Geschichte der O

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Geschichte der O (französischer Originaltitel: Histoire d’O) ist ein 1954 erschienener erotischer Roman von Anne Desclos (bekannt als Dominique Aury), die ihn unter dem Pseudonym Pauline Réage veröffentlichte. Wegen seiner detaillierten Darstellung weiblicher Unterwerfung galt das Werk lange als ein Skandalbuch. Es übte auf die Entwicklung der erotischen Literatur großen Einfluss aus[1] und ist einer der bekanntesten sadomasochistischen Romane.

Der Roman wurde mehrfach verfilmt, am bekanntesten ist die Verfilmung von 1975 und die Fernsehserie von 1992.

Die unterwürfige O, eine erfolgreiche Pariser Modefotografin, lässt sich von ihrem Geliebten René auf das abgeschiedene Schloss Roissy bringen. Es ist ein exklusives Privatanwesen, in dem sich Frauen dem Willen der Männer unterwerfen. Dort lässt sich O aus Liebe zu René zu einer perfekten Sklavin ausbilden. Im Rahmen ihrer Erziehung wird sie gefesselt, ausgepeitscht und gelehrt, jederzeit und für jeden sexuell verfügbar zu sein. Nach dem Abschluss ihrer Ausbildung stimmt sie dem Wunsch Renés zu, vorübergehend bei seinem väterlichen Freund Sir Stephen zu wohnen und sich dessen Wünschen bedingungslos zu fügen.

Sir Stephen erweist sich als noch dominanter als René; O verliebt sich in ihn. Zum Beweis dieser Liebe unterzieht sie sich einer weiteren, noch strengeren Ausbildung in einem ausschließlich von Frauen bewohnten und geleiteten Anwesen namens Samois. Sie erhält dort Brandmale am Gesäß sowie Ringe und Scheiben an den Schamlippen als Zeichen, dass sie Sir Stephens Eigentum ist.

Das Buch enthält den Hinweis auf ein gestrichenes Schlusskapitel: Darin kehrt O nach Roissy zurück und wird dort von Sir Stephen verlassen; in einer Alternativversion wünscht sich O – als sie sieht, dass Sir Stephen sie verlassen wird – ihren Tod, und Sir Stephen erteilt seine Zustimmung. Tatsächlich verfasste die Autorin Jahre später besagten Anhang, jedoch mit abweichendem Schluss.

Einordnung und Hintergrund

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Der Roman stellt die Frage nach dem Verhältnis von Liebe und Unterwerfung beziehungsweise der freiwilligen „Aufgabe des eigenen Willens“. Alle Vorgänge werden ohne Erzählerkommentare aus der Perspektive der Protagonistin geschildert, deren Innenleben so auf subtile Weise dargestellt wird, ohne dass ihr Verhalten moralisch bewertet oder anhand konventioneller Maßstäbe erklärt würde. Bekannt ist eine Vergewaltigungs- und Folterszene, in der sie beim Anblick der abgenutzten Pantoffeln ihres Geliebten daran denkt, ihm bei nächster Gelegenheit neue zu beschaffen.

In Sprache und Stilistik steht das Werk in der Tradition der klassischen französischen Literatur; das Buch kommt trotz der Thematik völlig ohne obszöne Wörter aus. Der essenzielle Kontrast zu geläufigen Schemata besteht darin, dass O sich bewusst und freiwillig in ihre Rolle fügt. Denn nichts geschieht, ohne dass sie zuvor ihr Einverständnis gibt, und sie bezieht gerade aus dieser formalen Unterwerfungssituation neues Selbstbewusstsein.

In 1955 veröffentlichte Georges Bataille eine Rezension; er war Autor hochliterarischer Pornografie in Frankreich.[2]

Walter Jens schrieb 1967 als Gutachter für die Bundesprüfstelle anlässlich des Erscheinens der deutschen Ausgabe: „Nein, hier geht es nicht um gehobene Unterhaltungs-Literatur, hier steht ein Werk der Kunst zur Debatte, das souverän alle Praktiken moderner Poesie beherrscht ... hier ist ein Autor von Rang am Werk, ein Dialektiker und Stilist zugleich. Ich bin sicher, es gibt viele Schriftsteller, die viel darum gäben, wenn ihnen einmal ein derartiges Buch gelänge, ein Roman, in dessen Mittelpunkt nicht Erotisches, sondern ... Spirituelles steht.“[3]

Susan Sontag bezeichnete Die Geschichte der O in ihrem Essay The Pornographic Imagination „als hochgradig literarisches Werk“ und als ein Beispiel für die Legitimität anspruchsvoller Pornografie als eigenständiges literarisches Genre.

