Deutsches Literaturinstitut Leipzig
Das Deutsche Literaturinstitut Leipzig (DLL) ist Teil der Universität Leipzig und bietet eine Ausbildung für Schriftsteller in literarischem Schreiben. Es besteht seit 1995 und geht auf das 1955 gegründete DDR-Literaturinstitut zurück, das von 1959 bis 1993 Institut für Literatur „Johannes R. Becher“ hieß. Das Literaturinstitut befindet sich in der Villa Giesecke im Leipziger Musikviertel.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literaturinstitut „Johannes R. Becher“
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]1955 wurde in Leipzig nach einem Sekretariatsbeschluss des Zentralkomitees der SED das Institut für Literatur mit dem Ziel gegründet, „die ideologische und künstlerische Ausbildung der Schriftsteller zu fördern.“[1] Zum Vorbild diente das Moskauer Maxim-Gorki-Literaturinstitut.[2] Das Institut erhielt 1958 den Hochschulstatus und wurde 1959 nach Johannes R. Becher benannt. Sein Sitz war von 1955 bis 1993 das Haus Karl-Tauchnitz-Straße 8. Die Lehre an dem Institut knüpfte an die Interessen junger Autoren an: Seminare für Lyrik, Prosa und Dramatik standen im Mittelpunkt der Ausbildung. Daneben wurden Lehrveranstaltungen angeboten, die den geistigen Horizont erweitern und das literarische Schaffen stimulieren sollten: deutsche Literatur, Weltliteratur, sowjetische Literatur, Ästhetik, Kulturwissenschaft, Stilistik, Literaturkritik, Kunst- und Musikgeschichte sowie das an allen DDR-Hochschulen obligatorische Fach Marxismus-Leninismus.
Zum Studium gehörten auch jährliche Praktika im VEB Braunkohlenwerk Regis. Höhepunkte der Semester waren Werkstattlesungen vor dem Institutsplenum, bei denen Studenten ihre Texte unter Verzicht auf jegliche zusätzliche Kommentierung vortrugen und der öffentlichen Kritik aussetzten.
Neben dem Direktstudium am Literaturinstitut gab es auch die Möglichkeit eines Fernstudiums (postgraduales Studium). Studenten dieser Studienform trafen sich alle vier Wochen zu Präsenzveranstaltungen an drei Wochenendtagen.
Aufgabe des Institutes war die Erziehung von Schriftstellern zum Sozialistischen Realismus im Sinne der SED. Dennoch herrschte im Schutz des staatlichen Institutes eine Atmosphäre relativer Offenheit, die eine ansehnliche Zahl auch international anerkannter Autoren hervorbrachte.
Die zentrale Gestalt des Institutes war über anderthalb Jahrzehnte der Lyriker Georg Maurer, der von 1955 bis 1970 die Lyrik-Seminare leitete und eine ganze Generation junger DDR-Dichter prägte (Sächsische Dichterschule).
Im Sommer 1968 veranstaltete eine Gruppe von Studenten des Literaturinstitutes, darunter Heidemarie Härtl, Gert Neumann, Siegmar Faust und Andreas Reimann, eine illegale Lyrik-Lesung auf dem Leipziger Elsterstausee. Bei dieser Lesung wurde Wolfgang Hilbig als talentierter Dichter „entdeckt“. Das Ministerium für Staatssicherheit wertete die als harmloser poetischer Austausch geplante Veranstaltung als umstürzlerisches Treiben und bewirkte die Exmatrikulation, den Parteiausschluss bzw. die Inhaftierung einiger Studenten.[3]
Der Freistaat Sachsen löste das Literaturinstitut per Beschluss zum 31. Dezember 1990 mit der Begründung auf, das Studienangebot entspräche nicht den Anforderungen einer freiheitlichen Gesellschaft bzw. eines demokratischen Rechtsstaates und der sozialen Marktwirtschaft. Der Unterricht sei auf die Ideologie sowie die Staats- und Gesellschaftsordnung des real existierenden Sozialismus festgelegt gewesen. Die letzten Absolventen des Literaturinstitutes erhielten ein „Diplom für literarisches Schreiben“.
