Moderne (Architektur)
Moderne bezeichnet in der Geschichte der Architektur eine nicht allgemein abzugrenzende Architekturepoche. In Fachkreisen meint man mit dem Begriff Modernismus vor allem durch den Internationalen Stil verbreitete weltweit uniforme Formensprachen. Dies geschieht meist in Abgrenzung von der klassischen Architektur nach Vitruv und der traditionellen bzw. regionalen Bauweise. Bereits die Tendenzen seit der Revolutionsarchitektur und dem Klassizismus in der Zeit um 1800 werden als Moderne bezeichnet, wie auch die jeweils jüngsten und zeitgenössischen Strömungen, weshalb nur im jeweiligen Kontext erkennbar wird, welcher Begriff gemeint ist. So werden auch die Postmoderne oder der heutige Neohistorismus als modern bezeichnet. In diesem Sinne werden zeitgenössische Architektur und „Moderne“ häufig synonym verwendet als Ausdruck der Gegenwart,[1] ohne damit konkrete Architekturstile zu meinen.
Heute geht man allgemein davon aus, dass sich Ansätze modernistischer Architektur mit der Arts-and-Crafts-Bewegung und der Reformarchitektur in Großbritannien gegen Mitte des 19. Jahrhunderts und durch Jugendstil, Modernisme und Art déco zur Jahrhundertwende europaweit vorbereiteten und im Deutschen Werkbund erste Theorien entwickelt und Experimente durchgeführt wurden. Der eigentliche Modernismus begann dann nach dem Ersten Weltkrieg 1918 und schließt verschiedene Strömungen ein, die sich oft nicht eindeutig voneinander abgrenzen lassen. Grob chronologisch lassen sie sich folgendermaßen anordnen: Neues Bauen, De Stijl, Expressionismus, Bauhaus, Neue Sachlichkeit, Rationalismus, Internationaler Stil, Konstruktivismus, Funktionalismus.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam die Nachkriegsmoderne hinzu, innerhalb derer sich etwa der Brutalismus und der Strukturalismus abgrenzen lassen. Gemeinsames Merkmal vieler Werke dieser Epochen ist die Ausführung als Solitärbauten oder gleichförmige Gebäudegruppen, im Wohnungsbau auch als aufgelockerte Siedlungen, im Gegensatz zur sonst üblichen geschlossenen Bauweise (häufig Blockrandbebauung). Bei manchen Bauten und Ensembles ergeben sich Überlagerungen mit der Heimatschutzarchitektur.
Mit Postmoderne und Dekonstruktivismus, Organischer Architektur und anderen Strömungen wie dem New Urbanism findet ab den 1960er und 1970er Jahren eine Abwendung von der Formensprache modernistischer Strömungen statt.
Prinzipien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Allgemeine ästhetische und architektonische Grundsätze
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die technische, Anfang des 20. Jahrhunderts neue Grundlage für die Architektur der klassischen Moderne ist die oft überwiegende Verwendung der Baumaterialien Stahl, Glas und bewehrtem Beton.
Das Programm der umfangreichen Architekturtheorie lässt sich (verkürzt) in drei pointierten Leitsätzen zusammenfassen: Form follows function (Louis Sullivan), Less is more (Ludwig Mies van der Rohe) und die Aussage einer schon 1908 von Adolf Loos verfassten Polemik Ornament und Verbrechen.[2][3] Zum einen soll sich die Gestaltung also erkennbar von der architektonischen Funktion ableiten. Zum anderen ist die Ausgestaltung oft von reduzierter Schlichtheit.
Organische Stilistik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die strenge Formgebung führt gelegentlich zu dem Missverständnis, die Klassische Moderne ließe sich auf strikte Orthogonalität reduzieren. Dies gilt zwar z. B. für die Architekten von de Stijl und Bauhaus, andere entwickelten dagegen gerade eine Vorliebe für geschwungene Formen und nutzten dabei die damals neuen Möglichkeiten des Betonbaus. Der expressionistische Stil Erich Mendelsohns ist durchaus der Klassischen Moderne zuzurechnen und verzichtet weitgehend auf die Verwendung des rechten Winkels und die rein funktionalistische Anordnung seiner Zeitgenossen. Dies gilt auch für Frank Lloyd Wright mit seinen Prinzipien der organischen Architektur und spätere Vertreter des Organischen Bauens (z. B. Hans Scharoun) oder den Brasilianer Oscar Niemeyer.