Andrea Dworkin vertrat im Rahmen ihrer Kampagne gegen Pornografie im Allgemeinen und sadomasochistischer Literatur im Besonderen die These, die Figur der O sei durch einen männlichen Autor nur dazu geschaffen worden, die Unterwerfung der Frau zu propagieren. Frederick Wyatt vertrat die These, dass die offenkundige Unverwüstlichkeit der O, ebenso wie ihre Unverletzlichkeit gegenüber allen Unbilden den Genuss der sadomasochistischen Literatur erleichtern, und sieht hier eine Nähe zur Funktion der Katharsis in der klassischen griechischen Tragödie.[4]

Die Soziologin Cornelia Möser bezeichnete die 2011/2012 erschienene Romantrilogie Shades of Grey als eine „arme Kopie“ von Geschichte der O.[5]

Entstehung und Verbreitung

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Der biografische Anlass für die Entstehung des Romans war die Liebe Anne Desclos’ zu dem zwanzig Jahre älteren Schriftsteller und Literaturkenner Jean Paulhan. Nachdem sie die Wertschätzung ihres verheirateten Partners für die ihr zu diesem Zeitpunkt unbekannten Werke des Marquis de Sade erkannte, entschloss sich Desclos, ein eigenes Buch zu schreiben und ihm jedes einzelne Kapitel nach dessen Vollendung zukommen zu lassen.[6] An seine Bemerkung anknüpfend, Frauen könnten keine entsprechende erotische Literatur schreiben, verfasste sie das Werk innerhalb von drei Monaten, um ihn an sich zu binden, was ihr auch gelang.

Der Roman erschien im Juni 1954 in einer Auflage von 2000 Exemplaren mit einem Vorwort von Paulhan im Verlag von Jean-Jacques Pauvert, zusätzlich wurden 600 nummerierte Exemplare gedruckt und mit einer Lithographie von Hans Bellmer versehen[7]. Zuvor war das Buch von zwei anderen Verlagen (Les Deux Rives und Gallimard) aus Furcht vor einem öffentlichen Eklat abgelehnt worden. Pauvert hatte bereits die gesammelten Werke de Sades verlegt und war aus diesem Grund mehrfach angeklagt worden.

Im Januar 1955 gewann das Buch den französischen Literaturpreis Prix des Deux Magots. Dies hielt die französischen Behörden jedoch nicht davon ab, gegen den Verleger des Werks wegen der Veröffentlichung obszönen Materials Klage einzureichen. Die Klage wurde von den zuständigen Gerichten zurückgewiesen, dennoch landete das Buch in Frankreich für mehrere Jahre auf dem Index. Der Verleger weigerte sich, den Behörden den tatsächlichen Namen der Autorin zu nennen. Desclos selbst deckte ihre (spätestens seit den 1970ern gerüchteweise bekannte[8]) Autorenschaft erst 1994 öffentlich in einem Interview mit der amerikanischen Zeitschrift The New Yorker auf. Die Regisseurin Pola Rapaport schilderte 2004 in ihrer Dokumentation The Writer of O die Geschichte des Geheimnisses durch eine Reihe von Interviews und Filmausschnitten.

Die erste deutsche Ausgabe erschien 1967 im Melzer Verlag, eigentlich spezialisiert auf Judaica. Der Verlag ging das Risiko einer Veröffentlichung des Romans bewusst ein, um einem drohenden Konkurs zu entgehen. Seit 2000 ist das Werk in einer Edition des Charon-Verlags mit Begleittext frei erhältlich und wird in großen Auflagen verkauft.

Als eigenständige Ausgabe bleibt der Roman in Deutschland als jugendgefährdend eingestuft („indiziert“). Eine seit Juli 2006 unter der Bezeichnung Bild-Erotik-Bibliothek veröffentlichte Literaturreihe der Bild und der Verlagsgruppe Random House machte den Roman einem breiten Publikum zugänglich. Das Werk wurde später in der Ausgabe der Bibliothek ebenfalls als jugendgefährdend eingestuft. Noch bevor die bereits 1967 und 1982 für andere Ausgaben ausgesprochene Indizierung wieder in Kraft trat, zog der Verlag das Buch vor der Entscheidung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zurück.

Ein Schweizer Sammler namens Nordmann erwarb 1994 das Manuskript des Romans für ca. 100.000 US-Dollar. Nach seinem Tod wurde ein Großteil der Sammlung, einschließlich des Manuskriptes von Geschichte der O, am 27. April 2006 bei Christie’s in Paris versteigert. Das Manuskript ging für 85.000 € an einen Unbekannten.

