Liselotte Herrmann

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Lilo Herrmann mit ihrem Sohn, 1935

Liselotte Herrmann (genannt Lilo, * 23. Juni 1909 in Berlin; † 20. Juni 1938 in Berlin-Plötzensee) war eine kommunistische Widerstandskämpferin während der Zeit des Nationalsozialismus.

Gedenktafel, Freiaplatz, in Berlin-Lichtenberg

Die Tochter eines Ingenieurs und dessen Ehefrau wurde bürgerlich-liberal erzogen und schloss sich als Abiturientin in Berlin-Wilmersdorf dem Sozialistischen Schülerbund (SSB) an, welcher der KPD nahestand.[1] Nach abgelegten Abitur und einem Praktikum in einem Chemiebetrieb 1929 begann sie zunächst ein Studium der Chemie an der Technischen Hochschule Stuttgart. Im Sommer 1930 wurde sie zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie in Esslingen Flugblätter verteilt hatte.[1] 1931 wechselte sie für ein Studium der Biologie an die Berliner Universität. Sie trat als Schülerin in den Sozialistischen Schülerbund, dann in den Kommunistischen Jugendverband Deutschlands ein und wirkte als Studentin auch in den Roten Studentengruppen in Stuttgart und Berlin mit. Seit dem 1. November 1931 war sie Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD).

Im Frühjahr 1933 soll sie einen bisher nicht aufgefundenen „Aufruf zur Verteidigung demokratischer Rechte und Freiheiten an der Berliner Universität“ unterschrieben haben und wurde wegen „kommunistischer Betätigung“ mit etwa 100 anderen Studierenden am 11. Juli 1933 von der Universität verwiesen und von jedem weiteren Studium ausgeschlossen. Seitdem arbeitete sie im Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur Deutschlands.

Sie nahm eine Stelle als Kindermädchen an und arbeitete in Strukturen des im Untergrund wirkenden kommunistischen und linkssozialistischen Widerstands mit.[2] Am 15. Mai 1934 wurde Liselottes Sohn Walter geboren;[3] erst 1991 wurde bekannt, dass sein Vater Fritz Rau war, ein Stuttgarter KPD-Funktionär, der im Dezember 1933 im Gefängnis Berlin-Moabit totgeschlagen worden war. Seit September 1934 lebte Herrmann wieder in Stuttgart, wo sie als Stenotypistin im Ingenieurbüro ihres Vaters arbeitete.

Ohne Wissen ihrer Eltern nahm sie noch in Berlin wieder Kontakte zur illegal wirkenden KPD und deren geheimer militärischer Sektion auf. Sie erledigte von ihrem Büro aus Schreibarbeiten für den im Untergrund lebenden KPD-Bezirksleiter Stefan Lovasz (1901–1938). Von Artur Göritz erhielt sie vertrauliche Informationen über geheime Rüstungsprojekte, die dieser beschafft hatte, unter anderem über die Rüstungsproduktion im Dornier-Werk in Friedrichshafen und eine unterirdische Munitionsfabrik bei Celle. Herrmann leitete diese als nachrichtendienstlicher Kurier an den KPD-Instrukteur in der Schweiz weiter.[4] Ihr engster Mitarbeiter war Adolf Butz, den sie aus der Roten Studentengruppe kannte. Butz war Assistent am Geographischen Institut der TH Stuttgart und unterhielt viele Kontakte zu verschiedenen Kreisen von Gegnern des Nationalsozialismus.[1]

Am 7. Dezember 1935 wurde Liselotte Herrmann von der Württembergischen Politischen Polizei festgenommen, der späteren Staatspolizeileitstelle Stuttgart. 19 Monate blieb sie in Untersuchungshaft im Stuttgarter Frauenuntersuchungsgefängnis, wo sie unter anderem mit Lina Haag einsaß. Ihr Sohn wuchs seitdem bei den Großeltern auf. Am 12. Juni 1937 wurde Herrmann zusammen mit Josef Steidle und Artur Göritz vom 2. Senat des Volksgerichtshofes in Stuttgart wegen Landesverrats, begangen in Tateinheit mit Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode verurteilt.[5] Ebenfalls verurteilt wurde der KPD-Bezirksleiter Stefan Lovasz wegen „Vorbereitung zum Hochverrat unter erschwerenden Umständen“. Nach einem Jahr im Berliner Frauengefängnis Barnimstraße, wo sie Kontakt zu Maria Wiedmaier hatte,[6] wurde sie mit den mit ihr zum Tod Verurteilten zur Hinrichtung in die Haftanstalt Berlin-Plötzensee verlegt.

