Kohomologie mit kompaktem Träger
Kohomologie mit kompaktem Träger, kurz auch kompakte Kohomologie, ist in der Mathematik eine Variante diverser Kohomologietheorien bei der nur Kozyklen mit in gewissem Sinne kompaktem Träger verwendet werden. Sie findet insbesondere Anwendung im Beweis der Poincaré-Dualität, und sogar in deren Formulierung für nicht-kompakte Mannigfaltigkeiten.
Singuläre Kohomologie mit kompaktem Träger
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die singuläre Kohomologie mit kompaktem Träger ist definiert als die Homologie des Unterkomplexes , der aus allen Koketten besteht die in dem Sinne einen kompakten Träger haben als dass eine kompakte Menge existiert für die auf allen in enthaltenen Ketten verschwindet.[1] Der Koeffizientenring ist dabei ein beliebiger kommutativer Ring mit Eins und spielt keine besonders große Rolle, weshalb er im Folgenden in der Notation ausgelassen wird.
Alternativ lässt sich die singuläre Kohomologie mit kompaktem Träger auch als direkter Limes über alle lokalen Kohomologiegruppen für kompakte definieren, wobei diese mit den Abbildungen als gerichtetes System aufgefasst werden, die von den Inklusionen für induziert werden. Die Äquivalenz zur vorherigen Definition kommt dabei daher dass jede Kohomologieklasse in auch durch einen Kozykel mit Träger in repräsentiert werden kann, wodurch Homomorphismen definiert werden die im Limit einen Isomorphismus ergeben.[1]
Funktorialität
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Allgemeinen induzieren stetige Abbildungen *keine* Homomorphismen ; im Gegensatz zu anderen Kohomologietheorien definiert die Kohomologie mit kompakten Träger also keinen kontravarianten Funktor auf der Kategorie aller topologischen Räume und stetigen Abbildungen. Grund dafür ist, dass das Pullback einer Kokette mit kompaktem Träger entlang einer stetigen Abbildung im Allgemeinen selbst keinen kompakten Träger haben muss. Für eigentliche Abbildungen ist das aber der Fall, sodass immerhin einen Funktor auf der Kategorie aller topologischen Räume und eigentlichen Abbildungen bildet.[2] Mit der Definition als direkter Limes kann das auch daran gesehen werden, dass für alle kompakten Homomorphismen induziert, aber nur für eigentliche kompakt ist.
Gleichzeitig induzieren Inklusionen von offenen Teilmengen in Hausdorff-Räume aber auch auf kovariante Weise Abbildungen . Das kann dadurch gesehen werden, dass sich Kozykel in zu Kozykeln in erweitern lassen, oder abstrakter dadurch dass laut dem Ausschneidungssatz für jedes kompakte gilt und auch eine kompakte Teilmenge von ist.[2]
Weitere Eigenschaften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Für kompakte Räume gilt , da dann jede Kokette einen kompakten Träger hat bzw. ein größtes Element des gerichteten Systems der ist.[1]
Für lokalkompakte Räume deren Einpunktkompaktifizierung in lokal zusammenziehbar ist zudem zur reduzierten Kohomologie von isomorph.[3] Insbesondere gilt also z. B. , d. h. und für .
Wie das Beispiel der zeigt ist Kohomologie mit kompaktem Träger keine Homotopieinvariante. Stattdessen wird sie nur von eigentlichen Homotopieäquivalenzen erhalten, also Homotopieäquivalenzen, bei denen alle beteiligten Abbildungen eigentlich sind. Das liegt nicht nur daran dass nur eigentliche Abbildungen Homomorphismen induzieren, sondern auch daran dass nur eigentliche homotope Abbildungen identische Homomorphismen auf induzieren.[4] Ein Beispiel zweier homotoper aber nicht eigentlich homotoper Abbildungen die unterschiedliche Abbildungen auf induzieren sind die Abbildungen .
