Joannino Favereo

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Titelseite der Canzonette napolitane 1593

Joannino (Janino) Favereo (* sicher vor 1570;[Anm 1] † Mitte 1624[Anm 2]) war ein deutscher Komponist und Hofkapellmeister der Kurfürsten von Köln.

Über Favereos Herkunft ist nichts bekannt. Vermutlich stammte er aus der Lütticher Beamtenfamilie Favreau. Darauf deutet das am Ende des 17. Jahrhunderts von einer Enkelin geführte Wappen hin,[1] ebenso die Herkunft seines Vorgängers und seiner beiden Nachfolger im Amt des kurkölnischen Hofkapellmeisters.[2]

Erstmals nachweisbar ist Favereo am 25. November 1592 in Köln, als er seine dort ein Jahr später gedruckten Canzonette napolitane zwei Ratsherren widmete, auf deren Titelblatt er sich als „Unterkapellmeister“ (sotto-maestro) des Kurfürsten Ernst von Bayern bezeichnete.[3] In dieser Zeit war Antonius Gosswin noch als Hofkapellmeister bei Kurfürst Ernst tätig. Wann Favereo ihm als Leiter der kurkölnischen Hofkapelle folgte, ist nicht belegt, spätestens aber wohl nach Gosswins Tod 1597/98.[4]

Sicher nachweisbar als kurfürstlicher Kapellmeister ist Favereo erstmals 1603[5] in Arnsberg, der Residenz des Kurfürsten von Köln in dessen Eigenschaft als Herzog von Westfalen. Dorthin hatte sich Ernst von Bayern zurückgezogen, nachdem 1595 sein Neffe Ferdinand von Bayern als Koadjutor im Erzstift Köln eingesetzt worden war. In Arnsberg erwarb Favereo nachweislich eine Kornrente (1603) und eine Immobilie (1605)[5] und heiratete eine Schwester des wohlhabenden und sehr einflussreichen Arnsberger Bürgermeisters Henneke von Essen.[6]

Nach dem Tod des Kurfürsten Ernst am 17. Februar 1612 behielt Favereo auch unter dessen Nachfolger Ferdinand seine Stellung als Hofkapellmeister und begleitete in dieser Eigenschaft den neuen Kurfürsten zum Reichstag anlässlich der Wahl Kaiser Matthias’ im Juni 1612 nach Frankfurt am Main.[7]

Spätestens 1619 gab Favereo seine Stellung als Hofkapellmeister auf; sein Nachfolger wurde Alphonse de Fressart aus Lüttich.[8] Aber bereits 1615 bekleidete Favereo im Herzogtum Westfalen die Stellung eines Oberkellners,[9] der offiziell an der Spitze der landesherrlichen Finanzverwaltung stand; die tatsächliche Arbeit verrichtete aber ein „Unterkellner“. Favereo hatte also durch den Kurfürsten eine einträgliche Pfründe von jährlich 200 Reichstalern erhalten, was dem Gehalt eines kurfürstlichen Rates entsprach.[Anm 3]

Unterschrift Favereos 1621

Auf Wunsch des Kurfürsten wurden 1621 die landesherrlichen Einnahmen im Herzogtum Westfalen verpachtet.[10] Favereo wurde Amodiator (Pächter) und schloss noch im gleichen Jahr mit dem höchsten Hofbeamten des Herzogtums, dem Hofmeister Stephan Wrede, einen Vertrag über die Aufteilung der von den Gerichten des Herzogtums verhängten Geldstrafen (z. B. Brüchte).[11]

Favereo war mindestens dreimal verheiratet. Die ersten seiner vier bekannten Kinder stammten wohl aus der Ehe mit Anna von Essen († 1604/05).[12] Der Familienname seiner zweiten Ehefrau Ursula ist nicht bekannt.[Anm 4] Seine dritte Frau Gertrud von Edelkirchen aus einer niederen Adelsfamilie im Herzogtum Westfalen heiratete er erst wenige Jahre vor seinem Tod.[13]

Komposition Favereos aus dem Florilegium 1594

Von Favereos kompositorischem Schaffen ist nur wenig überliefert. Komplett erhalten sind seine Canzonette napolitane,[14] eine 1593 in Köln gedruckte Sammlung von 21 Liedern in italienischer Sprache, komponiert in den drei Stimmen Canto, Alto und Basso.[15] Von den Liedern 1 (Non si sa dimm'un pocco) und 6 (Madonna di cucagna) erschien ein Jahr später die jeweils erste Strophe in den Stimmen Canto und Basso in dem Sammelwerk Florilegium[16] des Adrian Denss, jetzt versehen mit einer Lautenbegleitung.[17]

In der von Bernhard Klingenstein, Domkapellmeister in Augsburg, 1604 herausgegebenen Vertonung Rosetum Marianum[18] des 33 Strophen umfassenden Mariengedichts von Renward Cysat erscheint Favereo als Komponist der fünf Stimmen der 29. Strophe Jesu. ich bin, verschmäh mich nit.[19]

