Midgard
Midgard ist eine germanische Bezeichnung für die Welt oder die Erde.[1] Das Wort ist in dieser oder ähnlicher Bedeutung als gotisch midjungards, altnordisch miðgarðr, altenglisch middangeard, altsächsisch middilgard und althochdeutsch mittil(a)gart überliefert und wurde sowohl in sakraler als auch profaner Sprache verwendet.[2] Midgard, wörtlich „Mittelhof“ oder „Mittelgarten“[3], meint dabei genau genommen den Wohnort der Menschen in der Mitte der Welt.[4] Die Götter (Asen) leben in Asgard.
Im Gegensatz zum vertikalen Weltbild des Weltenbaums Yggdrasil beschreiben in der nordischen Vorstellungswelt Miðgarðr (west) und Útgarðr (ost) als zwei aufeinander bezogene Pole ein horizontales, kreisförmiges Weltbild. Dies entspricht der Siedlungsstruktur des Nordens bis in die Zeit der industriellen Revolution hinein, in der das Bauerngehöft den Mittelpunkt der Welt bildet.[5]
Das Grundwort garðr, das im mittelalterlichen Skandinavien hauptsächlich für „Bauernhof“ stand, bedeutete jedoch ursprünglich eine Einfriedung, einen Grenzwall oder -zaun, wodurch die Welt in zwei gegensätzliche Bereiche aufgeteilt wird: in ein Innen und in ein Außen.[6] Das umfriedete Innere ist dabei der Lebensbereich des Menschen, in dem unter dem Schutz der Götter Kultur möglich wird, während im Außen die Dämonen und Riesen leben.[7]
In der eddischen Literatur ist somit Miðgarðr nicht nur die Welt der Menschen, sondern auch die der Götter.[8] Miðgarðr wird von den Göttern erschaffen, die sich darin ihre Burg Ásgarðr bauen. Danach weisen sie Miðgarðr den ersten Menschen Askr und Embla als Wohnort zu. Verschiedentlich wird mit Miðgarðr aber offenbar auch der Wall oder Zaun bezeichnet, der die Welt der Menschen vor den Riesen schützt.[9]
Rezeption in der Neuzeit
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]J. R. R. Tolkien bezeichnete in seinem Werk Der Herr der Ringe, das stark von der germanischen Mythologie und dem Beowulf beeinflusst ist, die Welt vergleichbar zu Midgard als Mittelerde. Der deutsche Autor Wolfgang Hohlbein nannte einen seiner Romane, in dem er Bestandteile der nordischen Mythologie frei verwertete, Midgard.
Joel Primack und Nancy Ellen verwenden midgard in ihrer zeitgenössischen Kosmologie The View from the Center of the Universe als Begriff, um die Stellung des Menschen im Universum zu verdeutlichen. Der Mensch als Mittler zwischen Makro- und Mikrokosmos habe dabei die Aufgabe, diesen Zusammenhang mit seinem Bewusstsein zu erschließen.
Willibald Hentschel gab seinen Menschenzuchtplänen den Namen Mittgart.[10] Um Hentschel als Gründer herum gab es einen „Mittgart-Bund“ und „Mittgartsiedlungen“ zur Menschenzüchtung.[11]
Ein weiterer völkischer Verlag nannte sich in der Weimarer Republik Mittgart-Verlag, mit Sitz in Haan-Ellscheid, Gründer Guntram Erich Pohl. Hier erschien Neues Leben. Monatsschrift für nordisch-deutsches Wesen.[12]
Max Robert Gerstenhauer verfasste Mittgarts Verfall und Wiederaufstieg. 1. Band. Armanen-Verlag, 1937.[13]
Das älteste deutsche Rollenspiel trägt den Namen Midgard. Das Wort wird auch vielfach als Bezeichnung der virtuellen Spielwelt von Computerspielen verwendet, unter anderem in Dark Age of Camelot, Final Fantasy VII, Rune, Age of Mythology, Ragnarok Online.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In der Reihenfolge des Erscheinungsjahrs.
