Der cauchysche Integralsatz (nach Augustin Louis Cauchy) ist einer der wichtigsten Sätze der Funktionentheorie. Er handelt von Kurvenintegralen für holomorphe (auf einer offenen Menge komplex-differenzierbare) Funktionen. Im Kern besagt er, dass zwei dieselben Punkte verbindende Wege das gleiche Wegintegral besitzen, falls die Funktion überall zwischen den zwei Wegen holomorph ist. Der Satz gewinnt seine Bedeutung unter anderem daraus, dass man ihn zum Beweis der cauchyschen Integralformel und des Residuensatzes benutzt.
Die erste Formulierung des Satzes stammt von 1814, als Cauchy ihn für rechteckige Gebiete bewies. Dies verallgemeinerte er in den nächsten Jahren, allerdings setzte er dabei den jordanschen Kurvensatz als selbstverständlich voraus. Moderne Beweise kommen durch das Lemma von Goursat ohne diese tiefgreifende Aussage aus der Topologie aus.
Der Integralsatz wurde in zahlreichen Versionen formuliert.
Sei ein Elementargebiet, also ein Gebiet, auf dem jede holomorphe Funktion eine Stammfunktion besitzt. Sterngebiete sind beispielsweise Elementargebiete. Der Cauchysche Integralsatz besagt nun, dass
für jede geschlossene Kurve (wobei und ). Für das Integralzeichen mit Kreis siehe Notation für Kurvenintegrale von geschlossenen Kurven.
Ist kein Elementargebiet, so ist die Aussage falsch. Zum Beispiel ist auf dem Gebiet holomorph, dennoch verschwindet nicht über jede geschlossene Kurve. Beispielsweise gilt
für die einfach durchlaufene Randkurve einer Kreisscheibe um mit positivem Radius .
Ist offen und sind zwei zueinander homotope Kurven in , dann ist
für jede holomorphe Funktion .
Ist ein einfach zusammenhängendes Gebiet, dann verschwindet das Integral nach der Homotopie-Version für jede geschlossene Kurve, d. h. ist ein Elementargebiet.
Bei erneuter Betrachtung des obigen Beispiels bemerkt man, dass nicht einfach zusammenhängend ist.
Ist ein Gebiet und ein Zyklus in , dann verschwindet
genau dann für jede holomorphe Funktion , wenn nullhomolog in ist.
Es sei ein Gebiet, ein innerer Punkt und holomorph. Sei eine punktierte Umgebung, auf der holomorph ist. Sei ferner eine vollständig in verlaufende geschlossene Kurve, die genau einmal positiv orientiert umläuft, d. h. für die Umlaufzahl gilt (insbesondere liegt nicht auf ). Mit dem Integralsatz gilt nun
Durch Verallgemeinerung auf beliebige Umlaufzahlen von erhält man
Mithilfe der Definition des Residuums ergibt sich sogar
Der Residuensatz ist eine Verallgemeinerung dieser Vorgehensweise auf mehrere isolierte Singularitäten und auf Zyklen.
Es wird im Folgenden das Integral mit bestimmt. Wähle als Integrationsweg einen Kreis mit Radius um , also
Ergibt eingesetzt:
Da man jede Funktion , die auf einem Kreisring um holomorph ist, in eine Laurent-Reihe entwickeln kann, , ergibt sich bei der Integration um :
Nun lässt sich obiges Ergebnis anwenden:
- ,
wobei der Entwicklungskoeffizient Residuum genannt wurde.
Folgende Herleitung, die allerdings die stetige komplexe Differenzierbarkeit voraussetzt,
führt das komplexe Integral auf reelle zweidimensionale Integrale zurück.
Sei mit und mit . Dann gilt für das Integral entlang der Kurve in der komplexen Ebene, bzw. für das äquivalente Linienintegral entlang der Kurve
in der reellen Ebene
Damit wurde das komplexe Kurvenintegral durch zwei reelle Kurvenintegrale ausgedrückt.
