Kameralismus
Kameralismus ist die deutsche Variante des Merkantilismus, der herrschenden Wirtschaftspolitik im Zeitalter des Absolutismus (16.–18. Jahrhundert). Im Unterschied zum Merkantilismus stand weniger die Förderung des Handels als vielmehr die der Landwirtschaft und des Bevölkerungswachstums im Vordergrund.
Inhalte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Name „Kameralismus“ leitet sich von den hohen Beamten im „Kammerkollegium“ eines (deutschen) Fürsten ab, den so genannten „Kameralisten“.
Der deutsche Kameralismus unterscheidet sich schon in der Ausgangssituation von dem Merkantilismus anderer europäischer Länder: Das vorrangige Ziel war der Wiederaufbau des durch den Dreißigjährigen Krieg zerstörten Landes. Dafür sollte zunächst die Bevölkerungszahl erhöht werden, z. B. durch Siedlungsgründungen und Anwerbung von ausländischen Spezialisten.
Danach erfolgte der Ausbau der Infrastruktur und des Gewerbes durch Gründung neuer Manufakturen, teilweise auch direkt durch den Staat. Die direkte Intervention des Staates sowie die untergeordnete Bedeutung eines freien Unternehmertums ist ein wesentliches Merkmal des Kameralismus. Dies liegt in der theoretischen Konzeption der Kameralwissenschaft (Staatswirtschaftslehre) begründet. Demnach liegt der wesentliche Zweck eines Staates darin, durch eine fähige Zentralverwaltung das Wohl aller Bürger zu garantieren. Um dies leisten zu können, bedurfte es gut ausgebildeter Beamter, die Kameral- oder Rechtswissenschaften studiert hatten. Sie sollten, mithilfe ihrer geschulten Vernunft, klarer Methoden und unter Kenntnis der herrschenden Regeln den Staat, die Wirtschaft, das Rechtssystem und den Alltag der Bürger zweckmäßig organisieren.
Der vom Kameralismus abgeleitete Begriff Kameralistik ist eine Bezeichnung der öffentlichen Finanzverwaltung. Der Begriff bezieht sich speziell auf die Rechnungsführung, aber auch auf Finanz-, Wirtschafts-, Verwaltungslehre, Rechts- und Polizeiwissenschaft.
Namhafte Kameralisten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In kaiserlich-österreichischen Diensten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Wilhelm von Schröder
- Johann Joachim Becher
- Philip Wilhelm von Hornick
- Johann Heinrich Gottlob von Justi
- Joseph von Sonnenfels
- Franz Joseph Bob
- Josef Ignác Buček
In sächsischen Diensten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In bayerischen Diensten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Sonstige
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- August Friedrich Wilhelm Crome
- Paul Jacob Marperger
- Georg Heinrich Zincken
- Christian Adolf von Seckendorff
- Christian von Eggers
- Johann Friedrich von Pfeiffer
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Bauer, Volker, Hofökonomie. Der Diskurs über den Fürstenhof in Zeremonialwissenschaft, Hausväterliteratur und Kameralismus, Wien 1997
- Braeuer, Walter, Kameralismus und Merkantilismus. Ein kritischer Vergleich, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (3/1990), S. 107–111
- Brückner, Jutta, Staatswissenschaften, Kameralismus und Naturrecht. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Wissenschaft im Deutschland des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts (= Münchener Studien zur Politik 27), München 1977
- Dittrich, Erhard, Die deutschen und österreichischen Kameralisten (= Erträge der Forschung 23), Darmstadt 1974
- Engelhardt, Ulrich, Zum Begriff der Glückseligkeit in der kameralistischen Staatslehre des 18. Jahrhunderts (J.H.G. v. Justi), in: Zeitschrift für Historische Forschung 8 (1981), S. 37–79
- Ekelund, Robert und Tollison, Robert, Mercantilism as a rent-seeking society (= Texas A&M University Economics Series 5), College Station 1981
