Karl Tessen

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Karl Joachim Friedrich Tessen (* 15. März 1900 in Berlin; † 4. Februar 1965 in Hohen Neuendorf) war ein deutscher Politiker (SPD, SED) und Gewerkschafter (DMV). Vor 1933 war er Betriebsratsvorsitzender bei den Bergmann Elektrizitätswerken in Berlin. In der SBZ und DDR war er als SED-Funktionär in leitenden Positionen der öffentlichen Verwaltung tätig – unter anderem war er der letzte Landrat des Landkreises Oberbarnim.

Karl Tessen wurde als Sohn der Schneiderin Berta Tessen, geborene Tamm, und des Kellners und Geschäftsführers einer Holzfirma Carl Tessen in Berlin-Mitte[1] geboren. Er schloss 1918 eine Lehre als Dreher bei Carl Hasse & Wrede in Berlin ab und war dann als Facharbeiter in verschiedenen Städten Deutschlands tätig, bevor er 1926 bei den Bergmann Elektrizitätswerken in Berlin-Wedding (heute Osram-Höfe) anfing. Nach der Auflösung des Werkes 1932 arbeitete er bei derselben Firma im Werk Berlin-Wilhelmsruh weiter.[2]

Er war ab 1922 bis zum Verbot der Partei im Jahr 1933 politisch in der SPD aktiv, übte in Berlin die Funktion eines Kassierers aus. 1918 wurde er Mitglied, später Funktionär des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes (DMV), der 1933 zwangsweise aufgelöst wurde. Innerhalb des DMV übernahm Tessen mehrere Funktionen auf lokaler Ebene in Berlin. Vor 1933 war er einige Jahre Betriebsratsvorsitzender bei der Firma Bergmann.[3] Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verhinderte das Eintreten seiner Kollegen, dass er 1933 entlassen wurde.

Tessen arbeitete im nationalsozialistischen Deutschland illegal in der Berliner Gewerkschaftsbewegung, bis im Jahr 1938 durch seinen Umzug nach Hohen Neuendorf sämtliche Verbindungen verloren gingen. Er beteiligte sich an der Verbreitung der Untergrundzeitung Der Metallarbeiter und von Flugblättern.[4] Der überparteilich zusammengesetzte gewerkschaftliche Metallarbeiter-Widerstandskreis, in dem er mitwirkte, hatte sich auf Initiative von Mitgliedern der KPD-O gebildet.[5] Tessen stand mit der Gruppe um Willi Bölke in Verbindung.[4] 1938 folgte er der dringenden Empfehlung des damaligen Direktors der Bergmann Elektrizitätswerke, Ludwig Schulte-Kump, und siedelte mit seiner Familie von Berlin, wo sie zuletzt in der Wohnstadt Carl Legien wohnten, nach Hohen Neuendorf über, um sich vor Verfolgungen durch die Gestapo besser schützen zu können.[6] Tessen wurde nicht für die Wehrmacht freigestellt und arbeitete bis Kriegsende bei Bergmann. Er und andere brachten sowjetischen Kriegsgefangenen, die dort in der Panzerrohrabteilung arbeiten mussten, heimlich Essen.[7]

Bei Kriegsende hielt sich Tessen in Hohen Neuendorf auf und war im April 1945 an den Maßnahmen zur Selbstbefreiung und kampflosen Übergabe des Ortes einer dort aktiven Widerstandsgruppe beteiligt. Tessen hatte mit einem Teil der Gruppe die Aufgabe, den Volkssturm zu bewegen, die Waffen niederzulegen und die Panzersperren zu öffnen.[8] Nach dem Einrücken der Roten Armee stellte er sich sofort der neueingesetzten Gemeindeverwaltung zur Verfügung, arbeitete erst als Kolonnenführer (Transportkolonnen für die Lebensmittelversorgung), wurde dann Leiter der Gewerbeabteilung, danach Leiter der Abteilung Handel und Versorgung.[2]

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges engagierte sich Tessen wieder in der SPD, dann SED, wurde zunächst Zweiter Ortsvorsitzender der SPD, später Ortsvorsitzender der SED. Er gehörte zu einem in Hohen Neuendorf von Mitgliedern der KPD, SPD und LDPD gebildeten Antifa-Ausschuss.[9] Er arbeitete an der Vorbereitung der Vereinigung von KPD und SPD mit. Er war Mitglied der Kommission der Gemeinde Hohen Neuendorf für die Bodenreform. Er wurde Mitglied des Kulturbundes, des FDGB und der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft.

