Misgendern

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Misgendern, Missgendern oder Misgendering beschreibt das Adressieren einer Person auf eine Weise, die nicht zu ihrer Geschlechtsidentität passt. Es kann beabsichtigt oder unbeabsichtigt passieren und betrifft in besonderem Maße transgender und nichtbinäre Menschen.

Misgendern bezieht sich primär auf sprachliche Äußerungen, die Menschen mit falschen geschlechtsspezifischen Ausdrücken wie beispielsweise Personalpronomen der dritten Person (er/sie/es) oder geschlechtsspezifischen Anreden adressieren.[1][2] Auch Deadnaming oder die Nicht-Verwendung selbstgewählter Pronomen und Neopronomen werden als Formen des Misgenderns bezeichnet.[3][4] Misgendern kann absichtlich oder unabsichtlich geschehen. Insbesondere wiederholtes und absichtliches Misgendern wird häufig als Mikroaggression[5], unhöflich[6] oder belästigend wahrgenommen.[7] Misgendern betrifft nicht exklusiv, aber vor allem trans und nichtbinäre Menschen. Der zum Beispiel in schwulen Subkulturen wie Drag existierende spielerische Umgang mit Pronomen wird vom Misgendern abgegrenzt.[6] Auch nicht primär sprachlich vermittelte Formen des Misgenderns wie das Eintragen unzutreffender oder veralteter Geschlechtsbezeichnungen in Datenbanken existieren.[8]

Vorkommen und Folgen

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Menschen mit nichtbinärer Geschlechtsidentität sind häufiger von Misgendern betroffen als trans Menschen.[9] Letztere geben in Studien aber ebenfalls an, häufig von Misgendern betroffen zu sein, und berichten damit zusammenhängend von Stigmatisierungsempfindungen und negativen psychischen Konsequenzen.[10][11] Misgendern erhöht unter Betroffenen die Inzidenz von Depressionen und Suizidalität.[4] Es kommt u. a. im Bildungs-[9] und Gesundheitssystem[8] vor. Erfahrungen mit Diskriminierung im Gesundheitssystem können dazu führen, dass trans Personen dieses meiden.[12] Auch in der wissenschaftlichen Forschung kann es zu Misgendern kommen, wenn beispielsweise von Vornamen auf die Geschlechtsidentität von Studienteilnehmern geschlossen wird.[13] Das absichtliche Misgendern von Menschen hängt häufig mit transfeindlichen Einstellungen und essenzialistischen Vorstellungen über Geschlecht zusammen.[2][6][4] Solche Vorstellungen beinhalten beispielsweise Stereotype darüber, wie „echte“ Männer oder Frauen erscheinen sollten, und sprechen demgegenüber trans Personen ihre geschlechtliche Identität ab.[7]

Um Misgendern zu vermeiden, wird bisweilen auch empfohlen, Personen nach der gewünschten Anrede zu fragen, Institutionen und Organisationen zu schulen oder so weit wie möglich auf geschlechtsspezifische Anreden zu verzichten.[4]

Rechtliche Situation

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In einigen US-amerikanischen Bundesstaaten gibt es gesetzliche Regelungen, um Misgendern am Arbeitsplatz, wo es Studien zufolge sehr häufig vorkommt, zu unterbinden.[2]

Nachdem die deutsche Journalistin Judith Sevinç Basad in Julian Reichelts Blog pleiteticker.de eine Transfrau als „Mann“ bezeichnet hatte, untersagte das Landgericht Frankfurt am Main im März 2023 diese Aussage per einstweiliger Verfügung.[14] Ein Widerspruch gegen die Verfügung wurde im Juli 2023 abgewiesen.[15] Eine Berufung wurde im Februar 2024 ebenso abgewiesen, da im vorliegenden Fall herabwürdigende stilistische Mittel verwendet wurden und ein versehentliches Misgendern ausgeschlossen werden konnte. Das Misgendern war ein Eingriff in den zentralen Bereich des Persönlichkeitsrechts und somit als Meinungsäußerung unzulässig.[16]

