Kognitive Flexibilität
Kognitive Flexibilität wird definiert als die Fähigkeit, flexible und multiple Wissensrepräsentationen zu entwickeln, welche dann in unterschiedlichen Situationen anwendbar sind.[1] Kognitive Flexibilität ist eine mentale Fähigkeit Kognition zu steuern, sie in ihrer Aktivität und Inhalten anzupassen, zwischen verschiedenen Aufgabenregeln und entsprechendem Verhalten zu wechseln, mehrere Konzepte gleichzeitig aufrechtzuerhalten und die Aufmerksamkeit zwischen ihnen zu verschieben.[2] Kognitive Flexibilität wurde ursprünglich als eine Exekutivfunktion angesehen und die meisten psychologischen Flexibilitätstests basieren auf diesem Konzept. Neuere Konzepte sehen Kognitive Flexibilität auch als eine Eigenschaft des Gehirns, die den flexiblen und adaptiven Wechsel zwischen verschiedenen Hirnfunktionen erlaubt. Kognitive Flexibilität ist mit bestimmten Hirnarealen verbunden.[3]
Pädagogische Psychologie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Theorie zur Kognitiven Flexibilität (cognitive flexibility) wurde von einer Arbeitsgruppe um R.J. Spiro an der Columbia University (USA) entwickelt. Im Mittelpunkt stehen die Multiperspektivität des Erlernten und die multiplen Kontexte. Eine Möglichkeit, die Multiperspektivität umzusetzen, besteht darin, Lernende mit möglichst vielen Anwendungssituationen zu konfrontieren, in denen neu entwickelte Kompetenzen zum Tragen kommen können. Lernumgebungen sollen Inhalte aus möglichst unterschiedlichen Perspektiven und in unterschiedlichen Zusammenhängen beleuchten, damit später der Wissenstransfer in ungewohnte Situationen möglich ist. Es wird davon ausgegangen, dass sich diese Lernszenarios insbesondere für hochkomplexe Inhalte in wenig strukturierten Gebieten eignet (z. B. Medizin). Auf diese Weise ist es möglich, domänenspezifisches Wissen zu vernetzen, um flexibel einsetzbare Kompetenzen zu entwickeln.
Um im instruktionalen Prozess eine Übersimplifizierung beim Erwerb und Transfer komplexen Wissens zur Entwicklung hypertextbasierter Lernumgebungen zu vermeiden, werden fünf Prinzipien empfohlen (Jacobsen, & Spiro, 1995, S. 303–304)[4]:
- Benutzung multipler konzeptueller Wissensrepräsentationen (verschiedene Themenbereiche, Schemata, Analogien, Sichtweisen und Kontexte). Dadurch kann Wissen aus verschiedenen Perspektiven analysiert und reflektiert werden.
- Verbinden und „Zuschneiden“ abstrakter Konzepte durch unterschiedliche Fallbeispiele, um Lernenden die Nuancen und Veränderlichkeit der Konzepte in unterschiedlichen Zusammenhängen zu verdeutlichen.
- Frühe Einführung in die Komplexität von Wissensdomainen, um die Aufnahme isolierten Wissens zu vermeiden. Der Grad an Komplexität muss so gering sein, um von den Studierenden noch kognitiv verarbeitet werden zu können, aber so hoch um verschiedene konzeptuelle Elemente zu reflektieren.
- Hervorhebung des netzartigen Charakters von Wissen, um die Fähigkeit der Lernenden zu schulen, Wissen in verschiedenen Situationen anzuwenden und den Aufbau „trägen“, nicht anwendbaren Wissens zu vermeiden.
- Förderung einer „Wissensmontage“, das die Zusammenstellung flexibler Wissenskonzepte und Fallbeispiele in einer neuen Situation ermöglichen soll.
CSCL-Forschung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Theorie zur Kognitiven Flexibilität beschäftigt sich explizit mit den Bedingungen zum Wissenserwerb in Hypertext- und Netzwerkumgebungen. Es wird sich an den Prinzipien nach Jacobson & Spiro orientiert, um Designregeln zur Gestaltung von komplexen CSCL-Umgebungen (besonders im Hochschulbereich) abzuleiten (Haake, Schwabe, & Wessner, 2012, S. 53).[5]
Kritik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bisher fehlen umfassende empirische Ergebnisse zu diesem Ansatz.
Schulmeister (2012) bezeichnet den aus der Psychologie stammende Ansatz als Pseudo- oder Partialtheorie (S. 78). Er kritisiert, dass die Theorie von Spiro und Jehng zu häufig unter metaphorischen Gesichtspunkten erläutert wird. Außerdem hinterfragt er, ob die Theorie zur Kognitiven Flexibilität tatsächlich als konstruktivistischer Ansatz angesehen werden kann (S. 80).[6]
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Heinz Mandl, Birgitta Kopp, Susanne Dvorak: Aktuelle theoretische Ansätze und empirische Befunde im Bereich der Lehr-Lern-Forschung. Schwerpunkt Erwachsenenbildung. Hrsg.: Deutsches Institut für Erwachsenenbildung. 2004, S. 22 (die-bonn.de [PDF; abgerufen am 14. Mai 2022]).
- ↑ William A. Scott: Cognitive Complexity and Cognitive Flexibility. In: Sociometry. Band 25, Nr. 4, Dezember 1962, S. 405, doi:10.2307/2785779, JSTOR:2785779.
- ↑ Andrew B. Leber, Nicholas B. Turk-Browne, Marvin M. Chun: Neural predictors of moment-to-moment fluctuations in cognitive flexibility. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. Band 105, Nr. 36, 9. September 2008, ISSN 0027-8424, S. 13592–13597, doi:10.1073/pnas.0805423105, PMID 18757744, PMC 2527350 (freier Volltext) – (pnas.org [abgerufen am 25. Juli 2023]).
- ↑ Michael J. Jacobson, Rand J. Spiro: Hypertext Learning Environments, Cognitive Flexibility, and the Transfer of Complex Knowledge: An Empirical Investigation. In: Journal of Educational Computing Research. Band 12, Nr. 4, Juni 1995, ISSN 0735-6331, S. 301–333, doi:10.2190/4T1B-HBP0-3F7E-J4PN (sagepub.com [abgerufen am 14. August 2020]).
- ↑ J. M. Haake, G. Schwabe, M. Wessner: CSCL-Kompendium 2.0: Lehr- und Handbuch zum computerunterstützten, kooperativen Lernen. 2., völlig überarb. und erw. Auflage. Oldenbourg, München 2012, ISBN 978-3-486-59911-4, S. 524.
- ↑ Rolf Schulmeister: Hypermedia Learning Systems. (PDF) In: rolf.schulmeister.com. 2012, abgerufen am 31. August 2021 (englisch).