Nicht mehr erhalten sind Favereos Cantiunculae sacrae, eine Sammlung kleiner geistlicher Lieder, die in einem von Jean Bogard in Douai 1616 herausgegebenen Werk genannt wird.[20]

Zuordnung und Bedeutung

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Die Werke Favereos sind der höfischen Vokalpolyphonie der Spätrenaissance zuzuordnen. Er stand damit in der Tradition Orlando di Lassos, unter dessen Schüler Antonius Gosswin Favereo 1592/93 als Unterkapellmeister tätig war. Daher gehören Favereos Kompositionen zur franko-flämischen Musik.[21]

Zweifellos gehörte Favereo in seiner Zeit zu den bekanntesten Komponisten. So zählte ihn Klingenstein in seinem Rosetum Marianum 1604 neben Orlando di Lasso, Gregor Aichinger, Christian Erbach, Hans Leo Haßler und 28 weiteren Komponisten zu den fürtreflichen und fürnehmen Musikern.[22] Als Kapellmeister der Kurfürsten Ernst und Ferdinand von Bayern genoss er deren Mäzenatentum für die Musik[23] und nahm aus dem Blickwinkel der Reichsfürsten eine der höchsten und angesehensten Stellungen ein, die ein Musiker in dieser Zeit erreichen konnte.[24] Die hohe Wertschätzung seiner Zeitgenossen zeigt sich auch in der Aufnahme seiner Canzonette napolitane in die Bibliothek der Fugger und in der Veröffentlichung einiger seiner Kompositionen in den bekannten Sammelwerken von Denss und Klingenstein.[25]

  • Emilie Corswarem, Kathelijne Schiltz, Philippe Vendrix: Der Lütticher Fürstbischof Ernst von Bayern als Musik-Mäzen (1589–1612). In: Das Erzbistum Köln in der Musikge-schichte des 15. und 16. Jahrhunderts, Hg. Klaus Pietschmann(Beiträge zur Rheinischen Musikgeschichte 172); Köln 2008, S. 311–330.
  • Émilie Corswarem: Erneste de Bavière et la musique. In: Ernest de Bavière (1554–1612) et son temps. L’automne flamboyant de la renaissance entre Meuse et Rhin, Hg. Geneviève Xhayet, Robert Halleux; Turnhout 2011, S. 329–337.
  • Klaus Wolfgang Niemöller: Kölner Musikgeschichte zwischen Mittelalter und Renaissance. In: Das Erzbistum Köln in der Musikgeschichte des 15. und 16. Jahrhunderts, Hg. Klaus Pietschmann (Beiträge zur Rheinischen Musikgeschichte 172), Köln 2008, S. 13–60.
  • Claudia Valder-Knechtges: Die Musikgeschichte. In: Bonn als kurkölnische Haupt-und Re-sidenzstadt 1597–1794 (Geschichte der Stadt Bonn 3), Bonn 1989, S. 451–514.
  1. 1593 erschien in Köln bereits seine Komposition Canzonette napolitane.
  2. Aufstellung von Schmiedearbeiten nach dem Tod des Oberkellners Favereo für dessen Witwe, beginnend mit dem 27. Juli 1624; Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Westfalen, A/112/6/209.
  3. Zusätzlich erhielt Favereo als Oberkellner 50 Malter Hafer, 2 Malter und 2 Mütt Roggen sowie 4 Fuder Holz; Walter Wahle: Beiträge zur Geschichte der Stadt Arnsberg, Geseke-Störmede 1988, S. 259.
  4. Als Ehefrau des Favereo genannt beim oben erwähnten Grundstückskauf in Arnsberg 1605.