Einzelnachweise

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  1. Kevin A. McLemore: Experiences with Misgendering: Identity Misclassification of Transgender Spectrum Individuals. In: Self and Identity. Band 14, Nr. 1, 2. Januar 2015, ISSN 1529-8868, S. 51–74, doi:10.1080/15298868.2014.950691 (tandfonline.com [abgerufen am 17. Dezember 2022]).
  2. a b c Chan Tov McNamarah: Misgendering. In: California Law Review. Band 109, Nr. 6, 2021, S. 2227–2322.
  3. Robin Dembroff, Daniel Wodak: He/She/They/Ze. In: Ergo, an Open Access Journal of Philosophy. Band 5, Nr. 20201214, 9. April 2018, ISSN 2330-4014, doi:10.3998/ergo.12405314.0005.014 (handle.net [abgerufen am 17. Dezember 2022]).
  4. a b c d Sonny Nordmarken: Misgendering. In: Abbie E. Goldberg, Genny Beemyn (Hrsg.): The SAGE Encyclopedia of Trans Studies. SAGE, Thousand Oaks 2021, ISBN 978-1-5443-9381-0, S. 639-540, doi:10.4135/9781544393858 (sagepub.com [abgerufen am 18. Dezember 2022]).
  5. Sonny Nordmarken: Microaggressions. In: TSQ: Transgender Studies Quarterly. Band 1, Nr. 1-2, 1. Mai 2014, ISSN 2328-9252, S. 129–134, doi:10.1215/23289252-2399812 (dukeupress.edu [abgerufen am 17. Dezember 2022]).
  6. a b c Kirby Conrod: Pronouns and Gender in Language. In: The Oxford Handbook of Language and Sexuality. 1. Auflage. Oxford University Press, 2020, ISBN 978-0-19-021292-6, doi:10.1093/oxfordhb/9780190212926.013.63 (oup.com [abgerufen am 17. Dezember 2022]).
  7. a b Jessica A. Clarke: They, Them, and Theirs. In: Harvard Law Review. Band 132, 2019, S. 894–991 (harvardlawreview.org [PDF; abgerufen am 16. Dezember 2022]).
  8. a b Irene J Dolan, Penelope Strauss, Sam Winter, Ashleigh Lin: Misgendering and experiences of stigma in health care settings for transgender people. In: Medical Journal of Australia. Band 212, Nr. 4, März 2020, ISSN 0025-729X, S. 150, doi:10.5694/mja2.50497 (wiley.com [abgerufen am 17. Dezember 2022]).
  9. a b Genny Beemyn: Trans Students. In: The Wiley Handbook of Gender Equity in Higher Education. 1. Auflage. Wiley, 2020, ISBN 978-1-119-25763-9, S. 197–214, doi:10.1002/9781119257639.ch10 (wiley.com [abgerufen am 17. Dezember 2022]).
  10. Kevin A. McLemore: A minority stress perspective on transgender individuals’ experiences with misgendering. In: Stigma and Health. Band 3, Nr. 1, Februar 2018, ISSN 2376-6964, S. 53–64, doi:10.1037/sah0000070 (apa.org [abgerufen am 17. Dezember 2022]).
  11. Kevin A. McLemore: Experiences with Misgendering: Identity Misclassification of Transgender Spectrum Individuals. In: Self and Identity. Band 14, Nr. 1, 2. Januar 2015, ISSN 1529-8868, S. 51–74, doi:10.1080/15298868.2014.950691 (tandfonline.com [abgerufen am 17. Dezember 2022]).
  12. Daria Szücs, Andreas Köhler, Mika M. Holthaus, Annette Güldenring, Lena Balk, Joz Motmans, Timo O. Nieder: Gesundheit und Gesundheitsversorgung von trans Personen während der COVID‑19-Pandemie: Eine Online-Querschnittstudie in deutschsprachigen Ländern. In: Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz. Band 64, Nr. 11, November 2021, ISSN 1436-9990, S. 1452–1462, doi:10.1007/s00103-021-03432-8, PMID 34622306, PMC 8496616 (freier Volltext) – (springer.com [abgerufen am 26. Dezember 2022]).
  13. Y Gavriel Ansara, Peter Hegarty: Misgendering in English language contexts: Applying non-cisgenderist methods to feminist research. In: International Journal of Multiple Research Approaches. Band 7, Nr. 2, August 2013, ISSN 1834-0806, S. 160–177, doi:10.5172/mra.2013.7.2.160 (tandfonline.com [abgerufen am 17. Dezember 2022]).
  14. Marc Bartl: Reichelt-Unternehmen darf trans Frau nicht „Mann“ nennen. In: RND Redaktionsnetzwerk Deutschland. 28. März 2023, abgerufen am 28. März 2023.
  15. Julian Reichelt verliert Rechtsstreit gegen trans Frau. In: Der Spiegel. 7. Juli 2023, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 7. Juli 2023]).
  16. Jasper Prigge: Trans-Rechte: Berufung von Reichelt-Unternehmen erfolglos. 29. Februar 2024, abgerufen am 3. Juli 2024.