Jutta Heinrich
Jutta Heinrich (* 4. April 1937 in Berlin; † 23. Juli 2021 in Hamburg) war eine deutsche feministische Schriftstellerin.[1]
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Jutta Heinrich war die Tochter eines Juristen und Unternehmers und einer ausgebildeten Kunstmalerin. Sie wuchs in Bayern auf, besuchte die Schule bis zur mittleren Reife und übte anschließend verschiedene Tätigkeiten im Groß- und Einzelhandel aus. Zunächst arbeitete sie als Betriebsleiterin in der väterlichen Furnier- und Sperrholzfabrik, später auch als Sekretärin, Handelsvertreterin und als selbständige Geschäftsfrau.[2]
Nachdem sie ihr Abitur nachgeholt hatte, studierte sie ab 1972 Sozialpädagogik an der Fachhochschule Hamburg und ab 1975 Literaturwissenschaft und Germanistik an der Universität Hamburg. Parallel zu ihrem Studium begann sie mit der Veröffentlichung literarischer Werke. Sie verfasste Prosatexte, Essays, Theaterstücke und Hörspiele.[2] Wegen ihrer sprachlichen Radikalität und Intensität wurde sie bekannt, manchmal aber auch abgelehnt:
„Ich bin verrückt und sehnsüchtig nach der Kultur, ihrer Ablagerung, die mir die Stimmen, all die verlorengegangenen Stimmen aus Schreien und Verbotenem in Angemessenheit zurückbringen. Ich bin verrückt nach der Wohlgefälligkeit der Poesie, die mir hinter ihrem Beben, hinter ihrer eingemauerten Unordnung doch ihr Spucken verheißt. Nicht ihre Oberfläche, ihr Blumiges, ihr Sing-Sang der Sinne ist es, es ist ihre Verdorbenheit, die aus dem Wort hängende Zote, die Sekunde der Wahrheit, die die Zähne bleckt; sie ist der Schatten in einer Flut aus Licht, das gegen die Lüge erfunden wurde, die wunderbar und einzig ist, denn sie allein ist der Beweis einer riesenhaften Anstrengung, die einstmals Aufruhr hieß. Ich liebe die Lüge, nur der Aufenthalt in ihr offenbart die Verwestheit der Wahrheit.“ (Auszug aus Jutta Heinrich: Alles ist Körper, 1991)[3]
1987 nahm Heinrich am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt teil. Ab 1988 war sie als Lehrbeauftragte für Literatur, Politik und Geschichte an Universitäten in Bremen, Hamburg und Berlin tätig. 2007–2009 hatte sie eine Gastprofessur für Szenisches Schreiben an der Universität der Künste in Berlin inne.[4]
Ab 1998 war Heinrich Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland.[5] Bis zu ihrem Tod war sie als Vorstandsvorsitzende des Literaturzentrums im Literaturhaus Hamburg tätig. Bis 2020 war sie Kuratoriumsmitglied der Kulturstiftung Schloss Agathenburg in Niedersachsen.[6] Sie war auch Jurymitglied des Walter-Kempowski-Literaturpreises.[7][8]
Jutta Heinrich lebte in Hamburg. Sie starb 84-jährig und wurde auf dem Friedhof Bernadottestraße in Hamburg-Altona beigesetzt.[9]
Auszeichnungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Neben diversen Arbeitsstipendien erhielt sie 2017 die Biermann-Ratjen-Medaille.[10]
Literarische Werke
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Alles ist Körper, Frankfurt am Main 1991
- Das Geschlecht der Gedanken, München 1977 (übersetzt ins Niederländische, Finnische, Dänische und Japanische, verfilmt von Gustav Ehmck unter dem Titel „Josephs Tochter“, deutsch-spanische Produktion 1983)
- Eingegangen, Berlin 1987
- Im Revier der Worte, Frankfurt am Main 1994
- Männerdämmerung, Köln 1989
- Mit meinem Mörder Zeit bin ich allein, München 1981 (übersetzt ins Niederländische)
- Sturm und Zwang, Hamburg 1995 (zusammen mit Elfriede Jelinek und Adolf Ernst-Meyer)
- Unheimliche Reise, Hamburg 1998[11]
- Unterwegs, Berlin 1978
Essays und andere Texte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Ästhetik und Macht. In: styriarte. Steierische Festspiele, „Spuren des Mythos“, Graz 1995
- Brokdorf – Eine Vision. LP Spoken Word, Hamburg Maritim, 1979
- Das Single. Prosa. In: „Warum heiraten?“, hrsg. von Regula Venske, Klein Verlag 1997
- Dialog mit einer Verstorbenen. Prosa. In: Hamburger Ziegel IV – Jahrbuch für Literatur – 1995/96
- Die Macht aus Blei. Prosa. In: „Weiberjahnn“., hrsg: Regula Venske//Frauke Haman, Europäische Verlagsanstalt, 1994
- Die drei neuen Ks – Kanon, Karriere, Kolportage. In: „Wenn Frauen zu sehr schreiben“, Anthologie, hrsg. von Elke Schubert, Tiamat Verlag, Berlin, 1998
