Kildinsamische Sprache

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Kildinsamisch Кӣллт са̄мь кӣлл

Gesprochen in

Russland
Sprecher ≈500
Linguistische
Klassifikation
Offizieller Status
Amtssprache in
Sprachcodes
ISO 639-1

ISO 639-2

smi (sonstige Samische)

ISO 639-3

sjd

Kildinsamische Wortliste von 1557 (veröffentlicht 1589); das älteste bekannte Dokument einer samischen Sprache

Die kildinsamische Sprache (Eigenbezeichnung Кӣллт са̄мь кӣлл (Kiillt saam’ kiill)) ist eine Sprache aus der östlichen Gruppe der samischen Sprachen und gehört somit zur uralischen Sprachfamilie. Sie wird von etwa 500 Samen auf der Halbinsel Kola im Nordwesten Russlands gesprochen.

Das älteste bisher bekannte Sprachdokument einer samischen Sprache ist eine Liste mit 95 kildinsamischen Wörtern und Phrasen und deren englische Übersetzungen, die der Seefahrer Stephen Borough 1557 während eines Aufenthaltes an der Flussmündung der Jokanga mit Hilfe von samischen Informanten notierte.[1][2]

Verbreitungsgebiet des Kildinsamischen (Nr. 8) im samischen Sprachraum

Kildinsamisch wird von rund 500 Menschen in den zentralen Teilen der Kola-Halbinsel, insbesondere der Gegend von Lowosero, gesprochen. Ihren Namen hat die Sprache nach der Insel Kildin nordöstlich von Murmansk. Kildinsamisch ist die größte Sprache aus der Gruppe der ostsamischen Sprachen, ihr Fortbestand ist aber wegen der zunehmenden Verbreitung des Russischen fragwürdiger als beim Inarisamischen und Skoltsamischen. Die dem Kildinsamischen am nächsten verwandten Sprachen sind Tersaamisch und das mittlerweile wahrscheinlich ausgestorbene Akkalasamische, das manchmal auch als kildinsamischer Dialekt aufgefasst wird.

Rechtschreibung

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Das lateinischbasierte Alphabet des Kildinsamischen von 1933
Kildinsamische Tastatur auf einem iPad
„Wir sind gegen den Krieg!“ Anti-Kriegsposter in heutiger kildinsamischer Rechtschreibung

In den 1930er Jahren wurde erstmals eine kolasamische Schriftsprache auf Grundlage des lateinischen Alphabets entwickelt. Grundlage dieser Schriftsprache waren aber nicht die Dialekte des Kildinsamischen, sondern die der damals größten und geographisch zentralen Dialektgruppe der Skoltsami. Aufgrund der sowjetischen Sprachpolitik wurde das lateinische Alphabet nach dem Zweiten Weltkrieg nicht weiter verwendet, wie auch die sprachliche Erforschung des Samischen in Russland überhaupt zum Erliegen kam.

In den 1970er Jahren wurde erneut mit der Arbeit an einer kolasamischen Schriftsprache begonnen. Die samische Lehrerin Alexandra Antonowa schrieb 1982 eine Fibel auf Kildinsamisch, Са̄мь букварь, in einer neuen Orthographie. Grundlage waren die Buchstaben des russischen Alphabets. Besondere kildinsamische Laute wurde mit Hilfe von Diakritika (z. B. Vokallänge ӯ für /u:/) und anderen Modifikatoren (z. B. die stimmlose Sonoranten ӆ /l̥/, ӎ /m̥/, ӊ /n̥/ und ҏ /r̥/ [jedoch nicht /j̊/]) markiert. Ebenfalls in der Schrift markiert wurde die sogenannte Halbpalatalisierung von /t/, /d/ und /n/ (markiert durch den kirchenslawischen Buchstaben Ҍ ҍ [z. B. -тҍ] oder ebenfalls mit Diakritika [wie z. B. -ӭ], je nach Stellung des entsprechenden Konsonanten im Auslaut oder vor Vokal.)

Antonowas Rechtschreibung, die auch Georgi Kert für sein 1986 erschienenes kildinsamisch-russisch-kildinsamisches Schulwörterbuch verwendete, wurde von der Pädagogin und Sprachwissenschaftlerin Rimma Kurutsch weiterentwickelt. Kurutsch arbeitete zusammen mit Antonova und anderen samischen Mitarbeitern in Murmansk an der Weiterentwicklung der kolasamischen Schriftsprache. Neben Lehrbüchern und didaktischem Material für die Lehrerausbildung entstand in der Arbeitsgruppe von Kurutsch auch ein großes kildinsamisch-russisches Wörterbuch. Das Wörterbuch erschien 1985 und enthält eine kurze normierende Übersichtsgrammatik des Kildinsamischen. Antonovas Rechtschreibung wurde dabei ergänzt mit den Buchstaben Һ һ als Zeichen für Präaspiration sowie Ј ј für den stimmlosen palatalen Approximanten /j̊/.

Diese beiden Buchstaben wurden jedoch später ausgetauscht durch ' (Apostroph) und Ҋ ҋ. Diese letzte Version der Rechtschreibung ist in dem 1995 von der Arbeitsgruppe um Kurutsch herausgegebenen Buch über die Grundlagen und Regeln der Orthographie fixiert. Besagte Regeln und die zuletzt hinzugefügten Buchstaben sind aber nie von allen Saami in Russland akzeptiert worden. Deshalb existieren heute in der Praxis alle verschiedenen Versionen der neuen kyrillischen Rechtschreibung für Kildinsamisch nebeneinander.

