Ingwer Paulsen

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Ingwer Paulsen (* 3. April 1883 in Ellerbek bei Kiel; † 25. November 1943 in Halebüll bei Husum)[1] war ein deutscher Grafiker und Maler.

Ingwer Paulsen

Ingwer Paulsen wurde als dritter von vier Söhnen des Arztes Ingwer Paulsen sen. geboren. Die Familie stammte väterlicher sowie mütterlicherseits aus Nordfriesland. Sein Großvater mütterlicherseits war Pastor in Hattstedt. Paulsen besuchte zunächst die Kieler Gelehrtenschule und später das Flensburger Realgymnasium. In der Absicht, wie sein älterer Bruder Friedrich Architektur zu studieren, zog er nach dem Schulabschluss nach München, wo er jedoch die Malerei für sich entdeckte.

Grabstätte von Ingwer und Elfriede Paulsen in Hattstedt

Von 1904 an nahm er privaten Unterricht als Schüler bei Hermann Groeber und Hugo von Habermann und trat 1907 in die Münchner Akademie ein.[2] Er besuchte zunächst die Zeichenschule von Karl Raupp, Mitglied der Künstlerkolonie Frauenchiemsee, bevor ihn Peter Halm in seine Klasse aufnahm. Im Herbst 1907 wechselte er an die Weimarer Kunstschule und studierte beim schleswig-holsteinischen Maler Hans Olde.[3] Am 4. September 1909 heiratete er in Eupen Else Kranz[4], die aus einer holländischen Familie stammte, und wurde 1911 mit ihr in Weimar ansässig.[5] Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges unternahm er Reisen nach Paris (1909), nach Flandern und Holland (1911), nach Italien (19911/12) und nach Belgien (1913/14).[6] Während des Ersten Weltkrieges wurde er als Ballonbeobachter in Frankreich, Russland und Italien eingesetzt.

Zu Beginn der zwanziger Jahre musste er aus wirtschaftlichen Gründen kurze Zeit die gewerbliche Kunst aufgeben und bewirtschaftete einen eigenen Bauernhof, den Ziegelhof am Südufer der Treene in Sichtweite von Friedrichstadt. 1923 trennte er sich von seiner Frau, die mit den drei gemeinsamen Kindern auf dem Hof zurückblieb und zog mit seiner zweiten Frau Elfriede von Rohden (1898–1972) dauerhaft in das bereits zehn Jahre zuvor von dem Architekten Ernst Prinz nach eigenen Vorstellungen errichtete Wohn- und Atelierhaus in Halebüll.[7] Studienreisen führten ihn in dieser Zeit nach Mecklenburg (1922) und Mainfranken (1923). Mit dem Soziologen Ferdinand Tönnies reiste er in die Provence (1927) und fuhr 1928/29 nach Griechenland[8] und Albanien, wo er den Archäologen Wilhelm Dörpfeld für mehrere Monate besuchte.

Ölgemälde Hof auf der Geest, Öl auf Holz, 1925, 28,5 × 40 cm, Privatbesitz

Schon seit Mitte der 1920er Jahre war er im völkischen Sinne kulturpolitisch aktiv und setzte sich zunächst für die Belange der schleswig-holsteinischen Künstler ein und trat am 1. Februar 1930 der NSDAP (Mitgliedsnummer 431.341) bei.[9] Für 1934 sind seine Tätigkeiten als Zellenwart und Kreiskulturwart des Kreises Husum dokumentiert. Außerdem leitete Paulsen den völkisch und antisemitisch ausgerichteten Kampfbund für Deutsche Kultur, Ortsgruppe Husum, war aber auch Mitglied im Deutschen Künstlerbund.[10] Im März 1930 gründete er nach dem Vorbild der Frauenbildungsstätte Loheland – einer anthroposophischen Schulsiedlung, die Hedwig von Rohden, eine Cousine seiner Frau bei Fulda leitete – in Halebüll eine Nordsee-Schule. Das Angebot der Schule richtete sich vor allem an Frauen und verband Gymnastik in der Natur mit künstlerischen Tätigkeiten.[11] Als Vorstandsmitglied der Schleswig-Holsteinischen Kunstgenossenschaft und nationalsozialistischer Kulturfunktionär suchte er den Schulterschluss mit den Initiatoren der Aktion Entartete Kunst Wolfgang Willrich und Walter Hansen.[12] Trotz seines unermüdlichen Einsatzes für die Ziele des Nationalsozialismus machte Ingwer Paulsen im Dritten Reich weder als Künstler noch als Kulturfunktionär Karriere, diesbezügliche Klagen wurden von Joseph Goebbels zurückgewiesen.[13]

Im Zweiten Weltkrieg ging Paulsen 1940 zunächst zur Luftwaffe nach Schleswig. Später war er u. a. im niederländischen Gorinchem als Stadtkommandant stationiert. 1943 entließ ihn die Wehrmacht dann aus Altersgründen.

