Landgericht (Kurhessen)
Das Landgericht war in der Gerichtsverfassung des Kurfürstentums Hessen ein erstinstanzliches Gericht.
Voraussetzungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bis zum Tod des Kurfürsten Wilhelm I. 1821 war im Kurfürstentum Hessen ein gewaltiger Reformstau aufgelaufen, da dieser nach seiner Rückkehr aus dem Exil auf den Thron 1813 viele Reformen rückgängig gemacht und persönlich im 18. Jahrhundert verhaftet geblieben war. Der neue Kurfürst, Wilhelm II., war nicht weniger autokratisch als sein Vater, aber gewillt, den Staat zu modernisieren. Die Staatsverwaltung wurde nach preußischem Muster 1822 reformiert, wobei nun auch Rechtsprechung und Verwaltung getrennt wurden.
Gründung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die bisherigen Ämter wurden zu größeren Kreisen zusammengelegt, und die erstinstanzliche Rechtsprechung in der Fläche des Landes in Justizämter, die in der Regel jeweils für den Bereich eines ehemaligen Amtsbezirks zuständig waren, eingeteilt. Im Umfeld größerer Städte wurden dagegen Landgerichte eingerichtet.[1] Deren Gerichtsbezirke waren größer als die der Justizämter, sie entstanden meist aus mehreren der früheren Ämter und sie hatten deshalb auch mehr Personal als ein Justizamt. Ihre sachliche Zuständigkeit und ihre Stellung im Justizsystem entsprach aber ganz der eines Justizamtes. Landgerichte wurden gebildet in den Städten Fulda, Hanau, Hersfeld, Kassel, Marburg, Rinteln und Schmalkalden.[2]
Übersicht
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ausstattung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Während ein Justizamt in der Regel mit einem Richter („Amtmann“) ausgestattet war, erhielten Landgerichte einen Landrichter und bis zu drei Assessoren. Darüber hinaus waren dort ein oder zwei Aktuare weitere Gerichtsschreiber und Gerichtsboten tätig.[5]
Sachliche Zuständigkeit
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Landgerichte waren in allen Zivilsachen zuständig – mit einer Reihe von Ausnahmen, in denen dann in der Regel die Obergerichte erstinstanzlich tätig wurden. In den Zuständigkeitsbereich der Landgerichte fielen:
- alle zivilrechtliche Streitigkeiten, soweit sie nicht den Obergerichten vorbehalten waren.[6] Eine solche Begrenzung waren zivilrechtliche Streitigkeiten mit einem Streitwert von mehr als 50 Talern.[7] Das galt bis 1864, als die Zuständigkeit auch für höhere Streitsummen auf die Landgerichte übertragen wurde.[8] Zu Ausnahmen, in denen statt des Landgerichts die nächsthöhere Instanz zuständig war, zählten auch eine Reihe personaler Ausnahmen: Dieses Gerichtsstandsprivileg galt für Angehörige des regierenden Hauses, Standesherren und den schriftsässigen Adel.[9]
- Aufsicht über die Führung von Vormundschaften.
- Testamente konnten ab 1848 auch bei Landgerichten hinterlegt werden[10], was zuvor nur bei Obergerichten möglich war.