- Gömmel, Rainer, Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620–1800 (= Enzyklopädie Deutscher Geschichte 46), München 1998
- Friedrich-Wilhelm Henning: Die Blütezeit des Kameralismus, in: Henning, Friedrich-Wilhelm (Hg.), Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands, Bd. 1, Paderborn 1991, S. 733–950
- Kaufhold, Karl Heinrich, „Wirtschaftswissenschaften“ und Wirtschaftspolitik in Preußen um 1650 bis um 1800, in: Kaufhold, Karl Heinrich (Hg.), Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung in Preußen. Zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Preußens vom 18. bis zum 20. Jahrhundert (= VSWG Beiheft 148), Stuttgart 1998, S. 51–72
- Kaufhold, Karl Heinrich, Preußische Staatswirtschaft – Konzept und Realität – 1640–1806. Zum Gedenken an Wilhelm Treue, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (2/1994), S. 33–70
- Magnusson, Lars, Mercantilism: The Shaping of an Economic Language, London 1994
- Ingrid Mittenzwei: Preußen nach dem Siebenjährigen Krieg. Auseinandersetzungen zwischen Bürgertum und Staat um die Wirtschaftspolitik (= Akademie der Wissenschaften der DDR, Schriften des Zentralinstituts für Geschichte 62), Berlin 1979
- Nolte, Burkhard, Merkantilismus und Staatsräson in Preußen. Absicht, Praxis und Wirkung der Zollpolitik Friedrichs II. in Schlesien und in westfälischen Provinzen (1740–1786) (= Materialien und Studien zur Ostmitteleuropa-Forschung 10), Marburg 2004
- Radtke, Wolfgang, Preußischer Merkantilismus/Kameralismus. Dargestellt am Beispiel der Kurmark Brandenburg. Abriß eines Forschungsprojekts, in: Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte 46 (1995), S. 94–110
- Radtke, Wolfgang, Gewerbe und Handel in der Kurmark Brandenburg 1740 bis 1806. Zur Interdependenz von kameralistischer Staatswirtschaft und Privatwirtschaft (= Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs 46), Berlin 2003
- Sandl, Marcus, Ökonomie des Raumes. Der kameralwissenschaftliche Entwurf der Staatswissenschaften im 18. Jahrhundert (= Norm und Struktur 11), Köln 1999
- Simon, Thomas, „Gute Policey“. Ordnungsleitbilder und Zielvorstellungen politischen Handelns in der Frühen Neuzeit (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte 170), Frankfurt a. M. 2004
- Springer, Friedrich P., Über Kameralismus und Bergbau, Der Anschnitt, Heft 5–6/2010 S. 230–241
- Gerhard Stapelfeldt: Der Merkantilismus. Die Genese der Weltgesellschaft vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Freiburg 2001
- Louise Sommer: Die österreichischen Kameralisten in dogmengeschichtlicher Darstellung. Teile I und II. Studien zur Sozial-, Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte, hrsg. v. Karl Grünberg, Hefte 12 und 13. 1920 und 1925
- Stollberg-Rilinger, Barbara, Der Staat als Maschine. Zur politischen Metaphorik des absoluten Fürstenstaats (= Historische Forschungen 30), Berlin 1986
- Tieck, Klaus-Peter, Staatsräson und Eigennutz. Drei Studien zur Geschichte des 18. Jahrhunderts (= Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient 13), Berlin 1998
- Tribe, Keith, Strategies of economic order: German economic discourse, 1750–1950 (= Ideas in Context 33), Cambridge 1995
- Tribe, Keith, Governing Economy. The reformation of German economic discourse 1750–1840, Cambridge 1988
- Wallerstein, Immanuel, The Modern World-System II. Mercantilism and the consolidation of the european world-economy. 1600–1750, New York/London/Toronto/Sydney/San Francisco 1980
- Andre Wakefield, The Disordered Police State: German Cameralism as Science and Practice (Chicago, Chicago UP, 2009).
- Zielenzinger, Kurt, Kameralismus, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 5, Jena 1922, S. 573–576.