Einzelnachweise

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  1. Josef Hesse: Geschichte des Kirchspiels und Klosters Drolshagen. [Drolshagen] 1971. S. 190–192 u. 586, Abdruck ihres Siegels ebd. S. 184; ihr Wappen zeigt einen nach rechts steigenden Löwen, ein Beil haltend, als Helmzier zwei Zweige. Zum ähnlichen Wappen der Lütticher Beamtenfamilie Favreau und ihrer Genealogie im 17. Jahrhundert. Annuaire de la Noblesse de Belgique, (Brüssel) 1870, S. 144–149.
  2. José Quittin: Les LE RADDE musiciens liégeois du XVIIe siècle en service à la cour de Bonn. In: Studien zur Musikgeschichte des Rheinlandes II, Hg. Herbert Drux, Klaus Wolfgang Niemöller, Walter Thoene, (Beiträge zur Rheinischen Musikgeschichte 52) Köln 1962, S. 190–198, hier insbes. S. 194.
  3. Österreichische Nationalbibliothek, Sign. SA.76.E.14/1, Titelseite u. fol. 1r (Die Foliierung wurde später handschriftlich angebracht).
  4. Am 14. Juli 1594 ist Gosswin jedenfalls noch auf dem Reichstag (Heiliges Römisches Reich) zu Regensburg als Leiter der Hofkapelle des Kurfürsten Ernst nachweisbar. Spätestens 1597 kehrte Gosswin in seine Heimatstadt Lüttich zurück. Corswarem, Erneste de Bavière, S. 311. Corswarem, Lütticher Bischof, S. 315.
  5. a b Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Westfalen, 1.5.5 (Angelegenheiten der Stadt Arnsberg)/26307.
  6. Ferdinand Franz Joseph Brisken: Genealogische und sonstige Nachrichten über die Familie Brisken in Soest und Arnsberg, Arnsberg 1853. Im Anhang die "Stammtafel der Familie von Essen in Arnsberg"; (Online Exemplar der Universitäts- und Landesbibliothek Münster).
  7. Arno Paduch: Festmusiken zu Frankfurter Kaiserwahlen und Krönungen des 17. und 18. Jahrhunderts. In: Die Musikforschung 59 (2006), S. 211–232; hier S. 216.
  8. Quittin: Les LE RADDE (s. o.), S. 194.
  9. Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Westfalen, Hzm. Westfalen, Forstarchiv, Nr. 680.
  10. Schreiben des Kurfürsten an Landdrost Wrede und Oberkellner Favereo vom 2. Nov. 1621; Vereinigte Westfälische Adelsarchive, Archiv Melsched, Ak 1654.
  11. Geheimvertrag vom 9. Dez. 1621 zwischen Oberkellner Favereo als Amodiator und Hofmeister Wrede als Bürge der Verpachtung; Vereinigte Westfälische Adelsarchive, Archiv Melsched, Ak 1650
  12. Brisken, Familie Brisken (s. o.), Anhang Stammtafel von Essen.
  13. Aus welcher Linie der Familie von Edelkirchen Gertrud stammte, ist unbekannt; laut ihrem Testament vom 2. Aug. 1638 hatte sie neben mehreren Schwestern einen Bruder Bernd Christoph. Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Westfalen, Archiv Kloster Wedinghausen, Nr. 209.
  14. RISM A/I F 145.
  15. Österreichischen Nationalbibliothek, Sign. SA.76.E.14/1–3. Diese Exemplare befanden sich zunächst in der Bibliothek der Augsburger Familie Fugger und gelangten von dort durch Kauf nach Wien; Alfred Noe, Die Präsenz der romanischen Literaturen in der 1655 nach Wien verkauften Fuggerbibliothek, 3. Band: Die Texte der "Musicales", Amsterdam 1997, S. 173–174.
  16. RISM B/I 1594; 19.
  17. Adrian Denss: Florilegium. Köln 1594, S. 21.
  18. RISM B/I 1604; 7. Bernhard Klingenstein (Hg.): Rosetum Marianum. Unser lieben Frawen Rosengertlein Von drey und dreyßig lieblichen schönen Rosenb oder Lobgesangen, Dillngen 1604. Rosetum Marianum (1604), Collected by Bernhard Klingenstein, Part II, Hg. William E. Hattrick (Recent Researches in the Music of the Renaissance XXIV), Madison 1977.
  19. Partitur dazu in moderner Notenschrift bei Hattrick, S. 69–75.
  20. Marc Desmet: "Gallus apud Belgae". The Douai Moralla (1603) reconsidered. In: Poti glas-benih rokopisov in tiskov v novove ki Evropi, Letn. 11, t. 1/2 (2015), S. 67–86, hier S. 72–73.
  21. Niemöller, Kölner Musikgeschichte, S. 38–42. Corswarem, Lütticher Fürstbischof, mit weiteren Angaben zu Gosswin S. 314–315.
  22. Klingenstein, Rosetum Marianum, fol, 2v u. 4v. Hattrick, S. ix.
  23. Corswarem, Émilie: Erneste de Bavière et la musique. In: Ernest de Bavière (1554–1612) et son temps. L’automne flamboyant de la renaissance entre Meuse et Rhin, Hg. Geneviève Xhayet, Robert Halleux; Turnhout 2011, S. 329–337. Edith Ennen: Kurfürst Ferdinand von Köln (1577–1650). Ein rheinischer Landesfürst zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. In: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 163 (1961), S. 5–40; hier S. 25–26.
  24. Wie sehr die Stelle des Hofkapellmeisters des Kurfürsten von Köln begehrt war, zeigt u. a. der Fall des Komponisten Jean de Castro, Kapellmeister am Hof der Herzöge von Kleve in Düsseldorf, der sich 1588 vergeblich bei Ernst von Bayern bewarb; Corswarem, Lütticher Fürstbischof, S. 325.
  25. Weitere Angaben zur musikgeschichtlichen Einordnung Favereos bei Niemöller, Kölner Musikgeschichte.