Kulturelle Ausnahme
Kulturelle Ausnahme (französisch: Exception culturelle) war ursprünglich ein 1993 nach Rücksprache mit der EU-Kommission verabschiedetes Gesetz in Frankreich, das staatlichen Stellen großen Freiraum bei der Unterstützung von einheimischen Produzenten, Regisseuren und Filmstätten garantiert. In Bezug auf Art, Umfang und Zielverfolgungsabsicht muss die entsprechende Stelle weder gegenüber der Europäischen Union noch gegenüber Film- und Kulturschaffenden die nicht oder kaum in den Genuss staatlicher Unterstützung gelangen Rechenschaft ablegen.[1]
Auf der französischen Rechtsnorm aufbauend ist die Kulturelle Ausnahme (offiziell Kulturelle Ausnahmeklausel oder Kultur-Ausnahmeklausel) seit 1995 ein feststehender Begriff im internationalen (Handels)recht und Kulturgeschehen, nachdem die Klausel integraler Bestandteil des grundlegend reformierten Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (englisch General Agreement on Tariffs and Trade – GATT) wurde.
Aktuell wird auf europäischer Ebene die sog. Kulturelle Ausnahme im Zuge der Verhandlung zum Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP diskutiert.[2]
Teleologie der französischen Rechtsnorm
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Gesetz besagt, dass Kulturprodukte nicht als profane Handelsgüter behandelt werden dürfen. Kulturgüter und -dienstleistungen hätten einen besonderen, doppelten Charakter: Sie seien einerseits Wirtschaftsgüter und andererseits Träger von kultureller Identität und kulturellen Werten, und stehen somit gegenüber auswärtigen Substituten unter staatlichem Schutz, speziellen Regularien und Förderinteressen.[1][3]
Bisherige Aktivitäten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]1994 NAFTA
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Auf Drängen Kanadas kam es 1994 – in der letzten Verhandlungsrunde vor der Ratifizierung – zur Aufnahme der sog. Kulturausnahmeklausel in das Vertragswerk über das Nordamerikanische Freihandelsabkommen – NAFTA (engl. North American Free Trade Agreement).[4]
1995 MAI
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ab 1995 verhandelten die Mitgliedsstaaten der OECD über ein Investitionsabkommen, das neben der Allgemeingültigkeit unter den Mitgliedsstaaten auch eine offene Türe für beitrittswillige Schwellenländer anstreben. Die Verhandlungen mussten jedoch aufgrund von unzuvereinbarenden Positionen bereits in der Entwurfsphase 1998 abgebrochen werden.
Die wesentlichen ungeklärten Streitpunkte waren hierbei vor allem:
- die Grenzziehung der Liberalisierung: Vor allem die Aussparung der Meistbegünstigungsklausel sowie das Festschreiben einer weitreichenden Kulturausnahmeklausel,
- die internationale Schiedsgerichtsbarkeit (Investorenschutzklausel) sowie
- verbindliche Standards bei Arbeits- und Umweltschutz
Kulturelle Ausnahme bei TTIP
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ausgangspunkt
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]2013 sahen zahlreiche Kulturschaffende und -liebhaber die kulturelle Vielfalt in Europa durch das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) in Gefahr.[2] Kritiker wiesen vor Verhandlungsbeginn auf die bestehenden Riksiken hin und forderten eine Kulturelle Ausnahme auf europäischer Ebene analog der französischen Rechtsnorm bzw. die komplette Nichteinbeziehung des Bereichs der kulturellen Bildung und Kunst in das Vertragswerk. Ver.di etwa forderte die Bundesregierung im Mai 2013 in einem offenen Brief auf, dass „die Entscheidung der EU [gemeint war das EU-Parlament] nicht über audiovisuelle Dienstleistungen als Träger kultureller Vielfalt zu verhandeln [...] ebenso Bestand haben [muss] wie die UNESCO-Konvention zum Schutz der Vielfalt der Kultur.“[5] Eine entsprechende Kulturelle Ausnahme für audiovisuelle und andere Medien, wie sie die EU gemäß einer Vorlage einer Freihandelsvorschrift der Welthandelsorganisation bisher immer bei ihren zahlreichen in der Vergangenheit verhandelten bilateralen Freihandelsabkommen durchgesetzt hatte, sollte nämlich auf Druck der US-Administration vermieden werden.[6]
EU-Beschlüsse
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Vor allem Frankreich drängte auf eine einheitliche Position der EU, die den Befürchtungen der europäischen Kulturwirtschaft, welche schwerwiegende Wettbewerbsnachteile gegenüber der finanzstarken Hollywood-Konkurrenz befürchtete entgegenwirkten sollte.[7] Am 14. Juni 2013 verabschiedete der Rat der Europäischen Union eine verbindliche Absichtserklärung für die Kulturelle Ausnahme. Rund drei Wochen zuvor hatte bereits das EU-Parlament eine entsprechende Resolution verabschiedet.
