Recht und Literatur

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Hinter dem Begriff Recht und Literatur steht eine Forschungsrichtung, die interdisziplinär zwischen Rechtswissenschaft und Literaturwissenschaft angesiedelt ist und sich mit dem Verhältnis von Recht und Literatur befasst.[1] Recht und Literatur gliedert sich hauptsächlich in zwei Forschungsbereiche: „Recht in der Literatur“ (engl. law in literature) und „Recht als Literatur“ (engl. law as literature).

Geschichte des Forschungsgebietes

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Vereinzelt haben deutsche Rechtswissenschaftler bereits Anfang des 19. Jahrhunderts auf das Verhältnis von Recht und Literatur hingewiesen. Zu nennen sind hier vor allem Gustav Radbruch[2] und Eugen Wohlhaupter.[3] Zu einer veritablen Forschungsrichtung entwickelte sich der Bereich Recht und Literatur jedoch erst ab Mitte der 1970er Jahre mit der Veröffentlichung der Monographie The Legal Imagination durch James Boyd White. Führende amerikanische Wissenschaftler im Bereich Recht und Literatur sind heute Richard H. Weisberg, Robert Weisberg, Allan Hutchinson, Ian Ward und Peter Brooks. In Deutschland beschäftigen beziehungsweise beschäftigten sich unter anderem Klaus Lüderssen, Heinz Müller-Dietz, Peter Häberle, Peter Schneider, Thomas Vormbaum, Bodo Pieroth und Klaus Stierstorfer mit der Thematik.

Recht in der Literatur

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Dieser Teilbereich beschäftigt sich mit rechtlichen Motiven in der Literatur sowie mit von der Literatur aufgegriffenen realen Rechtsfällen. Dabei wird unter anderem dem Verhältnis von realem rechtlichen Geschehen und literarischer Verarbeitung nachgegangen.[4] Die Suche nach rechtlichen Motiven oder Bezügen in der Literatur ist prinzipiell unbegrenzt, hat sich aber in der Vergangenheit auf Autoren wie Johann Wolfgang von Goethe, Heinrich von Kleist, Robert Musil, Franz Kafka, Friedrich Dürrenmatt sowie Bernhard Schlink, Juli Zeh und Janko Ferk im deutschsprachigen und William Shakespeare, Herman Melville und John Maxwell Coetzee im englischsprachigen Raum konzentriert.

Recht als Literatur

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Vertreter dieses Forschungsbereichs betrachten juristische Texte unter literarischen Gesichtspunkten.[5] Sie wenden dazu Modelle der Literaturtheorie auch auf juristische Texte an und versuchen auf diese Art, die Analyse und Interpretation juristischer Texte zu verbessern oder zu reflektieren. Ausgangspunkt für ihre Forschung ist die Überlegung, dass das Recht (Gesetzestexte, Urteile usw.) immer über Sprache und/oder Schrift kommuniziert wird. Die Auslegung des Textes dient dann seiner korrekten Anwendung. Da die Modelle der Literaturtheorie gleichfalls für die Interpretation von Texten entwickelt wurden, besteht insoweit eine Überschneidung, welche die Vertreter dieser Forschungsrichtung für einen weiteren Erkenntnisgewinn nutzbar machen möchten.

Recht, Literatur und dritte Disziplinen

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Literatur und Recht können Gegenstand dritter Disziplinen sein. Das gilt vor allem für Kulturwissenschaft, Medienwissenschaft und Geschichtswissenschaft: Literarische und rechtliche Praktiken lassen sich in historischer Perspektive als kulturelle Artefakte untersuchen. Insoweit können Literaturgeschichte und Rechtsgeschichte parallel und in wechselseitigem Austausch betrieben werden.[6] Dabei geht es auch um die historische Entwicklung rechtlicher Produktions- und Rezeptionsbedingungen von Literatur (etwa Zensurgeschichte[7], Entwicklung des Urheberrechts[8]). In ähnlicher Weise lassen sich literaturwissenschaftliche Komparatistik und Rechtsvergleichung gegenseitig informieren. Dabei werden auch postkoloniale Ansätze fruchtbar gemacht.[9]

