Wunsch von der journalistischen Arbeit in die Produktion. Bis 1990 war er in verschiedenen volkseigenen Betrieben tätig, zuletzt im Metall-Leichtbau-Kombinat Berlin, wo er als Fräser, Dreher und Schweißer arbeitete. Parallel dazu bildete er sich kontinuierlich weiter. 1974 schloss er eine Facharbeiterausbildung als Stahlbauer ab. Erst 1975/76 konnte er als Gasthörer im Studium der Politischen Ökonomie teilnehmen. Von 1977 bis 1979 absolvierte er ein externes Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin in der Sektion Wirtschaftswissenschaft, im Fachbereich Finanzen und erwarb den Abschluss als Diplomökonom an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Diplomarbeit trug den Titel: „Allgemeintheoretische Betrachtung des Wesens der Finanzen als des gesellschaftlichen Verhältnisses zwischen Staat und Geld bis zum entwickelten Sozialismus“.
Ab 1990 bis 2001 arbeitete er in der AG Wirtschaftspolitik beim Parteivorstand der PDS mit.
Daneben beteiligte er sich mit Beiträgen an verschiedenen Veranstaltungen der DKP und der Marx-Engels-Stiftung e.V., bei der er u. a. 1993 den Vortrag „Der Wert in der Kritik des Kapitals“ hielt.
Werk
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bereits ab den 1960er Jahren begann Hermann Jacobs, sich intensiv mit theoretischen Fragen der sozialistischen Ökonomie auseinanderzusetzen. Seine praktischen Erfahrungen in volkseigenen Betrieben ermöglichten ihm einen tiefen Einblick in die realen Entlohnungsbedingungen der DDR. Konfrontiert mit der Lohnreform der DDR von 1962/63 erfolgte die Aufnahme theoretischer Überlegungen dazu. Er schrieb erste Arbeiten zur Politik wie Ökonomie des Sozialismus. Seine Überlegungen wurden durch einen umfangreichen Briefwechsel mit Wissenschaftlern und politischen Persönlichkeiten der DDR ergänzt. In seinen Briefen an das ZK der SED kritisierte er das Neue Ökonomische System (NÖS) und entwickelte eine eigene Theorie aus der Sicht einer gesellschaftlich zu entwickelnden Lohntheorie und Lohnpraxis im Sozialismus.[3]
Ab den 1970er Jahren führte er eine rege briefliche Auseinandersetzung mit maßgebenden Wissenschaftlern der DDR. Dabei setzte er sich einerseits mit dem Preis-Geld-Lohn-System des Sozialismus auseinander, andererseits analysierte er die Entwicklung des Preis-Geld-Systems im Kapitalismus seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Er betrachtet die inflationären Tendenzen des Kapitalismus als dessen zentrales Merkmal, als das eigentliche System des Kapitalismus.
In seiner Position entspricht er Marxschem Gedankengut vom Grundsatz her, macht aber auf zwei Unterschiede bezüglich Marx’scher Positionen aufmerksam. Historisch bedingte Unterschiede, wie er sagt. Darin schlägt sich die geschichtliche Entwicklung, wie aber auch die praktische Erfahrung mit der Ökonomie der DDR nieder. Nach den Arbeiten von Marx sind in dieser Frage – dem formativen Charakter der Menschheitsgeschichte – zwei neue Entwicklungen hinzugekommen:
- Der Beginn einer Ökonomie (Geld- Preis-System) jenseits des Privateigentums, also einer kommunistischen Gesellschaftsordnung,
- Der Übergang im Kapitalismus zu einem permanent inflationären Preis- wie Geldsystem.
Der Beginn einer kommunistischen Ökonomie hat stattgefunden ungeachtet dessen, inwieweit sozialistische Länder heute noch existieren. Das Preis- wie Geldsystem des Kapitalismus, das heute besteht, unterscheidet sich wesentlich von dem des 19. Jahrhunderts, von dem Karl Marx noch in seinen Arbeiten ausgegangen ist. Beide Komplexe sind Gegenstand seiner theoretischen Arbeiten seit 1963 und stellen eine Erweiterung der marxistischen Analyse aus dem Buch „Das Kapital“ dar. Deshalb: „Über Marx hinaus“.
Zwischen 1983 und 1987 verfasste Hermann Jacobs, die „Theoretischen Briefe“, eine systematische Kommentierung politischer und ökonomischer Ereignisse in der DDR, der UdSSR und weiteren sozialistischen Ländern. Diese fanden nach 1999 ihre Fortsetzung in den Reihen „Beiträge zur Theorie von Gesellschaftsformationen“. 27 der 60 Beiträge wurden in 3 Broschüren „Sozialismus-Konkretionen“ zusammengefasst.