Ästhetische Gegensätze
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Obwohl die Architektur der Klassischen Moderne auf bestimmten gemeinsamen Prinzipien basiert, ist sie doch kein klar definierter Stil im eigentlichen Sinne, sondern eher eine Epoche. Die Haltung zum rechten Winkel bzw. zur geschwungenen Form bestimmt z. B. unterschiedliche ästhetische Positionen. Auch die Verwendung von vorwiegend Glas und Stahl oder aber von Beton kann zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen. So war das erklärte Ziel für Mies van der Rohe der Totale Raum: drinnen und draußen sollten ineinander übergehen. Dies erreichte er beispielsweise bei der Berliner Neuen Nationalgalerie durch den völligen Verzicht auf tragende Wände. Stattdessen ist der Raum ausschließlich von Glas begrenzt. Eine andere Tendenz, insbesondere im Brutalismus, setzt dagegen auf massiven Beton – wodurch natürlich eine völlig andere Wirkung erzielt wird.
Die städtebaulichen Leitbilder waren 1933 in der Charta von Athen festgehalten worden und beinhalteten nicht nur die Ablehnung der dichten gründerzeitlichen Stadt, sondern einen radikalen Bruch mit allen städtebaulichen Traditionen. Wesentliche Elemente waren die Entflechtung der städtischen Funktionen, eine offene Bebauung und die autogerechte Stadt.
Strömungen innerhalb der Moderne
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Expressionismus
- Neues Bauen
- Organisches Bauen
- Neue Sachlichkeit
- Bauhaus
- Funktionalismus
- Konstruktivismus
- Futurismus
- Rationalismus
- De Stijl
- Amsterdamer Schule
- Modernisme Català
- Minimalismus
- Nachkriegsmoderne
- Internationaler Stil
- Strukturalismus
- Brutalismus
- Kritischer Regionalismus
- Heimatschutzarchitektur
Wichtige Architekten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die nachfolgend aufgeführten Architekten sind den Ländern zugeordnet, in denen sie hauptsächlich gewirkt haben.
Vereinigte Staaten
- Frank Lloyd Wright (1867–1959)
- Richard Neutra (1892–1970)
- Richard Buckminster Fuller (1895–1983)
- Louis I. Kahn (1901–1974)
- Charles Eames (1907–1978)
- Gordon Bunshaft (1909–1990)
- Gunnar Birkerts (1925–2017)
Deutschland
- Henry van de Velde (1863–1957)
- Peter Behrens (1868–1940)
- Hans Poelzig (1869–1936)
- Bruno Taut (1880–1938)
- Otto Bartning (1883–1959)
- Walter Gropius (1883–1969)
- Ludwig Mies van der Rohe (1886–1969)
- Erich Mendelsohn (1887–1953)
- Wassili Luckhardt (1889–1972)
- Hans Luckhardt (1890–1954)
- Hans Scharoun (1893–1972)
- Richard Döcker (1894–1968)
- Konrad Wachsmann (1901–1980)
- Egon Eiermann (1904–1970)
- Sep Ruf (1908–1982)
Österreich
- Adolf Loos (1870–1933)
- Karl Holey (1879–1955)
- Clemens Holzmeister (1886–1983)
- Margarete Schütte-Lihotzky (1897–2000)
- Roland Rainer (1910–2004)
Frankreich
- Auguste Perret (1874–1954)
- Le Corbusier (1887–1965)
Schweiz
- Otto Rudolf Salvisberg (1882–1940)
Niederlande
- Gerrit Rietveld (1888–1964)
- Jacobus Johannes Pieter Oud (1890–1963)
UdSSR/Russland
- Kurt Liebknecht (1905–1994)
Tschechoslowakei
- Bohuslav Fuchs (1895–1972)
Finnland
- Alvar Aalto (1898–1976)
Dänemark
- Arne Jacobsen (1902–1971)
Italien
- Giuseppe Terragni (1904–1943)
- Gualtiero Galmanini (1909–1976)
Brasilien
- Oscar Niemeyer (1907–2012)
Bedeutende Gebäude
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Looshaus, Wien (Adolf Loos, 1910)
- Fagus-Werk, Alfeld (Walter Gropius und Adolf Meyer, 1911)