Die Landgerichte waren in Strafsachen zuständig für Vergehen die mit „Polizeistrafen“ bedroht waren.[11][Anm. 2] Weiter konnten sie die Untersuchung in Fällen führen, die dann von den Obergerichten abzuurteilen waren.[12]
Anlässlich der Änderungen im Gerichtswesen 1848 wurde die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Obergerichten und Untergerichten in der Strafrechtspflege nur geringfügig geändert.[13]
Ende
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Zuge der Neuorganisation von Verwaltung und Rechtsprechung im Kurfürstentum Hessen nach der Revolution von 1848 wurde auch die untere Ebene der Rechtsprechung neu strukturiert und die Landgerichte aufgelöst.[14] Die vier größeren Landgerichte wurden jeweils in mehrere Justizämter aufgegliedert, die beiden kleineren in Rinteln und Schmalkalden einfach in „Justizamt“ umbezeichnet.[15]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Eckhart G. Franz, Hanns Hubert Hofmann, Meinhard Schaab: Gerichtsorganisation in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen im 19. und 20. Jahrhundert = Akademie für Raumforschung und Landesplanung: Beiträge, Band 100 = Behördliche Raumorganisation seit 1800, Grundstudie 14. VSB Braunschweig, 1989, ISBN 3-88838-224-6
- Heribert Reus: Gerichte und Gerichtsbezirke seit etwa 1816/1822 im Gebiete des heutigen Landes Hessen bis zum 1. Juli 1968. Hg.: Hessisches Ministerium der Justiz, Wiesbaden [1984].
Anmerkungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Die Zuständigkeit in der restlichen Grafschaft Schaumburg teilten sich das Justizamt Obernkirchen und das Justizamt Oldendorf (Reus, [ohne Seitenzählung], Abschnitt: Übersicht über die zum Kurfürstentum hessen gehörende Grafschaft Schaumburg im Hinblick auf die Gerichtsorganisation bis 1879).
- ↑ Die Obergrenze der „Polizeistrafe“ waren 14 Tage Haft oder eine Geldbuße von höchstens 20 Talern (§ 46 Abs. 1 Nr. 3 Verordnung vom 29ten Juni 1821 die Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 12 vom Juni 1821, S. 29–61 (39f)). Nach heutigen Begriffen ähnelt das einer Ordnungswidrigkeit.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ § 51 Nr. 1 Verordnung vom 29ten Juni 1821 die Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 12 vom Juni 1821, S. 29–61 (40).
- ↑ § 51 Nr. 1 Verordnung vom 29ten Juni 1821 die Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 12 vom Juni 1821, S. 29–61 (40).
- ↑ Angaben nach Reus.
- ↑ Verordnung vom 21ten März 1850 die Auflösung der Landgerichte in Justizämter betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 3, März 1850, S. 15–18.
- ↑ § 52 Verordnung vom 29ten Juni 1821 die Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 12 vom Juni 1821, S. 29–61 (40).
- ↑ § 55 Verordnung vom 29ten Juni 1821 die Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 12 vom Juni 1821, S. 29–61 (41).
- ↑ § 43 Ziffer 1 Verordnung vom 29ten Juni 1821 die Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 12 vom Juni 1821, S. 29–61 (39).
- ↑ § 13 Gesetz vom 28ten October 1863, die Gerichtsverfassung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 10, Oktober 1863, S. 97–106 (100).
- ↑ § 44 Verordnung vom 29ten Juni 1821 die Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 12 vom Juni 1821, S. 29–61 (39).
- ↑ § 8 Gesetz vom 31ten October 1848 über die Einrichtung der Gerichte und der Staatsbehörde bei den Gerichten. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 31 vom Oktober 1848, S. 163–176 (166).
- ↑ § 54 Verordnung vom 29ten Juni 1821 die Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 12 vom Juni 1821, S. 29–61 (41).
- ↑ § 46 Abs. 1 Nr. 1 Verordnung vom 29ten Juni 1821 die Umbildung der bisherigen Staatsverwaltung betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 12 vom Juni 1821, S. 29–61 (39).
- ↑ § 11 Gesetz vom 31ten October 1848 über die Einrichtung der Gerichte und der Staatsbehörde bei den Gerichten. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 31 vom Oktober 1848, S. 163–176 (166f).
- ↑ Gesetz vom 31ten Oktober 1848 über die Einrichtung der Gerichte und der Staatsbehörde bei den Gerichten. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 31, Oktober 1848, S. 163–176.
- ↑ Verordnung vom 21ten März 1850 die Auflösung der Landgerichte in Justizämter betreffend. In: Sammlung von Gesetzen etc. für Kurhessen Nr. 3, März 1850, S. 15–18.