Wenige Monate später starb Ingwer Paulsen am 25. November 1943 an einem Herzinfarkt in seinem Haus in Halebüll. Er wurde auf dem Friedhof von Hattstedt beerdigt. Auf der Trauerfeier würdigte der Kreisleiter der NSDAP von Südtondern, Johann Peperkorn, sein Leben. Nach dem Krieg wurde in Halebüll, heute ein Stadtteil von Husum, ein Weg nach Paulsen benannt.

Ölgemälde Bei Ockholm, Öl auf Leinwand (signiert und rückseitig beschriftet Bei Ockholm, 32/16), 60 × 80 cm, Privatbesitz

Ingwer Paulsen war in erster Linie Radierer. Seine Themen waren die Landschaft und die Architektur der schleswig-holsteinischen Westküste und all der Länder, die er auf seinen Studienreisen besuchte. Hans Wolfgang Singer schrieb in seinem Standardwerk Die moderne Graphik:

„Ingwer Paulsen hat all das Zeug dazu, ein Klassiker der Radierung zu werden.“[14]

Ölgemälde, Hallig Gröde, Öl auf Leinwand (signiert und rückseitig beschriftet Hallig Gröde, 31/8), 80 × 60 cm, Privatbesitz

Nach Ende des Ersten Weltkrieges strebte er vorübergehend nach der Totalität aller Ausdrucksmittel von Grafik, Malerei und Bildhauerei. Neben Skulpturen entstanden Entwürfe zu großen farbigen Wandbildern. Er illustrierte 1925 das Buch Einsame Ufer. Hallignovellen von Elfriede Rotermund. Ab Mitte der zwanziger Jahre widmete er sich zunehmend der Malerei und experimentierte mit impressionistischen und expressionistischen Stilen. Seine thematische Annäherung an die NS-Ideologie blieb ohne nennenswerte Resonanz.[15]