Das kyrillische saamische Alphabet enthält die folgenden Buchstaben:

А а ​[⁠a⁠]​ А̄ а̄ [a:] Ӓ ӓ ​[⁠a⁠]​ Б б ​[⁠b⁠]​ В в ​[⁠v⁠]​ Г г ​[⁠g⁠]​
Д д ​[⁠d⁠]​ Е е ​[⁠e⁠]​ [je] Е̄ е̄ [e:] [je:] Ё ё ​[⁠o⁠]​ [jo] Ё̄ ё̄ [o:] [jo:] Ж ж ​[⁠ʒ⁠]​
З з ​[⁠z⁠]​ '1/һ Һ2 ​[⁠ʰ⁠]​ ~​[⁠h⁠]​ И и ​[⁠i⁠]​ [ji] Ӣ ӣ [i:] [ji:] Й й ​[⁠j⁠]​ Ҋ ҋ1/Ј ј2 []
К к ​[⁠k⁠]​ Л л ​[⁠l⁠]​ Ӆ ӆ [] М м ​[⁠m⁠]​ Ӎ ӎ ​[⁠⁠]​ Н н ​[⁠n⁠]​
Ӊ ӊ ​[⁠⁠]​ Ӈ ӈ ​[⁠ŋ⁠]​ О о ​[⁠o⁠]​ О̄ о̄ [o:] П п ​[⁠p⁠]​ Р р ​[⁠r⁠]​
Ҏ ҏ [] С с ​[⁠s⁠]​ Т т ​[⁠t⁠]​ У у ​[⁠u⁠]​ Ӯ ӯ [u:] Ф ф ​[⁠f⁠]​
Х х ​[⁠x⁠]​ Ц ц ​[⁠ts⁠]​ Ч ч ​[⁠⁠]​ Ш ш ​[⁠ʃ⁠]​ Щ щ3 Ъ ъ
Ы ы ​[⁠ɨ⁠]​ Ь ь Ҍ ҍ Э э ​[⁠e⁠]​ Э̄ э̄ [e:] Ӭ ӭ ​[⁠e⁠]​
Ю ю ​[⁠u⁠]​ [ju] Ю̄ ю̄ [u:] [ju:] Я я ​[⁠a⁠]​ [ja] Я̄ я̄ [a:] [ja:]

Bemerkungen:

1 
markiert zwei Buchstaben, die in Sammallahti et al. (1991) gebraucht werden; die meisten seit den 90er Jahren in Norwegen publizierten Bücher für Kildinsamisch verwenden diese Variante des Alphabets.
2 
markiert die zwei entsprechenden Buchstaben, die in Afanas'eva et al. 1985 gebraucht werden; die meisten seit den 80er Jahren in Russland publizierten Bücher verwenden diese Variante des Alphabets.
In Antonovas Fibel (1982) und Kerts Wörterbuch (1986) werden diese Buchstaben gar nicht verwendet.
3 
kommt nur in russischen Lehnwörtern vor.

Wie in anderen kyrillischen Alphabeten markieren manche Buchstaben (allein oder neben ihrem vokalischen Wert) Merkmale des vorangehenden Konsonanten:

  • е / ӭ, ё, и, ю, я / ä stehen für die jeweiligen einem palatalisierten Konsonanten folgenden Vokale [e], [o], [i], [u], [a].
  • ь / ҍ markiert die Palatalisierung des vorangehenden Konsonanten (außer nach н, hier markiert ь, dass es sich um einen palatalen Konsonanten [ɲ] handelt).
  • ъ markiert die Nicht-Palatalisierung des vorangehenden Konsonanten.

Langvokale werden mit einem Makron (¯) über dem Vokalbuchstaben gekennzeichnet.

Allgemein kann festgehalten werden, dass die Silbenstruktur der kildinsamischen Sprache eng mit deren Betonungsmustern zusammenhängt: Während stamminitiale Silben in der Regel betont werden, sind nicht-initiale Silben unbetont. Weiterhin lassen sich einerseits die vorkommenden Silbentypen zweisilbiger Stämme auf das Proto-Saami zurückführen. Andererseits muss der Nukleus der Silbe ein Vokal sein, sodass keine konsonantischen Silbenkerne auftreten. Zuletzt wird angenommen, dass das Maximum Onset Principle (MOP) im Kildinsaami zutritt. Dies bedeutet, dass konsonantisches Material, das phonotaktisch auf der Grundlage der Sonoritätshierarchie sowohl Coda der letzten Silbe als auch Onset der folgenden Silbe sein könnte, strukturell als Onset realisiert wird. Dies wird dadurch begründet, dass Erstsprachler intuitiv nach diesen Regeln Silben trennen und dass wortfinale, aspirierte Plosive ihre Aspiration verlieren, wenn in der Intonationskurve eine Silbe ohne Onset folgt.

Die Literatur zur kildinsamischen Sprache weist zudem auf das Konzept des Konsonanten-Zentrums hin: Zwischen der initialen und folgenden Silbe des Stammes sowie nach monosilbischen Stämmen finden sich notwendigerweise Einzelkonsonanten, Geminaten oder Konsonantencluster. Im Konsonanten-Zentrum gibt es daher mehr Kombinationsmöglichkeiten von konsonantischem Material als an anderen phonotaktischen Positionen. Der Onset der initialen Silbe ist dagegen entweder leer oder enthält einen einzelnen Konsonant, der entweder Sonorant oder stimmloser Obstruent sein muss. Davon ausgenommen sind Lehnwörter. Es zeigt sich weiterhin, dass initiale Silben eine obligatorische Coda besitzen, während nicht-initiale Silben immer einen Onset aufweisen. Der silbeninitiale Onset und die nicht-silbeninitiale Coda sind dagegen fakultativ.

In seiner Forschung kommt Joshua Wilbur (2008)[3] zu zehn Silbentypen, die im Kildinsamischen existieren. Ihr Auftreten ist dabei abhängig davon, ob sie monosilbisch oder Teile von multisilbischen Wörtern sind und ob sie initial, intern oder final vorkommen.

Silbentyp Beispiel Glossar
SC [jud] plate\GEN:SG
LC [͜tʃa:n] devil\NOM:SG
SG [mann‘] egg\NOM:SG
LG [ma:nn] moon\NOM:SG
SCC [sɛrv] moose\GEN:SG
LCC [jo:rt] think\3.SG:PRS
SGC [piŋŋk] wind\NOM:SG
LGC [sɛ:rrv] moose\NOM:SG
S [sunn.t-ɛ] melt\INF
L [ja:.l-a] live\1.SG:PRS
Legende: S = Kurzer Vokal, L = Langer Vokal, C = Konsonant, G = Geminate, CC = Konsonantencluster

Auf dieser Grundlage kommt Wilbur zu zwei Modellen prototypischer Silben in Kildinsaami:

initial: (C0) V(:) C(:)1 (C2)

nicht-initial: C0 V(:) (C(:)1) (C2)

Klammern schließen dabei fakultative Elemente ein, während Zahlen die Nummerierung von Konsonanten darstellen.