- Hutfabrik Luckenwalde (Erich Mendelsohn, 1921–23)
- Lovell Beach House, Newport Beach (Rudolph Schindler, 1925–1926)
- Van-Nelle-Fabrik, Rotterdam (Leendert van der Vlugt/Johannes Brinkman/Mart Stam, 1926–1929)
- St. Fronleichnam, Aachen (Rudolf Schwarz, 1928–1930)
- Kaufhaus Schocken, Chemnitz (Erich Mendelsohn, 1929–1930)
- Maison de verre (Pierre Chareau/Bernard Bijvoet, 1928–1931)
- Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes Bernau (Hannes Meyer, 1928–1930)
- Haus Dr. Estrich (Konrad Wachsmann, 1929)
- Villa Tugendhat, Brünn (Mies van der Rohe) 1929–1930
- Haus Schminke, Löbau (Hans Scharoun, 1932–1933)
- Tabakfabrik Linz, Linz (Peter Behrens/Alexander Popp, 1929–1935)
- De La Warr Pavilion, Bexhill-on-Sea (Erich Mendelsohn/Serge Chermayeff, 1933–1935)
- Glaspaleis, Heerlen (Frits Peutz, 1935)
- Fallingwater, Bear Run, Pennsylvania (Frank Lloyd Wright, 1935)
- Funkhaus Wien, Wien (Clemens Holzmeister, 1935–1939)
- Johnson Wax Verwaltungsgebäude, Racine (Frank Lloyd Wright, 1936–1939)
- Kaufmann House, Palm Springs (Richard Neutra, 1947)
- Wohneinheit (Le Corbusier), (zuerst Marseille 1947)
- UNO-Hauptquartier, New York (1949–1951)
- Eames House, Los Angeles (Charles Eames, 1949)
- Farnsworth House, Plano (Ludwig Mies van der Rohe, 1950–1951)
- 860–880 Lake Shore Drive Apartments, Chicago (Ludwig Mies van der Rohe, 1951)
- Galmanini Portaluppi Palace, Palazzo d’Este, Mailand (Gualtiero Galmanini, Piero Portaluppi, 1956)
- Guggenheim Museum, New York (Frank Lloyd Wright, 1956)
- Nachkriegsbauten der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, Berlin (Egon Eiermann, 1961–1963)
- Neue Nationalgalerie, Berlin (Ludwig Mies van der Rohe, 1965–1968)
- Finlandia-Halle, Helsinki (Alvar Aalto, 1962–1971)
- Sydney Opera House (Jørn Utzon, 1959–1973)
- Metastadt (Richard J. Dietrich und Bernd Steigerwald, 1970–1973)
- PSFS-Hochhaus, Philadelphia (William Lescaze, 1929–1932)
- Lever House, New York (Skidmore, Owings and Merrill, 1951–1952)
- Seagram Building, New York (Mies van der Rohe, 1954–1958)
- Torre Velasca, Mailand (BBPR, 1958)
- Pirelli-Hochhaus, Mailand (Gio Ponti und Pier Luigi Nervi 1958–1960)
Bedeutende Sakralbauten finden sich auch in der jüngeren Heiligen-Verehrung, so bei den Don-Bosco-Kirchen (Heiligsprechung 1934). Siehe auch Moderner Kirchenbau.
Städtebauliche Projekte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Siedlungen der Berliner Moderne, erbaut zwischen 1913 und 1934, Welterbe seit 2008
- Wiener Gemeindebauten, 1918–1934
- Arbeitersiedlung Hoek van Holland Rotterdam, J.J.P. Oud 1924–1927
- Arbeitersiedlung Kiefhoek Rotterdam, J.J.P. Oud 1925–1927
- Siedlung Georgsgarten Celle, Otto Haesler, 1924–1926
- Neues Frankfurt Frankfurt am Main, Ernst May, 1925–1930
- Siedlung Onkel Toms Hütte Berlin, 1926–1932
- Jarrestadt Hamburg, Karl Schneider, Fritz Schumacher, ab 1926
- Weißenhofsiedlung Stuttgart, 1927
- Werkbundsiedlung Neubühl Zürich, 1928–1932
- Gratte-Ciel Villeurbanne 1927–1934
- Cité de la Muette Drancy bei Paris, Marcel Lods, Eugène Beaudouin 1931–1934
- Bahnhofquartier (geschlossen nach Bauvorschriften des Neuen Bauens errichtet) und zahlreiche Einzelbauten in Biel (siehe Bieler Moderne), 1920er- und 1930er-Jahre
- Weiße Stadt Tel Aviv, 1930er Jahre
- Asmara Eritrea, 1935–1941
- Greenbelt-Towns: Greenbelt Maryland 1935–1937, Greenhills Ohio 1935–1938, Greendale Wisconsin 1936–1938
