Kaffee Urania
Das Kaffee Urania war ein Kaffeehaus mit musealem Charakter in der Radetzkystraße 24 im 3. Wiener Gemeindebezirk, Landstraße. Das Gebäude, in dem es sich befand, wurde 1847 als erstes Wiener Zinshaus im Stil der Neogotik von Josef Kastan erbaut.[1] Seinen Namen hatte das bis weit nach Mitternacht geöffnete Lokal von der nahe gelegenen Urania, einem Kino und Volksbildungshaus. Wegen seiner speziellen Aura war das Kaffee Urania mehrmals Drehort von Filmen und Fernsehserien. Insbesondere durch die österreichisch-deutsche Fernseh-Thriller-Serie Spuren des Bösen mit Heino Ferch in der Hauptrolle erlangte das Kaffeehaus in den letzten Jahren seines Bestehens überregionale Bekanntheit. Ende Jänner 2016 wurde das Kaffee Urania geschlossen.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Am Standort des Kaffees Urania wurde bereits zur Zeit der Habsburgermonarchie ein Kaffeehaus betrieben. Auf einem Foto aus dem Jahr 1890 ist vor dem Lokal ein Schild mit der Aufschrift „Cafe 68“ zu erkennen. Ab 1936 war das Kaffeehaus im Besitz der Familie Horky. Die bis zur Schließung bestehende Einrichtung wurde 1936 von Gertrude Horky bei einem Wiener Architekten in Auftrag gegeben. 1937 führte das Lokal den Namen „Cafe Urania“; die Schreibweise wurde hernach auf „Kaffee Urania“ abgeändert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Kaffee Urania (vor Einrichtung der Wiener Besatzungssektoren Anfang September 1945)[2] eine Zeit lang von Soldaten der sowjetischen Armee besetzt. Laut Überlieferung von Getrude Horky befanden sich zu jener Zeit manchmal sogar Pferde im Kaffeehaus. Das heftige Bombardement, welchem die nahe Franzensbrücke während des Zweiten Weltkrieges ausgesetzt gewesen war, hatte auch am Kaffeehaus Spuren hinterlassen, weshalb nach dem Krieg die Fenster und der Plafond erneuert werden mussten.
In den 1960er und 1970er Jahren traten im Kaffee Urania kleine Musikgruppen und Alleinunterhalter auf. Bereits damals wurde es als Nachtkaffeehaus geführt. Bis zu seiner Schließung im Jänner 2016 wurde das von Montag bis Samstag geöffnete Kaffeehaus jeweils erst um 20.15 Uhr aufgesperrt. Inhaber war seit 1964 Hubert Horky, Sohn von Gertrude Horky, der es mehr als 51 Jahre lang führte.
Ambiente und Aura
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Eckkaffeehaus (Radetzkystraße/Obere Weißgerberstraße) bestand aus zwei unterschiedlich gestalteten Bereichen. Der beim Eingang befindliche Kaffeehausteil war mit Mobiliar ausgestattet, das mit seinen roten Kunstledernischen ein wenig an die – ebenfalls in den 1930er Jahren – von Josef Zotti für das Wiener Café Museum kreierte Einrichtung erinnert. Während hier der Raum durch die nischenartige Anordnung der Sitzgelegenheiten eine markante Struktur erhielt, die ihm eine wohnzimmerartige Aura verlieh, sorgte im zweiten Raum die lang gestreckte Sitzbank gegenüber der Bar für eine vergleichsweise strenge Raumeinteilung. Der im hinteren Bereich dieses Raumes aufgestellte Billardtisch wurde bei Tanzveranstaltungen beiseitegeschoben.