Die Kildinsamische Sprache besitzt mit 54 Konsonanten (Länge ausgelassen) ein recht großes Konsonanteninventar. Das Vokalinventar hingegen ist mit 7 Vokalen (Länge ausgelassen) wesentlich weniger stark ausgeprägt. Sowohl Palatalisierung als auch Quantitätsunterschied bei Vokalen und Konsonanten spielen im Kildinsamischen eine große Rolle.

Bilabial Labio-Dental Alveolar Post-Alveolar Palatal Velar Glottal
Plosiv p(ː) b(ː)

p(ː)ʲ b(ː)ʲ

t(ː) d(ː)

t(ː)ʲ d(ː)ʲ

k(ː) g(ː)

k(ː)ʲ g(ː)ʲ

Nasal m̥(ː) m(ː)

m̥(ː)ʲ m(ː)ʲ

n̥(ː) n(ː)

n̥(ː)ʲ n(ː)ʲ

ɲ(ː) ŋ(ː)

ŋ(ː)ʲ

Vibrant r̥(ː) r(ː)

r̥(ː)ʲ r(ː)ʲ

Frikativ f(ː) v(ː)

f(ː)ʲ v(ː)ʲ

s(ː) z

s(ː)ʲ zʲ

ʃ(ː) ʒ

ʃ(ː)ʲ ʒʲ

x(ː)

x(ː)ʲ

h

Affrikate t͡s(ː) d͡z

t͡s(ː)ʲ d͡zʲ

t͡ʃ(ː)ʲ d͡ʒʲ
Lateral l̥(ː) l(ː)

l̥(ː)ʲ l(ː)ʲ

ʎ(ː)
Approximant j̥(ː) j(ː)

Stimmlose Laute stehen links, stimmhafte Laute rechts

Jeder Konsonant kann gelängt werden außer /z/, /d͡z/, /ʒ/ und /d͡ʒ/, wobei phonemische Unterschiede der Länge nur im Konsonanten-Zentrum auftreten. Die Kildinsamische Sprache kontrastiert nicht-palatalisierte, palatalisierte und palatale Laute desselben Artikulationsorts und derselben Artikulationsart.

Geminaten[3] treten ebenfalls nur im Konsonanten-Zentrum auf und kontrastieren dort mit ihren Einzellaut-Gegenstücken. Wilbur (2007) nennt hierzu ein Beispiel von einem Minimalpaar und einem Beinahe-Minimalpaar.

Beispiel Glossar
/seːrrv/ 'Elch\SG'
/seːrv/ 'Elch\PL'
/saːrrn-ip/ 'sprechen-1PL'
/saːrn-a/ 'sprechen-1SG'

Einzelkonsonanten mit Geminaten-Korrelat können hingegen sowohl an jeder Silbenanlautposition im Wort als auch im Konsonanten-Zentrum auftreten.

Stimmhafte Obstruenten-Geminaten-Phoneme sind nur zu Beginn stimmhaft realisiert und werden zu Ende stimmlos. So wird zum Beispiel /b:/ als [bp] realisiert oder /d͡z:/ als [dts]. Dass die Plosiv-Geminaten tatsächlich teilweise stimmhaft und nicht zwei Einzellaute sind, zeigt sich an einer einzelnen Verschlusslösung am Ende des Segments. Sie können auch nicht durch eine rein stimmlose Geminate dargestellt werden, z. B. /p:/, wie ihre halbe Stimmhaftigkeit, bzw. Stimmlosigkeit vermuten lässt, da rein stimmlose Geminaten Prä-Aspiration auslösen. So wird das Phonem /p:/ phonetisch als [ʰp] realisiert.

Vorne Zentral Hinten
Geschlossen i ɨ u
Halbgeschlossen e o
Offen a ɒ

Jeder dieser Vokale hat eine lange und eine kurze Variante denen jeweils Phonemstatus zugeschrieben wird, was bedeutet, dass es im Kildinsamischen insgesamt 14 Monophthong Phoneme gibt. Diese Quantitäsunterschiede werden, wie im Abschnitt Rechtschreibung schon angesprochen, durch ein Makron gekennzeichnet.

Der gerundete offene Hinterzungenvokal [ɒ] wird in manchen Quellen als sein ungerundetes Pendant angegeben.

Die Kildinsamische Sprache besitzt je nach Quelle 3–4, sich teils unterscheidende, Diphthongphoneme: /e͜a/, /i͜e/, /u͜a/, /u͜e/ oder /o͜a/, /u͜e/, /u͜a/.

Auch die Diphthonge des Kildinsamischen weisen Quantitätsunterschiede auf.

Palatalisierung

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In der kildinsamischen Sprache haben alle Artikulationsorte, außer den palatalen[3] Lauten, ein palatalisiertes Gegenstück. Dies ist bloß den saamischen Sprachen auf der Halbinsel Kola zu eigen, weshalb früher behauptet wurde, dies wäre aus dem Russischen entlehnt worden, da diese in einem engen Sprachkontakt zum Russischen stehen (Kert 1994). Kusmenko und Rießler widerlegten dies 2012 anhand von sprachinternen etymologischen Daten, räumen aber ein, dass das Russische „ein Katalysator in der Entwicklung gewesen sein könnte“.

Ebenfalls in moderner russischsprachiger Literatur zur Kildinsamischen Phonologie(Kert 1971) erwähnt ist das Phänomen der „Halb-Palatalisierung“ in Verbindung mit den dentalen Konsonanten /t, d, n/. Auf diese wird auch in der Orthographie Bezug genommen mit dem historischen kyrillischen Graphem yat <ѣ> im Gegensatz zum Graphem für die „Voll-Palatalisierung“ <ь>. Wilbur findet in seinen Daten keinen Beweis, dass es auf tatsächlichen phonetischen oder phonologischen Unterschieden beruht und schließt die durch <ѣ> „halb-palatalisierten“ Konsonanten als bloße orthographische Konvention vom Phoneminventar aus.

Wird die lateinische Umschrift benutzt, so markiert ein <'> die Palatalisierung des vorangegangenen Segments.