Es existiert zudem eine Variante der Mayer-Vietoris-Sequenz für Kohomologie mit kompaktem Träger: wenn zwei offene Teilmengen eines Hausdorff-Raums mit sind fügen sich die von den Inklusionen , , und auf kovariante Weise induzierten Abbildungen in eine lange exakte Sequenz
ein. Diese kann als direkter Limes der exakten Sequenzen
konstruiert werden, die für kompakte und mit dem Ausschneidungssatz aus den relativen Mayer-Vietoris-Sequenzen zu den Paaren , und hervorgehen.[5]
Anwendung: Poincaré-Dualität
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Eine wichtige Anwendung der Kohomologie mit kompaktem Träger ist die sogenannte Poincaré-Dualität: diese besagt in ihrer einfachsten Form, dass für geschlossene orientierbare -Mannigfaltigkeiten für alle ein Isomorphismus besteht. Für nicht-kompakte -Mannigfaltigkeiten gilt das aber bereits nicht mehr, da z. B. auf diesen im Gegensatz zu immer verschwindet. Dieses Problem wird gerade durch die Kohomologie mit kompaktem Träger gelöst: ist auch für nicht-kompakte orientierbare -Mannigfaltigkeiten nicht trivial, und es existiert für alle orientierbaren -Mannigfaltigkeiten ein Isomorphismus .[6]
Tatsächlich ist Kohomologie mit kompaktem Träger aber sogar nicht nur für die Poincaré-Dualität auf nicht-kompakten Mannigfaltigkeiten relevant, sondern auch für die auf kompakten. Bewiesen wird die Poincaré-Dualität nämlich induktiv über verschiedene offene Teilmengen von , was auch wenn kompakt ist bereits die allgemeinere Formulierung über Kohomologie mit kompaktem Träger benötigt. Für kompakte kann über den Isomorphismus dann von dieser wieder auf die speziellere Form der Aussage geschlossen werden.
De-Rham-Kohomologie mit kompaktem Träger
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die De-Rham-Kohomologie besitzt ebenfalls eine Variante mit kompaktem Träger, definiert als die Homologie des Unterkomplexes der aus allen Formen mit kompaktem Träger besteht.[7] Wie die normale De-Rham-Kohomologie ist auch die kompakte De-Rham-Kohomologie mit einer Variante des Satzes von De Rham natürlich isomorph zur entsprechenden singulären Kohomologie .[8] Insbesondere gelten die meisten der oben genannten Eigenschaften von auch für die kompakte De-Rham-Kohomologie; ist kontravariant funktoriell auf eigentlichen glatten Abbildungen, kovariant auf Inklusionen von offenen Teilmengen, besitzt eine Mayer-Vietoris-Sequenz[9] und erfüllt die Poincaré-Dualität auf orientierbaren Mannigfaltigkeiten. Rein differentialgeometrische Beweise dieser Eigenschaften finden sich u. a. im Buch von Bott und Tu (siehe §Literatur), wobei die Poincaré-Dualität dort ohne Erwähnung der singulären Homologie als formuliert ist.[10] Der Zusammenhang zur üblichen Formulierung ergibt sich mit aus dem De-Rham-Isomorphismus und dem universellen Koeffizientensatz.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Allen Hatcher: Algebraic Topology. Cambridge University Press, Cambridge 2002, ISBN 978-0-521-79540-1. Siehe insbesondere Kapitel 3.3.
- Raoul Bott und Loring W. Tu: Differential Forms in Algebraic Topology. Graduate Texts in Mathematics, Springer-Verlag.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c Hatcher, S. 242–244
- ↑ a b Hatcher, Beispiel 3.34 sowie der Text danach
- ↑ Hatcher, Kapitel 3, Aufgabe 21. Siehe auch " where is the one-point compactification" auf Stack Exchange.
- ↑ Birger Iversen: Cohomology of Sheaves. Springer-Verlag, Heidelberg 1986, ISBN 978-3-540-16389-3. Seite 180, Satz 6.6.
- ↑ Hatcher, Lemma 3.36
- ↑ Hatcher, Satz 3.35
- ↑ Bott und Tu, S. 17–18
- ↑ "De Rham isomorphism for noncompact manifolds?". Stack Exchange.
- ↑ Bott und Tu, S. 25–26
- ↑ Bott und Tu, Bemerkung 5.7