„‚Die Geschichte der O‘ hat den Weg für Pornografie in Deutschland freigeschlagen, nicht die Olympia Press.“

Jörg Schröder[9]

„Die Widersprüchlichkeit der geschlagenen Frau, auf der einen Seite Schmerz, auf der anderen Seite Lust, werden immer zugunsten ihrer eigenen Triebhaftigkeit gelöst, die durch sadomasochistische Praktiken befriedigt wird. Das hier skizzierte Frauenbild entspricht in keiner Weise dem sexuellen Empfinden von Frauen, es entspringt vielmehr der männlichen Phantasiewelt, auch wenn der Autor eine Frau sein soll.“

Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien 1983[10]

Das 1969 erschienene Kapitel Rückkehr nach Roissy stellt eine Fortsetzung der Geschichte der O dar; in neueren Ausgaben wird es dem Roman meist als Anhang beigefügt. Darin wird O erneut in das Schloss gebracht. Am Schluss erscheint die Polizei, die Sir Stephen wegen Mordes sucht. O wird anschließend von der Leiterin erklärt, sie sei nun frei; so sie wolle, könne sie jedoch auch bleiben. Die Autorin merkte dazu an, die Seiten seien „bewußt ein Abstieg, und sie dürfen niemals in die Geschichte der O einbezogen werden“.[11]

Adaption als Comic

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1975 adaptierte der italienische Künstler Guido Crepax die Geschichte für einen zweiteiligen Comic. Peter Gorsen, zu damaliger Zeit Dozent für Kunst und visuelle Kommunikation an der Justus-Liebig-Universität Gießen schrieb nach dem Erscheinen des Comics: „Die ‚Geschichte der O‘ fällt meines Erachtens unter den Kunstvorbehalt des Grundgesetzes. Es richtet sich an eine ‚erwachsene‘, gebildete, wenn nicht überhaupt künstlerisch interessierte Lesergruppe. […] Die Graphik erreicht bei Crepax ein handwerkliches Virtuosentum.“ Wegen des sadomasochistischen Inhalts und expliziter Darstellungen wurde der Comic von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPS) auf den Index gesetzt. Die in Frankreich und Italien erschienene Comicversion, eine aufwändig im Siebdruckverfahren hergestellte, signierte und nummerierte Edition mit Vorworten von Roland Barthes und Alain Robbe-Grillet gilt als der teuerste Erstdruck eines Comics.

Der französische Regisseur Henri-Georges Clouzot plante jahrelang eine filmische Umsetzung des Stoffs. Die Verfilmung Die Geschichte der O 1975 von Just Jaeckin mit Corinne Cléry und Udo Kier gilt als ein Klassiker ihres Genres, auch wenn sie zunächst hinter dem Erfolg des Buches zurückblieb. Einige Handlungsstränge und das Ende der literarischen Vorlage wurden sehr stark verändert. In Großbritannien war der Film durch das British Board of Film Censors bis zum Februar 2000 verboten. Der Produzent des Films von 1975, Éric Rochat, produzierte 1992 eine fünfteilige gleichnamige brasilianische Serie mit Cláudia Cepeda in der Titelrolle.[12]

Der vor allem durch seine beiden klassischen Pornofilme Deep Throat (1972) und The Devil in Miss Jones (1973) bekannte US-amerikanische Filmregisseur Gerard Damiano drehte 1975 The Story of Joanna, eine Variation der Geschichte des Themas. Der Film ist durch die Geschichte der O stark beeinflusst. Um möglichen Lizenzforderungen aus dem Weg zu gehen, änderte Damiano den Titel und schuf eine Melange aus einem Einzelkapitel des Klassikers und Jean-Paul Sartres Drama Geschlossene Gesellschaft.

Als Hommage an die Geschichte der O und deren Autorin produzierte der dänische Regisseur Lars von Trier 1979 einen Kurzfilm mit dem Namen Menthe – la bienheureuse. Im Jahr 2002 führte Phil Leirness in einer modernen englischsprachigen Adaption des Stoffes Regie; er fungierte auch als Co-Autor des Drehbuchs.

