Micha Brumlik

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Micha Brumlik bei der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille (2016)

Micha Brumlik (* 4. November 1947 in Davos) ist ein deutscher Erziehungswissenschaftler und Publizist. Er wurde als Kind deutscher jüdischer Eltern in der Schweiz geboren und lebt seit 1952 in Deutschland. Er ist emeritierter Professor am Fachbereich Erziehungswissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main.[1] Als Publizist und Gastautor diverser Zeitungen veröffentlichte er Sachbücher, Essays und Artikel zur Geschichte des Judentums und zu zeitgenössischen jüdischen Themen.

Micha Brumlik wurde als Sohn von Josef[2] und Recha Brumlik, die vor dem Nationalsozialismus in die Schweiz geflüchtet waren, geboren. Sein Vater war in der zionistischen Jugendbewegung aktiv gewesen und arbeitete zeit seines Lebens für verschiedene zionistische Organisationen, ohne selbst jemals in Israel gewesen zu sein.[3] 1953 siedelte die Familie nach Frankfurt am Main über, wo Micha Brumlik das Lessing-Gymnasium besuchte. Von 1959 bis 1967 war er Mitglied einer zionistischen Jugendorganisation.[4] Nach dem Abitur 1967 verbrachte Brumlik zwei Jahre in Israel. Er studierte Philosophie und arbeitete in einem Kibbuz. Israel erlebte er als „imperialistisches Land“ und wurde deswegen zum „Antizionisten“.[5] 1968 trat er dort der linksradikalen Organisation Matzpen bei.[6] Nach seiner Rückkehr nach Deutschland studierte er Pädagogik, Philosophie und Soziologie in Frankfurt am Main. 1973 schloss er das Studium mit einem Diplom in Sozialpädagogik ab. Danach war er wissenschaftlicher Assistent der Pädagogik an den Universitäten Göttingen und Mainz, promovierte 1977 im Fach Philosophie und wurde im selben Jahr Assistenzprofessor in Hamburg.[7]

Von 1981 bis 2000 hielt er die Professur für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Sozialpädagogik an der Universität Heidelberg.

Brumlik war in Deutschland zunächst im Sozialistischen Büro und in der Frankfurter Gruppe der Föderation Neue Linke politisch aktiv,[8] später als Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und als Frankfurter Stadtverordneter von 1989 bis 2001.[9]

In der ersten Hälfte der 1980er Jahre bildete Brumlik gemeinsam mit weiteren kritischen Intellektuellen wie Dan Diner und Cilly Kugelmann die „Jüdische Gruppe Frankfurt“, die sich von konservativen Positionen der Jüdischen Gemeinde abgrenzte und die Zeitschrift Babylon gründete.[10] Insbesondere im Kontext des Libanonkriegs 1982 bezog die Gruppe eindeutig Stellung gegen die Politik Israels gegenüber den Palästinensern und provozierte so deutschlandweit heftige innerjüdische Diskussionen.[11] In den achtziger Jahren revidierte er, gefördert durch eine Analyse bei einem Psychoanalytiker aus Israel, seine Haltung zum Staat Israel und zur Bedeutung des Zionismus für das Judentum erneut.[12] Seit dieser Zeit kritisiert er antisemitische Denkmuster in der politischen Kultur Deutschlands, besonders in der Linken. Anfang 1991 trat er aus der Partei der Grünen wegen deren Ablehnung von Waffenlieferungen an Israel aus.[13]

Im Jahr 2000 übernahm er eine Professur am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt „Theorie der Erziehung und Bildung“.[14] Von 2000 bis 2005 war er der Leiter des Fritz Bauer Instituts, eines Studien- und Dokumentationszentrums zur Geschichte und Wirkung des Holocaust.[15] Im Februar 2013 wurde Brumlik pensioniert.[1]

Im Sommer 2013 war er Gastprofessor am Dartmouth College. Seit Oktober 2013 ist Brumlik Senior Advisor am Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg und seit 2017 Seniorprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.[16][17][18]

Brumlik ist Mitherausgeber der politisch-wissenschaftlichen Monatszeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik, des Periodikums Babylon – Beiträge zur jüdischen Gegenwart und des Magazins Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart. Er war Vorsitzender der AG Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. Er kritisierte im Februar 2008 die Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte für die Juden innerhalb der tridentinischen Messe und sagte seine Teilnahme am 97. Deutschen Katholikentag, der im Mai 2008 in Osnabrück stattfand, ab.[19]

