Megachurch

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Show über das Leben von Jesus in der Igreja da Cidade, die der Brasilianischen Baptistenkonvention angeschlossen ist, in São José dos Campos, Brasilien, 2017
Lakewood Church, ein umgebautes Stadion, mit 16.800 Plätzen für über 40.000 Mitglieder und Gottesdiensten in Englisch und Spanisch.

Mit Megachurch (griechisch μέγας „mégas“, „groß“ und englisch church‚ „Kirche“) wird, insbesondere in den Vereinigten Staaten, eine evangelikal-protestantische Einzelgemeinde bzw. Kirchengemeinde mit wöchentlich mindestens 2000 Besuchern bezeichnet.[1][2][3] Als erste Megachurch gilt die Yoido Full Gospel Church in Südkorea.[4]

Die Ausbreitung der Megakirchen hat seit den 1970ern ein großes Wachstum erfahren, sodass die Anzahl der Gemeinden mit über 2000 Besuchern in den USA seit 1984 von circa 70 Gemeinden auf über 1700 im Jahr 2012 angewachsen ist.[5][6][7] Die Größte stellt hierbei die Lakewood Church in Texas dar, die wöchentlich von 43.000 Gläubigen besucht wird. Das Phänomen sehr großer Einzelgemeinden ist jedoch nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt, sondern breitet sich seit den 1980ern in Lateinamerika, Afrika und Südostasien aus.[8] Außerhalb der USA befinden sich im Jahr 2018 die meisten Megakirchen in Kenia (43), China (41), Korea (38) und Nigeria (33). Neben der Yoido Full Gospel Church in Südkorea mit 480.000 wöchentlichen Besuchern zählen die Calvary Temple Church in Indien (190.000 Besucher) und die Bethany Church of God in Indonesien (140.000 Besucher) zu den größten Megakirchen weltweit.[9]

Struktur der Megachurches

In den Vereinigten Staaten gab es 2005 über 1200 Kirchen, die wöchentlich im Durchschnitt über 2000 Gottesdienstbesucher haben, im Durchschnitt aller Megachurches sind es an die 4000. Die meisten Megachurches haben ein Kirchengebäude, in dem 2000 bis 8000 Besucher Platz finden, und in der Regel halten sie jedes Wochenende mehrere Gottesdienste ab, so dass die Besucherzahlen wesentlich größer sein können als die Anzahl der Plätze im Kirchengebäude. Die größte amerikanische Megachurch hat durchschnittlich über 40.000 Gottesdienstbesucher. Über 60 % der Megakirchen sind über verschiedene Standorte verteilt (sog. multi-site churches), so zum Beispiel auch die Life.Church mit über 30 Standorten.[10] Es gibt in den meisten amerikanischen Staaten Megachurches, aber die Mehrheit ist in Kalifornien, Texas, Florida und Georgia zu finden. Theologisch sind Megachurches in der Regel evangelikal, etwa ein Viertel tendiert zum Prosperity Gospel (deutsch: Wohlstandsevangelium). 40 % der Gemeinden sind non-denominational,[11] während der restliche Anteil mehr oder weniger eng an eine Denomination gebunden ist, darunter am häufigsten an baptistische Kirchen.[12]

In der Regel wird eine Megachurch von einem Senior Pastor geführt, der beim Wachstum der Kirche eine Schlüsselfigur ist. Dieser zeichnet sich meistens durch eine hohe Popularität aus und besitzt u. a. Eigenschaften wie Medientauglichkeit und Redegewandtheit.[13] Der Senior Pastor repräsentiert die Identität der Gemeinde und ist außerdem für die Begeisterung der Gläubigen verantwortlich.[14] Er übernimmt die Leitung und Organisation der Gemeinde und wird von einem Team aus sowohl haupt- und nebenberuflichen Co-Pastoren und Mitarbeitenden (durchschnittlich 75 Personen) als auch Hunderten von Freiwilligen unterstützt.[15]