Aufgrund von Protesten der Studenten (u. a. Besetzung des Instituts vom 1. bis 6. Januar 1991), der Widerstände von Abgeordneten, Wissenschaftlern und zahlreichen Schriftstellern, unter ihnen Hans Mayer und Walter Jens, musste das Sächsische Staatsministerium neu über das Literaturinstitut nachdenken. In dem Ergebnis entstand ein Konzept, nach dem das alte Institut aufzulösen und ein neues zu gründen sei. 1993 erfolgte die Abwicklung des laufenden Lehrbetriebs.
Deutsches Literaturinstitut
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Unter dem Dach der Universität Leipzig wurde das Deutsche Literaturinstitut 1995 neugegründet. Seit 1999 wird die Leitung durch einen geschäftsführenden Direktor wahrgenommen, in der sich die Professoren des Institutes abwechseln. Im Wintersemester 2006/07 löste der Bachelor-Studiengang Literarisches Schreiben den Diplomstudiengang ab.
Das Studienangebot gliedert sich in Theorie- und Praxisseminare. Literaturgeschichtliche und -theoretische Grundlagen bilden für die Studenten die Voraussetzung, um die Struktur von Texten verstehen und kritisieren zu können. Über konkrete Arbeit an Texten hinaus dienen Werkstattseminare der kritischen Kompetenzerweiterung. Den Studenten wird die Möglichkeit geboten, sich in unterschiedlichen Textformen auszuprobieren. Neben Seminaren zu Prosa, Lyrik und Szenischem Schreiben gibt es Veranstaltungen zum journalistischen Schreiben, zum Hörspiel, oder z. B. zum Werbetexten. Da jedes Jahr nur ca. 15 Bewerber angenommen werden und die Lehrveranstaltungen zum größten Teil im selben Haus stattfinden, herrscht unter den Studenten ein reger Austausch.
Einmal im Jahr erscheint die Anthologie „Tippgemeinschaft“, in der sich die Studenten der Leserschaft vorstellen.
2005 wurde das Institut mit dem Deutschen Kritikerpreis ausgezeichnet.
Institutsdirektoren
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Alfred Kurella 1955–1957
- Max Zimmering 1958–1964
- Max Walter Schulz 1964–1983
- Hans Pfeiffer 1985–1989
- Helmut Richter 1990–1992
- Peter Gosse 1993 (kommissarisch)
- Bernd Jentzsch 1993–1999
- seit 1999 wechseln sich die Professoren als jeweils geschäftsführender Direktor ab[4]
- Ulrike Draesner 2018 – heute
Professoren und Dozenten (DLL)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Als Dozenten sind oder waren u. a. tätig:
- Friedrich Albrecht
- Jan Peter Bremer
- Heiner Boehncke
- Dagmar Borrmann
- Bas Böttcher
- Werner Bräunig (aus politischen Gründen gemaßregelt)
- Werner Buhss
- Yevgeniy Breyger
- John von Düffel
- Ulrike Draesner (seit 2018 Professorin für Deutsche Literatur)
- Jan Faktor
- Gottfried Fischborn
- Werner Fritsch
- Juan S. Guse
- Martina Hefter
- Christoph Hein
- Harald Hartung
- Josef Haslinger (von 1996 bis 2021 Professor für Literarische Ästhetik)
- Kerstin Hensel
- Anneliese Hübscher
- Norbert Hummelt
- Thomas Hürlimann
- Roland Koch
- Jan Kuhlbrodt
- Katja Lange-Müller
- Jürgen Lehmann
- Michael Lentz (seit 2006 Professor für Literarisches Schreiben)
- Bernd Leistner
- Sibylle Lewitscharoff
- Enis Maci
- Kristof Magnusson
- Terézia Mora
- Herta Müller
- Sten Nadolny
- Joachim Nowotny
- Roland Opitz
- Hans Pfeiffer
- Ulrich Plenzdorf
- Steffen Popp
- Trude Richter
- Monika Rinck
- Moritz Rinke
- Valeri Scherstjanoi
- Roland Schimmelpfennig