Er teilt sich mit weiteren prominenten Persönlichkeiten die Schirmherrschaft des 2014 gegründeten Vereins „Neuer Israel Fonds Deutschland“, der die Arbeit des New Israel Fund (NIF) zur Förderung von Zivilgesellschaft und Demokratie in Israel unterstützt.[20]

Brumlik gehört zu den Unterzeichnern der Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus, die eine Neudefinition und Präzisierung des Antisemitismusbegriffs vornimmt.[21]

Seit Dezember 2022 ist Brumlik Mitglied im PEN Berlin.[22]

Werke (Bücher; Auswahl)

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Zeitschriften (Herausgeberschaft)

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  • Anna Corsten: Jewish Left-Wing Intellectuals in Postwar Germany: The Case of Micha Brumlik and the Israeli Palestinian Conflict Between Antisemistism and Anti-Zionism. In: Alessandra Tarquini (Hrsg.): The European Left and the Jewish question, 1848–1992, between Zionism and antisemitism. Palgrave Macmillan, Cham 2021, ISBN 978-3-030-56661-6, S. 263–282.
  • Micha Brumlik, Doron Kiesel: Die jüdische Jugendbewegung Eine Geschichte von Aufbruch und Erneuerung. 1. Auflage. Hentrich & Hentrich, Zentralrat der Juden in Deutschland, Leipzig 2021, ISBN 978-3-95565-467-2.
Commons: Micha Brumlik – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Kontroverse Micha Brumlik / Rolf Verleger

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Andere Veröffentlichungen

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Einzelnachweise

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  1. a b Micha Brumlik: Das vulnerable Kind (Memento vom 28. Februar 2013 im Internet Archive) (PDF; 327 kB), Abschiedsvorlesung Februar 2013
  2. Brumlik, Josef, in: Hermann Schröter (Hrsg.): Geschichte und Schicksal der Essener Juden: Gedenkbuch für die jüdischen Mitbürger der Stadt Essen. Essen 1980, S. 496.
  3. Micha Brumlik: Kein Weg als Deutscher und Jude, S. 61.
  4. Micha Brumlik: Kein Weg als Deutscher und Jude, S. 35–39.
  5. Micha Brumlik: Kein Weg als Deutscher und Jude, S. 73–75.
  6. Micha Brumlik: Kompass einer Jugend. In: taz.de. taz Verlags u. Vertriebs GmbH, 5. Juli 2017, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 5. Juli 2017; abgerufen am 5. Juli 2017.
  7. Micha Brumlik, Homepage, Vita
  8. Micha Brumlik: Terror und Quellenkritik, in: Jungle World vom 21. Juni 2017, abgerufen am 25. Februar 2018
  9. Vita at Micha Brumlik, Publizist und Autor. 28. März 2019, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 28. März 2019; abgerufen am 28. März 2019.
  10. Michael Brenner: 1980: Gründung der »Jüdischen Gruppe Frankfurt«. In: Jüdische Allgemeine vom 4. Juli 2013, abgerufen am 7. März 2018
  11. Lutz Fiedler: Matzpen: Eine andere israelische Geschichte. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 2017, S. 354
  12. Micha Brumlik: Kein Weg als Deutscher und Jude, S. 146 f.
  13. Micha Brumlik: Auf Waffenlosigkeit zu beharren, ist böswillig. Ein unwiderruflicher Parteiaustritt, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 3. Februar 1991.
  14. seine Seite in der Universität
  15. Fritz Bauer – Eine persönliche Erinnerung (Memento vom 29. März 2019 im Internet Archive)
  16. Vita at Micha Brumlik, Publizist und Autor. 2. Februar 2019, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 2. Februar 2019; abgerufen am 2. Februar 2019.
  17. Fellows • Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg. 2. Februar 2019, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 2. Februar 2019; abgerufen am 2. Februar 2019.
  18. Goethe-Universität —. 2. Februar 2019, abgerufen am 2. Februar 2019.
  19. Auch Micha Brumlik sagt Teilnahme am Katholikentag ab epd (Memento vom 14. März 2009 im Internet Archive)
  20. Unser Team. Webseite des NIF Deutschland, abgerufen am 15. März 2018
  21. The Jerusalem Declaration On Antisemitism
  22. Mitglieder. PEN Berlin, abgerufen am 16. Dezember 2022.
  23. Hermann-Cohen-Medaille für Jüdische Kulturphilosophie, abgerufen am 20. März 2016
  24. Verleihung durch den Dachverband des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (DKR) bei der zentralen Eröffnungsfeier der Woche der Brüderlichkeit in Hannover am 6. März 2016.
  25. Kasseler Rosenzweig-Professur an den Philosophen Micha Brumlik (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive)