Taurinivorans muris

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Taurinivorans muris

T. muris“ LT0009, FISH-Bildgebung

Systematik
Abteilung: Pseudomonadota
Klasse: Deltaproteobacteria
Ordnung: Desulfovibrionales
Familie: Desulfovibrionaceae
Gattung: „Taurinivorans“
Art: Taurinivorans muris
Wissenschaftlicher Name der Gattung
„Taurinivorans“
Ye et al. 2023[1]
Wissenschaftlicher Name der Art
„Taurinivorans muris“
Ye et al. 2023[1]

Taurinivorans muris ist der von Huimin Ye, Alexander Loy et al. 2023 vorgeschlagene Name für eine Spezies (Art) von Bakterien aus der Fa­milie Desulfovibrionaceae (Ordnung Desulfovibrionales) mit Referenz­stamm LT0009 (alias DSM 111569 oder JCM 34262).[1][2] Die (autori­tative) List of Prokaryotic names with Standing in Nomenclature (LPSN) hat sich diesem Vorschlag als „preferred name“ angeschlossen, allerdings liegt derzeit (Dezember 2023) noch keine gültige Veröffentlichung vor.[2][3]

In der Genome Taxonomy Database (GTDB) wird diese Spezies ab­wei­chend als Mailhella sp003512875 mit Referenzstamm UBA8003 der Schwestergattung „Mailhella“ zugewiesen[4][5][6][7][A. 1] Näheres siehe Systematik.

Die Taxonomie des National Center for Biotechnology Information (NCBI) führt „Taurinivorans muris“ (Stamm LT0009) unter der Bezeichnung De­sulfo­vibrionaceae bacterium LT0009 als Mitglied der Desulfo­vibrio­na­ceae ohne nähere Zuordnung;[8] der Stamm UBA8003 gilt dort als nicht-klassifiziertes Mitglied der Typusgattung Desulfovibrio dieser Familie.[9]

REM-Aufnahmen von „Ca. T. muris“ LT0009, Zellen mit unterschiedlicher Länge zeigend.

Der Bakterienstamm LT0009 (Ca. Taurinivorans muris) ist ein von Huimin Ye, Alexander Loy et al. im September 2023 bei Mäusen beschriebenes Darmbakterium, das sich ausschließlich von der Aminosulfonsäure Taurin[A. 2] ernährt und dabei Schwefel­wasser­stoff (H2S) produziert (ein sog. „Darmsulfidogen“). Es ist damit einer der wichtigsten Taurin­verwerter beim Menschen.[1]

LT0009 unterscheidet sich vom bekannten menschlichen Darmsulfidogen Bilophila wadsworthia durch seine speziellen Schwefelstoffwechselwege und sein Wirts­spektrum. Das Bakterium ist obligat auf Taurin angewiesen, ein Umstand, der für die vorgeschlagene Gattung namensgebend war. Das Bakterium hat offenbar eine Schutzfunktion gegen einige bedeutende bakteriellen Krankheitserreger, insbesondere aus den Gattungen Klebsiella und Salmonella.[1]

In der Leber werden neben anderen auch taurinhaltige Gallensäuren (sog. Taurin-konjugierte Gallensäuren, z. B. Taurocholsäure, englisch Taurocholic acid[10] und Taurochen-Desoxycholsäure, engl. Taurochenodeoxycholic acid[11]) produziert. Die Gallensäuren werden bei fettreicher Ernährung vermehrt in den Darm abgegeben, um unserem Körper bei der Fettverdauung zu helfen. Um im Darm genügend Taurin zu erhalten, benötigt das Bakterium LT0009 allerdings die Hilfe anderer Darmmikroben, die das in diesen Gallensäuren gebundene Taurin freisetzen.[A. 3] Die Aktivitäten der Bakterien im Darm beeinflussen wiederum den Gallensäurestoffwechsel in der Leber. Der Schutzmechanismus des Stamms LT0009 gegen Krankheitserreger könnte über Schwefelwasserstoff erfolgen, ist aber noch nicht vollständig geklärt.[1]

Geringe Mengen an Schwefelwasserstoff sind für eine Reihe physiologischer Prozesse unerlässlich und können sogar vor Krankheitserregern schützen. Daher können Schwefelwasserstoff produzierende Mikroben im Darm dazu beitragen, es aeroben (sauerstoffabhängigen) Krankheitserregern wie Klebsiella schwieriger zu machen, sich dort anzusiedeln. Niedrige mikromolare Konzentrationen von H2S im Darm wirken entzündungshemmend und tragen zum natürlichen Gleichgewicht (Homöostase) und zur Reparatur der Darmschleimhaut bei; es wirkt z. B. als Antioxidans in zellulären Redoxprozessen.[1]