1946 wurde Tessen durch die Sowjetische Militäradministration (SMAD) und SED zum Bürgermeister von Hohen Neuendorf bestellt. Er löste Ernst Nowacki (KPD) ab. Kurt Noack (KPD, SED) wurde sein Stellvertreter. Nachdem die bürgerlichen Parteien LDPD und CDU bei der Gemeindewahl im selben Jahr die Mehrheit der Stimmen erhalten hatten, wurde Walter Pott (LDPD) Bürgermeister und Tessen war bis 1949 stellvertretender Bürgermeister (besoldeter Gemeinderat) sowie bis 1948 Amtsvorsteher des Amtsbezirkes Hohen Neuendorf.

1946 wurde Tessen als Kreistagsabgeordneter gewählt und saß bis 1950 als SED-Fraktionsvorsitzender im Kreistag Niederbarnim.[10] 1948 besuchte er die Kreisparteischule. 1949 wurde er im Landkreis Niederbarnim Zweiter Sekretär der SED-Kreisleitung und Leiter der Abteilung Organisation, vorher schon Leiter der Abteilung Personal KWU. Er absolvierte einen Zentralen Sonderlehrgang der SED und belegte ein Fernstudium an der Deutschen Verwaltungsakademie (DVA) Forst Zinna.

Unterschrift Karl Tessen

Tessen wurde Anfang 1949 vom sowjetischen NKWD verhaftet, nach zwei Monaten entlassen und wieder in seinen alten Funktionen eingesetzt. Über die genauen Umstände seiner Verhaftung ist nur bekannt, dass er „als Opfer einer Denunziation völlig gerechtfertigt“[11] aus der Untersuchung hervorgegangen sein soll.

Ehemaliges Kreishaus mit Landratsvilla in Bad Freienwalde

Nach der Kommunalwahl am 15. Oktober 1950 wurde Tessen im Dezember 1950 zum Landrat des Landkreises Oberbarnim gewählt.[12] Er blieb Landrat von Oberbarnim mit Sitz in Bad Freienwalde, bis der Landkreis 1952 im Zuge der Verwaltungsreform aufgelöst wurde. Anschließend, 1952 bis 1954, übernahm er den neugebildeten Kreis Eberswalde als Vorsitzender des Rates des Kreises. Laut einer Beurteilung, sei Tessen als Landrat um einen engen Kontakt zur Bevölkerung bemüht gewesen und habe häufig Bauernberatungen durchgeführt.[13] 1951 lud er dazu den Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl, ein.[14]

Von 1954 bis 1956 war Tessen als Mitglied des Rates des Bezirkes Frankfurt (Oder) Leiter des Staatssekretariats für Innere Angelegenheiten der Bezirksverwaltung bzw. der Abteilung Innere Angelegenheiten des Rates des Bezirkes.[15][2]

Danach war er Mitarbeiter des Ministerrates der DDR, war dort als Hauptreferent, dann als Sektorenleiter (= Unterabteilungsleiter) im Staatssekretariat für Angelegenheiten der örtlichen Räte und zuletzt im Sekretariat des Ministerrates tätig.[15][16]

Er starb 1965.[17]

Tessen war seit 1927 mit Frieda Erna Meffert (* 1905; † 1992) verheiratet. Ihre gemeinsame Tochter war die Wirtschaftswissenschaftlerin Waltraud Falk.