- Marianne Schmidt
- Lutz Seiler
- Jens Sparschuh
- Burkhard Spinnen
- Ulf Stolterfoht
- Antje Rávic Strubel
- Gerhard Rothbauer
- Florian Thalhofer
- Hans-Ulrich Treichel (von 1995 bis 2018 Professor für Deutsche Literatur)
- Ilija Trojanow
- Senthuran Varatharajah
- Jan Wagner
- Michael Wildenhain
- Uli Winters
- Hubert Witt
- Juli Zeh
- Lothar Zschuckelt
Bekannte Studenten (Becher-Institut)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Kathrin Aehnlich
- Helmut Baierl
- Kurt Bartsch (aus politischen Gründen exmatrikuliert)
- Rudolf Bartsch
- Wilhelm Bartzsch
- Horst Bastian
- Karl Heinz Berger (aus politischen Gründen exmatrikuliert)
- Ulrich Berkes
- Reinhard Bernhof
- Werner Bräunig
- Peter Brock
- Wolfgang de Bruyn
- Heinz Czechowski
- Maria Dahms[5]
- Róža Domašcyna
- Kurt Drawert
- Adolf Endler
- Siegmar Faust (aus politischen Gründen exmatrikuliert)
- Herbert Friedrich
- Caritas Führer
- Ralph Giordano
- Gotthold Gloger
- Mario Göpfert
- Günter Görlich
- Peter Gosse
- Hasso Grabner
- Paul Gratzik (aus politischen Gründen exmatrikuliert)
- Ralph Grüneberger
- Brigitte Hähnel
- Heidemarie Härtl
- Kerstin Hensel
- Gerald Höfer
- Holger Jackisch
- Karl-Heinz Jakobs
- Harry Kampling
- Adel Karasholi
- Ulrich Kiehl[6]
- Rainer Kirsch
- Sarah Kirsch
- Wulf Kirsten
- Rainer Klis
- Barbara Köhler
- Erich Köhler
- Matthias Körner
- Christa Kożik
- Wolfgang Knape
- Joachim Knappe
- Angela Krauß
- Eckart Krumbholz
- Christoph Kuhn
- Joachim Kupsch
- Roland Lampe
- Katja Lange-Müller
- Monika Lätzsch
- Arne Leonhardt
- Hans-Georg Lietz
- Werner Lindemann
- Egbert Lipowski
- Erich Loest
- Werner Makowski
- Norbert Marohn
- Horst Matthies
- Dieter Mucke (aus politischen Gründen exmatrikuliert)
- Gert Neumann (aus politischen Gründen exmatrikuliert)
- Helga M. Novak (aus politischen Gründen exmatrikuliert)
- Richard Pietraß
- Gerhard Pötzsch
- Helmut Preißler
- Gunter Preuß
- Andreas Reimann (aus politischen Gründen exmatrikuliert)
- Helmut Richter
- Thomas Rosenlöcher
- Bernd Rump
- Günter Saalmann
- Horst Salomon
- Paul Kanut Schäfer
- Wolfgang Schaller
- Ronald M. Schernikau
- Jörg Schieke
- Klaus Schlesinger
- Kathrin Schmidt
- Werner Schmoll
- Elisabeth Schulz-Semrau
- Maria Seidemann
- Waltraut Skoddow
- Martin Stade (aus politischen Gründen exmatrikuliert)
- Klaus Steinhaußen
- Hans-Jürgen Steinmann
- Rudi Strahl
- Manfred Streubel
- Gerti Tetzner
- Martin Viertel
- Ulrich Völkel
- Klaus Walther
- Fred Wander
- Hans Weber
- Walter Werner
Bekannte Studenten (DLL)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Linda Achberger (* 1992)
- Volker H. Altwasser (* 1969)
- Konstantin Ames (* 1979)
- Tobias Amslinger (* 1985)
- Nora Bossong (* 1982)
- Yevgeniy Breyger (* 1989)
- Sebastian Brock (* 1980)
- Jan Christophersen (* 1974)
- Jan Decker (* 1977)
- Jens Eisel (* 1980)
- Patrick Findeis (* 1975)
- Lucy Fricke (* 1974)
- Franziska Gerstenberg (* 1979)
- Constantin Göttfert (* 1979)
- Roman Graf (* 1978)
- Olga Grjasnowa (* 1984)
- Ariane Grundies (* 1979)
- Katharina Hartwell (* 1984)
- Martina Hefter (* 1965)
- Susanne Heinrich (* 1985)
- Kerstin Hensel (* 1961)
- Simone Hirth (* 1985)
- Tobias Hülswitt (* 1973)
- Ricarda Junge (* 1979)
- Lorenz Just (* 1983)
- Anna Kaleri (* 1974)
- Claudia Klischat (* 1970)
- Christopher Kloeble (* 1982)