- La Colonia Jardines del Pedregal Mexiko-Stadt, Luis Barragán 1943–1954
- Wiederaufbau Le Havre, Auguste Perret, 1945–1954
- Wiederaufbau Vieux Port/La Tourette Marseille, Fernand Pouillon, 1949–1953
- Vällingby Stockholm, Sven Markelius, 1947–1955
- Quartiere Tuscolano (INA-Casa) Rom, Saverio Muratori/Mario De Renzi/Adalberto Libera, 1950–1956
- Chandigarh, Le Corbusier, 1951–1961
- Planhauptstadt Brasília, Oscar Niemeyer, 1956–1960
- Internationale Bauausstellung im Hansaviertel Berlin, 1957
- Grindelhochhäuser Hamburg, 1946–1956
- Lafayette Park Detroit, Mies van der Rohe, Ludwig Hilberseimer, 1956–1963
- Les Courtillières Pantin bei Paris, Émile Aillaud, 1956–1960
- Alton Estate Roehampton (London), London County Council, 1958–1959
- Meudon-la-Forêt Fernand Pouillon, 1959–1961
- Neue Stadt Wulfen, Fritz Eggeling, 1961
- Grands ensembles (Ville nouvelle ab 1965): Sarcelles bei Paris
- New Towns: Milton Keynes, 1968–1971
- Arcosanti Arizona, 1970
- Miami Beach, Art-déco-District, 1930er bis 1940er Jahre
- Napier, Art-déco-Viertel, 1930er Jahre
Architekturtheoretiker der Klassischen Moderne
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Adolf Loos: Ornament und Verbrechen, 1908
- Le Corbusier: Urbanisme, 1925 (deutsch: ‚Städtebau‘); Vers une architecture, 1923 (deutsch: ‚Ausblick auf eine Architektur‘)
- Adolf Behne: Der moderne Zweckbau, 1926
- Sigfried Giedion: Befreites Wohnen, 1929; Raum, Zeit, Architektur, 1965
-
Henry van de Velde: Bauhaus-Universität Weimar, 1904–1911
-
Johannes Duiker Freiluftschule, Amsterdam 1926–1931
-
Moissei Ginsburg Narkomfin-Gebäude, Moskau 1928–1932
-
Bohdan-Lachert-Villa, Warschau, Polen, 1929
-
Hans Scharoun, Haus Schminke, Löbau, Deutschland 1933
-
Villa Figini, Mailand, 1935
-
Berthold Lubetkin Pinguinbecken, London 1933–1934
-
Alvar Aalto Sanatorium, Paimio 1929–1933
-
Berthold Lubetkin/Tecton Wohnanlage High Point I, London 1933–1935
-
Erich Mendelsohn Hadassah-Hospital und medizinische Hochschule, Skopus Jerusalem 1934–1939
-
Gunnar Asplund Krematorium Waldfriedhof Enskede, Stockholm 1935–1940
-
Juliusz Żórawski, Glashaus, Warschau, 1938–1941
-
Alvar Aalto Villa Mairea, Noormarkku 1938–1941
-
Luis Barragán Casa Barragán, Mexiko-Stadt 1947
-
Pietro Belluschi Equitable Life Insurance Building, Portland 1944–1947
-
Zbigniew Ihnatowicz, Das Einkaufszentrum Smyk, Warschau 1947
-
Josep Antoni Coderch Apartmentgebäude La Barceloneta, Barcelona 1951
-
Alejandro de la Sota Gobierno Civil, Tarragona 1954–1957
-
Carlo Scarpa Museo Castelvecchio, Verona 1956–1964
-
Juan O’Gorman Zentralbibliothek der UNAM, Mexiko-Stadt 1953–1956
-
Carlos Raúl Villanueva Universität, Caracas 1950–1959
-
Eladio Dieste „Cristo Obrero“-Kirche, Atlántida (Uruguay) 1958–1960
-
Maekawa Kunio Kyoto Kaikan, Kyōto 1958–1960
-
Kenzō Tange Friedensmuseum Hiroshima 1949–1955
-
Denys Lasdun Keeling House, London 1952–54
-
Jørn Utzon, Siedlung Kingo, bei Helsingør 1959–1960
-
James Stirling, Engineering Building Universität von Leicester, 1959–1963
-
Peter und Alison Smithson, The Economist Building, London 1959–1964
-
Robert Venturi, Haus Vanna Venturi Philadelphia 1963
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Vgl. Duden: „modern“
- ↑ A. Loos: Ornament und Verbrechen. Wien 1908 aus Architektenlexikon Wien 1880–1945auf der Seite des Architekturzentrum Wien
- ↑ A. Loos: Ornament und Verbrechen. Wien 1908 Originaltext als PDF bei voglhofer.at