Ebenso wie das Mobiliar stammten auch andere Komponenten aus älterer Zeit. Gegenüber vom Eingang befanden sich zwei (zum Zeitpunkt der Schließung noch vorhandene, aber nicht mehr in Betrieb befindliche) Kaffeehaus-Telefonzellen mit originaler Ausstattung von anno dazumal. Der alte Wurlitzer mit Singles aus den 1970er Jahren war (für Wiener Kaffeehaus-Verhältnisse im 21. Jahrhundert höchst ungewöhnlich) bis zur Schließung in Betrieb. Eine im Barbereich befindliche alte Espressomaschine der Marke Urania war das technische Glanzstück des Lokals. Ebenso wie das Interieur erweckten die moderaten Preise Reminiszenzen an alte Zeiten.
Musealer Charakter
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Wände des Kaffeehauses waren großflächig mit vergrößerten Schwarz-Weiß-Fotografien aus der Sammlung Horky behängt. Die ausgestellten Bilder zeigten in erster Linie Sujets vom alten Wiener Prater. Ein eigener Ausstellungsbereich thematisierte die Geschichte der für das Lokal namensgebenden Urania am Wiener Donaukanal. Am 6. Oktober 2012 und am 4. Oktober 2014 nahm das Kaffee Urania mit der Sammlung Horky an der „Langen Nacht der Museen“ teil.[3][4][5]
Wirt und Publikum
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Nachtkaffeehaus wurde von 1964 bis 2016 von Hubert Horky (* 17. Juli 1943; † 4. Juni 2016) persönlich geführt. Der für seinen Wiener Schmäh bekannte Wirt, der vielen als ein „Wiener Original“ galt,[6][7] wurde mehrfach in österreichischen Medien und Büchern porträtiert. Das Publikum war bunt gemischt und setzte sich vorwiegend aus Studenten, Handwerkern, Pensionisten und Künstlern zusammen. An den Wochenenden fanden im Kaffee Urania häufig Partys statt, die vor allem von Studenten, teilweise auch von Künstlern, ausgerichtet wurden. Bei solchen Gelegenheiten war den Partyveranstaltern das Mitbringen von eigenen Speisen gestattet; auch die musikalische Beschallung wurde nicht selten von diesen organisiert. Zuweilen traten auch Musikgruppen auf.[8][9]
Seit den frühen 1990er Jahren sammelte Hubert Horky alte Ansichten vom Wiener Prater. Die bis 2015 auf rund 4000 Fotos und Postkarten angewachsene Sammlung Horky hatte der Wirt in einer Anzahl von Alben untergebracht, die er – bei moderatem Geschäftsgang – interessierten Kaffeehausbesuchern auch zeigte. Ein Teil der Sammlungsobjekte war in Form von vergrößerten Schwarz-Weiß-Fotografien in den Gasträumen ausgestellt. Bilder aus der Sammlung Horky wurden in etlichen Fachbüchern über den Wiener Prater abgedruckt. Im Lauf der Zeit wurde die Sammlung auch noch um die beiden Teilbereiche über das Wiener Weißgerberviertel und die Geschichte der Wiener Urania ergänzt.
Kurze Zeit nach der Schließung des Kaffees Urania (Ende Jänner 2016) verstarb Hubert Horky am 4. Juni 2016. Sein Grab befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof.[6][10]
Abriss des Gebäudes
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Infolge der Schließung des Kaffee Urania im Jahr 2016 und dem Teilabriss des Hauses, der zunächst gestoppt worden war, stand das Lokal lange leer. Nach einem jahrelangen Tauziehen um den Erhalt des 170 Jahre alten Gebäudes und diversen Machinationen der neuen Eigentümer wurde dieses im Frühjahr 2022 abgerissen. Kritiker warfen der Politik im Zusammenhang mit den Vorgängen rund um den Abriss des Hauses Totalversagen vor.[11][12][13][14]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Die Sammlung Horky Artikel von Johann Werfring in der „Wiener Zeitung“ vom 5. Mai 2003, S. 9.
- Passion für den Prater Artikel von Johann Werfring in der „Wiener Zeitung“ vom 27. März 2008, Beilage „ProgrammPunkte“, S. 7.