- Abstimmungsergebnis der Parlamentsresolution: 381 Ja-Stimmen, 191 Gegenstimmen bei 17 Enthaltungen[8]
- Wortlaut des Parlamentsbeschlusses: "Das Europäische Parlament hält es für unerlässlich, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten die Möglichkeit wahren, ihre Politik im kulturellen und audiovisuellen Bereich zu erhalten und weiterzuentwickeln, und zwar im Rahmen ihres Besitzstandes an Rechtsvorschriften, Normen und Übereinkommen; fordert daher, dass die Ausklammerung von Diensten mit kulturellen oder audiovisuellen Inhalten, auch online, im Verhandlungsmandat eindeutig festgehalten wird."[9]
Durch die Beschlüsse wurde eine einheitliche EU-Position formuliert und somit quasi zum Bestandteil des Verhandlungsmandates der Europäischen Kommission, welche mit den Verhandlungen auf europäischer Seite betraut ist.[10] Da die Verhandlungen weitgehend geheim geführt werden und selbst das Mandat der EU-Kommission bisher nicht in Gänze öffentlich gemacht wurde, ist die konkrete Ausgestaltung dieses Punktes jedoch bisher unklar.
Beschlusskritik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Filmkritiker Hanns-Georg Rodek etwa lobte die Beschlüsse in der Welt: „Kultur in das Freihandelsabkommen einzubeziehen hätte Türen geöffnet, hinter die man lieber nicht blickt. Die Buchpreisbindung wäre plötzlich ein Wettbewerbshindernis, jeder Hollywood-Produzent bekäme Zugang zur deutschen Filmförderung, und die Finanzierung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks wäre als unzulässige Subvention geächtet: Kultur ist mehr als Handelsware!“
Auch „der Verband Deutscher Drehbuchautoren freut sich sehr, dass das Europäische Parlament zum Verhandlungsmandat der EU für das EU-USA-Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership TTIP) in seiner heutigen Abstimmung eine Ausnahme für den Kultur- und Mediensektor beschlossen hat.“[8]
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- [1] – Die kulturelle Ausnahme, Deutschlandradio
- [2] – Dossier: Freihandel versus kulturelle Ausnahme, ARTE-Journal
- [3] – Pressemitteilungen und Hintergrundberichterstattungen, Deutscher Kulturrat
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Philippe Poirrier, Lippe Poirrier. Art et pouvoir de 1848 à nos jours, Cndp, 2006. (französisch)
- Serge Regourd, L'exception culturelle, Paris, Puf, 2004. (französisch)
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b Filmförderung in Frankreich: Angriff auf die "kulturelle Ausnahme", Der Spiegel, 11. Januar 2002, zuletzt abgerufen am 25. Oktober 2014
- ↑ a b Regisseure fordern den Erhalt der Kultur-Ausnahmeklausel, Bundesverband Regie, 20. April, zuletzt abgerufen am 25. Oktober 2014
- ↑ Kulturelle Ausnahme ist bei geplantem Freihandelsabkommen zwischen EU und USA unverzichtbar ( des vom 20. Oktober 2013 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , Deutscher Kulturrat, 6 Mai. 2013, zuletzt abgerufen am 25. Oktober 2014
- ↑ The "Trade and Culture"Issue, at the Origin of the Convention on the Protection and the Promotion of the Diversity of Cultural Expressions1. FICDC, archiviert vom am 26. Oktober 2014; abgerufen am 23. Februar 2012.
- ↑ Internationales. Neue Runde der Liberalisierung in der EU-Handelspolitik. Geheim verhandelt: TTIP und TiSA, ver.di, 11. Juli 2014, zuletzt abgerufen am 25. Oktober 2014
- ↑ Geheim verhandelt: TTIP und TiSA ( des vom 30. Oktober 2013 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , Produzentenallianz, 22. April 2013, zuletzt abgerufen am 25. Oktober 2014
- ↑ Freihandelsabkommen EU-USA: Kulturelle Ausnahme festschreiben ( des vom 22. Dezember 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , Französische Botschaft in Deutschland, 23. April 2013, zuletzt abgerufen am 25. Oktober 2014
- ↑ a b Verband Deutscher Drehbuchautoren zum Beschluss des Europaparlaments zur kulturellen Ausnahme, Verband Deutscher Drehbuchautoren, 25 Mai. 2013, zuletzt abgerufen am 25. Oktober 2014
- ↑ Entschließung des Europäischen Parlaments vom 23. Mai 2013 zu den Verhandlungen der EU mit den Vereinigten Staaten von Amerika über ein Handels- und Investitionsabkommen (2013/2558(RSP)), EU-Parlament, Straßburg, 23 Mai. 2013, zuletzt abgerufen am 25. Oktober 2014
- ↑ TTIP: Ministerrat beschließt „kulturelle Ausnahme“ ( des vom 5. März 2016 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , Produzentenallianz, 17. Juni 2013, zuletzt abgerufen am 25. Oktober 2014