Andererseits kann ein zu hoher Gehalt an H2S negative Folgen haben und wird mit Darmentzündungen (wie Appendizitis alias „Blinddarmentzündung“) und Schäden an der Darmschleimhaut in Verbindung gebracht.[A. 4] Insbesondere haben sulfidogene Bakterien, die entweder organische Schwefelverbindungen wie die „kanonische“ Aminocarbonsäure Cystein[A. 5] verstoffwechseln oder anaerob organische bzw. anorganische Schwefelverbindungen (wie Taurin, Sulfat, Sulfit oder Tetrathionat) im Darm „veratmen“, eine höhere H2S-Produktionskapazität und sind daher potenziell eher schädlich für ihre Wirte.[1]

Das Genom von LT0009 wurde von Ye, Loy et al. (2023) sequenziert und die von ihm kodierten Gene rekonstruiert. Das Genom hat eine Größe von 2,2 Mbp (Megabasenpaaren) bei einem G+C-Gehalt von 43,6 %. Es umfasst 2.059 proteinkodierende Gene, 56 tRNA-Gene, 4 rRNA-Operons (für die 5S-, 16S- und 23S-rRNA-Untereinheiten), 4 Pseudogene und 6 sonstige RNA-Gene.[1]

Die (autoritative) List of Prokaryotic names with Standing in Nomenclature (LPSN) unter­schei­det ebenso wie die Autoren Ye, Loy et al. (Sep­tem­ber 2023) die beiden (bisher nicht offiziell veröffentlichten, d. h. kultivierten) Gattungen „Mailhella“ und „Taurinivorans“. Die Typspezies sind „Mailhella massiliensis“ (Referenzstamm Marseille-P3299) respektive „Taurinivorans muris“ (Referenzstamm LT0009). Der Stamm UBA8003 wird von Ye, Loy et al. als weiterer Vertreter von „T. muris“ angesehen.[2][1]

Phylogenetischer Baum der Desulfovibrionaceae nach Ye, Loy et al. (2023), Fig. 1b;[1] mit Lawsonia, Bilophila, Mailhella, Taurinivorians, Nitratidesulfovibrio und Desulfovibrio.

Die Genome Taxonomy Database (GTDB) kennt dagegen nur die Gattung „Mailhella“ (Typspezies und Referenz­stamm wie oben), nicht aber „Taurinivorans“. Der Stamm LT0009 ist dort nicht bekannt, der Stamm UBA8003 wird aber als Referenz­stamm einer „Mailhella sp003512875“ genannten Spezies geführt. Offenbar betrachtet die GTDB „Taurinivorans“ als Junior-Synonym zum älteren Gattungs­namen „Mailhella“.[5][4] In der Tat zeigt Ye, Loy et al. (2023) Fig. 1b, dass der phylogenetische Abstand der beiden Gattungen in etwa so groß ist wie die Abstände innerhalb der Gattung Desulfovibrio, was die Synonymisierung in der GTDB unterstützt.[1]

Fig. 1b Ye, Loy et al. (2023) unterstützt auch die Zuordnung der Stämme LT0009 und UBA8003 zur selben Spezies.[1] Unter dieser Voraussetzung sind die Artbezeichnungen „Taurinivorans muris“ und „Mailhella sp003512875“ syno­nym (allerdings mit verschiedenen Referenzstämmen); als weiteres Synonym kommt dann die Bezeichnung Desulfovibrionaceae bacterium LT0009 aus der Taxonomie des National Center for Biotechnology Information (NCBI) hinzu.

Nach der Argumentation von Ye, Loy et al. (2023) bildet LT0009 mit anderen 16S-rRNA-Gensequenzen aus dem Darm von Mäusen und anderen Wirten eine monophyletische Linie auf Gattungsebene (mehr als 94,5 % Ähnlichkeit). Der Stamm hat aber weniger als 92 % Ähnlichkeit in den 16S-rRNA-Gensequenzen mit den am nächsten verwandten Stämmen Marseille-P3669 und Marseille-P3199 (Referenzstamm von „Mailhella massiliensis“), die aus menschlichen Fäkalien isoliert wurden.[1]

Unabhängig von diesen Detailfragen gibt es die übereinstimmende Ansicht, dass diese Spezies bzw. Stämme alle zur Familie Desulfovibrionaceae der Ordnung Desulfovibrionales gehören. Diese ist gemäß LPSN Mitglied der Klasse Delta­proteo­bacteria im Phylum Pseudomonadota (früher genannt Proteobakterien).[2] In der GTDB sind die Desulfovibrionales dagegen in einer eigenen Klasse Desulfovibrionia im Phylum Desulfobacterota angesiedelt,[4] und in der Taxonomie des NCBI werden die Desulfovibrionales ebenfalls in der Klasse Desulfovibrionia gesehen, das Phylum wird dort als Thermodesulfobacteriota (mit Synonym Desulfobacterota) bezeichnet.[8]