Für eine geschlossene Kurve , die ein einfach zusammenhängendes Gebiet S berandet, lässt sich der Integralsatz von Gauß (hier wird die Stetigkeit der partiellen Ableitungen verwendet) anwenden
bzw. alternativ der Satz von Stokes
Ist die Funktion in S komplex differenzierbar, müssen dort die Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen
- und
gelten, sodass die obigen Integranden (egal ob in der Gauß- oder Stokes-Version) verschwinden:
Somit ist der cauchysche Integralsatz für holomorphe Funktionen auf einfach zusammenhängenden Gebieten bewiesen.
Der cauchysche Integralsatz ergibt sich als leichte Folgerung aus dem Satz von Stokes, wenn man den Wirtinger-Kalkül zum Einsatz bringt[1]. Dabei wird zum Beweis des Integralsatzes die Berechnung des Kurvenintegrals verstanden als Integration der komplexwertigen Differentialform
über die geschlossene Kurve , die das einfach zusammenhängende und von berandete Gebiet umläuft.
Der Wirtinger-Kalkül besagt nun, dass das Differential die Darstellung
hat, woraus unmittelbar
folgt.[2]
Nun ist zunächst grundsätzlich
Weiterhin bedeutet die vorausgesetzte Holomorphiebedingung für nach dem Wirtinger-Kalkül nichts weiter als
- ,
was unmittelbar
nach sich zieht.[3]
Insgesamt ergibt sich also:
und damit schließlich mittels Satz von Stokes:
Es lässt sich mit Hilfe des Integrallemmas von Goursat zeigen, dass sich aus der komplexen Differenzierbarkeit allein – also ohne die zusätzliche Annahme der Stetigkeit der Ableitungen! – bereits der cauchysche Integralsatz und dann auch die Existenz aller höheren Ableitungen ergibt. Dieser Zugang zum cauchyschen Integralsatz umgeht den Satz von Stokes und ist unter didaktischen Gesichtspunkten vorzuziehen.
Der Cauchysche Integralsatz ermöglicht unmittelbar Beweise des Fundamentalsatzes der Algebra, welcher besagt, dass jedes komplexe Polynom über in Linearfaktoren zerfällt, d. h., dass der Körper der komplexen Zahlen algebraisch abgeschlossen ist.
- Kurt Endl, Wolfgang Luh: Analysis. Band 3: Funktionentheorie, Differentialgleichungen. 6. überarbeitete Auflage. Aula-Verlag, Wiesbaden 1987, ISBN 3-89104-456-9, S. 143, Satz 4.7.3
- Wolfgang Fischer, Ingo Lieb: Funktionentheorie. 7. verbesserte Auflage. Vieweg, Braunschweig u. a. 1994, ISBN 3-528-67247-1, S. 57, Kapitel 3, Satz 1.4 (Vieweg-Studium. Aufbaukurs Mathematik 47).
- Günter Bärwolff: Höhere Mathematik für Naturwissenschaftler und Ingenieure. 2. Auflage, 1. korrigierter Nachdruck. Spektrum Akademischer Verlag, München u. a. 2009, ISBN 978-3-8274-1688-9.
- Klaus Jänich: Einführung in die Funktionentheorie. 2. Auflage. Springer-Verlag, Berlin (u. a.) 1980, ISBN 3-540-10032-6.
- ↑ Klaus Jänich: Einführung in die Funktionentheorie. 2. Auflage. Springer-Verlag, Berlin (u. a.) 1980, ISBN 3-540-10032-6, S. 19–20.
- ↑ Klaus Jänich: Einführung in die Funktionentheorie. 2. Auflage. Springer-Verlag, Berlin (u. a.) 1980, ISBN 3-540-10032-6, S. 15, 20.
- ↑ Klaus Jänich: Einführung in die Funktionentheorie. 2. Auflage. Springer-Verlag, Berlin (u. a.) 1980, ISBN 3-540-10032-6, S. 16, 20.