Vereinfachtes Modell des Ring der O nach dem literarischen Vorbild mit der Triskele
  • In BDSM-Kreisen wird oft der sogenannte Ring der O getragen. Dieser dient seit geraumer Zeit auch der Bondage-Szene als Erkennungszeichen und hat seinen Weg auch in den Mainstream gefunden.
  • Es wird angenommen, dass im sozialen Umfeld von Anne Desclos die französische Autorin Janine Aeply, Ehefrau des Malers Jean Fautrier und eine ihrer Freundinnen, das Vorbild für die Romangestalt war.
  • Der Roman ist die Quelle einer großen Anzahl unterschiedlicher Begriffe, die in der BDSM-Subkultur weitverbreitet sind, hierzu gehört auch Samois, der Name des Anwesens der Buchfigur Anne-Marie, auf dem O gepierct und gebrandmarkt wird.
  • Regine Deforges: Confessions of O, Conversations with Pauline Reage. Viking Press, ISBN 0-670-23720-5.
  • Fechter, Alexander: Konstruktion der Frauenfigur im sadomasochistischen Film am Beispiel der „Geschichte der O“ / Alexander Fechter, 2007. - 112 Bl. Wien., Univ., Dipl.-Arb., 2008.
  • Régine Deforges, Pauline Réage: Die „O“ hat mir erzählt. Hintergründe eines Bestsellers. Charon, 2000, ISBN 3-931406-25-3 (Interview, „Die Geschichte der O“ und „Rückkehr nach Roissy“ in einem Band)
  • Christine Deja: FrauenLust und Unterwerfung. Geschichte der O und Neun Wochen und drei Tage. Kore Edition, 1991, ISBN 3-926023-31-7
  • Jessica Benjamin: Die Fesseln der Liebe. Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht. Stroemfeld, 2004, ISBN 3-86109-168-2
  • Jörg Schröder erzählt Ernst Herhaus: Siegfried. März Verlag 1972, ISBN 3-88880-013-7
  • Cornelia Möser: Identities and sexual differences: On economics of violence and transgressive pleasure. In: Journal of the CIPH. Band 95, Nr. 1, 2019, S. 97–113 (Online).
  • Kaja Silverman: Histoire d'O. The Construction of a Female Subject. In: Carole Vance (Hrsg.): Pleasure and Danger. Exploring Female Sexuality. Routledge, Boston 1984, ISBN 978-0-7102-0248-2 (Psychoanalytische Deutung des Romans).

Einzelnachweise

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  1. vgl. Observer, 25. Juni 2004, I wrote the story of O
  2. Georges Bataille: Le Paradoxe de l’Érotisme. In: Nouvelle Revue Française. Band 3, Nr. 29, 1. Mai 1955, S. 834–839 (editions-ismael.com).
  3. Jean de Berg: Das Bild, Rowohlt Taschenbuch Verlag, September 2001, im Nachwort S. 113 ff, ISBN 3 499 22984 6.
  4. Frederick Wyatt: Der Triumph des Masochismus, oder das Alpha in der Geschichte der O, in Helm Stierlin, Wolfgang Kaempfer, Renate Böschenstein: Freiburger literaturpsychologische Gespräche, Bd. 7, Masochismus in der Literatur. Koenigshausen & Neumann, 1988, ISBN 3-88479-330-6
  5. Cornelia Möser: Identities and sexual differences: On economics of violence and transgressive pleasure. In: Journal of the CIPH. Band 95, Nr. 1, 2019, S. 97–113 (Online).
  6. vgl. BBC, 13. November 2001 The True Story of ‘The Story of O’ by Pauline Reage
  7. Angie David: Dominique Aury. Editions Scheer 2006. S. 14
  8. Interview mit Jacqueline Demornex für ELLE, Gespräch mit Régine Deforges. Siehe auch: Based on truth? (Memento vom 21. Januar 2012 im Internet Archive)
  9. Jörg Schröder, damals Verlagsleiter bei Joseph Melzer und etwas später auch Verlagsleiter der „Olympia Press Deutschland“, im Rückblick
  10. Indizierungs-Beschluss der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPS) vom 11. Juni 1983. Spruchgremium: Elke Monssen-Engberding (Vorsitzende der BPS), Thea Graumann (Schriftstellerin), Elke Krumpholz (Lehrerin).
  11. Régine Deforges, Pauline Réage: Die „O“ hat mir erzählt. Ullstein, Berlin 1991, ISBN 3-548-22556-X, S. 279 oben
  12. Geschichte der O in der Online-Filmdatenbank
  13. Die Geschichte der O. - 2. Teil. In: Lexikon des internationalen Films. Filmdienst, abgerufen am 16. Dezember 2023.
  14. Geschichte der O – Untold Pleasures. In: Lexikon des internationalen Films. Filmdienst, abgerufen am 16. Dezember 2023.