- „Vatertag“-Dreh: Erkenntnisse eines Setbesuchs Artikel von Teresa Schaur-Wünsch in der Tageszeitung „Die Presse“ vom 10. Februar 2011.
- Wie ein barockes Schiff Artikel von Johann Werfring in der „Wiener Zeitung“ vom 28. Juli 2011, Beilage „ProgrammPunkte“, S. 7.
- Das Kaffee Urania. Ein Postkarten-Idyll. In: Peter Eickhoff, 111 Orte in Wien, die man gesehen haben muss, Emons Verlag, Köln 2012, ISBN 978-3-89705-969-6, S. 58 f.
- Alt-Wiener Refugium für Nachtschwärmer Artikel von Johann Werfring in der „Wiener Zeitung“ vom 4. Oktober 2012, Beilage „ProgrammPunkte“, S. 7.
- Heino Ferch: „Auch diesmal bleibt die Hose an“ Artikel von Barbara Mader im „Kurier“ vom 27. Oktober 2012, S. 31.
- Hauptsache, Café Urania. Dass man das Café Urania für den Film entdeckt hat – allein dafür gehören die Macher von „Spuren des Bösen“ gelobt Artikel von Barbara Mader im „Kurier“ vom 29. Oktober 2012, S. 27.
- Kaffee Urania. Lebendige Erinnerungen Artikel von Fergus Sweeney im „Wiener Bezirksblatt – Landstraße“ vom 29./30. Oktober 2012, Ausgabe 36/2012, S. 10 f.
- Ein Café als historische Fundgrube. Artikel im „Wiener Bezirksblatt – Leopoldstadt“ vom 19./20. November 2012, Ausgabe 39/2012, S. 1 und S. 10–11.
- ORF-Booklet zur Langen Nacht der Museen 2012, S. 134
- ORF-Booklet zur Langen Nacht der Museen 2014, S. 127
- Praterfeuer mit Wein und Bier bekämpft Artikel von Johann Werfring in der „Wiener Zeitung“ vom 12. Juni 2014, Beilage „ProgrammPunkte“, S. 7.
- Sigmund Freud hat einen neuen Statthalter in Wien. „Spuren des Bösen: Zauberberg“ im ZDF Artikel von Jochen Hieber in der „F.A.Z.“, Onlineversion vom 13. Jänner 2014.
- „Herzzerreißend, wie sprachlos sie sind“. Sabrina Reiter über Andreas Prochaskas neuen Film „Spuren des Bösen – Schande“ Artikel im „Kurier“, Onlineversion vom 15. November 2014.
- „Schande“ im ZDF: Mutter ist die Bestie Artikel von Jochen Hieber in der „F.A.Z.“, Onlineversion vom 19. Jänner 2015.
- Schmähführen im Nachtmuseum Artikel von Johann Werfring in der „Wiener Zeitung“ vom 23. Dezember 2015, Beilage „ProgrammPunkte“, S. 7. (Webarchiv)
- Aus für legendäres Alt-Wiener Kaffeehaus Artikel von Johann Werfring in der „Wiener Zeitung“ vom 12. Februar 2016, S. 20.
- Eine Frage der Schutzwürdigkeit Artikel von Johann Werfring in der „Wiener Zeitung“ vom 19. Februar 2016, S. 18.
- Heino Ferch ist auf den „Spuren des Bösen“ Artikel von Marco Weise im „Kurier“, Onlineversion vom 17. Februar 2016.
- „Hat das nicht schon zugesperrt?“ Artikel von Alexander Maurer in der „Wiener Zeitung“ vom 25. Februar 2016, S. 19.
- ZDF-Film „Spuren des Bösen“: Heino Ferch gibt den einsamen Engel In: „Der Tagesspiegel“, Onlineversion vom 29. Februar 2016.
