Kartellbereinigung
Die Kartellbereinigung war eine Reorganisation des Wirtschaftslenkungsapparats im ausgehenden NS-Staat. Die Maßnahmen basierten auf einem Erlass des Reichswirtschaftsministers vom 20. Mai 1943 und zogen sich bis ins Jahr 1944 hin. Nicht mehr benötigte Privatkartelle wurden in großer Zahl aufgelöst.
Vorgeschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]„Durch das Nebeneinander von älteren, traditionellen Kartellen und neuen, aufstrebenden Lenkungsverbänden“ war bis Anfang der 1940er Jahre in der reichsdeutschen Volkswirtschaft „eine redundante Doppelstruktur entstanden“.[1] Auslöser für das Projekt einer Kartellbereinigung wurde die Kritik innerhalb der staatlichen Wirtschaftsführung, die althergebrachten privaten Kartelle seien inzwischen überflüssig geworden; oft seien sie ja – weil effektiv funktionslos – zu reinen „Briefkopf-Kartellen“ abgesunken.[2] Eingehende Beratungen bis Frühjahr 1943 mündeten in „dem Ergebnis, dass einer Auflösung des weitaus überwiegenden Teils der Verbände nichts mehr im Wege steht.“[3]
Maßnahmen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Erlass des Reichswirtschaftsministers vom 20. Mai 1943 führte im Endeffekt zur Auflösung von etwa 90 % aller deutschen Kartelle. Begründet wurde diese Maßnahme mit dem Willen, den „marktregelnden Zusammenschlüssen“, den privatwirtschaftlichen Kartellen, „keinen Raum mehr“ zu geben.[4] Ausgenommen von diesem Vorgehen waren nur folgende Arten von Einrichtungen:[5]
- Kartelle, welche über „besondere technische Kenntnisse“ verfügten,
- „internationale Kartelle“ sowie
- „Syndikate“, also die Kartelle mit einem besonderen Vertriebsapparat.
Diese Maßnahmen bezweckten,
- einen „klaren Organisationsaufbau der deutschen Kriegswirtschaft“ zu erreichen,
- ein „Mittel der Rationalisierung“ ihrer Leitungsstrukturen zu schaffen sowie
- eine wichtige „Voraussetzung für einen künftigen Friedensaufbau der Marktordnungen“ herzustellen.[6]
Aufgrund der eingeleiteten Schritte wurde „der Kartellapparat selbst […] zu 90 % […] aufgelöst.“[7] Nach einer amtlichen Darstellung von Ende 1943 waren „over 90 per cent of the cartels […] dissolved or were in a process of dissolution“.[8] Kartellfachmann Max Metzner bemaß die Wirksamkeit der Reform später etwas geringer: nur ca. 1.800 bis 1.900 von den insgesamt 2.500 vormals bestehenden deutschen Kartelle wären bei Kriegsende 1945 aufgelöst gewesen.[9]
Rezeption und Interpretation
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die deutsche Kartellbereinigung von 1943 ist von der Politik und Zeitgeschichte nach 1945 weitgehend ignoriert oder missverstanden worden:
- Die Maßnahmen seien vor allem propagandistisch motiviert und nicht als nachhaltig geplant gewesen (Metzner).[10]
- Die Maßnahmen seien lediglich Optimierungsschritte innerhalb eines geschlossenen Kartellsystems gewesen (Neumann).[11] Ein Zusammenstoß mit planwirtschaftlichen Prinzipien wurde nicht gesehen.
- In neueren geschichtlichen Studien wurde die Kartellbereinigung bisher entweder nicht oder nur kurz und beiläufig erwähnt.[12] Der Gegenstand galt bislang nicht als irgendwie wichtig.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Holm A. Leonhardt: Kartelltheorie und Internationale Beziehungen. Theoriegeschichtliche Studien, Hildesheim 2013, S. 226.
- ↑ Der deutsche Volkswirt, 17 (1942/43), Nr. 29/30, 1943, S. 857.
- ↑ Kartellbereinigung. Erlass vom 20. Mai 1943, in: Ministerialblatt des Reichswirtschaftsministeriums 43 (1943), Nr. 18, S. 541–542, hier S. 542.
- ↑ Kartellbereinigung. Erlass, S. 541.
- ↑ Thea Wippermann, Schicksal und Wandel der Kartellfunktionen in der gelenkten Wirtschaft, Diss. Univ. Jena 1944, S. 110.
- ↑ Wippermann, Schicksal, S. 107.
- ↑ Wippermann, Schicksal, S. 91.
- ↑ Philip C. Newman, Key German Cartels under the Nazi Regime, in: The Quarterly Journal of Economics 62 (1948), Nr. 4, S. 576–595, S. 577.
- ↑ Max Metzner, Die Kartellpolitik in Deutschland, in: Jahn, Georg/Junckerstorff, Kurt (Hrsg.), Internationales Handbuch der Kartellpolitik, Berlin 1958, S. 89–155, hier S. 115.
- ↑ Metzner, Kartellpolitik, S. 231.
- ↑ Franz L. Neumann, Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933–1944, Köln 1977 [= Behemoth. The Structure and Practice of National Socialism 1933–1944, Toronto 1944 resp. New York 1963], S. 629.
- ↑ Leonhardt, Kartelltheorie, S. 294–303
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Kartellbereinigung. Erlass vom 20. Mai 1943, in: Ministerialblatt des Reichswirtschaftsministeriums, 43 (1943), Nr. 18, S. 541–542.
- Thea Wippermann, Schicksal und Wandel der Kartellfunktionen in der gelenkten Wirtschaft, Diss. Univ. Jena 1944.
- Holm A. Leonhardt: Kartelltheorie und Internationale Beziehungen. Theoriegeschichtliche Studien, Hildesheim 2013.