Weitere systematische Kommentierungen erfolgten auch zu den sogenannten „Prager Reformen“ ab 1968 und den „Perestroika“-Reformen unter M.S. Gorbatschow ab 1987 in der UdSSR. Als Anregung zur öffentlichen wissenschaftlichen Diskussion begann er ab 2013 mit einer weiteren Reihe von ca. 100 „Reflexionen“ auf aktuelle Veröffentlichungen.
Nach 1990 veröffentlichte er rund 300 Arbeiten in Zeitschriften der Bundesrepublik. Zudem wurden viele seiner Manuskripte aus der DDR-Zeit erstmals öffentlich zugänglich gemacht und gelangten damit zur Diskussion.
Rezeption
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Hermann Jacobs war ein klarer Marxist, ein kritischer Denker zur ökonomischen Entwicklung im Sozialismus/ Kommunismus, der sich nie mit einfachen Antworten zufriedengab. Sein intellektuelles Erbe umfasst eine tiefgreifende Analyse der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, sowohl im Sozialismus als auch im Kapitalismus. In allen Arbeiten, besonders aber in denen zur Preis-Geld-Lohn-Frage, liegt sowohl eine in vielerlei Hinsicht neuartige theoretische Deutung des sich entwickelnden kapitalistischen Systems als auch des Beginns eines sozialistisch-kommunistischen gesellschaftlichen Systems vor. Besonders die Arbeiten
- zum NÖS der DDR versuchten wert- respektive warenökonomischen Reformen im Sozialismus seiner ersten Realität nach[4]
- zur Lohnfrage an sich im Sozialismus[5]
- zum Preis-Geld-System im Sozialismus[6][7]
sind ihrem Umfang wie ihrer analytischen Aussagekraft und neuen theoretischen Ansätzen nach, die gründlichsten, die auf diesen Gebieten bisher geschrieben worden sind.
Schriften (Auswahl)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Die Wertform - bis zu ihrer Negation – Theoretische Wertung aller bisherigen Praxen, Berlin 08.06.2017, ISBN 978-3-7450-6158-1
- Die Lohnfrage – wie sie entsteht und wie sie gelöst werden muss, Berlin 20.09.2018, ISBN 978-3-7467-6351-4
- Proletarischer Absolutismus – wie Marxisten sein Erscheinen am Beginn des Kommunismus zu erklären haben, Berlin 09.10.2023, ISBN 978-3-7584-1277-6
- ÜBER WERT-LOGIK, KAPITAL-LOGIK, SOZIAL-LOGIK – Die ungarischen Briefe (1984 – 1987), Berlin 1990, ISBN 3-928999-45-1
- Genosse Ware oder: Der proletarische Absolutismus, Berlin 1996
- Lohn (I) „Der Proletarier und das Wertverhältnis“, Berlin 1997, ISBN 3-928999-78-8
- Der Wert in der Kritik -I Kapitalismus, II Sozialismus, Berlin 1996
- Thesen zur Theorie des Kommunismus und der Theorie der besonderen Warenproduktion im Sozialismus, Berlin 1996, ISBN 3-928999-68-0
- Das NÖS als Widerspruch (geschrieben aus Anlass des 120. Geburtstages von Walter Ulbricht), und weitere, offen-siv, Berlin 11/2021, ISBN 978-3-9818899-7-0
- Verkannte Dialektik Ist der Kommunismus in der Übergangsperiode nach dem Kapitalismus noch eine Warenproduktion?, offen-siv, Berlin 08/2023
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Hermann Jacobs im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Hermann Jacobs in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Hermann Jacobs (Ökonom) im Katalog der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft (ZBW)
- Literatur von Hermann Jacobs im Archiv der Zeitschrift offen-siv
- Literatur von Hermann Jacobs im Archiv der Humboldt-Universität zu Berlin
- Nachlass Bundesarchiv N 2859
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Hermann Jacobs bei epubli. Abgerufen am 2. Januar 2025.
- ↑ Frank Flegel: Trauer um Hermann Jacobs. In: offen-siv. August 2024, S. 63 (offen-siv.net [PDF]).
- ↑ Bundesarchiv, BArch DY 30/49819, Alt-/Vorsignatur: DY 30-J IV 2/2J/2353
- ↑ Hermann Jacobs: Das NÖS – die demokratische Planwirtschaft? In: RotFuchs. April 2022, S. 34 (rotfuchs.net [PDF]).
- ↑ Hermann Jacobs: Das NÖS – Die Lohnfrage. Abgerufen am 2. Januar 2025.
- ↑ Tschinkel, Gerfried: Die Warenproduktion und ihr Ende, Kapitel 4. Abgerufen am 3. Januar 2025.
- ↑ Wenzel, Siegfried: Was war die DDR wert? Seite 222. Abgerufen am 3. Januar 2025.
Personendaten | |
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NAME | Jacobs, Hermann |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Diplomökonom und Journalist |
GEBURTSDATUM | 9. August 1929 |
GEBURTSORT | Berlin |
STERBEDATUM | 1. August 2024 |
STERBEORT | Berlin |