- Oliver Kluck (* 1980)
- Petra Maria Kraxner (* 1982)
- Mareike Krügel (* 1977)
- Jan Kuhlbrodt (* 1966)
- Nadja Küchenmeister (* 1981)
- Norbert Lange (* 1978)
- Hanna Lemke (* 1981)
- Wolfram Lotz (* 1981)
- Enis Maci (* 1993)
- Kristof Magnusson (* 1976)
- Philip Meinhold (* 1971)
- Susanna Mewe (* 1981)
- Clemens Meyer (* 1977)
- Domenico Müllensiefen (* 1987)
- Frank Nicolai (* 1963)
- Claudius Nießen (* 1980)
- Maruan Paschen (* 1984)
- Thomas Pletzinger (* 1975)
- Thomas Podhostnik (* 1972)
- Steffen Popp (* 1978)
- Bertram Reinecke (* 1974)
- Ulrike Almut Sandig (* 1979)
- Saša Stanišić (* 1978)
- Anke Stelling (* 1971)
- Sarah Trilsch (* 1986)
- Florian Wacker (* 1980)
- Judith Zander (* 1980)
- Wolfgang Zander (* 1956)
- Juli Zeh (* 1974)
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Institut für Literatur „Johannes R. Becher“ (Hrsg.): Zwischenbericht. Notate und Bibliographie zum Institut für Literatur „Johannes R. Becher“, Leipzig. Bibliographisches Institut, Leipzig 1980 (Chronologie, Eröffnungsrede, Mitarbeiterverzeichnis, Absolventenverzeichnis mit deren Veröffentlichungslisten u. a.).
- Gerrit Bartels: Punkrock als Nährboden. In: Bella triste (ISSN 1618-1727), Jahrgang 2005, Nr. 12.
- Josef Haslinger, Hans-Ulrich Treichel (Hrsg.): Wie werde ich ein verdammt guter Schriftsteller? Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-518-12395-5.
- Michael Lentz (Hrsg.): Schreiben Lernen in Leipzig. Deutsches Literaturinstitut Leipzig. In: Akzente, Jahrgang 2007, Heft 2 (April 2007).
- Michael Lentz (Hrsg.): Neue Rundschau: Prosa Leipzig. Heft 1/2010. Fischer, Frankfurt am Main 2010.
- Petra Rantsch: Das Deutsche Literaturinstitut Leipzig. In: Das Leipziger Musikviertel. Verlag im Wissenschaftszentrum Leipzig, 1997, ISBN 3-930433-18-4, S. 90 ff.
- Sebastian Weirauch: Das Digitalisierungs- und Textarchivprojekt »Das Literaturinstitut der DDR 'Johannes R. Becher' von 1955–1993« – Ein Arbeitsbericht. In: Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 22 (2020), S. 109–116.
- Isabelle Lehn, Sascha Macht und Katja Stopka: Schreiben lernen im Sozialismus. Das Institut für Literatur „Johannes R. Becher“. Wallstein, Göttingen 2018, ISBN 978-3-8353-3232-4.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Deutsches Literaturinstitut Leipzig
- Universität Leipzig: Deutsches Literaturinstitut Leipzig
- Tippgemeinschaft – Jahresanthologie der Studierenden des DLL
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Michael Lentz: Vorwort. In: Neue Rundschau: Prosa Leipzig. Heft 1/2010. Fischer, Frankfurt am Main 2010, S. 9.
- ↑ Michael Opitz, Michael Hofmann: Metzler Lexikon DDR-Literatur: Autoren - Institutionen - Debatten. Springer-Verlag, 2009, ISBN 978-3-476-05222-3, S. 195.
- ↑ Ralph Grüneberger/Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik: Katalog zur Ausstellung „gegen den Strom“, 2004.
- ↑ Dozenten und Lehrende - Deutsches Literaturinstitut Leipzig. Abgerufen am 15. November 2020.
- ↑ Hans-Joachim Föller: Gestern IM, heute Redakteur beim MDR. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. Oktober 2000, Seite 51
- ↑ Isabelle Lehn, Sascha Macht, Katja Stopka: Schreiben lernen im Sozialismus: Das Institut für Literatur „Johannes R. Becher“, Wallstein-Verlag 2018
Koordinaten: 51° 20′ 1,7″ N, 12° 22′ 3″ O