Konvoi (Kernkraftwerk)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Die Konvoianlage Isar 2 mit dem 165 m hohen Kühlturm
Die Konvoianlage Emsland mit dem 152 m hohen Kühlturm
Die Konvoianlage Neckarwestheim 2

Konvoi war eine in drei Anlagen realisierte und mehr oder weniger standardisierte Bauform von deutschen Kernkraftwerken der 1300–1400-MW-Klasse.[1] Sie waren bis zum 15. April 2023 die letzten im Zuge des „Atomausstiegs“ noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke in Deutschland.

Konvoi wurde intern auch als Baulinie 80 bezeichnet. Die Konstruktion war eine Weiterentwicklung der heute Vor-Konvoi genannten 3. Druckwasserreaktor-Generation des Herstellers Kraftwerk Union (KWU).

Die Konvoi-Anlagen Isar II, Emsland und Neckarwestheim II wurden zwischen 1981 und 1989 von der KWU gebaut.[2] Sie waren damit die jüngsten Kernkraftwerke in Deutschland. Die ursprünglich vorgesehene Möglichkeit, neben der Stromerzeugung Prozessdampf z. B. für eine Fernwärmeversorgung bereitzustellen, wurde bei keinem der realisierten Kraftwerke umgesetzt. Fernwärme bei Kernkraftwerken ist global gesehen selten,[3] wurde jedoch in Deutschland zum Beispiel beim Kernkraftwerk Greifswald, einem Druckwasserreaktor sowjetischer (WWER) Bauart, über die gesamte Laufzeit der Anlage praktiziert.[4]

Die Bezeichnung als Konvoi deutet an, dass man von der Baugleichheit der Kraftwerke erleichterte und kürzere Genehmigungsverfahren erhoffte.[5] Die angestrebte vollständige Standardisierung scheiterte allerdings an der föderalen Struktur des deutschen Genehmigungsrechts. Die Forderungen der drei jeweils zuständigen Landesgenehmigungsbehörden führten zu wesentlichen Unterschieden in der Ausführung der gebauten Anlagen.

Die Konvoi-Baulinie wurde 1991 KWU-intern zur Baulinie 95 (oder Advanced Konvoi) weiterentwickelt, gekennzeichnet durch eine elektrische Nennleistung bis 1500 MW, vollständig digitale Leittechnik (Teleperm XP/XS) und ein Ermüdungs-Überwachungssystem.

Ab 1996 wurde sie von Siemens Nuclear Power in Zusammenarbeit mit Framatome unter Einbeziehung von Merkmalen des französischen N4 zum EPR weiterentwickelt. Gleichzeitig wurden Merkmale der Konvoi-Technologie im Rahmen von Nachrüstungen in die älteren KWU-Anlagen integriert. Siemens Nuclear Power und Framatome wurden in Deutschland 2001 zum Unternehmen Framatome ANP GmbH fusioniert, das 2006 in Areva NP GmbH umbenannt wurde. Seit 2015 heißt die Kraftwerkssparte wieder Framatome GmbH. Siemens ist zwischenzeitlich aus dem Joint Venture ausgestiegen, liefert jedoch nach wie vor nicht-nukleare Teile (z. B. Dampfturbinen) für Kernkraftwerke.

Im Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) stand ein Modell eines Konvoireaktors im Maßstab 1:5, die ROCOM (Rossendorf Coolant Mixing Test Facility). Mit seiner Hilfe konnten Strömungsvorgänge im Reaktor experimentell untersucht werden.

Bezeichnung Kürzel Bundes-
land
Betrei-
ber
thermische
Reaktor-
leistung
in MW[6]
el. Brutto-
leistung
in MW[6]
el. Netto-
leistung
in MW[6]
Energie-
erzeugung
in TWh[7]
Reststrom-
menge
ab
Juli 2010 in
TWh[8]
Bau-
beginn
Kommer-
zieller
Betrieb
Außer
Betrieb[9]
Typ
Isar 2 KKI 2 BY BY PreussenElektra 3.950 1.485 1.410 186,8 110,3 15. September 1982 9. April 1988 15. April 2023 DWR
Emsland KKE NI NI RWE 3.850 1.406 1.335 286,1 114,9 10. August 1982 20. Juni 1988 15. April 2023 DWR
Neckarwestheim 2 GKN 2 BW BW EnBW 3.850 1.400 1.310 173,9 125,1 9. November 1982 15. April 1989 15. April 2023 DWR

Stand: 2010[10]

Verworfene Anlagen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weitere, geplante Konvoi-Kernkraftwerke in Deutschland waren die Projekte:

Einige Projekte wurden nach der Katastrophe von Tschernobyl aufgegeben, Borken und Hamm endgültig erst 1995. Die Planungen für Biblis C wurden nicht weiterverfolgt.

  • Der EPR ist eine deutsch-französische Entwicklung auf Basis des Konvoi und des N4 und kann als deren Nachfolger gelten.
  • R. Rieser und A. Kojetinsky: Kernkraftwerk Isar 2 – Modellanlage des „Konvois“. In: Kraftwerkstechnik 63, 12/1983

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Kernkraftwerke in Deutschland. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, 11. Juli 2013, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 19. April 2014.
  2. Country profiles: Germany. Abgerufen am 15. April 2023.
  3. Nuclear power cogeneration: Supplying heat for homes and industries. Abgerufen am 15. April 2023.
  4. Rainer Klute: Nukleare Fernwärme. In: Nuklearia. 3. Februar 2018, abgerufen am 15. April 2023 (deutsch).
  5. Albert Ziegler, Hans-Josef Allelein: Moderne Leichtwasserreaktoren. In: Reaktortechnik. Springer Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg 2013, ISBN 978-3-642-33845-8, S. 243–310, doi:10.1007/978-3-642-33846-5_10 (springer.com [abgerufen am 19. Mai 2023]).
  6. a b c Power Reactor Information System (Memento vom 16. Mai 2012 im Internet Archive) der IAEO: „Germany, Federal Republic of: Nuclear Power Reactors“ (englisch)
  7. Nettostrom in TWh – Netto-Stromerzeugung in Milliarden Kilowattstunden seit der Inbetriebnahme bis Ende Dezember 2005 oder bis zur Abschaltung.
  8. Bundesamt für Strahlenschutz: Erzeugte Elektrizitätsmengen (netto) der deutschen Kernkraftwerke, Übertragung von Produktionsrechten und Erfassung der Reststrommengen@1@2Vorlage:Toter Link/www.bfs.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2019. Suche in Webarchiven)
  9. aktuelle Reststrommengen und prognostizierte Abschaltunghttps://www.grs.de/de/aktuelles/befristeter-weiterbetrieb-drei-deutsche-atomkraftwerke-laufen-im-streckbetrieb-weiter
  10. Quellen: Bundesamt für Strahlenschutz, Informationskreis KernEnergie