- Fernsehfilm „Spuren des Bösen“: Seine Wege sind Gedankengänge Artikel von Ursula Scheer in der „F.A.Z.“, Onlineversion vom 29. Februar 2016.
- Roland Girtler: Streifzug durch den Wiener Wurstelprater. Die bunte Welt der Schausteller und Wirte, Böhlau Verlag, Wien, Köln und Weimar 2016, ISBN 978-3-205-20280-6, S. 25–40.
- Gewohnt ungewöhnlich. Ein Nachruf auf das Kaffee Urania Artikel von Sarah Wetzlmayr in der Zeitschrift „Wiener“. Online-Version vom 19. Mai 2016.
- Wiener Kaffeesieder-Legende verstorben Artikel von Johann Werfring in der „Wiener Zeitung“ vom 16. Juni 2016, S. 23.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Hubert Horky in der Internet Movie Database (englisch)
- Bericht über das Kaffee Urania im ORF in der Sendung „Wien heute“ am 2. Jänner 2013
- Tonaufnahme im Kaffee Urania mit Hubert Horky (2015)
- Kobelkoff's Erbe – Die Geschichte des Wiener Praters Ein Film von Michael Wurzinger, 2004 (mit Aufnahmen von Hubert Horky im Kaffee Urania)
- Auftritt von Lea's Shuffle Gangsters im Kaffee Urania am 13. Dezember 2014
- Auftritt der Wiener „Schule für Dichtung“ im Kaffee Urania, Mai 2015
- Auftritt „Räudiger Arbeiterinnen Chor 3000“ im Kaffee Urania, Juni 2012
- Fotosammlung zum Kaffee Urania auf yelp.at
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Anna-Maria Bauer: Gründerzeithaus: Eigentümer muss nach Teilabriss Dach wiederherstellen Artikel in der Tageszeitung Kurier, Online-Version vom 7. Juli 2019.
- ↑ Anfang September 1945 kam der 3. Wiener Gemeindebezirk infolge der von den Siegermächten vereinbarten Besatzungssektoren unter britische Kontrolle.
- ↑ Johann Werfring: Alt-Wiener Refugium für Nachtschwärmer Artikel in der „Wiener Zeitung“ vom 4. Oktober 2012, Beilage „ProgrammPunkte“, S. 7.
- ↑ ORF-Booklet zur Langen Nacht der Museen 2012, S. 134.
- ↑ ORF-Booklet zur Langen Nacht der Museen 2014, S. 127.
- ↑ a b Wiener Kaffeesieder-Legende verstorben Artikel von Johann Werfring in der „Wiener Zeitung“ vom 16. Juni 2016, S. 23.
- ↑ Fergus Sweeney: Lebendige Erinnerungen. In: Wiener Originale. Unglaubliche Menschengeschichten. Edition VWZ Zeitschriftenverlag bei Mohl-Verlag, Wien 2013, ISBN 978-3-902524-06-5, S. 82 f.
- ↑ Auftritt von Lea's Shuffle Gangsters im Kaffee Urania am 13. Dezember 2014
- ↑ Auftritt „Räudiger Arbeiterinnen Chor 3000“ im Kaffee Urania, Juni 2012
- ↑ Hubert Horky In: friedhoefewien.at, abgerufen am 28. April 2024.
- ↑ Radetzkystraße: Der vergebliche Kampf gegen den Abriss Artikel vom 23. Februar 2021 auf wienschauen.at, abgerufen am 28. April 2024.
- ↑ Abriss in der Radetzkystraße 24–26: Totalversagen der Wiener Altstadterhaltung Artikel vom 28. Jänner 2022 auf derstandard.at
- ↑ Abriss von umkämpftem Gründerzeithaus Artikel vom 4. Februar 2022 auf wien.orf.at
- ↑ Abriss von Wiener Wohnhaus wirbelt viel Staub auf Artikel vom 5. Februar 2022 auf krone.at
Koordinaten: 48° 12′ 44,3″ N, 16° 23′ 28,3″ O