Die Unterscheidung der beiden Gattungen nach den Autoren Ye, Loy et al. (2023) sowie der (autoritativen) LPSN vorausgesetzt, ergibt sich für die nähere Verwandtschaft von „T. muris“ folgende Systematik (G=GTDB, L=LPSN, N=NCBI-Taxonomie, Y=Ye, Loy et al., 2023):

Ordnung Desulfovibrionales

  • Familie Desulfovibrionaceae
    • Gattung Desulfovibrio (Typusgattung)
    • Gattung Bilophila
    • Gattung „Mailhella“ Ndongo et al. 2017 (L,Y)[13]
      • Spezies „Candidatus Mailhella excrementigallinarum“ Gilroy et al. 2021(G,L)
        • Stamm BRZ_DA__bin33(G,L) (Referenz),(G)
        • Stamm 708(L,N) (Referenz)(L)
        • Stämme SRS10476986__bin117; dsm_us_coassembly__bin107;(N) CIM:MAG 900;(G)
      • Spezies „Mailhella massiliensis“ Ndongo et al. 2017 (Typusart)(G,L,Y,N)[13]
        • Stamm: Marseille-P3199 alias Marseille P3199, LT598584 oder CSUR:P3199 (Referenz, GCA_900155525.1)(G,L,Y)[14]
        • Stämme C2_bin.20.fa; E11__bin9(G,N)
      • Spezies „Mailhella massiliensis_A“ (abgetrennt)(G)
        • Stamm ChiGjej2B2-19336(G,N) (Referenz(G))
      • Spezies „Candidatus Mailhella merdavium“ Gilroy et al. 2021(L,N)
        • Stamm ChiBcec6-11642 (Referenze)(G,L,N)
        • Stämme S4_Bin8;[A. 6] E0_DP__bin128; …(G,N)
        • Stämme ERR4316493_bin.41_MetaWRAP_v1.3_MAG, …(N)
      • Spezies „Candidatus Mailhella merdigallinarum“ Gilroy et al. 2021(G,L,N)
        • Stamm CHK186-16707(G,L,N) (Referenz)(L)
        • Stamm UMGS344 (Referenz)(G,N)[A. 7]
        • Stämme CIM:MAG 1040, …(G,N)[A. 8] (QAKC00000000.1)(N)
        • Stämme dsm_us_coassembly__bin73, … (N)
      • Spezies „Mailhella sp. Marseille-Q3435“(N)
        • Stamm Marseille-Q3435 (Referenz, MT799857.1)(N) – nicht in der GTDB
      • Stämme/Isolate ohne Zuordnung zu einer Spezies
        • Stamm 2A-dyr16-07-101205.6, Maus-single-MAG, China(Y,N) (CASIYV000000000.1)(N)
        • Stamm SRR7691169.24, Maus-extra-MAG(Y)
    • Gattung Taurinivorans Ye et al. 2023(L,Y)
      • Spezies Taurinivorans muris Ye et al. 2023(L,Y) synonym Mailhella sp003512875“,(G) inkl. De­sulfo­vibrionaceae bacterium LT0009(N)
        • Stamm LT0009 (L,Y) alias JCM 34262(L) oder DSM 111569(L) (Referenz,(L,Y) CP065938.1(N))
        • Stamm UBA8003(G,Y) Maus-MAG (Referenz, GCA_003512875.1)(G)
        • Stamm SRR4116659.59, Maus-extra-MAG(Y)
        • Stämme RACS_020(G) (WSMI00000000.1);(N) MGBC110404(G) (CAJTRX000000000.1)(N)
      • Spezies „Desulfovibrionaceae bacterium Marseille-P3669(N)[15]
        • Stamm Marseille-P3669 (LT725664.1)(N)
      • ohne Zuordnung zu einer Spezies
        • Stamm SRR4116662.45, Maus-extra-MAG(Y)
        • Stamm D-Fe10-120416.2, Maus-single-MAG, China(Y)
    • Gattung Lawsonia

Die in Klammern angegebenen Nummern beziehen sich auf die Genbank (NCBI Nucleotide)[16] und GTDB Taxonomy Database.[17]