Insgesamt ist eine Öffnung des Forschungsfelds Recht und Literatur hin zu disziplinär breiteren Ansätzen wie law, culture, and the humanities zu beobachten.[10] Diese interdisziplinäre Verbreiterung geht teilweise mit einer Ausweitung des Gegenstandsbereichs von 'Literatur' einher: Auch Film, TV-Serien oder Essayistik sind Gegenstand des Forschungsbereichs Recht und Literatur in einem weit verstandenen Sinn.[10] Letztlich werden Recht und Literatur auf diese Weise zu potentiellen Gegenständen der (vergleichenden) Intermedialitätsforschung und der interart studies.[11]

Neuere Entwicklungen

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Das „Law & Literature Movement“ ist im anglo-amerikanischen Kulturkreis stark vertreten. In neuerer Zeit findet es jedoch auch zunehmend Anerkennung in Deutschland. So ist im Jahr 2019 der „Sonderforschungsbereich 1385 Recht und Literatur“ von der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster[12] eingerichtet worden.[13]

  • Christian Hiebaum, Susanne Knaller, and Doris Pichler (Hrsg.): Recht und Literatur im Zwischenraum / Law and Literature In-Between. Bielefeld: transcript Verlag, 2015.
  • Jean-Claude Alexandre Ho: Law and Literature. Eine linke Antwort auf Law and Economics. In: Forum Recht. 2008, S. 86–87. (PDF)
  • Daniel Halft: Die Szene wird zum Tribunal! Eine Studie zu den Beziehungen von Recht und Literatur am Beispiel des Schauspiels 'Cyankali' von Friedrich Wolf. BWV, Berlin 2007, ISBN 978-3-8305-1420-6.
  • Jürgen Joachimsthaler: Rechtsfiktionen, Gerichtsaufführungen und das „als ob“ der Gesetze: Die juristische Textur als literarische Kunstform. In: Non Fiktion. Arsenal der anderen Gattungen. 3, 2008, S. 31–49.
  • Klaus Kastner: Literatur und Recht – eine unendliche Geschichte. In: Neue Juristische Wochenschrift. (NJW) 2003, S. 609–615.
  • Klaus Kastner: Literatur und Wandel im Rechtsdenken. Boorberg, Stuttgart/ München u. a. 1993, ISBN 3-415-01800-8.
  • Arthur Kaufmann: Beziehungen zwischen Recht und Novellistik. Boorberg, Stuttgart 1987, ISBN 3-415-01339-1.
  • Arthur Kaufmann: Recht und Gnade in der Literatur. Boorberg, Stuttgart/ München u. a. 1991, ISBN 3-415-01684-6.
  • Michael Kilian: Literatur und Jurisprudenz – Anmerkungen zum Berufsbild des Juristen. In: Deutsche Richter-Zeitung. (DRiZ) 1985, S. 18–21.
  • Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen. Recht in Literatur, Theater und Film. 2., erw. Auflage. Nomos, Baden-Baden 2002, ISBN 3-7890-7912-X.
  • Ulrich Mölk (Hrsg.): Literatur und Recht: Literarische Rechtsfälle von der Antike bis in die Gegenwart. Wallstein, Göttingen 1996, ISBN 3-89244-215-0.
  • Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität im literarischen Widerschein. Gesammelte Aufsätze. BWV, Baden-Baden 1999, ISBN 3-8305-0413-6.
  • Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität in literarischen Spiegelungen. BWV, Berlin 2007, ISBN 978-3-8305-1340-7.
  • Edward Schramm: Law and Literature. In: Juristische Arbeitsblätter. (JA) 2007, S. 581–585.
  • Ian Ward: Law and Literature: A Continuing Debate. In: Ders.: Law and Literature: Possibilities and Perspectives. Cambridge University Press, 1995, S. 3–27.
  • Richard H. Weisberg: Poethics, and other strategies of law and literature. New York/ Oxford 1992.
  • James Boyd White: The Legal Imagination: Studies in the Nature of Legal Thought and Expression. Boston 1973.
  • Antje Arnold, Walter Pape (Hrsg.): Romantik und Recht. Recht und Sprache, Rechtsfälle und Gerechtigkeit. Aufsatzsammlung. De Gruyter, Berlin 2018, ISBN 978-3-11-060983-7.