Die Besucher der Gottesdienste bestehen aus folgenden Gruppen: Einerseits aus den formalen Mitgliedern der Gemeinde (members), von welchen ein Minimum an Spenden oder anderweitigem Engagement erwartet wird. Andererseits setzt sich das Publikum aus sogenannten attenders (Besucher, die keine Mitglieder sind) und unchurched people (Kirchenfernen) zusammen. Diese Gruppen nehmen eher unregelmäßig an den Gottesdiensten teil und stellen die Hauptzielgruppe der Megakirchen dar. Sie sollen durch spezifische Angebote zu einer Mitgliedschaft und freiwilligem Engagement bewegt werden.[16] Diese Ausrichtung der Megakirchen kann, wird der Einteilung von Max Weber gefolgt, als Verknüpfung der Elemente von sowohl religiösen Sekten als auch Kirchen interpretiert werden. Einerseits streben sie die Mobilisierung möglichst vieler Personen an und lassen dementsprechend schwache Bindungen zu. Andererseits verstehen sie sich selbst als religiöses Trainingslager, in welchem die Gläubigen in ihrer persönlichen Bindung gestärkt werden sollen. Durch die organisatorisch funktionale Verknüpfung der Elemente aus Kirche und Sekte erlaubt das Organisationsmodell der Megakirchen unterschiedliche Formen der Bindung, sodass sie ein möglichst breites Publikum ansprechen können.[17][18]

Die angestrebte Einbindung erfolgt, im Unterschied zu "normalen Kirchen", durch die Orientierung an den persönlichen Bedürfnissen der Gläubigen. Die einzelne Person wird mit ihrer Individualität in den Mittelpunkt gestellt, das Wissen über religiöse Traditionen und Rituale spielt hierbei eher eine geringe Rolle. Stattdessen wird die persönliche Erfahrung von Gott betont, es kann also von einer Subjektivierung der Religiosität gesprochen werden.[19] Der Gestaltung des Gottesdienstes kommt dementsprechend eine besondere Rolle zu, da diese sowohl einzigartige Erlebnisse als auch ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen soll.[20] Die umfangreiche technische Ausstattung wie Konzertbühne, Multimedia-Technik sowie professionelle Licht- und Tontechnik erinnern an die Ausstattung von Pop- oder Rockkonzerten.[21]

Neben den Gottesdiensten bieten die Megakirchen, abhängig von ihrer organisationalen Ausrichtung, verschiedene religiöse Kleingruppen, Freizeit-, Sport und Serviceangebote an, bspw. in Form von Jugendgruppen, Fitnessstudios oder Autoreparaturen.[22][23] Circa 30 % verfügen darüber hinaus über einen Online Campus, welcher Livestreams der Gottesdienste, Chats zum gemeinsamen Gebet, Online-Seelsorge und vieles mehr beinhaltet.[24]

Kritik

Megachurches werden aus verschiedenen Gründen kritisiert, sowohl aus nichtkirchlicher Motivation als auch von den Anhängern anderer Kirchenformen. In diesem Zusammenhang fällt oft der polemische Begriff McChurch. Der baptistische Pastor David Platt spricht von erfolgreichen Gemeinden in einer unterhaltungsgesteuerten Kultur, die eine gute Show und ein erstklassiges Programm durch Profis in teuren Gebäuden brauchen.[25] Der Großteil der nordamerikanischen Gottesdienstbesucher sind in kleineren Gemeinden, oft mit weniger als 200 Mitgliedern, anzutreffen. Nach ihrem Eindruck bieten die Megachurches einen sterilen, massenproduzierten und unpersönlichen Ablauf, der mit dem Fastfood von McDonald’s zu vergleichen ist. Kritiker behaupten, dass mit Betonung der Darstellung und Bühnentechnik im Gottesdienstablauf es mehr um Unterhaltung als um Gottesverehrung und Verkündigung des Evangeliums gehe.[26][27] Al Sharpton hat auch die Behauptung erhoben, diese Kirchen würden sich nur auf Themen der persönlichen Moral beschränken, und ihre Berufung zur Förderung der sozialen Gerechtigkeit außer Acht lassen.[28] Im Spiegel wurden Megakirchen als „Wohlfühltempel mit Unterhaltungsprogramm“ bezeichnet.[29]