Ein möglicher Dreierkontrast zwischen nicht-palatalisiertem, palatalisiertem und palatalem Laut wäre:

Laut Wort phonologische

Transkription

Glossar
alveolar Nasal maann /maːnː/ Mond/Monat
alveolarer Nasal(palatalisiert) mann' /manːʲ/ Ei
palataler Nasal mannj /maɲː/ Schwiegertochter

Palatalisierung in der Kildinsamischen Sprache ist ein non-linearer morphosyntaktischer Prozess, der die Palatalisierung oder De-Palatalisierung des Konsonanten-Zentrums in bestimmten morphophonologischen Umgebungen verursacht. Wilbur nennt vier Beispiele:

Beispiel Glossar
/jorrt-a/ 'denken-1SG'
/jorrt/ 'denken\3SG'
/jurrʲt-e/ 'denken-INF'
/jurrʲt-ip/ 'denken-1PL'

Hier verliert der Stamm jurrʲt 'denken' seine Palatalisierung in Verbindung mit Morphemen, die Singular anzeigen, während sie bei Infinitiv und Plural beibehalten wird. Auf synchroner Sprachebene basiert die Palatalisierung auf morphologischen Paradigmen, kann jedoch auch durch historische Sprachdaten erklärt werden. Durch einen Prozess der regressiven Assimilierung haben ältere geschlossenen und halbgeschlossene Vorderzungenvokale der zweiten Silbe eine Palatalisierung des vorangegangenen Konsonanten-Zentrums verursacht.

Während sich dieser Prozess zwar historisch durch das Verschwinden von Auslöser-Material erklären lässt ist es wichtig anzumerken, dass dieser Prozess mittlerweile weder voraussagbar noch produktiv geworden ist. Stattdessen ist er bestimmt von der Inflektionsklasse der Lexeme, zu denen er gehört. Da sich diese nicht in linearer Weise von den Stämmen trennen lassen, die sie modifizieren, kommt Wilbur zu dem Schluss, dass es sich bei ihnen um echte non-lineare Morpheme selbst oder zumindest um non-lineare Teile von andererseits veräußerlichen Suffixen handelt.

Wie im Phonotaktikteil schon erwähnt wurde, korreliert Silbenstruktur des Kildinsamischen mit der Wortbetonung, aber auch mit den Längenkontrasten.

Da im Kildinsamischen eine betonte Silbe immer einer unbetonten entgegengestellt wird, ist es sinnvoll die Wortbetonung mithilfe von den metrischen Füßen darzustellen. Ein Fuß ist eine metrische Einheit des Rhythmus und stürzt sich deswegen auf Wortbetonung. Im Kildinsamischen sind sie trochäisch aufgebaut, d. h. die initiale Silbe jedes Fußes ist betont.

Außerdem hat das Kildinsamische bei mehrsilbigen Wörtern ein komplexes System von Nebenbetonungen, wobei es auf die Anzahl von Silben ankommt.

Bei mehrsilbigen Wörtern wird die erste Silbe betont, die Nebenbetonung fällt dann auf die dritte Silbe, aber wenn sie gleichzeitig die letzte Silbe ist, wird sie unbetont.

Kontrasten in Vokalquantität (basierend auf den Daten von Wilbur[3]) sind nur für initiale Silbe typisch und nur bei einfachen Silbenstrukturen – Kurzvokal Konsonant vs. Langvokal Konsonant. Unbetonte Vokale sind überwiegend kurz.

Das Gleiche gilt für Längenkontraste bei Konsonanten: Zwischen langen und kurzen Konsonanten wird typischerweise bei monosilbischen Wörtern kontrastiert, bei mehrsilbischen – treten Kontraste nur in der initialen Silbe auf.

Für das Kildinsamische, wie für die anderen natürlichen Sprachen der Welt, ist Deklination typisch, die sich in einem graduellen absinken der Grundfrequenz bzw. Tonhöhe im Verlauf einer Äußerungseinheit zeigt.

Wie das Nordsamische verwendet auch das Kildinsamische den Stufenwechsel. Dieser ist meist das einzige Mittel um bei Wörtern den Unterschied zwischen Nominativ Singular und Genitiv/Akkusativ Singular festzumachen.

Das Kildinsamische verfügt über neun Kasus: Nominativ, Genitiv, Akkusativ, Illativ, Lokativ, Komitativ, Abessiv, Essiv und Partitiv. Der Genitiv und Akkusativ sind jedoch im Singular formgleich.

Es gibt im Kildinsamischen fünf distinktive Flexionsklassen innerhalb der Nominalmorphologie, da eine dieser Klassen aber lediglich das Diminutiv bestimmt, variiert die genannte Anzahl der Klassen innerhalb der Literaturen. Die Nominalflexionen werden im Kildinsamischen durch das Anfügen inflexionaler Suffixe an die lexikalischen Stämme gebildet. Da Suffixe im Kildinsamischen nicht nur an die Wurzel, sondern auch an andere Suffixe angefügt werden können, gilt folgende Suffixabfolge: Wortstamm – derivationelles Suffix – Numerus-Marker – Kasussuffix – Possessorsuffix (– Enklitikon).

Singular
Kasus Klasse I

'Tante'

Klasse II

'Boden'

Klasse III

'Frau'

Klasse IV

'Rentier'

Klasse V

'Wind/kleiner Wind'

Nom. kuess'k vuedd nozan puaz piiŋ'k-a
Gen. kues'k vued nozan puudz-e piiŋ'k-a
Akk. kues'k vued nozan puudz-e piiŋ'k-a
Ill. kuassk-a vuudd-e nozn'-e puudz-je piiŋ'k-n'e
Lok. kues'k-es't vued-es't nozn-es't puudz-es't piiŋ'k-as't
Kom. kuus'k-en' vued-en' nozn-en' puudz-en' piiŋ'k-an'
Abe. kues'k-xa vued-xa nozn-ahta puudz-ahta piiŋ'k-ahta
Ess. kuess'k-en' vuedd-en' nozn-en' puudz-en' piiŋ'k-an'
Part. kuess'k-e vuedd-e nozn'-edd'e puudz-jedd'e piiŋ'k-n'edd'e
Plural
Kasus Klasse I Klasse II Klasse III Klasse IV Klasse V
Nom. kues'k vued nozan puudz-e piiŋ'k-a
Gen. kuus'k-e vued-e nozn-e puudz-e piiŋ'k-a
Akk. kuus'k-et' vued-et' nozn-et' puudz-et' piiŋ'k-at'
Ill. kuus'k-et' vued-et' nozn-et' puudz-et' piiŋ'k-at'
Lok. kuus'k-en' vued-en' nozn-en' puudz-en' piiŋ'k-an'
Kom. kuus'k-eguejm vued-egujm nozn-eguejm puudz-eguejm piiŋ'k-aguejm
Abe. kuus'k-exa vued-exa nozn-exa puudz-exa piiŋ'k-axa

Die kildensaamische Sprache verfügt über verschiedene Flexionsklassen[4], die sich wiederum in zwei übergeordnete Flexionsparadigmen aufteilen lassen: einerseits Verben, in denen ein Stufenwechsel vorliegt, andererseits Verben ohne Stufenwechsel.

