Kamm von Frienstedt
Der Kamm von Frienstedt stammt aus dem 3. Jahrhundert und trägt eine Runeninschrift, die das älteste Zeugnis der westgermanischen Sprache darstellt. Es handelt sich um das Wort kaba (Aussprache: „kamba“), eine Vorform unseres Wortes Kamm. Auf dem mit Kreisaugen-Ornamenten verzierten Kamm aus Hirschgeweih sind die Runen nur schwach aber dennoch klar erkennbar.[1]
Fundsituation
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Archäologen entdeckten den dreieckigen Kamm im Jahr 2000 bei der Trassenuntersuchung der späteren A 71 bei Frienstedt zwischen Erfurt und Gotha in Thüringen. Der Kamm lag zusammen mit einer Lanzenspitze und zahlreichen Tierknochen zerbrochen in einem von mehreren Opferschächten, die auf einem freien Areal mitten in einer germanischen Siedlung angelegt worden waren. Reich ausgestattete Körpergräber umgaben diesen zentralen Platz in einem weiten, lockeren Ring, der daher wohl als Heiligtum gedeutet werden darf.[1] Der außerordentliche Reichtum an Buntmetallfunden (u. a. 200 Fibeln, knapp 200 römische Münzen, gut 150 Fragmente römischer Keramik)[2] ist Beleg dafür, dass die Region im 3. Jahrhundert n. Chr. überregional eine Sonderstellung einnahm und sich durch enge Kontakte zum römischen Reich, aber auch in den südlichen Ostseeraum auszeichnete.[3] Bei der Begutachtung der Knochen- und Geweihobjekte entdeckte Ende 2011 ein Zoologe die Ritzungen, die nur etwa 100 bis 150 Jahre jünger sind als die ältesten bekannten Runen aus Dänemark.[1][3]
Interpretation
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Sprachwissenschaftler und Runenexperte Klaus Düwel ist davon überzeugt, dass die Inschrift im heutigen Thüringen angefertigt wurde. Die Endung auf -a in Kaba weist auf die westgermanische Sprachform hin. In Skandinavien hatte das Wort eine andere Endung, nämlich -aR aus urgermanisch *-az. Bisher sind erst rund 380 Runen-Inschriften aus dem 2. bis 7. Jahrhundert bekannt, die überwiegende Mehrheit davon stammt aus Skandinavien und ist in urnordischer bzw. (ab etwa dem 7. Jahrhundert) in altnordischer Sprache abgefasst. Aus England und vom europäischen Kontinent sind aus dieser Periode nur wenige Dutzend lesbare Runeninschriften erhalten. Die ältesten aus dem südwest- und norddeutschen Raum stammten – bis zur Entdeckung der Inschrift von Frienstedt – aus dem 5. Jahrhundert.
Der Nachweis der maskulinen Endung -a in dieser Zeit ist sprachgeschichtlich eine Sensation, bildet sie doch ein bisher fehlendes Bindeglied der Entwicklung vom Urgermanischen zur westgermanischen Sprachenfamilie, der das Deutsche, Niederländische, Friesische und das Englische angehören.[4]
Ausstellung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Fund wurde im Jahr April 2012 im Foyer des Museums für Ur- und Frühgeschichte Thüringens in einer kleinen Sonderausstellung vorgestellt.[5]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Christoph G. Schmidt, Robert Nedoma, Klaus Düwel: Die Runeninschrift auf dem Kamm von Frienstedt, Stadt Erfurt. In: Die Sprache. Band 49, Nr. 2, 2010–2011, S. 123–186 (aktuelle Standardliteratur zur Runeninschrift)
- Christoph G. Schmidt: Just recycled? A New Light on Roman Imports in Central Germany According to the 'Central Little Farmstead' of Frienstedt, Thuringia. In: Archaeologica Baltica 18, 2013, ISSN 1392-5520, S. 86–96. (online) (Überblick zum Fundplatz Frienstedt, der Autor ist Leiter des entsprechenden Forschungsprojektes am ZBSA Schleswig)
- Heinrich Tiefenbach, Wolfgang Timpel: Erfurt. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 7, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1989, ISBN 3-11-011445-3, S. 488–497. (Überblick zur Archäologie in Erfurt und Umgebung)
- Klaus Düwel, Heinrich Tiefenbach, Ingrid Ulbricht: Kamm. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 16, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2000, ISBN 3-11-016782-4, S. 200–207.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Foto des Kammes von Frienstedt
- ZBSA News Archiv 2012: Sensationsfund am ZBSA: Ältester Nachweis der westgermanischen Sprache.
- ZBSA-Projekt: Der mitteldeutsche Fundplatz Frienstedt.
- Holger Wetzel: „Kamm“ war das erste Thüringer Wort. In: Thüringer Allgemeine. 13. April 2012 (hinter Bezahlschranke, archiviert 2013 von Archive Today).
Anmerkungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c Vgl. ZBSA News Archiv 2012: Sensationsfund am ZBSA: Ältester Nachweis der westgermanischen Sprache. ( vom 2. April 2014 im Internet Archive)
- ↑ Vgl. Fritz-Thyssen-Stiftung, Projektkonzept (BZSA): Vorbild Feind? Der mitteldeutsche Fundplatz Frienstedt − germanische Elite unter römischem Einfluss. ( vom 22. März 2014 im Internet Archive)
- ↑ a b Vgl. Christoph G. Schmidt: Just recycled? A New Light on Roman Imports in Central Germany According to the 'Central Little Farmstead' of Frienstedt, Thuringia. In: Archaeologica Baltica 18, 2013, ISSN 1392-5520, S. 86–96.
- ↑ Vgl. Holger Wetzel: „Kamm“ war das erste Thüringer Wort. In: Thüringer Allgemeine. 13. April 2012, abgerufen am 7. April 2024.
- ↑ Vgl. Ältester Schriftfund Mitteldeutschlands. In: Archäologie online. 13. April 2012, abgerufen am 7. April 2024.