Das von Arman Danesh und Ethan Olinga initiierte Projekt JesusJets veröffentlicht das Flugverhalten ausgewählter Vertreter von Megachurches und stellt den Privatflügen Schätzungen der verbundenen CO2-Emissionen anbei.[30]

Beispiele

Vereinigte Staaten

International

Evangelikale Großkirchen im deutschsprachigen Raum

Literatur

  • Thomas Kern, Insa Pruisken: Kontingenzbewältigung durch Organisation. Das Wachstum der Megakirchen in den USA, in: Heidemarie Winkel und Kornelia Sammet (Hg.): Religion soziologisch denken. Reflexionen auf aktuelle Entwicklungen in Theorie und Empirie, Wiesbaden: Springer VS, 2017, S. 407–427.
  • Thomas Kern, Insa Pruisken: Was ist ein religiöser Markt? Zum Wandel der religiösen Konkurrenz in den USA. In: Zeitschrift für Soziologie. Band 47, 2018, S. 29–45.
  • Thomas Kern, Uwe Schimank: Megakirchen als religiöse Organisationen: Ein dritter Gemeindetyp jenseits von Sekte und Kirche? In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Band 65, Supplement 1, Dezember 2013, S. 285–309.

Einzelnachweise

  1. Kern, Thomas und Pruisken, Insa: Was ist ein religiöser Markt? Zum Wandel religiöser Konkurrenz in den USA, in: Zeitschrift für Soziologie, 2018, S. 30.
  2. Thumma, Scott und Travis, Dave: Beyond Megachurch Myths. What We Can Learn From America’s Largest Churches, San Francisco 2007
  3. http://hirr.hartsem.edu/megachurch/definition.html
  4. Kern, Thomas: Mega-Kirchen in Südkorea. Eine Fallstudie am Beispiel der Yoido Full Gospel Church, in Korea 2002. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Hrsg. Patrick Köllner, S. 165–196. Hamburg: Institut für Asienkunde, 2002, S. 166.
  5. Chaves, Mark: All creatures great and small: Megachurches in context, in: Review of Religious Research, 2006, 47:329–346
  6. Thumma, Scott und Travis, Dave: Beyond Megachurch Myths. What We Can Learn From America’s Largest Churches, San Francisco 2007, S. 6–7
  7. Thumma, Scott und Bird, Warren: A New Decade of Megachurches: 2011 Profile of Large Attendance Churches in the United States. 2012, S. 1
  8. Kern, Thomas: Das andere Wachstumswunder: Protestantische Kirchen in Südkorea, Zeitschrift für Soziologie, 2001, 30:341–361
  9. http://leadnet.org/world
  10. https://www.life.church/locations/
  11. Bird, Warren und Thumma, Scott: Recent Shifts in America’s Largest Protestant Churches: Megachurches 2015 Report, Dallas & Hartford: Leadership Network & Hartford Seminary, 2015, S. 10
  12. http://hirr.hartsem.edu/megachurch/definition.html
  13. Kern, Thomas und Schimank, Uwe: Megakirchen als religiöse Organisationen: Ein dritter Gemeindetyp jenseits von Sekte und Kirche? In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Band 65, Supplement 1, Dezember 2013, S. 301
  14. Thumma, Scott und Travis, Dave: Beyond Megachurch Myths. What We Can Learn From America’s Largest Churches, San Francisco 2007, S. 62–69
  15. Thumma, Scott und Bird, Warren: A New Decade of Megachurches, 2011; Profile of Large Attendance Churches in the United States, 2012, S. 11
  16. Kern, Thomas und Pruisken, Insa: Kontingenzbewältigung durch Organisation, in: Heidemarie Winkel und Kornelia Sammet (Hg.): Religion soziologisch denken. Reflexionen auf aktuelle Entwicklungen in Theorie und Empirie, Wiesbaden: Springer VS, 2017, S. 417