Das Kildinsamische weist sowohl infinite – mit den Kategorien Infinitiv, Gerundium und Partizip – als auch finite Verbalflexion auf.

Finite Verbalflexion

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Die finite Verbalflexion umfasst die Kategorien Modus, Zeit, Numerus und Person, die in Schachtelmorphemen ausgedrückt werden. Diese Schachtelmorpheme der beiden Flexionsparadigmen ähneln sich und sind innerhalb der jeweiligen Flexionsklasse gleich.

Die Modi des Kildensammischen sind Indikativ, Konditional (COND) und Imperativ (IMP). Der Modus des Potentialis (POT), der im Skoltsaamischen vorkommt,[5] ist, abgesehen vom Verb „sein“, nicht vorhanden.

Im Kildensaamischen existieren zwei synthetische Zeiten (d. h. Zeiten, die nicht aus mehreren Bestandteilen zusammengesetzt werden) des Indikativs: einerseits die „Nicht-Vergangenheit“ (englisch: Nonpast, NPST), die zur Beschreibung all dessen genutzt wird, was sich nicht in der Vergangenheit abspielt und andererseits die Vergangenheit (englisch Past, PST).

Wie auch im Deutschen flektieren die Verben nach Singular und Plural, in der 1.–3. Person. Zusätzlich gibt es aber auch eine sogenannte „4. Person“, die häufig als Impersonal (IPS) bezeichnet wird und die mit „man“ beziehungsweise „jemand“ übersetzt werden kann. Die Kategorie Impersonal existiert nur im Indikativ.

Flexionstabellen (exemplarisch)

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Im Folgenden werden exemplarische Verbalflexionen beider Flexionsklassen dargestellt. Die mit Bindestrich abgetrennten Suffixe bezeichnen die jeweilige Endung der Verbform.

Verben mit Stufenwechsel
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INF jiell'-e (leben) saarn-e (reden)
Singular Plural Singular Plural
NPST 1. Person jaal-a jiell'-ep' saarn-a saarn-ep'
2. Person jaal-ak jiell'-bedd'e saarn-ak saarrn-bedd'e
3. Person jaal jiell'-ev saarrn saarn-ev
IPS jiel'-et' saarn-et'
PST 1. Person jill'-e jiil'-em sooaarr-e saarn-em'
2. Person jill'-ek' jil'-et' sooaarr-ek' saarn-et'
3. Person jiil'-e jiill-en' saarn-e sooaarr-en'
IPS jiil'-eš' sooaarr-eš'
COND 1. Person jaal-če jaal-čep' sooaarn-če sooaarn-čep'
2. Person jaal-ček' jaal-čepb'e sooaarn-ček' sooaarn-čepb'e
3. Person jaal-ahč jaal-čen sooaarn-ahč sooaarn-čen
IMP jiel jiell'e saarn saarrn-e

Auffällig ist bei dieser Flexionsklasse der hochkomplexe Stufenwechsel, durch den der Stamm des Verbes jeweils fünf verschiedene Formen annimmt, wobei sich bestimmte Stämme nur durch marginale Änderungen auszeichnen. Durch diesen Stufenwechsel ist es möglich, gleiche Endungen für verschiedene Verbformen zu verwenden, da sich in dem Fall die Stämme voneinander unterscheiden (vgl. zum Beispiel 1. und 3. Person Singular PST und IMP Singular), ohne dass es dadurch zu einem Formensynkretismus kommt. Die Verteilung der jeweiligen Stämme auf die einzelnen Personen, Zeiten und Modi ist je nach Verb unterschiedlich, bestimmte Regelmäßigkeiten lassen sich aber dennoch feststellen:

  • der Stufenwechsel ist im Indikativ (NPST/PST) am häufigsten
  • die 3. Person Singular der „Nicht-Vergangenheit“ (NPST) hat jeweils keine eigene Endung, diese Form fungiert darüber hinaus als Stamm für andere Formen, das Gleiche gilt für den Imperativ (IMP)
  • der Konditional (COND) weist einen einheitlichen Stamm auf, der aber nicht dem des Infinitives entspricht

Verben ohne Stufenwechsel

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INF vaan'c-l-e (weggehen) lygk-n-e (bewegen)
Singular Plural Singular Plural
NPST 1. Person vaann'c-l-a vaann'c-l-ep' lygk-n-a lygk-n-ep'
2. Person vaann'c-l-ak vaann'c-l-ebp'e lygk-n-ak lygk-n-ebp'e
3. Person vaann'c-al vaann'c-l-ev' lygk-ant lygk-n-ev'
IPS vaann'c-l-et' lygk-n-et'
PST 1. Person vaann'c-l-e vaann'c-l-em' lygk-n-e lygk-n-ep'
2. Person vaann'c-l-ek vaann'c-l-et' lygk-n-ek lygk-n-ebp'e
3. Person vaann'c-el' vaann'c-l-en' lygk-en't lygk-n-ev'
IPS vaann'c-l-eš' lygk-n-eš
COND 1. Person vaann'c-l-ehče vaann'c-l-ehčep' lygk-n-ehče lygk-n-ehčep'
2. Person vaann'c-l-ehček' vaann'c-l-ehčet' lygk-n-ehček' lygk-n-ehčet'
3. Person vaann'c-l-ahč vaann'c-l-ehčev lygk-n-ahč lygk-n-ehčev
IMP vaann'c-l-el' vaann'c-l-egke lygk-n-en't lygk-n-egke

Die Verben, die zu diesem Flexionsparadigma gehören, weisen keinen Stufenwechsel auf, um Synkretismus zu vermeiden hat jede Verbform folglich eine unterschiedliche Endung. Eine Besonderheit stellt bei diesen Verben auch die 3. Person Singular des Indikativs dar. Man geht davon aus, dass sich vor dem letzten Konsonanten der Infinitivendung („l“ bzw. „n“) ein Slot (d. h. ein „Platz“, an dem eine grammatikalische Information eingefügt werden kann) befindet. Dieser ist durch den ersten Bindestrich angezeigt. Diese Annahme stützt sich darauf, dass die betroffenen Verbformen sich dadurch auszeichnen, dass die Endung bereits vor dem letzten Konsonanten beginnt.