Radierung Haus mit Heuhaufen (Werkverzeichnis Nr. 90), 16,5 × 20,5 cm
Radierung Gewitterwolken über Bauernhöfen (Werkverzeichnis Nr. 96), 22,5 × 27 cm
  • Brücke und Stadttor, Ölgemälde auf der Großen Deutschen Kunstausstellung, 1941[16]
  • bei Eckernförde. Radierung im Museen Nord[17]
  • Fischerdorf, o. J., Öl auf Leinwand[18]
  • Nordfriesische Sommerlandschaft, o. J., Öl auf Leinwand, 50 × 70 cm[19]
  • Geestweg bei Halebüll, o. J., Öl auf Holzplatte, 40 × 60,5 cm[20]
  • Am Kanal, 1920, Öl auf Holzplatte, 66 × 87 cm[21]
Die schöne Nordmark. Die Welt der Halligen. Zehn Schwarzweißzeichnungen von Ingwer Paulsen
  • G. Kühn: Ingwer Paulsen, ein schleswig-holsteinischer Radierer. In: Die Heimat. Bd. 29 (1919), Nr. 9, September 1919, S. 129–134 (Digitalisat).
  • Fritz Graef: Ingwer Paulsen (geb. 3. April 1883 in Ellerbek bei Kiel). In: Schleswig-Holsteinisches Jahrbuch (1922), S. 73–82.
  • Hans Wolfgang Singer: Die moderne Graphik. Eine Darstellung für deren Freunde und Sammler. E. A. Seemann Verlag, Dritte Auflage, Leipzig 1922, S. 189–193, mit Abb. der Radierungen Dünenwald, Die Seufzerbrücke bei Venedig, Schloß der Grafen von Flandern in Gent und Der Löwe von San Marco. (Inhaltsverzeichnis)
  • Hans Wolfgang Singer: Das graphische Werk des Maler-Radierers Ingwer Paulsen : ein beschreibendes und chronologisch geordnetes Verzeichnis mit 79 Abbildungen. Scherl Kunstverlag, Berlin 1922.
  • Lilli Martius: Unseren toten Künstlern zum Gedächtnis. In: Kunst in Schleswig–Holstein (=Jahrbuch des Schleswig–Holsteinischen Landesmuseums Schleswig/Schloss Gottorp. Bd. 2). Flensburg 1951, S. 79–86, mit Abb. der Radierung Warft.
  • Adolf Möller: Ingwer Paulsen. Der Radierer Nordfrieslands. Husum 1984, ISBN 3-88042-217-6. (Inhaltsverzeichnis)
  • Claudia Bertling Biaggini: Ingwer Paulsen in Italien. Skizzen und Radierungen zwischen 1906 und 1902. Husum 1997, ISBN 3-88042-838-7. (Inhaltsverzeichnis)
  • Claudia Bertling-Biaggini: Licht und Farben Griechenlands: Ingwer Paulsen auf Reisen mit dem Archäologen Wilhelm Dörpfeld 1928/29. Husum 2004, ISBN 3-89876-181-9. (Inhaltsverzeichnis)
  • Claudia Bertling-Biaggini: Ingwer Paulsen: Akt – Figur – Bewegung. Husum 2007, ISBN 3-89876-341-2. (Inhaltsverzeichnis)
  • Schobüll – eine Chronik in Berichten und Geschichten. Husum 2014.
  • Ulrich Schulte-Wülwer: Ingwer Paulsen. In: Ders., Kieler Künstler Band 3: In der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus 1918–1945. Heide 2019, S. 266–284. ISBN 978-3-8042-1493-4. (Inhaltsverzeichnis)
Nordsee. Sieben Skizzenbuchblätter von Ingwer Paulsen
Commons: Ingwer Paulsen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Adolf Möller: Ingwer Paulsen. Der Radierer Nordfrieslands. Husum 1984, S. 154.
  2. Matrikeldatenbank - Akademie der Bildenden Künste München. Abgerufen am 27. Mai 2024.
  3. Ulrich Schulte–Wülwer: Kieler Künstler, Band 3. Heide 2019, S. 266.
  4. Kölnische Zeitung vom 4. September 1909: Vermählungsanzeige Ingwer und Else Paulsen. 2023, abgerufen am 17. Januar 2023.
  5. Kölnische Zeitung vom 19. September 1914: Geburtsanzeige einer Tochter von Ingwer und Else Paulsen. 2023, abgerufen am 17. Januar 2023.
  6. Adolf Möller: Ingwer Paulsen. Der Radierer Nordfrieslands. Husum 1984, S. 154.
  7. Ulrich Schulte–Wülwer: Kieler Künstler, Band 3. Heide 2019, S. 271.
  8. Neue Zürcher Zeitung: Ein norddeutscher Blick auf Griechenland. 21. Juni 2004, abgerufen am 22. Dezember 2022.
  9. Personalkarte Reichsschulungsamt der NSDAP und der DAF. BArch R 9361-II/791588
  10. kuenstlerbund.de: Ordentliche Mitglieder des Deutschen Künstlerbundes seit der Gründung 1903 / Paulsen, Ingwer (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive) (abgerufen am 4. Dezember 2015)
  11. Ulrich Schulte-Wülwer: Kieler Künstler, Band 3. Heide 2019, S. 274.
  12. Ingwer Paulsen an Kapellmeister Brandmauer, Hilversum 13. Oktober 1941. Nachlass Ingwer Paulsen, Halebüll.
  13. Schreiben von Paulsen an Goebbels, Halebüll, 4. August 1937 und die Antwort, Berlin 4. August 1937 im Nachlass Ingwer Paulsen, Halebüll.
  14. Ulrich Schulte–Wülwer: Kieler Künstler, Band 3. Heide 2019, S. 267.
  15. Ulrich Schulte-Wülwer: Kieler Künstler, Band 3. Heide 2019, S. 277.
  16. Brücke und Stadttor — Die Großen Deutsche Kunstausstellungen 1937 – 1944/45. Abgerufen am 27. Mai 2024.
  17. "Ingwer Paulsen: bei Eckernförde". Abgerufen am 27. Mai 2024.
  18. Sammlung Online | Hamburger Kunsthalle. Abgerufen am 27. Mai 2024.
  19. Paulsen, Ingwer - Yves Siebers Auktionen. Abgerufen am 27. Mai 2024.
  20. Ketterer Kunst, Kunstauktionen, Buchauktionen München, Hamburg & Berlin. Abgerufen am 27. Mai 2024.
  21. Gemälde Nordsee friesische Hallig von Ingwer Paulsen (1883 - 1943). Abgerufen am 27. Mai 2024.