Liselotte Herrmann starb trotz einer Protestkampagne in mehreren europäischen Ländern als erste deutsche Mutter und Widerstandskämpferin am 20. Juni 1938 unter dem Fallbeil in Plötzensee.[7] Der Scharfrichter war Friedrich Hehr. Ihr Leichnam wurde dem Anatomischen Institut der Charité übergeben.[1][8]

Gedenkstein für Liselotte Herrmann im Stadtgarten Stuttgart

Friedrich Wolf schrieb über Lilo Herrmann ein Biographisches Poem, das 1954 von Paul Dessau vertont wurde. Es erschien 1974 als LP mit Mathilde Danegger, dem Berliner A-Cappella-Chor und Mitgliedern des Rundfunk-Sinfonie-Orchesters Berlin bei Nova.[9] 1987 wurde der nach einem Buch von Stephan Hermlin produzierte DEFA-Film Die erste Reihe – Bilder vom Berliner Widerstand im DDR-Fernsehen erstausgestrahlt.

In der DDR waren mehrere öffentliche Einrichtungen nach ihr benannt, so etwa seit 1972 die Pädagogische Hochschule „Liselotte Herrmann“ Güstrow, eine POS in Eilenburg-Ost, eine POS in Eisenach, die POS in Großleinungen, in Eppendorf, die POS in Boxdorf oder ein Kindergarten im sächsischen Freiberg. Die Post der DDR gab 1961 im Rahmen der Serie Aufbau und Erhaltung der Nationalen Gedenkstätten Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen eine Briefmarke mit dem Bild von Liselotte Hermann heraus (Michel-Nummer 851).

Bei der rechtlichen Neugründung dieser Einrichtungen nach 1990 wurden diese Benennungen überwiegend nicht übernommen, so etwa bei der Neugründung der Fachhochschule für die öffentliche Verwaltung in Güstrow, die sich in den Baulichkeiten der ehemaligen Pädagogischen Hochschule befindet. Das Denkmal vor der Güstrower Einrichtung blieb aber erhalten. Auch auf dem Mahnmal im Innenhof der Humboldt-Universität zu Berlin ist Liselotte Herrmanns Namen verzeichnet.

Nach wie vor bestehen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zahlreiche nach ihr benannte Straßen, darunter in Berlin, Neubrandenburg, Erfurt, Gera, Jena, Weimar und Chemnitz. Zu diesen sind neue Straßenbenennungen im Westen hinzugekommen, so in Kiel, Schwäbisch Hall und Vaihingen an der Enz. In Leipzig ist ein kleiner Park im Osten der Stadt nach ihr benannt. In Frankfurt (Oder) gibt es im Westteil der Stadt eine Kindertagesstätte „Lilo Herrmann“.

In ihrem Studienort Stuttgart wurde 1988 vom Stadtjugendring ein Gedenkstein vor der Universität errichtet. Dieser war immer umstritten, weil Lilo Herrmann laut einem Gutachten des an der Universität lehrenden Historikers Eberhard Jäckel für eine Bewegung arbeitete, die „die Freiheit von Forschung und Lehre sowie die Freiheit und Menschenrechte allgemein“ unterdrücken wollte. Der Gedenkstein steht im zum Besitz des Landes gehörenden Stadtgarten unmittelbar neben der Universität. Die Bauverwaltung und die Universität ließen den Gedenkstein nicht entfernen, selbst die CDU-Bürgermeister Rommel und Thieringer befürworteten seine Aufstellung.[10]

Stolperstein für Liselotte Herrmann in Stuttgart

Im Stadtteil Fasanenhof war schon 1972 eine kleine Anliegerstraße, der keine Postadressen zugeordnet sind, nach ihr benannt worden. Am 14. März 2008 wurde in der Stuttgarter Hölderlinstraße ein Stolperstein zum Gedenken an Liselotte Herrmann verlegt. Anwesend waren damals ihr Sohn Walter Herrmann und ihre Enkelin Carola Herrmann. 2012 erhielt ein linkes Hausprojekt in Stuttgart-Heslach den Namen „Linkes Zentrum Lilo Herrmann“.[11]