Das Verb „sein“

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Die Flexion des Verbes „sein“ im Kildensaamischen unregelmäßig und ist, wie schon erwähnt, das einzige Verb, das über die Kategorie des Potentialis (POT) verfügt. Zudem fehlt die Kategorie Impersonal.

INF liije (sein)
Singular Plural
NPST 1. Person l’aa l’eebp'
2. Person l’aak l’eebpe
3. Person lii l’eev
PST 1. Person liije liijem'
2. Person liijek' liijet'
3. Person l’aai liijen'
COND 1. Person liiče liičem
2. Person liiček' liičet
3. Person l’aač liičen'
POT 1. Person liinnče linnčep'
2. Person linnček linnčbedt'e
3. Person l’aannč linnčev

Analytische Zeitenbildung

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Neben den oben aufgeführten synthetisch gebildeten Zeiten, verfügt das Kildensaamische auch über drei analytische -d. h. aus mehreren Elementen zusammengesetzte Zeiten: Future, Perfekt und Plusquamperfekt; Letztere kommt nur in der geschriebenen Sprache vor. Diese Zeiten bilden sich alle mit einer Form von „sein“ und einer infiniten Verbform (Infinitiv, Partizip).

Das Futur wird beispielsweise mit dem Potentialis von „sein“ und dem Infinitiv gebildet:

munn liinče jiell'-e
1.SG sein:POT.1.SG leben-INF
„Ich werde leben“

Im Kildinsamischen wird zum Ausdruck von Negation ein Syntagma verwendet, welches aus einem finiten Verneinungsverb und einem finiten Hauptverb im Konnegativ (negative Form des Hauptverbs) besteht. Das finite Verneinungsverb wird auch als Negationsauxiliar bezeichnet, da es die Funktion eines Hilfsverbs ausfüllt. Es wird nach Person, Numerus und Modus flektiert. Das Hauptverb des Satzes wird in einer speziellen Form dargestellt, welche man als Konnegativ bezeichnet. Das Tempus (Präsens oder Vergangenheit) wird stets am Hauptverb markiert. Das Verneinungsverb hat in allen Tempora dieselbe Form.[4]

Das Flexionsparadigma des Verneinungsverbs sieht wie folgt aus:

Singular Plural
1. Person emm jie'bb
2. Person egg jie'bbe
3. Person ejj jiev
Impersonal jie'dt
Imperativ jie'l jie'lle

Negierter Satz im Präsens[6]:

Mun emm t'ēd', koal'e Evvan lī puadtma.
Ich ich.nicht weiß, ob Ivan ist gekommen.
„Ich weiß nicht, ob Ivan gekommen ist.“

Negierter Satz in der Vergangenheit:

Sōnn ejj t'ēdtma koal'e sōnn jo ujjtma li
Er/Sie er/sie.nicht wusste ob er/sie bereits gegangen ist.
„Er/Sie wusste nicht, ob er/sie bereits gegangen ist.“

Bei der Negation des Verbs „sein“ in der dritten Person kommt es zu einer Verschmelzung von Haupt- und Hilfsverb. Dabei entstehen folgende Formen:

ell´a = „ist nicht“, Zusammensetzung aus ejj (3. Pers. Sg. Verneinungsverb) und lea (Konnegativ, Präsens, Hauptverb: „sein“)

jievla = „sind nicht“, Zusammensetzung aus jiev (3. Pers. Pl. Verneinungsverb) und lea (Konnegativ, Präsens, Hauptverb: „sein“)

ell´ij = „war nicht“, Zusammensetzung aus ejj (3. Pers. Sg. Verneinungsverb) und liijja (Konnegativ, Vergangenheit, Hauptverb: „sein“)

Ausschließlich in der 3. Person Plural der Vergangenheitsform findet keine Verschmelzung des Verneinungsverbs und des Hauptverbs „sein“ statt:

jiev liijja = „waren nicht“, Zusammensetzung aus jiev (3. Pers. Pl. Verneinungsverb) und liijja (Konnegativ, Vergangenheit, Hauptverb: „sein“)

Negierte Indefinitpronomen werden im Kildinsamischen mithilfe des Negationspräfixes ni- konstruiert. Es ist das einzige Präfix der kildinsamischen Sprache und wurde aus dem Russischen entlehnt. Das Präfix ni- wird mit allen Interrogativpronomen verwendet. Die negierten Indefinitpronomen können in verschiedene Kasus abgeleitet werden. Beispiele dafür sind[7]:

ni-k'ē Neg-Wer? Nominativ, Singular „Niemand“

ni-k'ējn Neg-Wer? Komitativ, Singular „Mit niemandem“

ni-k'ēnn Neg-Wer? Genitiv, Singular „Niemandes“

ni-mī Neg-Was? Nominativ, Singular „Nichts“

ni-mēnn Neg-Was? Akkusativ, Singular „Nichts“

ni-mēnn munn emm ujn.
Was.nicht ich ich.nicht sehe.
„Ich sehe nichts.“ (Wörtlich in etwa: „Ich nicht sehe nichts“).