Einzelnachweise

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  1. Für eine ausführlichere Erläuterung des Verhältnisses von Recht und Literatur siehe Daniel Halft: Die Szene wird zum Tribunal! Eine Studie zu den Beziehungen von Recht und Literatur am Beispiel des Schauspiels 'Cyankali' von Friedrich Wolf. BWV, Berlin 2007, ISBN 978-3-8305-1420-6, S. 1–25.
  2. Gustav Radbruch: Einführung in die Rechtswissenschaft. 1. Aufl. [1910]. In: Ders., Gesamtausgabe. Band 1: Rechtsphilosophie 1. Hg. und bearbeitet von Arthur Kaufmann, Heidelberg 1987, ISBN 3-8305-1420-4, S. 91 ff.
  3. Eugen Wohlhaupter: Dichterjuristen. 3 Bände, Tübingen 1953 bis 1957.
  4. So beispielsweise Anja Sya: Literatur und juristisches Erkenntnisinteresse. Joachim Maass' Roman 'Der Fall Gouffe' und sein Verhältnis zu der historischen Vorlage. Dissertation. Nomos Verlag, Baden-Baden 2002, ISBN 3-7890-7166-8.
  5. Siehe Klaus Lüderssen: 'Law as Literature' oder wenn die Wissenschaft zur Kunst wird: Dekonstruktion in der Jurisprudenz. In: Ders., Produktive Spiegelungen. Recht in Literatur, Theater und Film. 2., erw. Auflage. Nomos, Baden-Baden 2002, ISBN 3-7890-7912-X, S. 47–57.
  6. Bernadette Meyler: Law, Literature, and History: The Love Triangle. In: Elizabeth S. Anker, Bernadette Meyler (Hrsg.): New Directions in Law and Literature. New York 2017, ISBN 978-0-19-045636-8, S. 160–175. Hierzu Rico David Neugärtner: „New Directions in Law and Literature“ – Transatlantische Betrachtungen. In: Rechtswissenschaft. Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Forschung. 2017, S. 461–475, doi:10.5771/1868-8098-2017-4-461.
  7. Robert Darnton: Censors at Work. How States Shaped Literature. New York u. a. 2014, ISBN 978-0-393-35180-4.
  8. Paul Saint-Amour: The Copywrights. Intellectual Property and the Literary Imagination. Ithaca, NY, USA 2003, ISBN 0-8014-4077-7.
  9. Elizabeth S. Anker: Globalizing Law and Literature. In: Elizabeth S. Anker, Bernadette Meyler (Hrsg.): New Directions in Law and Literature. New York 2017, ISBN 978-0-19-045636-8, S. 210–225. Hierzu Rico David Neugärtner: „New Directions in Law and Literature“ – Transatlantische Betrachtungen. In: Rechtswissenschaft. Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Forschung. 2017, S. 461–475, doi:10.5771/1868-8098-2017-4-461.
  10. a b Überblick bei Elizabeth S. Anker, Bernadette Meyler: Introduction. In: Elizabeth S. Anker, Bernadette Meyler (Hrsg.): New Directions in Law and Literature. New York, NY, USA 2017, ISBN 978-0-19-045636-8, S. 1–30. Vgl. auch Rico David Neugärtner: „New Directions in Law and Literature“ – Transatlantische Betrachtungen. In: Rechtswissenschaft. Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Forschung. 2017, S. 461–475, doi:10.5771/1868-8098-2017-4-461.
  11. Rico David Neugärtner: Untern Fliesen liegt der Strand. Plastikmüllrichtlinienentwurf (Triptychon). In: myops. Berichte aus der Welt des Rechts. Nr. 34, 2018, ISSN 1865-2301, S. 4–14.
  12. „Recht und Literatur“: Großprojekt für Universität Münster. In: Westfalenspiegel. 23. Mai 2019, abgerufen am 27. Februar 2020 (deutsch).
  13. DFG - Deutsche Forschungsgemeinschaft - 14 neue Sonderforschungsbereiche. Abgerufen am 27. Februar 2020.