  • Cristina Fischer: »Aber den Mut werde ich schon nicht verlieren«. Das letzte Lebensjahr der Widerstandskämpferin Liselotte Herrmann (1909–1938) im Frauengefängnis an der Barnimstraße. In: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 2021. Herausgegeben von Werner Breunig und Uwe Schaper. Gebr. Mann Verlag, Berlin 2022, S. 101–136.[1]
  • Hermann Weber, Andreas Herbst: Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945. 2., überarbeitete und stark erweiterte Auflage. Karl Dietz Verlag Berlin, Berlin 2008, ISBN 978-3-320-02130-6 (online [abgerufen am 2. Juni 2012]).
  • Lothar Letsche: Herrmann, Minna Pauline Liselotte. In: Maria Magdalena Rückert (Hrsg.): Württembergische Biographien unter Einbeziehung hohenzollerischer Persönlichkeiten. Band I. Im Auftrag der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Kohlhammer, Stuttgart 2006, ISBN 3-17-018500-4, S. 106 ff.
  • Siegfried Grundmann: Lilo Herrmann und der Plan der Munitionsanlage Scheuen bei Celle. In: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Heft I/2010.
  • Karin Algasinger: Lilo H. Untersuchungen zur Lebensgeschichte einer Widerstandskämpferin und zur Rezeption ihrer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus von ihrer Verhaftung bis heute in der Publizistik und der wissenschaftlichen Forschung. Magisterarbeit. Universität Passau, 1991.
  • Alfred Behr: Ein schwäbischer Streit der Historiker um ein Denkmal, Ende einer DDR-Legende über Lilo Herrmann. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. 29 v. 4. Februar 1993, S. 4.
  • Willi Bohn: Stuttgart: Geheim! Ein dokumentarischer Bericht. Frankfurt/Main 1969.
    • später: Stuttgart: Geheim! Widerstand und Verfolgung 1933–45. 3. erweiterte Auflage. Röderberg, 1978, OCLC 220949353.
  • Sigrid Brüggemann: Die Verfolgung der politischen Gegnerinnen und Gegner aus dem linken Spektrum. In: Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann, Roland Maier (Hrsg.): Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern. Schmetterling-Verlag, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-89657-138-0, S. 165–195.
  • Ingeborg Höch: Keine Adresse oder: Die ungeliebte Erinnerung … In: Stuttgart für Frauen, Entdeckungen in Geschichte und Gegenwart. Stuttgart 1992, S. 148–156.
  • Eberhard Jäckel: Lilo H. zwischen Legende und Wirklichkeit. In: Stuttgarter Uni-Kurier. 37/1988. (Faksimile In: Lilo H., eine Stuttgarter Widerstandskämpferin. S. 46–52.)
  • Karl H. Jahnke: Artur Göritz, L.H. In: Entscheidungen. Jugend im Widerstand 1933–45. (Bibliothek des Widerstandes). Frankfurt/Main 1970.
    • später: Jugend im Widerstand 1933–45. 2. bearbeitete Auflage. 1985, S. 33–43.
  • Karl H. Jahnke: Aus dem Leben und antifaschistischen Kampf von Lilo H. In: Lilo H., eine Stuttgarter Widerstandskämpferin. S. 8–38.
  • Karl H. Jahnke: Liselotte Herrmann. In: Karl H. Jahnke: Ermordet und ausgelöscht. Zwölf deutsche Antifaschisten. Mit einem Geleitwort von Karl Kielhorm. Ahriman-Verlag, Freiburg im Breisgau 1995 (Unerwünschte Bücher zum Faschismus, Bd. 8), ISBN 3-89484-553-8, S. 33–43.
  • Lothar Letsche: Schwierigkeiten mit einer Ehrung; Neues über Lilo H. und ihre Mitkämpfer. In: Lilo H., eine Stuttgarter Widerstandskämpferin. 2. Auflage. 1993, S. 56–65; 67–91.
  • Lothar Letsche: Lilo H.: Alleinerziehend im Widerstand. In: Lauter Frauen: Aufgespürt in Baden-Württemberg, 47 Porträts. Stuttgart 2000, S. 63–65.
  • Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten, Landesverband Baden-Württemberg e. V. (Hrsg.): Lilo H., eine Stuttgarter Widerstandskämpferin. Stuttgart 1989.