  • Walter Uhlmann: Metallarbeiter im antifaschistischen Widerstand. Informationszentrum Berlin; Gedenk- und Bildungsstätte Stauffenbergstrasse, Berlin 1982 (Reihe: Beiträge zum Thema Widerstand, Heft 21), als PDF-Datei auf der Website der Gedenkstätte Deutscher Widerstand.
  • Klaus Nietmann (Hrsg.) & Brigitta Heine (Hrsg.): Kreise und Landräte des Barnim. 18. Jahrhundert bis Gegenwart. Barnimer Historische Forschungen, Band 1. be.bra wissenschaft verlag, 1. Aufl. edition 2015.
  • Torsten Hartisch: „Zum Landrat nicht geeignet“. Leitendes Personal der zentralen, regionalen und lokalen Verwaltungsdienststellen in Brandenburg 1945-1952. Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Band 78, 1. Edition (2022). Digitalisat

Einzelnachweise

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  1. Karl Tessen wurde in Berlin-Mitte in der Luisenstrasse 59 geboren.
  2. a b c Torsten Hartisch: „Zum Landrat nicht geeignet“. Leitendes Personal der zentralen, regionalen und lokalen Verwaltungsdienststellen in Brandenburg 1945-1952. Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Band 78, 1. Edition (2022).
  3. In der Firma Bergmann Elektrizitätswerke arbeitend, wurde Tessen 1927 zum Betriebsrat gewählt, 1930 wurde er Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates.
  4. a b Personalakte Karl Tessen, Signatur: "Mann 0465" (Stadtarchiv Hohen Neuendorf)
  5. Hans-Rainer Sandvoß: Widerstand in Berlin 1933-1945. Band 14: Widerstand in Wedding und Gesundbrunnen. Berlin, 2003, Seite 100. Digitalisat
  6. Waltraud Falk: Die Bergmann-Electricitäts-Werke AG Berlin und der VEB Bergmann-Borsig, Berlin-Wilhelmsruh-ein Beitrag zur Unternehmensgeschichte in Berlin nach 1945. In: Fischer, Wolfram & Bähr, Johannes: Wirtschaft im geteilten Berlin 1945–1990. Forschungsansätze und Zeitzeugen. Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Band 76, Verlag: K. G. Saur, München / New Providence / London / Paris, 1994
  7. Erich Labbaud: Damit wir es heute besser haben. Betriebszeitung der SED-Betriebsparteiorganisation des VEB Bergmann-Borsig-Wilhelmsruh, Berlin 1965.
  8. Dietmar Wolf: Die Selbstbefreiung von Hohen Neuendorf. Aus den Erinnerungen von Zeitzeugen. In: telegraph Sondernummer „8. Mai 2015 – 70 Jahre Tag der Befreiung“. Digitalisat
  9. Jeannette Michelmann (Dissertation): Die Aktivisten der ersten Stunde. Die Antifa 1945 in der sowjetischen Besatzungszone zwischen Besatzungsmacht und Exil-KPD. Böhlau Verlag, Köln 2002
  10. Brigitta Heine (Hg.), Klaus Neitmann (Hg.): Kreise und Landräte auf dem Barnim vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Barnimer Historische Forschungen, Band 1. - Berlin: be.bra wissenschaft verlag GmbH, 2015.
  11. Gemeinde- und Finanzausschußsitzung vom 15. März 1949 (im Stadtarchiv Hohen Neuendorf)
  12. Märkische Volksstimme, Ausgabe vom 10. Januar 1951, Seite 6
  13. Beurteilung, 12. Juni 1952. Bundesarchiv: Personalakte Karl Tesse (Signatur: DO 1/102078).
  14. Bauern beraten mit Grotewohl. Neues Deutschland, Ausgabe vom 29. April 1951.
  15. a b Kreisarchiv Barnim, E.I.17587
  16. Nachruf auf Karl Tessen 1965 (Stadtarchiv Hohen Neuendorf)
  17. a b Genosse Karl Tessen gestorben. Todesanzeige in Neues Deutschland, Ausgabe vom 8. Februar 1965