Komplementierung

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Das Kildinsamische bildet Satzgefüge nach dem Muster MatrixsatzSubjunktion – untergeordneter Satz. Der untergeordnete Satz kann u. a. eingeleitet werden von šte (dass), koal'e bzw. jesl'e (ob/wenn) und von Interrogativpronomen oder -adverbien. Er kann vom Matrixsatz inhaltlich abhängig sein (als Subjekt- oder Objektsatz) oder als Adverbialsatz einen Umstand beschreiben.[8]

Subjektsatz:

kaj mīll'te kūsstaj [šte ell'a šīg kūll'].
Gesicht mit wird.sichtbar [dass ist.nicht gut Fisch]
„Es war zu sehen, dass der Fisch nicht gut war.“

Objektsatz:[9]

munn jurta [šte tedd lī čofta važne [mun kīl' ōhpnuvve] ].
ich denke [dass das ist sehr wichtig [meine Sprache lernen] ]
„Ich denke, dass es sehr wichtig ist, meine Sprache zu lernen.“

Adverbialsatz:

[…] milknes't [šte ejj miejte sīnet].
langsam [dass/damit er.nicht zermatscht sie]
(„Er legt die Birnen) langsam (ab), damit er sie nicht zermatscht.“
[koal'e tɨjj ann'tbedt'e mɨnn'e ājk] munn jurr'tla tenn bajas.
[wenn du gibst mir Zeit] ich denke.nach das über
„Wenn du mir etwas Zeit gibst, denke ich darüber nach.“

Anders als etwa die Äquivalente skoltsamisch što und nordsamisch ahte kann kildinsamisch šte nicht vor anderswie eingeleiteten Sätzen stehen. Auch direkte Rede wird oft ohne šte angereiht.

Anstelle von inhaltlich abhängigen Sätze mit koal'e (ob) können uneingeleitete Entscheidungsfragen stehen:

mun emm t'ēd' [koal'e Evvan lī puadtma].
ich ich.nicht weiß [ob Ivan ist gekommen].
„Ich weiß nicht, ob Ivan gekommen ist.“
mun emm t'ēd' [lī Evvan puadtma].
ich ich.nicht weiß [ist Ivan gekommen].
„Ich weiß nicht, ob Ivan gekommen ist.“

Šte kann nach deiktischen Ausdrücken stehen und dem untergeordneten Satz z. B. eine kausale Bedeutung verleihen:

[…] tenn guejke šte mīnen' kīll lī mōǯes', mōǯes’ kīll.[9]
das wegen dass bei.uns Sprache ist schön schön Sprache
„… weil (aufgrund dessen, dass) wir eine schöne Sprache haben.“
vɨjt'e nɨdt’ šte …
es.ergab.sich so dass …
„Es ging so aus, dass …“

Wie oben im Beispiel für Objektsatz mit šte zu sehen kann auch ein Infinitivgefüge einen Sachverhalt als untergeordnet darstellen.

Die Pragmatik befasst sich mit dem Inhalt von Äußerungen. Dabei wird konkret auf den sprachlichen Ausdruck geachtet, welcher von einem Sprecher artikuliert und von einem Hörer wahrgenommen wird. Hierbei kann man zwischen kontextabhängigen Ausdrücken, welche Bezug auf den Kontext einer bestimmten Situation, und der nicht-wörtlichen Bedeutung, den vom Sprecher tatsächlich intendierten Inhalt, unterschieden werden.

Die Pragmatik im Kildinsamischen ist allerdings bis heute ein noch unerforschtes Gebiet. Es gab bisher noch keine konkrete Feldforschung, welche sich allein mit der Frage beschäftigt, wie genau kildinsamische Sprecher ihre Sprache einsetzen. Dennoch kann man anhand des vorhandenen Datenmaterials Vermutungen anstellen.

Deixis beschreiben die Bezugnahme auf Personen, Lokalitäten, Tempus, Diskurs und die soziale Rolle in einer konkreten Äußerung mithilfe von deiktischen Ausdrücken.

Beispiele für deiktische Ausdrücke sind unter anderem Personalpronomen, Adverbien, Orts- oder Zeitangaben.

Um in einer Äußerung Bezug auf eine Person zu nehmen, greift der Sprecher unter anderem auf Personalpronomen und Possessivpronomen zurück. Hierbei weist das Kildinsamische keine Unterschiede zu der deutschen Sprache auf. Lediglich der fehlende Genusunterschied ist eine Besonderheit im Kildinsamischen. Die Sprecher wenden hierbei ein geschlechtsneutrales Pronomen an.

Personalpronomen
Deutsch Kildinsamisch
ich munn
du toonn
er/sie soonn

Kildinsamisch: „Munn leä Anna.“

Deutsch: „Ich bin Anna.“

Possessivpronomen
Deutsch Kildinsamisch
mein mun
dein toon
sein/ihr soon

Kildinsamisch: „Mun nõmm lii Anna.“

Deutsch: „Mein Name ist Anna.“

Bezug zu einer Lokalität in einer Äußerung findet häufig durch Lokaladverbien Anwendung. Das Wort „ta'st“, zu Deutsch „hier“, ist ein Beispiel für einen lokaldeiktischen Ausdruck im Kildinsamischen.

Ein Unterschied zum Deutschen ist, dass das Kildinsamische den Lokativ anwendet. Durch dessen Verwendung wird auf Ortsangaben hingewiesen.

Kildinsamisch: „Munn jaala Bielefelds’t.“

Deutsch: „Ich wohne in Bielefeld.“

Durch die finale Endung wird die Ortsangabe angezeigt.

Temporale Deixis

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Um Bezug auf die Zeit in einer Äußerung zu nehmen, gibt es mehrere Optionen. Durch die verschiedenen Tempora wie Präteritum, Präsens und Futur, aber auch Zeitadverbien wird die Dimension der Zeit beschrieben.

Das oben genannte Beispiel für eine Ortdeixis „Munn jaala Bielefelds’t“ kann dementsprechend auch Bezug auf die Zeit nehmen. Da das Verb „jaala“, zu Deutsch „leben“, im Präsens steht, kann man davon ausgehen, dass der Sprecher aktuell in Bielefeld wohnt.

Diskursdeiktische Ausdrücke beziehen sich auf bereits getätigte Äußerungen. Beispiele im Deutschen wären dafür Demonstrativpronomina wie „dieses“ oder das Adverb „also“. An dem folgenden Beispiel lässt sich erläutern, wie diskursdeiktische Ausdrücke eingesetzt werden.

Kildinsamisch: „Kiirhk-es’t lii čall’m ruupps-e.“

Deutsch: „Das Schneehuhn hat ein rotes Auge.“

Kildinsamisch: „Tes’t čalʹm jevla ruups-e ujn-ak.“

Deutsch: „Hier sind die Augen nicht rot, siehst du.“

„Tes-t“, zu Deutsch „hier“, referiert in diesem Beispiel auf das im ersten Satz erwähnte Schneehuhn. Es ist sowohl ein Ortskasus, als auch ein diskursdeiktischer Ausdruck, der einen Bezug zu einer vorherigen Äußerung schafft.