  17. Kern, Thomas und Schimank, Uwe: Megakirchen als religiöse Organisationen: Ein dritter Gemeindetyp jenseits von Sekte und Kirche? In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Band 65, Supplement 1, Dezember 2013
  18. Kern, Thomas und Pruisken, Insa: Kontingenzbewältigung durch Organisation, in: Heidemarie Winkel und Kornelia Sammet (Hg.): Religion soziologisch denken. Reflexionen auf aktuelle Entwicklungen in Theorie und Empirie, Wiesbaden: Springer VS, 2017 S. 407–427.
  19. Knoblauch, Hubert: Populäre Religion. Auf dem Weg in eine spirituelle Gesellschaft, Frankfurt am Main: Campus, 2019, S. 93
  20. Gebhardt, Winfried: Feste, Feiern und Events. Zur Soziologie des Außergewöhnlichen, in: Winfried Gebhardt, Ronald Hitzler & Michaela Pfadenhauer (Hrsg.): Events. Soziologie des Außergewöhnlichen, Opladen: Leske & Budrich, 2000, S. 18–22
  21. Marie-Astrid Langer: Jesus Christus, Amerikas Superstar. Mit Pop-Musik und Videoinstallationen ziehen "Megachurches" Zehntausende von Gläubigen an, NZZ, Zürich 27. Juli 2019, S. 5
  22. Kern, Thomas und Schimank, Uwe: Megakirchen als religiöse Organisationen: Ein dritter Gemeindetyp jenseits von Sekte und Kirche? In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Band 65, Supplement 1, Dezember 2013, S. 299
  23. Kern, Thomas und Pruisken, Insa: Kontingenzbewältigung durch Organisation. In: Heidemarie Winkel und Kornelia Sammet (Hg.): Religion soziologisch denken. Reflexionen auf aktuelle Entwicklungen in Theorie und Empirie, Wiesbaden: Springer VS, 2017, S. 415.
  24. Bird, Warren und Thumma, Scott: Recent Shifts in America’s Largest Protestant Churches: Megachurches 2015 Report. Dallas & Hartford: Leadership Network & Hartford Seminary, 2015
  25. David Platt: Keine Kompromisse. Jesus nachfolgen - um jeden Preis, Frontiers, Meinersen 2017, S. 50
  26. Christina Littlefield: Long reach of a big church. Archiviert vom Original am 16. Oktober 2006; abgerufen am 5. November 2006.
  27. Julia Biard: The good and bad of religion-lite. Abgerufen am 5. November 2006.
  28. Black Leaders Blast Megachurches, Say They Ignore Social Justice (Memento des Originals vom 3. Dezember 2008 im Internet Archive), Associated Press, 6. Dezember 2005. Abgerufen am 5. November 2006 
  29. Susanne Weingarten: Karaoke für Christus. In: SPIEGEL special. Nr. 9, 21. November 2006, S. 30: „Die Megachurches in den USA sind riesige Wohlfühltempel mit Unterhaltungsprogramm. Bisher wüteten die Priester gern gegen Schwule, Feminismus und Abtreibung. Doch viele, vor allem jüngere Evangelikale, mögen das nicht mehr und wollen sich lieber für Afrika und den Klimaschutz engagieren.“
  30. JesusJets (@JesusJets@lumberjacks.social). In: Mastodon. Abgerufen am 3. Juni 2024.
  31. http://cccinfo.org/
  32. Gateway Church: Gateway Church 2016 Annual Report. Gateway Church, 27. Februar 2016, abgerufen am 7. Juli 2017 (englisch).
  33. Website von Life.church
  34. Johanna Scabell: Gottesdienst im Backstage. Hillsong – Moderne Hipster-Kirche oder konservative Sekte? Website m945.de, 17. März 2020 (abgerufen am 3. April 2022)
  35. Die grössten christlichen Gemeinden der Welt sind evangelikal. Eine Untersuchung ergab, dass fast alle zum charismatisch-pfingstkirchlichen Flügel gehören. Idea Spektrum, Liestal 4. Mai 2016, Seite 21
  36. Aufbruch Verlag: Wolfhard Margies. Aufbruch Verlag, 2015, abgerufen am 7. Juli 2017.