- Endlich. In: „Wenn Frauen aus der Rolle fallen“, Edition Sozial, Beltz, 1987
- Gelassen über den Müll gebeugt. Prosa-Anthologie. Hrsg.: Rolfrafael Schröer, tende Verlag, 1995
- Hinab in die Wichtigkeit, sich einen Schnürsenkel zu binden. In: GrauZone, Zeitschrift für neue Literatur, 4. Quartal, 1998
- Kilohertz. In: „Leben im Atomzeitalter – Schriftsteller und Dichter zum Thema unserer Zeit“. Hrsg. von Walter Jen, Moos & Partner, 1987
- Kind meiner Zeit. Essay. In: Hamburger Ziegel 8, Jahrbuch für Literatur, Dölling & Galitz, Hamburg 2002/2003
- Manie. Sexsucht. Mitesser und Tod. In: „Verführungen und Verfügungen“, Ulrike Helmer Verlag, 1998
- Mörder Selbst. Prosa. In: „Evas Biss“, 1995, Psychosozial-Verlag, Freiburg, 2002
- Oberstes Gericht. In: „Du gehst fort, und ich bleib da“. S. Fischer Taschenbuch Verlag, 1989
- Sexualität und Sprechen. Essay. In: Jahrbuch der Erotik, 2003, Ausflug. In: St. Pauli – Streifzüge auf dem Kiez, Nautilus 2006
- Sturm und Zwang. Gespräche mit Prof. Adolf-Ernst Meyer und Elfriede Jelinek, Klein Verlag 1995
- Versuch über eine Abwesende. In: Brankica Bečejac: Ich bin so wenig von hier wie von dort. Nautilus 2006
- Vormittag eines Managers. In: Hamburger Jahrbuch für Literatur ZIEGEL 13, Herausgeber. Dr. Wolfgang Schömel und Jürgen Abel, Dölling & Galitz 2012
- Zitterndes Blau. In: Das Jahrbuch der Erotik XXVIII. Konkursbuch Verlag, Claudia Gehrke 2013–2014
Über Jutta Heinrich
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Jutta Heinrich. Texte, Analysen, Portraits. Zeichen und Spuren, Bremen 1985, ISBN 978-3-924588-56-4.
- Andreas Di Lenardi: Gewalt ausübende Frauenfiguren in der neueren deutschen Frauenliteratur am Beispiel von Jutta Heinrichs Roman Das Geschlecht der Gedanken. Eine interdisziplinäre Werkinterpretation und Diskursanalyse, 2015, ISBN 978-3734764141.
- Dagmar Spooren: Anamnese einer Sadistin: Jutta Heinrichs Das Geschlecht der Gedanken. In: Unbequeme Töchter, entthronte Patriarchen, Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden 2001, ISBN 978-3-663-09070-0.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Pressemitteilung: Jutta Heinrich wird 80, VS-Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller, 4. April 2020
- Literatur von und über Jutta Heinrich im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Munzinger-Archiv
- Jutta Heinrich in Who's who
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Jutta Heinrich - Munzinger Biographie. Abgerufen am 14. Dezember 2024.
- ↑ a b Petra Schellen: Feministische Kämpferin gestorben: Rebellin wider den Zeitgeist. In: Die Tageszeitung: taz. 31. Juli 2021, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 10. Dezember 2024]).
- ↑ Hannelore Scholz: Heinrich, Jutta. In: Metzler Autorinnen Lexikon. J.B. Metzler, Stuttgart 1998, ISBN 978-3-476-03702-2, S. 221–222, doi:10.1007/978-3-476-03702-2_156 (springer.com [abgerufen am 10. Dezember 2024]).
- ↑ Literatur in Hamburg. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
- ↑ Jürgen Strasser: Jutta Heinrich (1937–2021). PEN-Zentrum Deutschland, 27. Juli 2021, abgerufen am 30. Juli 2021.
- ↑ S. Fischer Verlage. Abgerufen am 14. Dezember 2024.
- ↑ Der Walter Kempowski Literaturpreis. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
- ↑ Karen Neff: Trauer um Jutta Heinrich. In: HAV - Hamburger Autorenvereinigung. 15. August 2021, abgerufen am 10. Dezember 2024.
- ↑ NDR: Jutta Heinrich: Ihrer Zeit voraus mit radikal subjektivem Blick. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
- ↑ Jutta Heinrich erhält die Senator-Biermann-Ratjen-Medaille. In: Hansestadt Hamburg. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
- ↑ Kai Köhler: Unheimlich, erklärt - Jutta Heinrich misstraut dem eigenen Sprachwerk : literaturkritik.de. Abgerufen am 10. Dezember 2024 (deutsch).
Personendaten | |
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NAME | Heinrich, Jutta |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Schriftstellerin |
GEBURTSDATUM | 4. April 1937 |
GEBURTSORT | Berlin |
STERBEDATUM | 23. Juli 2021 |
STERBEORT | Hamburg |