  1. Offenbar gilt in der GTDB die Gattungsbezeichnung „Taurinivorans“ als ein Synonym von „Mailhella
  2. Aminosulfonsäuren sind Aminosäuren, die statt der gewöhnlichen Aminocarbonsäuren eine Sulfonsäure- statt der üblichen Carbonsäure-Gruppe haben.
  3. Unter den mauseigenen Darmbakterien, die Taurin per Hydrolyse aus Taurin-konjugierten Gallensäuren freisetzen können, wurden u. a. folgende Stämme identifiziert: Enterococcus faecalis KB1, Bacteroides caecimuris I48 und Muribaculum intestinale YL27. Sie besitzen das dafür nötige Enzym Gallensalzhydrolase (englisch bile salt hydrolase, BSH[12]), dass dem Stamm LT0009 selbst fehlt.[1]
  4. Zu den potentiell negativen Folgen eines Übermaßes von H2S im Darm siehe auch Bilophila wadsworthia.
  5. Aminocarbonsäuren, die im Genetischen Code kodiert sind, nennt man kanonisch. Sie sind in der Regel im Verdauungstrakt als Ergebnis der Proteolyse reichlich vorhanden.
  6. In der NCBI-Taxonomie zu den Pseudomonadota ohne nähere Zuordnung
  7. In der NCBI-Taxonomie zur Gattung Desulfovibrio
  8. In der NCBI-Taxonomie zu den Desulfovibrionaceae ohne nähere Zuordnung

Einzelnachweise

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  1. a b c d e f g h i j k l m n o Huimin Ye et al.: Ecophysiology and interactions of a taurine-respiring bacterium in the mouse gut. In: Nature Communications, Band 14, 18. September 2023, S. 5533; doi:10.1038/s41467-023-41008-z (englisch). Siehe insbes. Fig. 1. Dazu:
  2. a b c d LPSN: Species "Taurinivorans muris" Ye et al. 2023, Type strain: DSM 111569; JCM 34262; LT0009.
  3. DSMZ: Taurinivorans muris DSM 111569, alias LT0009; JCM 34262.
  4. a b c GTDB: s__Mailhella sp003512875, Details: GCA_003512875.1: Mailhella sp003512875, NCBI strain identifiers: UBA8003.
  5. a b GTDB: Mailhella (gen.).
  6. LPSN: Genus "Mailhella" Ndongo et al. 2017, Type species: "Mailhella massiliensis" Ndongo et al. 2017, Tyape strain: LT598584; Marseille P3199.
  7. NCBI Taxonomy Browser: "Mailhella" Ndongo et al. 2017 (genus).
  8. a b NCBI Taxonomy Browser: Search: Taurinivorans muris führt auf: Desulfovibrionaceae bacterium LT0009 (species), mit Nucleotide: txid2787751[Organism:noexp]: Genbank CP065938.1 und MW258658.1.
  9. NCBI Taxonomy Browser: MAG TPA_asm: Desulfovibrio sp. isolate UBA8003, whole genome shotgun sequencing project. Organism: Desulfovibrio sp.
  10. CAS:81-24-3; CSID:6423 Taurocholic acid. Auf: ChemSpider.
  11. CAS:516-35-8; CSID:343282 Taurochenodeoxycholic acid. Auf: ChemSpider.
  12. Baylee J. Russell et al.: Intestinal transgene delivery with native E. coli chassis allows persistent physiological changes. In: Cell, 4. August 2022, doi:10.1016/j.cell.2022.06.050 (englisch). Dazu:
  13. a b Sokhna Ndongo, Didier Raoult et al.: Collinsella phocaeensis’ sp. nov., ‘Clostridium merdae’ sp. nov., ‘Sutterella massiliensis’ sp. nov., ‘Sutturella timonensis’ sp. nov., ‘Enorma phocaeensis’ sp. nov., ‘Mailhella massiliensis’ gen. nov., sp. nov., ‘Mordavella massiliensis’ gen. nov., sp. nov. and ‘Massiliprevotella massiliensis’ gen. nov., sp. nov., 9 new species isolated from fresh stool samples of healthy French patients. In: New Microbes and New Infections, Band 17, Mai 2017, S. 89-95; doi:10.1016/j.nmni.2017.02.00 (englisch).
  14. GTDB GCF_900155525.1: Mailhella massiliensis, NCBI strain identifiers Marseille-P3199.
  15. NCBI Taxonomy Browser: Desulfovibrionaceae bacterium Marseille-P3669 (species); Nucleotide: Desulfovibrionaceae bacterium Marseille-P3669 partial 16S rRNA gene, strain Marseille-P3669, GenBank: LT725664.1.
  16. NCBI Nucleotide: Search.
  17. GTDB: Welcome. Genome Taxonomy Datavase, University of Queensland, Australia.
  1. FEMSmicroBlog: New bacteria discovered in 2023]