Kommunikative Sozialforschung
Kommunikative Sozialforschung bezeichnet eine Methodologie der empirischen Sozialforschung, in deren Zentrum die Auffassung steht, dass soziale Wirklichkeiten kommunikativ konstituiert werden und ihre Erforschung deshalb mittels kommunikativer Methoden erfolgen soll.
Der Begriff der kommunikativen Sozialforschung wurde in den 1970er Jahren von der Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Joachim Matthes, Werner Meinefeld, Fritz Schütze, Werner Springer, Ansgar Weymann und Ralf Bohnsack) eingeführt. Durch den Begriff sollte deutlich gemacht werden, dass die Teilnahme an Kommunikationsprozessen, ihre Beobachtung und Analyse als gemeinsames Strukturelement ihrer Methoden verstanden wurde und der Forschungsprozess dementsprechend kommunikativ gestaltet werden sollte. Kommunikativ heißt dabei als Gespräch mit entsprechenden Rückkopplungsmöglichkeiten und selbstreflexiven Phasen. Damit widerspricht die Kommunikative Sozialforschung dem Anspruch der traditionellen Sozialforschung, nur die distanzierte Beobachtung als Medium des Erkenntnisgewinns gelten zu lassen. Theoretisch orientierten sich die Bielefelder Soziologen am symbolischen Interaktionismus, der Wissenssoziologie und der Ethnomethodologie. Von diesen Ansätzen übernahmen sie auch das methodische Instrumentarium bestehend aus teilnehmender Beobachtung, Krisenexperiment, Methode der dokumentarischen Interpretation und Analyse natürlicher Kommunikationssituationen. Eigene Methoden entwickelten sie nicht.
Seitdem wurden eine Reihe von Methoden entwickelt, die den kommunikativen Charakter von Sozialforschung betonen und in einzelnen Phasen des Forschungsprozesses zu nutzen versuchen (z. B. dialogische Forschungsmethoden, kommunikative Validierung). Mittlerweile liegen auch Ansätze vor, mit denen sich alle Phasen des Forschungsprozesses – von der Konstitution von Forschungssystemen über Datenerhebung, -dokumentation und -auswertung, Rückkopplung der Ergebnisse bis hin zu ihrer Präsentation – kommunikativ gestalten lassen (Giesecke/Rappe-Giesecke).
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.): Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Realität, Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1973 (2 Bde.), ISBN 3-531-22054-3
- Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.): Kommunikative Sozialforschung. Alltagswissen und Alltagshandeln, Gemeindemachtforschung, Polizei, politische Erwachsenenbildung, München: Fink 1976, ISBN 3-7705-1375-4
- Fritz Schütze, Ralf Bohnsack, Werner Meinefeld: Theoretische und Methodische Grundzüge kommunikativer Sozialforschung, in Kommunikative Sozialforschung. Alltagswissen und Alltagshandeln, Gemeindemachtforschung, Polizei, politische Erwachsenenbildung, München: Fink 1976, urn:nbn:de:0168-ssoar-53413
- Fritz Schütze: Zur Hervorlockung und Analyse von Erzählungen thematisch relevanter Geschichten im Rahmen soziologischer Feldforschung, in Kommunikative Sozialforschung. Alltagswissen und Alltagshandeln, Gemeindemachtforschung, Polizei, politische Erwachsenenbildung, München: Fink 1976, urn:nbn:de:0168-ssoar-56350
- Michael Giesecke, Kornelia Rappe-Giesecke: Supervision als Medium kommunikativer Sozialforschung. Zur Integration von Selbstbetrachtung und distanzierter Betrachtung in der Beratung und Wissenschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, ISBN 3-518-28705-2
- Sebastian Ziegaus: Die Kommunikative Sozialforschung in der Forschungsliteratur seit 1973. Entwicklung, Reflexion und Bedeutung eines tragenden Prinzips der Sozialforschung, in: Zeitschrift für qualitative Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung, Heft 2/2006, S. 294–312, ISSN 1438-8324
- Sebastian Ziegaus: Die Abhängigkeit der Sozialwissenschaften von ihren Medien. Grundlagen einer kommunikativen Sozialforschung, Bielefeld: transcript Verlag 2009, ISBN 978-3-8376-1318-6
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- http://www.kommunikative-sozialforschung.de/ Datenbank von Michael Giesecke mit Hintergründen, Leitfäden und Beispielen