- Jan de Vries: Altgermanische Religionsgeschichte. 2 Bände. 2., üb. Aufl. Walter de Gruyter, Berlin 1957.
- Klaus Böldl: Miðgarðr und Útgarðr. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 20, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2001, ISBN 3-11-017164-3, S. 10–12.
- Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 3., völlig überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2006, ISBN 3-520-36803-X.
- Uwe Puschner: Mittgart – Eine völkische Utopie, In: Klaus Geus (Hrsg.): Utopien, Zukunftsvorstellungen, Gedankenexperimente. Literarische Konzepte von einer „anderen“ Welt im abendländischen Denken von der Antike bis zur Gegenwart. Reihe: Zivilisationen und Geschichte, 9. Peter Lang, Frankfurt 2011, ISBN 3631604858, S. 155–185
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 3., völlig überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2006, ISBN 3-520-36803-X, S. 278.
- ↑ Vgl. Klaus Böldl: Miðgarðr und Útgarðr. In: RGA XX. S. 11, der auf den profanen Gebrauch des Worts in einer Kenning hinweist
- ↑ Gerhard Köbler: Altnordisches Wörterbuch. 2. Auflage. 2003, S. 300. – Gerhard Köbler: Altenglisches Wörterbuch. 2. Auflage. 2003, S. 157.
- ↑ Vgl. Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 3., völlig überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2006, ISBN 3-520-36803-X, S. 278: Wohnort in der Mitte – Vgl. auch Jan de Vries: Altgermanische Religionsgeschichte. 2. Aufl., 1957, § 579: „Dem Menschen bedeutet immer sein Wohnsitz das ‚Reich der Mitte‘.“
- ↑ Klaus Böldl: Miðgarðr und Útgarðr. In: RGA XX. S. 10 f. – Vergleiche auch Jan de Vries: Altgermanische Religionsgeschichte. 2. Aufl., 1957, § 579
- ↑ Klaus Böldl: Miðgarðr und Útgarðr. In: RGA XX. S. 10
- ↑ Klaus Böldl: Miðgarðr und Útgarðr. In: RGA XX. S. 10 – Jan de Vries: Altgermanische Religionsgeschichte. 2. Aufl., 1957, § 579
- ↑ Jan de Vries: Altgermanische Religionsgeschichte. 2. Aufl., 1957, § 579
- ↑ Klaus Böldl: Miðgarðr und Útgarðr. In: RGA XX. S. 11 – Vergleiche auch Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie (= Kröners Taschenausgabe. Band 368). 3., völlig überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2006, ISBN 3-520-36803-X, S. 279.
- ↑ Mittgart. Ein Weg zur Erneuerung der germanischen Rasse. 6. Aufl. Matthes-Verlag, Leipzig 1916. - Vgl. Uwe Puschner: Mittgart - eine völkische Utopie. In: Utopien, Zukunftsvorstellungen, Gedankenexperimente. Literarische Konzepte von einer anderen Welt im abendländischen Denken von der Antike bis zur Gegenwart. Hrsg. v. Klaus Geus. Peter Lang, Frankfurt, S. 153–181 (= Zivilisation und Geschichte 9)
- ↑ Publikationen z. B.: Vom aufsteigendem Leben. Ziele der Rassenhygiene. Hg. Mittgart-Bund, durch Hentschel; vgl. Hentschel: Varuna. Das Gesetz des aufsteigenden und sinkenden Lebens in der Geschichte. 2. Auflage. (3. u. 4.Tausend) Verlag Theodor Fritsch, Leipzig 1907; Zum Bund vgl. auch Philipp Stauff: Das deutsche Wehrbuch. Verlag Ziemssen, Wittenberg, Bezirk Halle 1912
- ↑ laut Deutsche Nationalbibliothek nur in 1 Jg., 1930
- ↑ Band 2: Das ewige Deutschland. Obertitel beider Bände: Grundzüge einer deutschen Staats- und Volkskunde. Vgl. dsb.: Mittgart, die Heimat der Germanen, in Deutschbund-Blätter. Vertrauliche Mitteilungen für unsere Mitglieder. Jg. 1930/1931, nicht paginiert