Literarische Verarbeitungen:

  • Max Burghardt: Briefe die nie geschrieben wurden. Berlin (DDR) 1966.
  • Ditte Clemens: Hoffnung auf Leben. Eine dokumentarische Erzählung über L.H. In: Güstrower Beiträge. 2/1989, S. 15–87.
  • Ditte Clemens: Schweigen über Lilo. Die Geschichte der L.H. Ravensburg 1993, 2. Aufl. 1995. (Vermerk in der 2. Auflage: Bedingt durch äußerst schwierige Recherchearbeiten erschien die Hardcover-Erstausgabe dieser Dokumentation mit einem Einbandfoto, welches, entgegen aller Auffassung, nicht Lilo Herrmann darstellte. Die Autorin und der Verlag bitten, den Irrtum zu entschuldigen.)
  • Stephan Hermlin: Lilo H. In: Die erste Reihe. Berlin (DDR) 1951. (Nach Motiven aus diesem Film wurde der Film Die erste Reihe (Fernsehen der DDR 1987) gedreht, in dem Lilo Herrmann von Johanna Schall dargestellt wird)
  • So kannten wir dich Lilo. Lilo H., eine deutsche Frau und Mutter. Mit Beiträgen von Nationalpreisträger Max Burghardt, Nationalpreisträger Friedrich Wolf u. a., Berlin (DDR) 1954.
  • Friedrich Wolf: Lilo H. Eine wahre Heldin unseres Volkes. 1946.
  • Friedrich Wolf: Lilo H. – Die Studentin von Stuttgart, ein biographisches Poem. 1950 (vertont als „Melodram“ von Paul Dessau (1952/53) – Einzelausgabe mit Faksimile der Partitur: Berlin (DDR) 1963).
  • Paul Dessau: Lilo Herrmann. Ein biographisches Poem von Friedrich Wolf. Verlag Neue Musik, Berlin, ISMN M-2032-0665-1
Commons: Liselotte Herrmann – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b c d Lothar Letsche: Schweigend Leben gerettet. In: Kontext:Wochenzeitung. 20. Juni 2018, abgerufen am 5. November 2023 (deutsch).
  2. Hermann soll die in Berlin von der Widerstandsgruppe Roter Stoßtrupp produzierte Schrift Der Rote Stoßtrupp verteilt haben. Vgl. Dennis Egginger-Gonzalez: Der Rote Stoßtrupp. Eine frühe linkssozialistische Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus. Lukas Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-86732-274-4, S. 133f.
  3. Walter Herrmann starb am 18. Mai 2013 in Berlin.
  4. Jefferson Adams: Historical Dictionary of German Intelligence (= Historical Dictionaries of Intelligence and Counterintelligence. Band 11). Scarecrow Press, Lanham, Toronto und Plymouth 2009, ISBN 978-0-8108-5543-4, S. 184.
  5. VGH, 12.06.1937 – 2 H 16.20.27/37. In: OpinioIuris. 13. März 2013, abgerufen am 2. Juli 2018.
  6. 100. Geburtstag von Lilo Herrmann. Bundesarchiv, abgerufen am 20. Juni 2018 (Dort Verweise auf die Archivbestände von Lilo Herrmann).
  7. Lothar Letsche: Im Widerstand gegen die Kriegsvorbereitungen der Nazis: Die Berliner Studentin Lilo Herrmann. Humboldt-Universität zu Berlin, 22. Juli 2011, abgerufen am 20. Juni 2018.
  8. Ditte Clemens: Schweigen über Lilo: Die Geschichte der Liselotte Herrmann. BS-Verlag-Rostock, ISBN 978-3-89954-013-0, S. 84f.
  9. Eintrag in der DNB
  10. Dieter Lachenmayer: Gedenken an Lilo Herrmann: Menschlichkeit hat kein Parteibuch. VVN-BdA Baden-Württemberg, Juli 2008, abgerufen am 20. Juni 2018. Heidrun Holzbach-Linsenmaier: Engstirnige Magnifizenz. In: Die Zeit. 15. Juli 1988, abgerufen am 29. September 2020.
  11. Linkes Zentrum Lilo Herrmann. Abgerufen am 20. Juni 2018.