Sozialdeiktische Ausdrücke weisen auf den sozialen Status einer Person oder auf die Beziehung zwischen den Gesprächsteilnehmern hin. Im Deutschen wird für eine geschäftliche oder distanzierte Beziehung die Höflichkeitsform verwendet. Diese Höflichkeitsform gibt es im Kildinsamischen in Anlehnung an das russische Höflichkeitsmodell, wird aber selten angewandt. Unter den Kildinsaamen wird kaum die höfliche Form verwendet, Erfahrungsberichte von Feldforschern sagen allerdings aus, dass sie die Höflichkeitsform sehr wohl erfahren haben. Sie stellten anschließend die Vermutung auf, dass die Form gegenüber fremden, neuen Respektspersonen durchaus angewendet wird.

Einzelnachweise

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  1. John Abercromby: The earliest list of Russian Lapp words. In: Suomalais-ugrilaisen Seuran Aikakauskirja. Band 13, Nr. 2, 1985, S. 1–8 (englisch).
  2. Arvid Genetz: Bemerkungen zum Obigen. In: Suomalais-ugrilaisen Seuran Aikakauskirja. Band 13, Nr. 2, 1985, S. 8–10.
  3. a b c d Joshua Wilbur: Syllable Structures and Stress Patterns in Kildin Saami. (PDF) 2008, abgerufen am 16. November 2017 (englisch).
  4. a b Michael Rießler: Kildin Saami. In: Marianne Bakró-Nagy, Johanna Laakso, Elena Skribnik (Hrsg.): Oxford Guide to the Uralic languages. Oxford University Press, Oxford.
  5. Timothy Feist: A Grammar of Skolt Saami. In: Diss. University of Manchester, Manchester 2010.
  6. Kristina Kotcheva und Michael Rießler: Clausal complementation in Kildin, North and Skolt Saami. In: Kasper Boye und Petar Kehayov (Hrsg.): Complementizer Semantics in European Languages (= Empirical Approaches to Language Typology. Nr. 57). De Gruyter Mouton, Berlin 2016, S. 499–528, doi:10.1515/9783110416619-015a.
  7. Michael Rießler: Kildin Saami. In: Yaron Matras, Jeanette Sakel (Hrsg.): Grammatical borrowing in crosslinguistic perspective (= Empirical Approaches to Language Typology. Nr. 38). De Gruyter Mouton, Berlin 2007, S. 229–244, doi:10.1515/9783110199192.229.
  8. Kristina Kotcheva, Michael Rießler: Clausal complementation in Kildin, Skolt and North Saami. In: Kasper Boye, Petar Kehayov (Hrsg.): Complementizer semantics in European Languages. De Gruyter, Berlin / Boston 2016, ISBN 978-3-11-041651-0, S. 487–516.
  9. a b WIKITONGUES: Anna speaking Kildin Saami. 7. September 2016, abgerufen am 7. März 2018.
  • Aleksandra A. Antonova: Saam' bukvar': bukvar' dlja podgotovitel'nogo klassa saamskoj školy. Leningrad 1982.
  • A. A. Antonova; N. Je. Afanas'eva; Je. I. Mečkina; L. D. Jakovlev; B. A. Gluhov (Red. Rimma D. Kuruč): Saamsko-russkij slovar' = Saam'-rūšš soagknehk. Moskva 1985.
  • Georgij M. Kert: Saamskij jazyk (kil´dinskij dialekt): fonetika, morfologija, sintaksis. Leningrad 1971.
  • Georgij M. Kert: Slovar' saamsko-russkij i russko-saamskij. Leningrad 1986.
  • Kristina Kotcheva; Michael Rießler: Clausal complementation in Kildin, North and Skolt Saami. In: Complementizer Semantics in European Languages. Hrsg. von Kasper Boye und Petar Kehayov. De Gruyter Mouton, Berlin 2016, S. 499–528. doi:10.1515/9783110416619-015a (=  Approaches to Language Typology, 57)
  • Rimma D. Kuruč; N. Je. Afanas'eva; I. V. Vinogradova: Pravila orfografii i punktuacii saamskogo jazyka. Murmansk, Moskva 1995.
  • Jurij K. Kusmenko; Michael Rießler: K voprosy o tverdych, mjagkich i polumjagkich soglasnych v kol’skosaamskom. (PDF; 9,1 MB) In: Acta Linguistica Petropolitana, Vol. 1: Fenno-Lapponica Petropolitana. Ed. by Natal’ja V. Kuznecova; Vjačeslav S. Lulešov; Mechmet Z. Muslimov. Trudy Instituta lingvističeskich issledovanij, RAN 8. Nauka, Sankt-Peterburg 2012, S. 20–41
  • Michael Rießler: Kildin Saami. In: Grammatical borrowing in crosslinguistic perspective. Hrsg. von Yaron Matras und Jeanette Sakel. De Gruyter Mouton, Berlin 2007, S. 229–244. doi:10.1515/9783110199192.229 (= Approaches to Language Typology, 38)
  • Michael Rießler: Towards digital infrastructure for Kildin Saami. (PDF; 399 kB) In: Erich Kasten; Tjeerd de Graaf (Hrsg.): Sustaining Indigenous Knowledge: Learning tools and community initiatives on preserving endangered languages and local cultural heritage. Verlag der Kulturstiftung Sibirien, Fürstenberg 2013, S. 195–218.
  • Pekka Sammallahti: The Saami languages. Karasjok, 1998.
  • Elisabeth Scheller: Die Sprachsituation der Saami in Russland. (PDF; 138 MB) In: Antje Hornscheidt; Kristina Kotcheva; Tomas Milosch; Michael Rießler (Hrsg.): Grenzgänger: Festschrift zum 65. Geburtstag von Jurij Kusmenko. Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität, Berlin 2006, S. 280–290. (= Berliner Beiträge zur Skandinavistik, 9)
  • Joshua Wilbur: Syllable Structures and Stress Patterns in Kildin Saami. Universität Leipzig, 2008.
  • Wörterbuch (Антонова А. А., Э. Шеллер 2021: Саамско-русский и Русско-саамский словарь (около 16000 слов). Тромсё.)